In Doppelwumms-Zeiten müssen wir endlich mal den Mitmenschen danken, die uns mit kräftigen, knalligen Worten wie Wumms das Leben leichter machen, die blumig auf Deutsch und auch mal in schickem Englisch reden, schreiben, die einem selbst dann noch ein Lächeln abringen, wenn man bis zum Hals in … na, Sie wissen schon. Es ist in, das ist auch ein schönes Wort, das Zusammenrücken in der Krise zu üben, immer schön mit Abstand, wir wissen Bescheid. Wenn einem noch das richtige Vokabular in den Mund gelegt wird, kommt man durch jede Not, äh konstruktive Herausforderung. Ein Text für die NachDenkSatire von Frank Blenz.
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Immer schön positiv
Ich freute mich letztens sehr, als ich las, dass sehr viele der nicht verwendeten Mundschutzschmuckstücke (meine Wortschöpfung für Masken) einer thermischen Verwendung zugeführt würden. Das klingt einfach richtig stilvoll, dachte ich gleich. Verbrennen, Vernichten, weg damit – das wäre einfach böse formuliert gewesen. Aber thermisch zuführen… Das nimmt sich geradezu erwärmend aus. Jawoll. Jens Spahn, Altgesundheitsminister, ach, waren das noch Zeiten mit ihm, hat das mit dem Thermischen gesagt. Gut gemacht! Es sei in Bezug auf den Ausdruck thermische Verwendung erwähnt: Hinter Ministern wie ihm und anderen wichtigen Persönlichkeiten arbeiten Leute, die sich genau solche Wörter und Begriffe ausdenken, damit die Persönlichkeiten vor ihnen wie Spahn im Rampenlicht und vor den Mikrofonen sie zu uns Bürgern positiv aussprechen. Jens Spahn kann das! Gut gemacht!
Noch ein Lob hat der Altminister gut: Er hat ein Buch über Coronazeiten mit dem Titel geschrieben „Wir werden einander viel verzeihen müssen“. Klingt auch gut. Ich bin schon länger gespannt, denn das mit dem Entschuldigen lässt hierzulande etwas auf sich warten. Stimmt schon, wir haben jetzt noch weitere Sorgen, die wir positiv mit einem Wumms meistern. Das Verzeihen läuft derweil woanders, bis zu uns nach Deutschland, da hat sich das noch nicht so richtig herumgesprochen. Wir zieren uns, Fehler Zugeben ist nicht so unser … Okay, okay – das ist ein anderes Thema, wir bleiben schön positiv. Das Verzeihen braucht halt Zeit.
Wir Deutschen wissen, das Leben ist zwar kein Ponyhof und unser marktsozialer Kapitalismus bei allen Vorzügen nicht das Ende der Fahnenstange unserer gemeinsamen Entwicklung, sobald wir jedoch all das Positive heraus- und besonders an uns selbst arbeiten, erscheinen alle Zustände, Umstände, etwaige Missstände auf unserem Ponyhof in einem herrlichen Licht des Guten. Die Experten unserer Muttersprache und auch des trendigen Englischen, wissen genau, wie man formuliert, dass es für uns alles passt. Selbst im Stress der Leistungsgesellschaft. Was heißt hier Stress – das ist Lebensfreude, Happiness.
Das Hamsterrad von innen
Der schnöde Alltag ist keiner für uns, wenn er positiv erzählt klingt, so haben Experten harte durch weiche Begriffe ersetzt. Ich finde das wunderbar. Entlassen wird bei uns niemand, freigestellt heißt das. Wenn Bürger eine Arbeit annimmt, dann ist die Probezeit die schönste Zeit, bevor sie ausläuft und man wieder Zeit bis zur nächsten Probezeit gewinnt. Arbeiter heißt Arbeitnehmer, Kapitalist Arbeitgeber. Dass der Arbeiter eigentlich seine Arbeitskraft gibt und der Arbeitgeber sie nimmt, also Nehmer ist, geschenkt. Halten wir uns nicht mit den Tatsachen auf. Bei Bewerbungen wirkt es sich positiv aus, wenn man durch Komprimierung der eigenen Daten seinen Auftritt optimiert. Eine Bekannte von mir war stets sehr offen, sie schrieb ihre drei Kinder in die Vita. 100 Bewerbungen wartete sie, als sie in der 101. die Kinder aus Platzgründen einsparte, wurde sie zum Vorstellungsgespräch eingeladen und bekam den Job. Das ist gut, ne?
Praktikanten sind eine weitere spezielle Spezies hierzulande. Die bringen selbst noch Geld und Zeit und Kompetenzen mit, um nach Praktikums-Ende mit Händedruck und positiven Zukunftswünschen in die Freiheit verabschiedet zu werden. Das hat was, dass wir, das Land mit einem Fachkräftemangel (welch böses Wort), uns ein flexibles Personalkarussell und die Möglichkeiten, dass Menschen immer wieder Neues kennenlernen, leisten. Bei allem atemberaubenden Tempo unseres Alltags und im Zauber des Wohlfühlens unserer Leistungen und unseres Wohlstandes merkt man gar nicht, dass die Stufen der Karriereleiter aussehen wie die Stufen im Innern des Hamsterrads.
Lock Down und Kappjes
Lob ist auch für Experten wichtig. In den Denkfabrik-Laboren der Ministerien und wichtigen Einrichtungen des Landes, in Türmen großer Unternehmen rauchen deren Köpfe für uns tagein, tagaus. Schwups, hatten sie bei den Coronawellen das Wort „Maßnahmen“ parat. Eine Maßnahme ist was Genaues, etwas, an dem sich Bürger orientieren kann. Viele maßvolle Maßnahmen wurden erdacht, sogar Stubenarrest für alle, das hieß dann Englisch Lock Down. Als Kind hasste ich derlei Arrest, zum Glück oder besser Dank meines Liebreizes: Ich musste selten in meinem Zimmer bleiben, war ich doch meist lieb und sehr gut in der Schule, als Kind und beim Fußball.
Nun also kam der Lock Down. Ganz schön funky, der Ausdruck. Der Blumenstrauß der Begriffe der Maßnahmen von 2020 bis heute zeigt, die Fachleute erfanden fleißig: Inzidenzen, Homeoffice, Social Distancing, Systemrelevanz, Bonus, Herdenimmunität, Impfdosenrückstau. Um nur einige zu nennen. Hammer war das Wort Booster. Die Steigerung heißt? Na? Na klar: Doppelbooster. Sowas gibt es auf Deutsch gar nicht. Wummser vielleicht … Buuuuuster Sagen haut richtig rein. Beim Wort „Maske“ hatten die Erfinder ein nicht ganz so geschicktes Händchen bei der Wortfindung. Wir Menschen aus dem Volk ließen darum ersatzweise der Poesie freien Lauf, erfanden Mundschutz, Mundnasenschutz, Lappen, – in Holland gab es einen sehr süßen Ausdruck dafür: Kappjes. Schön, ne!?
„Und bist du nicht willig…“. Leider tanzen Leute immer mal wieder aus der Reihe. Auch gegen Maßnahmen. Kein Wunder, diesen Mitmenschen wehte Gegenwind der Mehrheit entgegen, also ab in die Ecke. Die Minderheit bekam zu hören (mindestens): „Du spinnst, Du liegst nicht richtig, lass’ Dir das nochmal erklären, glaube daran, es ist richtig.“ Es half nichts, die, die in all den Lockdowns und Wellen widerborstig waren und es bis heute vielleicht sogar noch sind, mit denen mussten schlicht härtere Saiten aufgezogen werden. Das ging dann ganz gut mit Worten wie zum Beispiel Schwurbler, Querdenker oder Verschwörungstheoretiker, das waren wichtige, erzieherische Begriffe. Nach dem Tadel erfand man etwas Schönes, um die Lage ein bisschen zu entspannen: Der alte Begriff „Zügel schleifen lassen“ wurde zu Lockerungen. Unsere uns Führenden lockerten aber sowas von, wir atmeten in den Sommern der vergangenen Jahre durch, um frisch gelüftet die erneute Zügelstraffung ab Herbst frohen Mutes wieder anzunehmen und neue Kampagnen bis hin zum Doppelboostern zu verinnerlichen (außer eben die Quer- und andere, Sie wissen schon, Kandidaten). Beim gemeinsamen Slogan „Wir bleiben zu Hause“-Ausleben sinnierte mancher am Kamin: Die Fledermaus in China kann nichts dafür, dass sie einen Hype auslöste, der seinesgleichen sucht, in den Laboren der Welt wird derweil weiter fleißig geforscht und getestet und erfunden. Aber keine Wörter…
Der Erfinder des Wortes des Jahres
Wir erleben eine neuerliche Krise, also eine ziemlich große Herausforderung, der verbal entsprochen werden sollte. Uns fliegt die Welt um die Ohren, okay, wir schnüren neue, andere Maßnahmenpakete. Welch’ Glück, immer mal wieder kommen beim Wörter Kreieren so richtige Knallerdinger heraus, wie das Ding aus einem Berliner Büro (liegt im Regierungsviertel beim Potsdamer Platz): „Doppelwumms“. Das ist ein Knaller, echt. An und für sich ist es gar kein richtiges Wort, lediglich eine Verstärkung. So schießt man beispielsweise auf das Tor. Um es feiner, lyrischer zu erzählen, ergänzt man: Der Ball fliegt, wumms, ins Gehäuse. Oder das Leder zischt vorbei am Keeper ins Netz. Schön. Nur gut, dass Doppelwumms nicht Doppelzisch heißt. Egal. Ich schweife ab.
Ich verrate mal was: Mir wurde durch eine vertrauliche Quelle erzählt, wie das mit dem Wumms passierte. Ein neu, zunächst befristet und in Probezeit eingestellter Experte des Teams für starke Wörter für den Gebrauch in Politik und Medien hatte diesen knackigen Einfall. Es muss unter uns bleiben, dass derlei ihm aufgrund eines Missgeschicks eingefallen ist. Der junge Mann saß wie immer seit seiner Einstellung am Schreibtisch. Er hatte wie bisher nicht viel zu tun, weil er als neuer Mitarbeiter noch keine anspruchsvollen Aufträge bekam. Ordner Schlichten, Tackern von Dokumenten schon, aber Substantielles – eher nein. Also nickte der Mann ein. Nicht lang. Sein Kopf schlug auf die Schreibtischkante. Er wachte auf, erschrak, rief aus: „Wumms.“ Die Bürotür schlug auf – sein Chef trat ein: Der junge Mitarbeiter rief: „Doppelwumms“. Der Chef jubelte, küsste den jungen Mann auf die schwellende Stirn: „Mensch, Meyer-Schmidt! Sie sind ein Genie – das ist das Wort, das wir die ganze Zeit suchen.“ Meyer-Schmidt bekam ein neues Büro, eine höhere Tarifstufe und den Sonderauftrag, Doppelwumms weitere Knaller folgen zu lassen.
Er und seine Kollegen tüfteln gerade an gute Laune bereitenden Worten für den kommenden Frühling, wenn die Gaspreisbremse (ein herrliches Wort) greift. Also dann greift die Bremse der Preise, wenn die Heizung wieder abgedreht werden kann. Sowas muss man sich erstmal ausdenken. Wir strecken dann aber, Geld hin, Sorgen her, unsere Gesichter im Gefühl gut gemeinter Lockerungen der Frühjahrssonne entgegen. Wir werden von Winterzeit auf Sommerzeit umstellen. Wumms. Bitte kein Murren! Abends wird es dann ja wieder eine Stunde länger hell bleiben, Doppelwumms. Freut Euch!
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