Wenn man als Kulturschaffender, der seine Kunst einem Publikum auf der Bühne präsentieren will, in diesen Zeiten unterwegs ist, kann man nach den vergangenen zwei Jahren schon froh sein, dass das überhaupt möglich ist. Dass man überhaupt losfahren kann, dass es überhaupt noch Veranstalter gibt, die es als ihre Aufgabe ansehen, ein Angebot für ein arg geschrumpftes, aber doch interessiertes Publikum aufrecht zu erhalten und eine Szene zu stützen, der langsam, aber sicher die Luft ausgeht. Egal ob und wie man sich das schönreden will, nimmt hier eine Entwicklung ihren Lauf, die bereits vor Jahresfrist deutlich abzusehen war. Von Michael Fitz.
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Heute, im Herbst 2022, bin ich froh um jeden interessierten Zuschauer, der vor mir sitzt, selbst wenn der Saal noch nicht einmal halbvoll ist. Publikumsinteresse ist nun einmal, nicht nur eine ideelle, sondern auch die wirtschaftliche Basis unseres Berufes. Kleinkunst heißt nicht etwa so, weil sie der „kleine Bruder“ der großen Kunst sein will, sondern weil sie sich meist in kleinen Räumen, Clubs, Sälen u.Ä. abspielt, deren Fassungsvermögen schon qua Ordnungsamt auf maximal 200 Personen begrenzt ist. Hier war bereits vor Corona auch die finanzielle Schallmauer verortet.
Man konnte sich als Künstler glücklich schätzen, wenn nach jahrelanger, fleißiger Tourneetätigkeit Name, Qualität und Reputation dafür gesorgt haben, dass ein solcher Raum relativ sicher zu Dreiviertel gefüllt war, natürlich mit Ausschlägen nach oben und nach unten. Das war für Veranstalter, oft auch ehrenamtliche Kulturvereine, gut zu kalkulieren, schwerwiegende Fehleinschätzungen waren, selbst bei der Verpflichtung zu einer ordentlichen Garantiegage, kaum möglich.
Vom Nettoerlös aus 60 bis 100 Auftritten dieser Art im Jahr konnte man zwar nicht reich werden, aber nach Abzug aller Kosten und der Steuer ganz gut leben. Ein mittelständischer Einzelunternehmer mit gutem Auskommen, der von seiner Kunst leben kann. Eine schöne Sache und ein großes Geschenk! Für alle Künstler, die ihr Repertoire selbst schreiben und komponieren, kam ja 12 Monate später auch immer noch die GEMA obendrauf.
Das ist inzwischen Geschichte. Die Vorverkäufe sind meist um weit mehr als die Hälfte im Vergleich zu Vor-Corona-Zeiten eingebrochen, was auch die Veranstalter, die bisher Garantien zu zahlen bereit waren, in absehbarer Zeit vor die Frage stellen wird, ob sie das überhaupt noch können. An der Abendkasse haben sie dann mit Glück noch zehn Leute, die sich dann doch spontan für den Gang in den Club oder Saal um die Ecke oder am Ort entscheiden, wo es zwar Unbekanntes, aber manchmal überraschend Gutes zu hören und zu sehen gibt.
Jeder, der die Grundrechenarten beherrscht, wird feststellen, dass das zum Leben, weder für Veranstalter noch für Künstler, reichen kann. Hinzu kommt nun diesen Herbst noch die Frage, ob es sich unter diesen Bedingungen lohnt, einen Raum, der maximal halb gefüllt ist, voll zu beheizen. Auch hier wird denen, die Räume von der Kommune oder privaten Anbietern anmieten müssen, ganz schnell klar, dass die Gas- und Strompreisexplosion, die flächendeckend noch gar nicht wirklich durchgeschlagen hat, von denen, die es können, bereits jetzt eingepreist und weitergereicht wird. Es ehrt viele Veranstalter, dass sie nun die Ticketpreise nicht erhöhen, sondern im Gegenteil zwecks Zuschauerinteresse noch gerne reduzieren würden. Aber wo soll das hinführen? Preiserhöhungen waren beim Kleinkunstpublikum allerorten noch nie einfach, sondern immer schon nur unter größten Anstrengungen und stark abhängig von der Nachfrage durchsetzbar. Ich bewege mich da seit etwa 10 Jahren auf demselben Level. Inzwischen wären Preissteigerungen der schelle Tod der Branche. Warum soll ich mir ein Konzert für 25€ im kalten Saal antun, wenn ich es zu Hause vor der Glotze noch einigermaßen warm habe und falls erforderlich selbst die Heizung hochdrehen oder meinen Kaminofen anschmeißen kann?
Die Problematik ist, wie gesagt, nicht neu, sondern war bereits im Verlauf des vergangenen Jahres deutlich absehbar. Ich habe zu diesem Thema seitens der großen Politik bis dato keinerlei hilfreiche Äußerung gehört und irgendeine, wie auch immer geartete Initiative, um das große Sterben zumindest zu verlangsamen, ist nirgendwo in Sicht. Offenbar lässt man von einem Thema, das man als nicht systemrelevant ansieht, lieber die Finger. Für mich und für viele andere Künstler klingt deshalb der neueste Gedankenblitz und medienwirksam präsentierte Vorstoß unserer Kulturministerin Claudia Roth wie blanker Hohn. Schöne Idee, Kultur als Wert in die Verfassung aufzunehmen, selbstverständlich nur ideell, keinesfalls die eher unschöne, aber ebenso wichtige kommerzielle Seite der Medaille … (wie bitte?)
Neu ist das nicht. Es gab schon 2020 einen Petitionsaufruf von allerlei illustren Kulturfreunden des gehobenen Bürgertums, eben die Kultur als Wert ins Grundgesetz zu schreiben. Toll! Und schlimm genug, dass das Frau Roth, der inzwischen zuständigen Ministerin, offenbar erst jetzt aufgefallen ist. Überhaupt war die Dame bis dato eher unter dem Radar unterwegs und wenn überhaupt, dann nur, wenn es unbedingt sein musste, medial hör- und sehbar. Wenn man sich ihre lauen Statements zum Documenta-„Skandal“ (NDS) und nun aktuell ihre Einlassungen zum Preisträger des Friedenspreises des Buchhandels in der Paulskirche (NDS) so anschaut, scheint ihr Credo zu sein: Bloß nicht auffallen und ja nichts im Mainstream-Sinne Falsches sagen. Ja, ja …
Minister haben es schwer und müssen auf vielen Hochzeiten tanzen. Da passt ihr neuerlicher Vorstoß hervorragend ins Bild. Wer würde da schon nein sagen? Ja, klar. Kultur ist ein zu schützender Grundwert … blablabla! Applaus von allen Seiten ist da garantiert. Das nennt man Symbolpolitik. Das hat im Ergebnis ungefähr genauso viel Auswirkung wie die Aufnahme der UN-Charta der allgemeinen Menschenrechte ins Grundgesetz. Stoff für Sonntagsreden, fernab jeglicher politischer und gesellschaftlicher Wirklichkeit. Damit reiht sie sich in das leere Wertegefasel ihrer Partei- und Regierungskollegen nahtlos ein.
Fad und verlogen klingt das für all die, die von Frau Roth als Ministerin nun bereits seit mehr als zwölf Monaten sehnsüchtig eine Fürsprache, eine echte Unterstützung und Hilfe, auch finanzieller Natur, für eine Branche und eine Szene erwarten, die es ohne tatkräftiges Einschreiten und echter Initiative der Politik und vor allem der zuständigen Ministerin in ihrer ganzen Vielfalt und Diversität bald nicht mehr geben wird. Dabei zeigt sich doch Frau Roth so gerne als eine von uns und vom Fach, die vor gefühlt 50 Jahren mal die Band „Ton Steine Scherben“ gemanagt hat. Wie sich das anfühlt „on the road“, das hat sie wohl inzwischen vergessen, sondern ist lediglich immergleicher, lebensentleerter Inhalt tausendmal zitierter Talkshow-Anekdoten. Da beteiligt man sich lieber willfährig am medialen Chor der Empörten in Kassel und läutet damit schon mal ganz nebenbei und fahrlässig das Ende der Kunstfreiheit ein, findet aber in der Paulskirche lobende Worte für einen „Friedens“-preisträger, der mit faschistischer Hetzrhetorik seinem nur allzu deutlich verbalisierten Russen-Hass Ausdruck verleiht. Auch hier passt sich die Ministerin hervorragend zwischen die immer enger werdenden Leitplanken des medialen Mainstreamzeitgeistes ein. Ich denke, man kann davon ausgehen, dass Frau Roth nach langer, aufreibender Parteikarriere ihr Amt als Belohnung für ihre politische Lebensleistung ansieht und deshalb unter ihrer Ägide so gut wie nichts Konkretes mehr zu erwarten sein wird.