Ein Störfall in 100.000 Jahren – Restrisiko statistisch betrachtet
In den letzten Wochen wurde in den Medien oft davon berichtet, dass die deutschen Atomkraftwerke besonders sicher seien und ein schwerer Störfall nur einmal alle 100.000 Jahre pro Kraftwerk auftreten könne.
Diese Wahrscheinlichkeitswerte werden von Befürwortern der Atomenergie genannt. Es gibt also berechtigte Zweifel an diesen Zahlen. Doch selbst wenn man sie als glaubwürdig annimmt, sind diese Annahmen aus zwei Gründen bestenfalls irreführend. Von Hendrik Spiegel
Anmerkung WL: In meinem Beitrag vom 17. März „Atomkraftwerke – eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung“ bin ich der gängigen Risikoformel nämlich Risiko = Schadensumfang x Eintrittswahrscheinlichkeit aus rechtlicher Sicht nachgegangen. Ich bin dabei zum Ergebnis gekommen, das diese Risikoformel für eine Bestimmung des gesellschaftlich hinnehmbaren bzw. hinzunehmenden Restrisikos nicht ausreicht.
Nimmt man nämlich den Schadensumfang eines Atomunfalls als unendlich an und multipliziert man diesen Schadensumfang mit einer noch so geringen Eintrittswahrscheinlichkeit, ergibt sich immer ein Risiko das rechtlich eine Gefahr darstellt und deswegen nach dem Ordnungsrecht vermieden werden müsste.
Es bedarf also für die Beurteilung eines hinnehmbaren Restrisikos über die quantitative Beziehung der Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts und des Schadensumfangs zusätzlicher normativer (qualitativer) Kriterien. Als ein solches qualitatives Kriterium zur Bestimmung des hinnehmbaren Restrisikos hat sich – oft ohne dass dies in der Rechtsprechung ausdrücklich ausgeführt wird – der Vergleich der gesellschaftlichen Risikoakzeptanz einer technischen Nutzung der Atomkraft mit anderen technologisch-zivilisatorischen Risiken entwickelt.
Im Ergebnis bin ich dazu gekommen, dass es eine andere zivilisatorisch genutzte und von der Allgemeinheit als wichtig erachtete Technik, die in ihrem möglichen Schadensumfang mit der Atomtechnik vergleichbar wäre (jedenfalls bisher) nicht gibt. (Ein Atom-Krieg (also etwa der Abwurf einer Atombombe) ist kein zivilisatorisches Risiko und kann und darf deshalb hier nicht als Vergleichsmaßstab herangezogen werden.)
Hendrik Spiegel zeigt nun durch seine wahrscheinlichkeitstheoretische Betrachtung, dass es nicht einmal des realen Beweises der Katastrophe von Fukushima bedurft hätte, um zu belegen, dass das (wahrscheinlichkeits-)theoretische Gefährdungspotential von Atomkraftwerken eine nicht hinnehmbare wahrscheinliche und damit also eine „konkrete“ Gefahr darstellt, die nach den bisher gültigen rechtlichen Maßstäben auszuschließen ist. Schon aus allgemeinen polizei- und ordnungsrechtlichen Gründen müssten die Atomkraftwerke deshalb abgeschaltet werden, weil sie eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellen.