Zahlreiche Leser der NachDenkSeiten, die unseren Artikel „Der Elefant im Raum“ auf Facebook geteilt haben, werden am Wochenende nicht schlecht gestaunt haben, als sie von Facebook eine Warnmeldung erhielten. Angeblich enthalte der Artikel „Fehlinformationen“. Bereits ein oberflächlicher Check des von Facebook verlinkten „Faktenchecks“ einer litauischen Organisation zeigt, dass Facebook hier schlicht die Unwahrheit behauptet. Das von den Faktencheckern bemängelte „falsche Zitat“ taucht im Text nämlich überhaupt nicht auf. Doch auch die NachDenkSeiten sind da machtlos. Ein Einspruch gegen diese Falschbehauptung ist nicht möglich. Gräbt man ein wenig tiefer, stößt man schnell auf Querverbindungen der litauischen Faktenchecker und Facebook zu den Desinformationsnetzwerken der NATO. Da kann man frei nach Albrecht Müller nur sagen: Glaube nichts, hinterfrage alles – auch und vor allem, wenn es um vermeintliche „Faktenchecks“ geht. Von Jens Berger.
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Seit dem Wochenende sind Links auf unseren Artikel mit einem Warnhinweis versehen. Wer ihn dennoch aufruft, muss erst einmal versichern, dass der die Warnung gelesen hat. Der Facebook-Algorithmus sorgt auch dafür, dass Links auf den Beitrag niedriger gerankt sind und somit seltener in der Timeline der Nutzer auftauchen. Das kann man auch Zensur nennen.
Stein des Anstoßes war ein Zitat des US-Präsidenten Joseph Biden. Dieser sagte am 7. Februar auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit dem deutschen Bundeskanzler Olaf Scholz, dass „Nord Stream 2 enden wird“, wenn „Russland in die Ukraine einmarschiert“. Im Artikel „Der Elefant im Raum“ heißt es wörtlich …
Die USA haben ein Motiv und die technischen Mittel, um diese Taten begangen zu haben, und sie haben im Vorfeld auch bereits erklärt, dass sie im Zweifel Nord Stream 2 „ein Ende setzen werden“. Auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Bundeskanzler Scholz verkündete dies US-Präsident Biden. Auf die Frage, wie er das denn genau umzusetzen gedenke, da dieses Projekt doch innerhalb der deutschen Entscheidungsmacht liegt, antwortete er kühl: „Ich verspreche Ihnen, dass wir in der Lage sind, dies zu tun“. Das hat er nun ja wohl möglicherweise bewiesen.
Das entsprechende Zitat Bidens ist im Artikel zudem durch ein eingebettetes Video des US-Senders ABC hinterlegt. Transparenter geht es nicht. Sind das „Fehlinformationen“, wie Facebook unter Berufung auf „unabhängige Faktenprüfer“ behauptet?
Screenshot Facebook
Natürlich nicht. Und das sagen skurrilerweise sogar die Faktenprüfer selbst. Überprüft wurde das Zitat von dem „Lügenmelder“ des litauischen Portals Delfi, das sich als die größte Nachrichtenplattform der drei baltischen Republiken ausgibt. Im „Faktencheck“ von Delfi heißt es in deutscher maschineller Übersetzung:
Die Behauptung, Biden habe seit langem versprochen, dass die USA Nord Stream zerstören würden, stützt sich auf einen Tweet von ABC News vom 7. Februar, in dem Biden in einer Pressekonferenz nach einem Treffen mit Bundeskanzler Olaf Scholz sagte, dass Nord Stream 2 niemals funktionieren werde, wenn Russland in die Ukraine einmarschiere. Herr Biden sprach also nur über Nord Stream 2, nicht über Nord Stream. Außerdem hat er nicht versprochen, sie zu zerstören, sondern uns nur versichert, dass sie niemals funktionieren würde, wenn Russland in die Ukraine einmarschiert.
Das ist exakt das, was auf den NachDenkSeiten zu lesen ist. In unserem Artikel steht an keiner Stelle, dass Biden „versprochen habe“, irgendetwas „zu zerstören“. Dies deckt sich übrigens auch eins zu eins mit dem offiziellen Protokoll der Bundesregierung …
P Biden: Ich beantworte zunächst die erste Frage. Wenn Russland zum Beispiel mit Panzern und Truppen die Grenze zur Ukraine überquert, wird es Nord Stream 2 nicht mehr geben.
Zusatzfrage: Aber wie genau machen Sie das? Das Projekt ist unter der Kontrolle Deutschlands.
P Biden: Ich verspreche Ihnen: Das werden wir schaffen.
Verbreitet auch die Bundesregierung „Falschinformationen“? Wenn die NachDenkSeiten also eine „Falschinformation“ verbreitet haben, dann haben auch die Tagesschau, RND, SPIEGEL, FAZ, WELT, Reuters, CNN, CNBC und so gut wie jede andere Nachrichtenagentur oder Medienseite „Falschinformationen“ verbreitet.
Wie aus dem „Faktencheck“ von Delfi zu erkennen ist, geht es nicht direkt um die NachDenkSeiten, sondern um eine vermeintliche Falschbehauptung des litauischen Portals „Laisvas“. Dieses Portal hat offenbar – ohne Rücksprache und Genehmigung – unseren Beitrag ins Litauische übersetzt. Ob die Übersetzung 100-prozentig korrekt ist, ist mangels Kenntnissen der litauischen Sprache nicht zu sagen – aber zumindest eine maschinelle Rückübersetzung zeigt an der betreffenden Stelle keinen Fehler. Was ist an dem Zitat also eine „Falschinformation“? Kann es überhaupt eine Falschinformation sein, wenn man die Primärquelle direkt zitiert und dazu sogar das Video mit der entsprechenden Aussage als Beleg einbettet? Es wäre interessant, wie die litauischen „Faktenchecker“ ihr Verdikt begründen. Lost in Translation? Oder handelt es sich hierbei um eine vorsätzliche Lüge, also um Desinformation?
Einige Querverbindungen weisen darauf hin, dass es sich tatsächlich um Letzteres handeln könnte. Das litauische Medium Delfi tauchte bereits 2018 im Kontext mit dem „Expose Network“ auf, einem Konsortiums, das im Umfeld der umtriebigen „Integrity Initiative“ in Zusammenarbeit mit dem britischen Geheimdienst ins Leben gerufen wurde.
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Zum Expose-Netzwerk gehörten Unternehmen wie Zinc Network, das Institute for Statecraft, Aktis Strategy, Bellingcat, DFR Lab, das Media Diversity Institute, Toro Risk Solutions und Ecorys – allesamt Unternehmen, die sich auf die Führung des Informationskrieges gegen Russland spezialisiert haben und von ehemaligen hohen Mitarbeitern der britischen Dienste, der Militärs und der NATO geleitet werden bzw. – wie im Fall des „Recherchenetzwerks“ Bellingcat – von diesen finanziert werden.
Leider sind die Leaks, die dieses Netzwerk öffentlich machten, hauptsächlich aus dem Jahr 2018 und im Detail nicht mehr aktuell. Die ehemaligen Geheimdienstler und Militärs, die diese Unternehmen führten, haben mittlerweile neben ihren Tätigkeiten in den einschlägigen Think Tanks neue Sicherheits- und Beraterfirmen gegründet, die mit hoher Wahrscheinlichkeit die Tätigkeit in diesem oder einem neuen Netzwerk unter einem neuen Namen 1:1 fortführen.
Besonders interessant ist in diesem Kontext der Name Ben Nimmo. Nimmo ist ein ehemaliger NATO-Presseoffizier, der später als Senior Fellow zum auf digitalen Informationskrieg spezialisierten DFR Lab wechselte – einer Organisation, die zum Atlantic Council gehört, das wiederum Mitglied der Atlantic Treaty Association, einer Dachorganisation von Denkfabriken im Umfeld der NATO, ist. Ben Nimmo saß damals im Auftrag von DFR Lab im Berater-Panel von Expose. Heute ist Nimmo leitender Manager bei Facebooks Mutterkonzern Meta – sein Tätigkeitsfeld dort ist kryptisch mit „Abwehr globaler Bedrohungsstrategien“ beschrieben. Laut Grayzone ist darunter vor allem die Zensur von Inhalten zu verstehen, die gegen die transatlantischen Interessen gerichtet sind.
Das US-Magazin Monthly Review veröffentlichte erst vor wenigen Wochen einen Artikel, der die Nähe der nationalen Faktenchecker-Organisationen mit US-Denkfabriken belegt – darunter auch das litauische Portal Delfi. Leider sind diese Faktenchecker-Organisationen selbst komplett intransparent. Weder über die Finanzierung, noch über die leitenden Personen von Delfi ließ sich auf die Schnelle irgendetwas herausbekommen. Es wirkt jedoch so, als seien die Faktenchecker Delfi eine transatlantische Vorfeldorganisation ganz im Sinne der Integrity Initiative, deren Arbeitsfokus ja ohnehin auf dem Baltikum und den russischen Nachbarstaaten lag.
Das erklärt wohl, warum ein Einspruch gegen die fehlerhafte Einstufung unseres Artikels als „Falschinformation“ ohnehin keinen Sinn hätte. Dieser Fall mag eine skurrile Kleinigkeit sein, er steht jedoch im Kontext des Informationskriegs der NATO gegen Russland, bei dem Facebook sich klar auf die Seite der NATO geschlagen hat. Haben Sie das bitte immer im Hinterkopf, wenn Sie auf Facebook Warnungen vor vermeintlichen Falschinformationen bekommen, die von angeblich unabhängigen und zertifizierten Faktencheckern überprüft sein sollen.
Titelbild: Lightspring/shutterstock.com