Da ist dem WDR aber ein echter Scoop gelungen! In einem wagehalsigen Undercovereinsatz gelang es einem Reporter des Hauses, Fußballer des VfL Wolfsburg im ICE zu filmen, die – man glaubt es kaum – sich der Maskenpflicht verweigerten. Während die schreibende Zunft den Aufstand junger Iranerinnen gegen die Bedeckung des Haupthaars bejubelt, gilt ein Verstoß gegen die Bedeckung der Nase-Mund-Partie im deutschen Fernverkehr als unverzeihlicher Tabubruch. Willkommen in Deutschland – dem Land, in dem die Einheimischen Bier und Sauerkraut lieben, Lederhosen tragen und sich im Zug maskieren. Eine Glosse von Jens Berger.
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Der Deutsche liebt Rituale. Zu diesen Ritualen gehört das vor allem bei Spitzenpolitikern beliebte Maske-auf-Maske-ab-Ritual bei Fototerminen. Sobald die Fotografen in Position gehen, sitzt die FFP2-Maske. Sind die Fotos im Kasten, verschwindet sie. Man muss ja schließlich mit „gutem“ Beispiel vorangehen.
Manchmal vergessen jedoch auch Spitzenpolitiker ihre Rolle. So geschehen beispielsweise im Regierungsflieger nach Kanada. Da sorgte ein unbedacht veröffentlichtes Video eines ARD-Journalisten für einen Riesenskandal, zeigte es doch, dass weder Habeck und Scholz noch die mitreisenden Edelfedern eine Maske trugen! Ei der Daus! Sicher hat die Petze der ARD später Klassenkeile bezogen. Eigentlich darf man ihm jedoch dankbar sein, sorgte die folgende unwürdige Gaga-Debatte über die elitären Maskenmuffel doch sicher mit dafür, dass seit Beginn dieses Monats die allgemeine Maskenpflicht im Flieger abgeschafft wurde.
Kurz darauf sorgten ausgerechnet die Grünen für einen typisch deutschen Aufreger. Auf dem Oktoberfest – einem klassischen Event grüner Subkultur – ließen sich einige Parteigrand:innen doch tatsächlich zusammen mit Bier, Brezn und Schweinshaxn, aber ohne Maske ablichten. Der selbstgerechte Twitter-Mob tobte!
Quelle: Claudia Roth/Twitter
Wie kann man nur? Ja, wie? Noch nicht einmal die gute Ricarda Lang schafft es schließlich, Bier und Schweinshaxn durch die Maske zu inhalieren. Aber ja, das Foto-Ritual! Als Spitzenpolitiker sollte man sowas nicht vergessen. Es kam also, wie es bei dieser Debatte immer kommt. Die offensichtliche Frage nach dem „Warum eigentlich?“ geriet in den Hintergrund, die – diesmal ausnahmsweise unschuldigen – Grünen in den Orkus eines kolossalen Shitstorms. Autsch!
Quelle: Bundespräsident/Instagram
Der nächste Politiker, der einen Masken-Eklat produzierte, war niemand anderes als der Erste Mann im Staate höchstpersönlich. Gerade mal 40 Sekunden, so jammerte Frank-Walter Steinmeier später, habe er seine Maske abgelegt und da machte es „Klick“. Ja, das ist ärgerlich. Der Praktikant, der das Oben-Ohne-Foto dann auch noch auf dem präsidialen Instagram-Account veröffentlicht hatte, wurde sicher bereits geteert und gefedert, hatte er doch zusammen mit seinem Chef das Maske-auf-Maske-ab-Ritual genau falsch herum verstanden! Ja, der Fachkräftemangel ist schon ein ernstes Thema.
Es folgten der übliche Shitstorm und die üblichen Denkfehler. Anstatt die Maskenpflicht im Fernverkehr – die es so ja eh nur noch in Deutschland gibt – mal grundsätzlich zu hinterfragen, erteilte man dem unmaskierten Präsidenten eine Lektion. „Wir“ müssten schließlich auch Maske tragen, da müsse er doch mit gutem Beispiel vorangehen. Auf die Idee, dass er tatsächlich mit gutem Beispiel vorangegangen ist, kam natürlich wieder einmal niemand. Der Deutsche neigt zum Opportunismus und verachtet jeden, der nicht mindestens so opportunistisch wie er selbst ist. Geschenkt.
Mit dem Zug geht es für den VfL Wolfsburg zum Bundesliga-Spiel in Leverkusen – für einen großen Teil der Mannschaft allerdings ohne die in der Bahn verpflichtende Maske. Ein WDR-Reporter berichtet. https://t.co/lRDRb9rINA #Fußball #Bundesliga #VfLWolfsburg
— Sportschau (@sportschau) October 21, 2022
Und nun diese arroganten Schnösel-Jungmillionäre vom VfL Wolfsburg! Im ICE, der diesmal ausnahmsweise den Bahnhof von Wolfsburg nicht vergessen hat! Skandal! Die Shitstorm- und Empörungsmaschine lief einmal mehr auf Hochtouren. Was erlaube Wolfsburg? Die Vereinsführung sah sich sogleich gezwungen, einen Twitter-Kotau zu vollziehen und entschuldigte sich öffentlich für das „nicht zu tolerierende Fehlverhalten“. Offenbar bangt man bereits um den Umsatz mit den im Vereinsshop erhältlichen FFP2-Masken. Sport-Geschäftsführer Jörg Schmadtke drohte den Spielern gar, dass man „nur noch mit dem Bus durch die Gegend fahre“, „wenn [so etwas] noch einmal passiert“. Gut so, Herr Schmadtke. Alternativ könnte der Verein auch fliegen, auch dort gilt ja keine Maskenpflicht mehr. Aber hat Wolfsburg eigentlich einen Flughafen?
Was soll man dazu noch sagen? Die richtigen Worte fand der Kapitän des VfL Wolfsburg, Maximilian Arnold. Der antwortete dem Verhörspezialisten der Sportschau am Spielfeldrand: „Ich habe das Gefühl, als hätten wir keine anderen Probleme in Deutschland, ob jemand die Maske aufhat oder nicht aufhat.“ Dem ist nichts hinzuzufügen.