Zumindest in Frankreich zeichnet sich tatsächlich ein heißer (oder je nach Perspektive eher kalter) Herbst ab. Seit dieser Woche werden große Teile der sogenannten „kritischen Infrastruktur“ bestreikt. Darunter sechs der acht Öl-Raffinerien des Landes sowie fünf Atomkraftwerke. Die Regierung unter Macron setzt auf Repression und droht den Streikenden mit Räumung sowie Zwangsverpflichtung zur Arbeit. Gewerkschaftsvertreter erklären im Gegenzug, dass der Elysée-Palast mit dem Feuer spiele: „Jetzt wird es knallen“. Von Florian Warweg.
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Der in Deutschland bisher nur postulierte „heiße Herbst“ hat in Frankreich längst begonnen. Bereits Ende September legte ein erster Generalstreik die Bahn und fast alle Schulen und Kindergärten Frankreichs lahm. Ebenfalls Ende September begann der bis jetzt anhaltende Streik in den Raffinerien der Öl-Konzerne TotalEnergies (in Deutschland besser bekannt unter der Abkürzung „Total“) und Exxon Mobile. Die Beschäftigten fordern unter anderem Lohnerhöhungen von 10 Prozent, um zumindest die steigenden Inflationskosten ausgleichen zu können. Gewerkschaftler und Oppositionspolitiker verweisen zudem auf die überdurchschnittlichen Gewinne der bestreikten Unternehmen. So strich beispielsweise Total 2021 einen Gewinn von über 16 Milliarden Euro ein und auch 2022 waren die Profite bislang überdurchschnittlich hoch, Tendenz steigend. Patrick Pouyanné, Chef-Manager des Konzerns, erhöhte sein eigenes Gehalt in Folge gleich mal um 52 Prozent. Von solchen Lohnsteigerungen können seine Mitarbeiter, die Schwerstarbeit in den Raffinerien leisten und dabei ihre Gesundheit ruinieren, nur träumen. Statistisch stirbt laut Angaben der Gewerkschaft CGT ein Mechaniker in einer Erdöl-Raffinerie durchschnittlich sieben Jahre früher als der Durchschnitt der französischen Bevölkerung.
Lionel Lerogeron, Vertreter der CGT Normandie und Mitglied im Vorstand, erklärt in diesem Zusammenhang, dass die Regierung unter Macron mit dem Feuer spiele, wenn sie eine Notlage in der Wirtschaft vorgibt, die so nicht zutrifft. Noch nie hätten die großen Konzerne Frankreichs so viele Profite eingefahren wie in diesem Jahr. Gleichzeitig müssten aber viele hart arbeitende Menschen wegen der Inflation trotzdem am Ende des Monats am Essen sparen. Lerogeron ist sich angesichts der angespannten Lage sicher:
„Jetzt wird es knallen.“
Pariser Zentralregierung spricht von „absolutem Notfall” und droht mit Zwangsverpflichtung
Die Auswirkungen des Streiks führen zu teilweise dramatischen Szenen. Rund ein Drittel der Tankstellen (laut Berichten von France Info waren es mit Stand Donnerstag 31 Prozent) kann augenblicklich kein Benzin mehr verkaufen. Dies führt zu kilometerlangen Schlangen vor den noch über Reserven verfügenden Tankstellen, doch selbst diese haben zumeist den Verkauf auf 30 Liter pro Auto begrenzt. Die Zeit-Korrespondentin Annika Joeres berichtet zudem von einem eindrücklichen Vorfall in Villiers-le-Bel bei Paris. Dort hat eine Gruppe von Männern Anfang der Woche eine Tankstelle von TotalEnergies besetzt und das Benzin kostenlos an diejenigen, die sie aus dem Viertel kannten, verteilt, alle anderen Autofahrer wurden vertrieben.
Präsident Macron spricht inzwischen von einer „sehr angespannten Lage“, sein Wirtschaftsminister Bruno Le Maire sogar von einem „absoluten Notfall“. In Folge wurde unter anderem ein Dekret erlassen, das Privatpersonen das Befüllen von Benzin-Kanistern verbietet.
Am Dienstag kündigte die Regierung unter Macron an, die betroffenen Raffinerien von den „Blockierern“ befreien zu wollen. Die Streikenden sollten „das Feld räumen“, so Le Maire. Für einen landesweiten Aufschrei der Empörung sorgte das Agieren der französischen Premierministerin Élisabeth Borne. Der Frankreich-Experte Sebastian Chwala erklärte gegenüber den NachDenkSeiten den Hintergrund des Aufruhrs: Die Premierministerin habe diese Woche angeordnet, dass die Beschäftigten der Depots und Raffinerien des ExxonMobil-Konzerns zur Arbeitsaufnahme gezwungen werden sollen. Sie begründete das damit, dass Tarifverhandlungen in diesem Konzern zu einer Einigung zwischen der Konzernspitze und sogenannten rechtsreformistischen Gewerkschaften geführt hatten. Diese Organisationen vertreten allerdings, so Chwala weiter, nicht die Mehrheit der Beschäftigten in den bestreikten Produktionsstätten. Er betont:
„Die Ankündigung Bornes löste bei anderen Gewerkschaften wie der CGT und „Force Ouvrière“ Wut und Empörung aus. Das Streikrecht in Frankreich bleibt ein individuelles Grundrecht und ist nicht an feste Regeln gebunden, wie in Deutschland. Deshalb darf der Staat Beschäftigte auch nicht zur Arbeit zwingen. Dieses Recht besitzt Paris nur in einigen als existenziell eingestuften öffentlichen Bereichen, wie dem Gesundheitssystem, Ölkonzerne gehören nicht dazu.“
Abschließend verwies er im Gespräch mit den NachDenkSeiten noch darauf, dass die Drohung der Premierministerin nur für zwei der aktuell bestreikten Raffinerien von Bedeutung ist, da die übrigen bestreikten Produktionsorte Total gehören, wo aktuell ohnehin keine Bereitschaft der Konzernspitze für Gespräche bestehe. Dort hätten die Streikenden auch betont, dass man Streiks und Blockade fortsetzen wolle. Zudem drohe die Belegschaft einer weiteren, bisher noch nicht bestreikten Raffinerie damit, sich aus Solidarität den Protesten anzuschließen, sollte es zu staatlichen Aktionen gegen die Streikenden kommen.
Massendemo und Generalstreik geplant
Da die Regierung am Donnerstagabend tatsächlich damit begonnen hat, zumindest eines der bestreikten Öl-Depots zu räumen, hat die Gewerkschaft CGT erklärt, dass in Reaktion darauf ein für den 18. Oktober geplanter Streik der Lokführer zu einer „allgemeinen Mobilisierung in allen Sektoren“ ausgeweitet werden soll. Zuvor hatte der Generalsekretär der CGT, Philippe Martinez, bereits in eine ähnliche Richtung argumentiert:
💬 "Nous appelons à amplifier les mouvements de grève"
➡Philippe Martinez, secrétaire général de la CGT pic.twitter.com/NioiD6jUzj
— BFMTV (@BFMTV) October 13, 2022
Zudem haben angesichts der angespannten sozialen Lage linke Oppositionsparteien (Le Pens Partei Rassemblement National unterstützt den harten Kurs der Macron-Regierung gegen die Streikenden und deren Forderungen), Gewerkschaften und Vertreter der Zivilgesellschaft zu einer Großkundgebung am kommenden Sonntag, dem 16. Oktober, in Paris aufgerufen. Hunderttausende Teilnehmer werden erwartet. Das Motto der Demonstration wendet sich gegen die hohen Lebenshaltungskosten und fordert eine soziale Klimapolitik.
Undenkbar in Deutschland: Auch französische Grüne rufen zu Generalstreik gegen Macron auf
Für deutsche Verhältnisse undenkbar ist der Aufruf der französischen Grünen zum Generalstreik. So erklärt unter anderem Sandrine Rousseau, Abgeordnete von Europe Écologie Les Verts (EELV, dt. Europa Ökologie Die Grünen), bereits vor der Ankündigung eines Generalstreiks durch Gewerkschaftsvertreter, dass sie hoffe, dass sich aus der Streikbewegung der Raffinerie-Angestellten ein Generalstreik entwickle. In einem Interview am 12. Oktober mit dem öffentlich-rechtlichen Radiosenders Radio France verkündete sie im Wortlaut:
“Ich hoffe, dass dies der Funke ist, der eine Generalstreikbewegung auslöst. Denn im Moment ist die Wut so groß, dass die Regierung hören muss, wie sehr diese neoliberale Politik der Zerschlagung der Arbeitslosenversicherung und der Zerschlagung der Renten heute für die Franzosen und Französinnen nicht mehr tragbar ist.“
🗣 Grève chez Total ➡️ Les grèves sont “justifiées”, pour la députée EELV de Paris. “La question derrière, c’est le partage des bénéfices entre capital et travail. Ce qu’on propose face à cette crise de l’inflation, ce sont des primes. Ça n’est pas à la hauteur !” pic.twitter.com/XN2Oo4Mlb3
— franceinfo (@franceinfo) October 12, 2022
Titelbild: Shutterstock / Alexandros Michailidis