Kurz war der Eindruck entstanden, dass sogar einige US-Demokraten beim Ukrainekrieg mehr auf Diplomatie setzen wollen als die deutsche Regierung: In einem Brief an den US-Präsidenten hatten sie zu direkten Verhandlungen zwischen USA und Russland aufgefordert. Doch dann kam die Angst vor dem Eindruck einer „Querfront“ und ließ das wichtige Engagement der Gruppe zusammenbrechen. Ein Trauerspiel. Von Tobias Riegel.
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30 Abgeordnete aus der demokratischen Partei der USA haben einen Brief wieder zurückgezogen, in dem sie direkte Verhandlungen der USA mit Russland für ein rascheres Ende des Ukrainekriegs anregten, wie Medien berichten. Das Schreiben sei nicht aktuell und es sei ohne Freigabe verschickt worden, erklärte die Abgeordnete Pramila Jayapal, die auch unterzeichnet hatte. Der Zeitpunkt der Veröffentlichung sei ungünstig, da erst kürzlich die Republikaner im Repräsentantenhaus signalisiert hätten, im Falle ihres Wahlsiegs im November die Ukrainehilfen zurückfahren zu wollen, so Jayapal. Das sei nicht die Position der Demokraten – das Schreiben habe aber danach ausgesehen. Deshalb habe man es zurückgezogen. Zitate aus dem zum Teil auch kritikwürdigen Brief finden Sie weiter unten im Text.
Laut den Berichten hat Jayapal jetzt wieder einen ganz anderen Ton angeschlagen: „Jeder Krieg endet mit Diplomatie – und so auch dieser, nach einem ukrainischen Sieg“, schrieb sie in einem Statement. Unter den Unterzeichnern des Briefes fanden sich laut Medien einige bekannte Abgeordnete der US-Demokraten wie Alexandria Ocasio-Cortez, Ilhan Omar und Jamie Raskin. Es war demnach das erste Mal, dass eine größere Gruppe demokratischer Kongressmitglieder Änderungen an der Ukrainepolitik anregte.
„Wagenknecht in Washington“
Einen Krieg mit Verhandlungen zu verkürzen – wer könnte sich gegen diese Position der Humanität und der Vernunft stellen und mit welchen Argumenten? Unter anderem das sogenannte „Redaktionsnetzwerk Deutschland“ holt indirekte Parallelen zur „Querfront“ aus der Mottenkiste. Das Medium schreibt unter dem Titel “Ein Hauch von Wagenknecht in Washington“:
„Die Gruppe der 30 verweist auf die durch die Ukraine-Krise auch in den USA gestiegenen Preise für Energie und Lebensmittel. In diesem Punkt bekommen Bidens linke Kritiker auch Beifall von rechts – ähnlich wie die deutsche Linke Sahra Wagenknecht mit ihrer Kritik an der Regierung in Berlin.“
Diese Taktik in der politischen Argumentation ist lange bekannt und leider sehr erfolgreich. Aber selbstverständlich ist sie unseriös: Argumente werden nicht inhaltlich falsch, weil politische Gegner dazu applaudieren. Umso schwächer erscheint darum der Rückzug der Gruppe der US-Demokraten – auch wegen ihres Verweises auf die (nur scheinbaren) Übereinstimmungen mit Positionen der Republikaner als Begründung für das Einknicken. Günter Grass hat zu solchen Mechanismen gesagt:
„Wer sich von der Furcht vor Beifall von der falschen Seite abhängig macht, der beginnt in wichtigen Augenblicken zu schweigen und dann auch zu lügen.”
„Abschließend fordern wir Sie auf, (…) direkte Gespräche mit Russland zu führen“
Der Brief der US-Demokraten an Präsident Joe Biden (hier kann man ihn im Wortlaut lesen) stellt sich zu weiten Teilen hinter die destruktive Ukrainepolitik der USA – eine kriegstreiberische Politik, die von den Unterzeichnern *nun auch weiterhin mitgetragen wird. Insofern kann man dieses Dokument nicht thematisieren, ohne es auch zu kritisieren. Aber in diesem Brief werden eben auch direkte Verhandlungen ins Spiel gebracht – darauf kommt es momentan an. Der unterwürfige Tonfall gegenüber Teilen der fatalen Ukrainepolitik der USA ist möglicherweise auch aus taktischen Gründen gewählt worden, um das Hauptanliegen nicht zu gefährden. Hier folgen einige übersetzte Auszüge:
„Angesichts der Zerstörungen, die dieser Krieg für die Ukraine und die Welt mit sich bringt, sowie der Gefahr einer katastrophalen Eskalation liegt es unserer Meinung nach im Interesse der Ukraine, der Vereinigten Staaten und der Welt, einen langwierigen Konflikt zu vermeiden. Aus diesem Grund fordern wir Sie dringend auf, die militärische und wirtschaftliche Unterstützung der Vereinigten Staaten für die Ukraine mit einem proaktiven diplomatischen Vorstoß zu verbinden und die Bemühungen zu verstärken, um einen realistischen Rahmen für einen Waffenstillstand zu finden. Dies steht im Einklang mit Ihrer Anerkennung, dass „hier eine Verhandlungslösung gefunden werden muss“, und Ihre Sorge, dass Wladimir Putin „im Moment keinen Ausweg hat, und ich versuche herauszufinden, was wir dagegen tun können.“ (…)
Wenn es jedoch einen Weg gibt, den Krieg zu beenden und gleichzeitig eine freie und unabhängige Ukraine zu bewahren, ist es Amerikas Verantwortung, jeden diplomatischen Weg zu beschreiten, um eine solche Lösung zu unterstützen, die für das ukrainische Volk akzeptabel ist. Ein solcher Rahmen würde vermutlich Anreize zur Beendigung der Feindseligkeiten, einschließlich einer Form der Sanktionserleichterung, enthalten und die internationale Gemeinschaft zusammenbringen, um Sicherheitsgarantien für eine freie und unabhängige Ukraine zu schaffen, die für alle Parteien, insbesondere die Ukrainer, akzeptabel sind. Die Alternative zur Diplomatie ist ein langwieriger Krieg, der mit katastrophalen und unkalkulierbaren Risiken verbunden ist.“ (…)
Der Konflikt bedroht weltweit weitere Millionen von Menschen, da die Preise für Weizen, Düngemittel und Treibstoff eine akute Krise des Hungers und der Armut auslösen. Ein Krieg, der sich über Jahre hinzieht – und möglicherweise in seiner Intensität und geografischen Ausdehnung eskaliert – droht, noch viel mehr Menschen in der Ukraine zu vertreiben, zu töten und zu verelenden und Hunger, Armut und Tod auf der ganzen Welt zu verursachen. Der Konflikt hat auch zu einem Anstieg der Gas- und Lebensmittelpreise zu Hause beigetragen und die Inflation und die hohen Ölpreise für die Amerikaner in den letzten Monaten angeheizt. Wirtschaftswissenschaftler glauben, dass, wenn sich die Lage in der Ukraine stabilisiert, einige der Spekulationen, die zu höheren Treibstoffkosten geführt haben, nachlassen und wahrscheinlich zu einem Rückgang der Weltölpreise führen werden.“ (…)
Aber als Gesetzgeber, der für die Ausgabe von Dutzenden von Milliarden Dollar an US-Steuergeldern für die militärische Unterstützung des Konflikts verantwortlich sind, glauben wir, dass eine solche Beteiligung an diesem Krieg auch eine Verantwortung für die Vereinigten Staaten mit sich bringt, ernsthaft alle möglichen Wege zu prüfen, einschließlich eines direkten Engagements mit Russland, um den Schaden zu verringern und die Ukraine dabei zu unterstützen, eine friedliche Lösung zu finden.“ (…)
Abschließend fordern wir Sie auf, energische diplomatische Bemühungen zur Unterstützung einer Verhandlungslösung und eines Waffenstillstands zu unterstützen und direkte Gespräche mit Russland zu führen. (…)“
*An dieser Stelle wurde ursprünglich auch gesagt, die Unterzeichner hätten die Ukrainepolitik bisher aktiv unterstützt – das ist so pauschal nicht zutreffend.