Der Karlsruher Stammtisch. Oder: Warum soll es den Pensionären besser gehen als den Rentnern?
Von einem Gericht darf man die Subsumtion eines streitigen Lebenssachverhalts unter rechtliche Normen und ein an Hand rechtlicher Kriterien abgeleitetes Urteil erwarten und fordern – zumal vom höchsten deutschen Gericht. Liest man die Presseerklärung des Bundesverfassungsgerichts über das Urteil zur Kürzung der Beamtenpensionen, so muss man den Eindruck gewinnen, als wäre es bei der Urteilsfindung eher wie an einem Stammtisch zugegangen.
Das tragenden Argument, warum die Senkung der Beamtenpensionen von maximal 75% auf 71,75% der erworbenen Besoldung von den Richtern als ge-„recht“-fertigt angesehen wird, lautet:
Die Verringerung des Versorgungsniveaus ist im Hinblick auf die Entwicklung der gesetzlichen Rentenversicherung gerechtfertigt.
Mit diesem banalen Vergleich wird dann die Frage nach einem Verstoß gegen das verfassungsrechtliche Rückwirkungsverbot oder gegen den rechtstaatlichen Grundsatz des Vertrauensschutzes gar nicht erst weiter erörtert.
Die entscheidende Frage aber, ob nämlich das Absenken der gesetzlichen Rentenversicherung gerechtfertigt oder gar zwingend war, die wird gar nicht mehr gestellt.
Die Propaganda der Versicherungslobby und ihrer politischen Protagonisten, dass die gesetzliche Rente gesenkt werden müsse und in Zukunft nur noch eine Grundsicherung vor Altersarmut sein könne, hat sich also auch in die Köpfe der Karlsruher Richter eingeschlichen. Die ganzseitigen Anzeigen etwa der Allianz und der Dresdener Bank unter der Überschrift „Rente sich wer kann!“, mit der unter dem irreführenden Titel „Die Volks-Rente“ das Vertrauen in die gesetzliche Rente zerstört und für eine kapitalgedeckte private Altersversorgung geworben wird, haben auch bei den volkswirtschaftlichen Laien in der Richterrobe offenbar verfangen.
Damit ich nicht missverstanden werde: Es geht mir überhaupt nicht um die Frage, ob Pensionäre ihre Privilegien gegenüber den Rentnern behalten können sollen und schon gar nicht darum, ob Pensionäre und Rentner nicht gleich behandelt werden müssen – natürlich sollten für die „staatliche“ Rente und die „staatliche“ Pension dieselben Grundsätze gelten.
Es geht vielmehr darum, dass das Verfassungsgericht blindlings den üblich gewordenen Bedrohungsszenarien vom „Anstieg der durchschnittlichen Lebenserwartungen“, also der Vergreisungsthese folgt und dass die Richter unhinterfragt der Behauptung glauben, eine Senkung der Altersversorgung sei zur „langfristigen Sicherung des Systems“ unumgänglich.
Das Gericht übernimmt einfach die gängigen Parolen, der Generationenvertrag über die Altersversorgungssysteme trage angesichts der demographischen Veränderungen nicht mehr.
Mit dem bislang trotz aller Anstrengungen der Versicherungsökonomen nicht wiederlegten Theorem des Wirtschaftswissenschaftlers Gerhard Mackenroth, auf dem die Sozialreformen der fünfziger Jahre basieren, haben sich die Richter aber vermutlich noch nie auseinandergesetzt. Es lautet schlicht wie folgt:
Nun gilt der einfache und klare Satz, dass aller Sozialaufwand immer aus dem Volkseinkommen der laufenden Periode gedeckt werden muss. Es gibt gar keine andere Quelle und hat nie eine andere Quelle gegeben, aus der Sozialaufwand fließen könnte, es gibt keine Ansammlung von Periode zu Periode, kein “Sparen” im privatwirtschaftlichen Sinne, es gibt einfach gar nichts anderes als das laufende Volkseinkommen als Quelle für den Sozialaufwand. Das ist auch nicht eine besondere Tücke oder Ungunst unserer Zeit, die von der Hand in den Mund lebt, sondern das ist immer so gewesen und kann nie anders sein.
Einfacher gesagt, heißt das: Die Jungen müssen – so oder so – immer für die Alten aufkommen. Es hängt vor allem am jeweiligen Volkseinkommen, ob die Jungen und die Alten bei dessen Verteilung genug abbekommen und sich gerecht behandelt fühlen.
Wie in der politischen Debatte um die Rentenreform haben sich nun auch die Richter bei ihrer Entscheidung über die Beamtenpensionen Scheuklappen angelegt und verengen ihren Betrachtungshorizont auf die höchst umstrittene Prognose der demographischen Entwicklung und auf die derzeitige öffentliche Kassenlage. (Die – nebenbei bemerkt – großteils einer unsoliden Finanzierung der deutschen Einheit und einer gewollten Steuersenkungspolitik geschuldet ist.)
Die einfache Tatsache, dass beide durchaus realen Probleme, also Versorgungslasten und die Misere der öffentlichen Haushalte, vor allem und gerade durch eine Vergrößerung des Volkseinkommens, wenn nicht gelöst, so doch zumindest gelindert werden könnten, bleibt schlicht außen vor.
Und wie könnte der „Kuchen“ für Jung und Alt wieder größer werden?
Zum Beispiel, indem man, statt Arbeitslosigkeit kostensparender zu verwalten, von den 5 bis 7 Millionen Arbeitsfähigen, die heute ohne Arbeit sind, wieder mehr in Arbeit brächte.
Indem man nicht eine prozyklische Sparpolitik und eine nachfragehemmende Lohnsenkungspolitik sondern eine konsequente Wachstumspolitik betriebe, die auch die Staatseinnahmen wieder wachsen und damit den Anteil der Versorgungslasten wieder sinken ließe.
Indem man alles tut, um die volkswirtschaftliche Produktivität und damit das Sozialprodukt zu steigern, so dass es den Jungen – in Arbeit Stehenden – durch eine Steigerung ihres Einkommens nicht weh tun müsste, – sei es über die Rentenkasse sei es über die Steuer – einen fairen Teil davon für die wachsende Zahl der Älteren abzuzweigen und gleichzeitig den Jüngeren immer noch ein Zuwachs an Wohlstand bliebe.
Ja man könnte dann – wenn das alles nicht reicht – auch noch die Ansprüche der Rentner und Pensionäre, also das, was für sie vom jeweils vorhandenen Sozialprodukt abgezweigt werden muss, geringer als vorgesehen wachsen lassen.
Aber über diesen verringerten Anstieg der Altersversorgung müsste dann eine rational nachvollziehbare gesellschaftliche Diskussion und eine abwägende politische Entscheidung getroffen werden, die weit über dem gedanklichen (und juristischen) Niveau liegen würde, welches die Bundesverfassungsrichter zur Messlatte genommen haben. Mit seinem aktuellen Urteil hat sich das Bundesverfassungsgericht mit dem Niveau des Stammtischs begnügt und sich letztlich auf die Frage beschränkt: Warum soll es den Pensionären besser gehen als den Rentnern?