Die Spannungen im Zusammenhang mit dem Ukrainekrieg halten die NATO nicht davon ab, Atomkriegsmanöver durchzuführen – aktuell das Manöver ‚Steadfast Noon‘. Die regelmäßig stattfindende Übung soll die nuklearen Arsenale effektiv halten. Das Verhalten ist brandgefährlich. Von Bernhard Trautvetter.
US-Präsident Joe Biden warnte kürzlich vor einem Armageddon, einem Weltuntergang. Die Militärs gehen genau dieses Risiko ein, das kein Mensch jemals herausfordern darf. Der US-Stratege Schlesinger bezeichnete die Kuba-Krise als den gefährlichsten Moment der Menschheitsgeschichte. Zwei Jahrzehnte später war das Nato-Manöver Able Archer mitten im Konflikt der Militärs mit der Friedensbewegung der 1980er Jahre ein ähnlich gefährlicher Moment: Es fand in einer Zeit statt, in der die NATO in Europa Waffen der plötzlichen Zerstörung mit dem Namen Pershing II stationierte, die geeignet waren, die Führung der Sowjetunion zu enthaupten und ihre nuklearen Arsenale zu zerstören.
Die Friedensbewegung warnte damals zu Recht davor, dass sie einen Atomkrieg aus Versehen wahrscheinlicher machen: Mit ihrer kurzen Flugzeit nahmen sie dem Rivalen der NATO die Zeit für eine Überprüfung, ob ein Computerirrtum vorliegt, wenn ein Atomalarm ausgelöst war; so erklärte der „Friedensforscher Carl Friedrich von Weizsäcker (…), dass die Stationierung weitreichender Landraketen in der Bundesrepublik dem Aufbau einer »selbstmörderischen Drohung« gegen die UdSSR gleichkomme; denn sie verstoße gegen das Prinzip, keine Potenziale zu schaffen, die das eigene Lager und den Gegner in einer Krise zu einem nuklearen Erstschlag verleiten oder gar zwingen könnten. Die Stabilität, das lebensrettende Abwartenkönnen in einem Spannungsfall, würden mutwillig demontiert.“
Die aktuellen Nachfolger der Brandbeschleuniger Pershing II sind Hyperschallsysteme mit hoher Zielgenauigkeit und minutenkurzer Flugzeit: Die USA planen aktuell, Systeme dieser Art mit dem Namen ‚Dark Eagle‘ in Deutschland zu stationieren.
Die Spannungen im Zusammenhang mit dem Ukrainekrieg halten die NATO nicht davon ab, Atomkriegsmanöver durchzuführen, wie sie das aktuell mit dem Manöver ‚Steadfast Noon‘ tut. Zu diesem regelmäßig stattfindenden Manöver, das die nuklearen Arsenale laut NATO-Generalsekretär effektiv halten soll, schrieb der Stern vor zwei Jahren:
„Es klingt wie ein Szenario aus längst vergangenen Zeiten: Ein NATO-Manöver soll den Einsatz von Atomwaffen zur Verteidigung des Bündnisgebietes simulieren. Mittendrin: die Deutsche Luftwaffe.
Die Deutsche Luftwaffe trainiert mit NATO-Partnern die Verteidigung des Bündnisgebiets mit Atomwaffen. Nach Informationen der Nachrichtenagentur DPA hat in dieser Woche eine geheime Bündnisübung mit dem Namen ‚Steadfast Noon‘ begonnen. Dabei wird unter anderem der Einsatz von Jagdbombern trainiert, die im Kriegsfall mit Nuklearwaffen bestückt werden könnten.
Ein Schauplatz der Übung ist in diesem Jahr der Fliegerhorst Nörvenich in Nordrhein-Westfalen. Er gilt als möglicher Ausweichstandort für die taktischen US-Atomwaffen vom Typ B61, die nach offiziell unbestätigten Angaben im rheinland-pfälzischen Büchel lagern.
Bundeswehr könnte auch Atomwaffen einsetzen
In Büchel läuft derzeit gleichzeitig die Übung ‚Resilient Guard‘, bei der die Luftwaffe trainiert, den dortigen Fliegerhorst gegen einen möglichen Angriff zu verteidigen.“
Ein Versuch der Verteidigung des NATO-Gebietes mit nuklearen Arsenalen ist das bewusst eingegangene Risiko des Armageddon.
Die nukleare Gefahr ist ein zentrales Element der Vorgeschichte des Krieges Russlands gegen die Ukraine. Dies zu sagen, bedeutet keine Unterstützung für den Krieg; dies schon deshalb, weil er neben dem menschlichen Leid vor Ort das Risiko eingeht, dass ein Störfall in einem ukrainischen Atomkraftwerk außer Kontrolle gerät. Hier ein Zitat von Wladimir Putin Tage vor Kriegsbeginn:
„Seit die USA den INF-Vertrag über Mittelstreckenraketen aufgekündigt haben, arbeitet das Pentagon ganz offen an der Entwicklung einer ganzen Reihe neuer bodengestützter Angriffswaffen, darunter ballistische Raketen mit einer Reichweite von bis zu 5500 Kilometern. Wenn solche Systeme in der Ukraine stationiert werden, können sie Ziele im gesamten europäischen Russland angreifen, ja sogar hinter dem Ural. Marschflugkörper vom Typ ‚Tomahawk‘ erreichen Moskau in 35 Minuten, ballistische Raketen, die aus dem Raum Charkov kommen, in 78 Minuten, und Hyperschall-Angriffssysteme in 4–5 Minuten. Das nennt man wohl, jemandem das Messer an den Hals halten.“
Diese zutreffende Kritik macht deutlich, dass die NATO hier eine umgekehrte Kuba-Krise eingeht. Es ist völlig klar, was geschehen würde, wenn Russland aktuell nukleare Arsenale unweit der Südgrenze der USA, etwa in Nicaragua oder Venezuela stationieren würde. Dazu J. F. Kennedy zu Beginn der Kuba-Krise:
„Das Vorhandensein dieser großen, weitreichenden und eindeutig offensiven Waffen der plötzlichen Zerstörung in Kuba stellte eine Bedrohung für den Frieden und die Sicherheit dieser Hemisphäre dar – in nacktem und absichtlichem Widerspruch …zu den Traditionen dieser Nation und Hemisphäre… und meinen eigenen Warnungen an die Kommunisten am 4. und 13. September. …
Die Vereinigten Staaten von Amerika müssen und können Trotz, Täuschung und offensive Drohungen einer großen oder kleinen Nation nicht tolerieren. Atomwaffen sind so zerstörerisch und ballistische Raketen so schnell, dass eine plötzliche Veränderung der Art ihrer Bedrohung äußerst gefährlich sein kann …“
Genau eine solche Gefahr baut die NATO wie in einer umgekehrten Kuba-Krise aktuell und nicht erst seit dem 24. Februar 2022 in Osteuropa auf, wie es ihr Generalsekretär im November 2021 erklärte:
„Auf der von der Deutschen Atlantischen Gesellschaft, Konferenz NATO Talk 2021, unterstrich NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg am Freitag, dem 19. November 2021, die Bedeutung der transatlantischen Einigkeit angesichts der Herausforderungen der Gegenwart: ‚Diese Herausforderungen sind alle sehr unterschiedlich, aber sie haben eines gemeinsam, und das ist, vereint zu bleiben, durch ein geeintes Europa und Nordamerika innerhalb der NATO‘. … Auch wenn die NATO sagt, dass ‚ihr Ziel eine Welt ohne Atomwaffen ist‘, antwortet sie, dass sie ‚Atomwaffen braucht, um sicherzustellen, dass wir eine bedeutende nukleare Abschreckung haben‘ und sie fordert Deutschland auf, selbst zu entscheiden. Sie erklärt, dass es in diesem Land Atomwaffen geben wird, und erklärt, dass, wenn dies nicht der Fall wäre, es eine leicht zu findende ‚Alternative mit Atomwaffen in anderen Ländern Europas, auch östlich von Deutschland‘ gibt. Mit anderen Worten: Die NATO plant offiziell, Atomwaffen an der Grenze zu Russland zu stationieren und das nukleare Wettrüsten fortzusetzen, auf die Gefahr hin, den Frieden in der Welt weiter zu gefährden.“
Mit ihrer aktuellen Empörung über Russlands in der Tat gefährlich eskalierende Drohungen, je nach Lage „alle verfügbaren Mittel“ einzusetzen, wird davon abgelenkt, dass die NATO selbst die nukleare Karte einsetzt. Hier das Wall Street Journal vom 27. April 2022:
„Obwohl Moskau der Rüstung Vorrang vor allen anderen staatlichen Bedürfnissen einräumt, haben die USA gezeigt, dass sie immer noch in der Lage sind, einen Atomkrieg führen und gewinnen zu können. Die Fähigkeit zu siegen, ist der Schlüssel. Durch die Bewaffnung von Schiffen mit taktischen Nuklearwaffen und durch den Angriff auf ein nuklear bewaffnetes U-Boot und durch die damit verbundene Einschränkung der russischen Zweitschlagsfähigkeit untergraben die USA Russlands Fähigkeit, einen Atomkrieg zu führen.“
Dadurch, dass die Militärs und die Medien kaum über das Atomkriegsmanöver „Steadfast Noon“ berichteten, lenken sie die öffentliche Aufmerksamkeit von ihren eigenen Plänen ab, während sie die Menschen ausschließlich vor Gefahren warnen, die von ihren Rivalen ausgehen.
Gegen „Steadfast Noon“ und gegen die Nuklearrüstung findet am 22.10.2022 eine deutschlandweite Demonstration in Nörvenich statt, die sich gegen die nukleare NATO-Strategie richtet. Dieses Manöver bezieht die nuklearen Arsenale der USA in Büchel bei Koblenz mit ein, wenn es über deutschem Gebiet übt, wie ein Atomangriff durchzuführen ist.
Die Nukleare Teilhabe Deutschlands an der NATO-Strategie steht im Widerspruch zum Atomwaffensperrvertrag, da sie dem Ziel einer atomwaffenfreien Welt entgegensteht. Und sie widerspricht dem Atomwaffenverbotsvertrag der UNO, den Deutschland nicht zu unterschreiben bereit ist. Mit dem Atomkrieg zu taktieren, gehört zu den Risiken, die kein Mensch je eingehen darf. Die Friedensbewegung setzt sich seit dem Beginn der Atomrüstung gegen die nukleare Gefahr ein. Eine solche Katastrophe wird keinen Sieger kennen, sie läuft auf den Untergang der Menschheit hinaus. Dies zu verhindern, eint alle sozial-alternativen Bewegungen von der Friedens-, über die Ökologie- bis zur Gewerkschaftsbewegung.
Die Welt wäre sicherer, wenn sich die Militärs und die führenden Mächte weltweit – und nicht nur im Osten – an diese juristischen Verträge halten würden. Das zu erreichen, ist Aufgabe allen Engagements für die Zukunft. Es geht darum, gegen die atomare Bedrohung gemeinsam vorzugehen.
Titelbild: Shutterstock / Melinda Nagy