Das Unrecht eines Staates und seiner Regierung wird nicht dadurch ungeschehen oder gerechtfertigt, indem man darauf verweist, dass auch andere Regierungen/Staaten Unrecht begehen und zu verantworten haben. Mit ausdrücklichem Hinweis auf diese Vorbemerkung möchte ich die wesentlichsten Völkerrechtsbrüche und Kriegsverbrechen „des Westen“ in der jüngsten Vergangenheit in Erinnerung rufen, die allesamt nicht sanktioniert worden sind. Von Jürgen Hübschen.
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Die wesentlichsten bekannt gewordenen Völkerrechtsbrüche „des Westens“ und seiner Verbündeten seit 1980:
- Annexion Jerusalems durch Israel 1980
- Annexion der Golan-Höhen durch Israel 1981
- verdeckte Kriegführung der USA gegen Nicaragua ab 1982 (inklusive Verminung der zivilen Seehäfen – Verurteilung durch internationalen Gerichtshof in Den Haag ignorierte Washington)
- US-Invasion in Grenada 1983
- US-Invasion in Panama 1989
- Krieg der USA und ihrer Verbündeten im Kosovo 1997/1998
- Krieg der USA und ihrer Verbündeten gegen den Irak und Sturz des irakischen Präsidenten Saddam Hussein 2003
- Krieg der USA und ihrer Verbündeten gegen Libyen und Sturz des Präsidenten Mohammed Gaddafi 2011
- Militäroperationen der USA und Einsätze der CIA in Syrien seit 2015
- Krieg unter Führung Saudi-Arabiens im Jemen seit 2015
- Folterungen durch US-amerikanische Soldaten in der irakischen Stadt Abu Ghraib 2003
- Betreiben des Gefängnisses in Guantanamo und zeitweise Folterung von Gefangenen seit 2002
- Folterungen auf dem US-Stützpunkt im afghanischen Baghram während des US-Einsatzes in der Zeit zwischen 2001 und 2021
- CIA-Foltergefängnisse der USA in verschiedenen europäischen Ländern, u.a. in Polen und Rumänien
- Ermordung des saudischen Journalisten Jamal Kashoggi mit Wissen – nach CIA-Berichten sogar im Auftrag – des saudischen Kronprinzen Mohammed Bin Salman 2018
- Ermordung des auf diplomatischer Mission (offizielle Einladung des Irak) befindlichen Kommandeurs der iranischen Revolutionsgarden, Qasem Soleiman, durch eine US-Killerdrohne in Bagdad im Januar 2020.
(Diese Liste erhebt keinen Anspruch auf Vollzähligkeit, zudem werden nie alle Operationen der USA und vor allem der CIA bekannt werden, besonders nicht in Südamerika und Afrika.)
Die wesentlichsten bekannt gewordenen Völkerrechtsbrüche Russlands in der jüngeren Vergangenheit
- 1. Tschetschenien-Krieg 1994-1996
- 2. Tschetschenien-Krieg 1999-2009
- Georgien/Kaukasus-Krieg 2008 (Anmerkung der Redaktion: Völkerrechtliche Verantwortung allerdings nicht eindeutig geklärt, EU-Untersuchungskommission kam 2009 zu dem Schluss, dass Angriff von Georgien ausging)
- Annexion der Krim 2014 (Anmerkung der Redaktion: Wobei es auch anerkannte Völkerrechtler gibt, die den Annexionscharakter bestreiten und dies mit Argumenten belegen)
- Ukraine-Konflikt seit 2014
- Ukraine-Krieg seit 2022
(Diese Liste erhebt keinen Anspruch auf Vollzähligkeit, weil nie alle Operationen Russlands bekannt werden.)
Der Krieg in der Ukraine
Am 24. Februar 2022 begann der völkerrechtswidrige russische Angriffskrieg gegen die Ukraine, der bis heute andauert. Seit Beginn der Kampfhandlungen reagiert „der Westen“ mit Sanktionen gegen Russland und Waffenlieferungen und finanzieller Unterstützung der Ukraine, einschließlich der Ausbildung ukrainischer Soldaten an den vom „Westen“ gelieferten Waffen. Auf der russischen Seite werden die Militäraktionen intensiviert und die Infrastruktur der Ukraine zunehmend zerstört. Was genau auf dem Schlachtfeld passiert, weiß niemand, weil auf beiden Seiten die Wahrheit durch Propaganda ersetzt wurde.
Während die militärische Unterstützung der Ukraine durch „den Westen“ ständig intensiviert wird, gehen die westlichen Maßnahmen parallel dazu weiter, Russland international zu isolieren und zu ächten. Die Spirale der Gewalt dreht sich unaufhörlich weiter, ohne dass auf westlicher Seite eine sicherheitspolitische Strategie zu erkennen wäre.
Bis heute hat es keinen internationalen Versuch gegeben, einen Waffenstillstand zu erreichen und mit Hilfe einer diplomatischen Initiative diesen Krieg zu beenden.
Die Doppelmoral und die dadurch verlorengegangene Glaubwürdigkeit „des Westens“
Die Völkerrechtsbrüche und Kriegsverbrechen „des Westens“ wurden in der Vergangenheit weitgehend ohne irgendwelche militärischen oder politischen Maßnahmen hingenommen. Es ist ganz offensichtlich nach westlichem Moral- und Rechtsverständnis so, dass es noch lange nicht dasselbe ist, wenn zwei dasselbe tun. Die US-Regierung wurde für ihre völkerrechtswidrigen Kriege und die von ihr zu verantwortenden nachweislichen Kriegsverbrechen bis heute nicht zur Rechenschaft gezogen. Wie im Irak, aber auch in Libyen wurden ganze Länder zerstört, ohne dass es eine Verurteilung durch westliche Politiker oder Proteste und Demonstrationen der Bevölkerung in den USA oder Europa gegeben hat. Die schrecklichen Bilder, die man immer wieder in der Ukraine, vor allem von einer leidenden Zivilbevölkerung und zerstörter Infrastruktur in den Medien sieht, könnte man heute jederzeit vor allem aus dem Jemen, aber auch aus Afghanistan, dem Irak, Libyen oder Syrien zeigen.
Die andauernden Völkerrechtsbrüche Israels werden vom „Westen“ zwar regelmäßig verurteilt, vor allem die Siedlungspolitik im Westjordanland, aber ohne jegliche Konsequenzen. Der russische Präsident wird zu Recht persönlich für den Krieg in der Ukraine verantwortlich gemacht und deswegen auch als Person sanktioniert und in der Öffentlichkeit verurteilt. Aber, was ist – nur um ein aktuelles Beispiel zu nennen – eigentlich mit dem saudischen Kronprinzen Mohammed Bin Salman (MBS), der mit Jamal Kashoggi einen Oppositionellen im wahrsten Sinne des Wortes hat abschlachten lassen? MBS wurde trotzdem im Juli 2022 vom US-Präsidenten besucht, nahm auf Einladung an der Beerdigung der englischen Königin teil und wird am nächsten Wochenende vom deutschen Bundeskanzler besucht.
Diese alles vereinfachende Doppelmoral „des Westens“ schadet weltweit der Glaubwürdigkeit einer Staatengemeinschaft, die weitgehend die globalen Interessen der USA unterstützt. Folge davon ist, dass sich die Gewichte zunehmend in Richtung einer Weltordnung verschieben, die von China und Russland bestimmt wird.
Wege zur Wiederherstellung der Glaubwürdigkeit und der Versuch, den Krieg in der Ukraine zu beenden
Was ist zu tun, um wenigstens den Versuch zu unternehmen, diese Glaubwürdigkeit wiederherzustellen? Ständiges Drohen mit dem moralischen Zeigefinger und mit Steinen Werfen, wenn man selbst im Glashaus sitzt, ist sicherlich keine Option. Immer neue Beschuldigungen und persönliche Diffamierungen des russischen Präsidenten führen definitiv zu nichts. Immer größere Lieferungen von immer schwereren Waffen an die Ukraine führen lediglich zu immer mehr militärischer Gewalt auf russischer Seite. Dem russischen Präsidenten keine Chance zur Gesichtswahrung zu geben und stattdessen zu versuchen, ihn immer mehr vor den Augen der Weltöffentlichkeit zu demütigen, wird nicht zielführend sein und diesen Krieg nicht beenden. Europa wird die Folgen einer sich verändernden Weltordnung maßgeblich zu tragen haben, wenn jetzt nicht der Hebel umgelegt wird.
Der italienische Friedensplan liegt auf dem Tisch:
- Waffenstillstand in der Ukraine mit einer Demilitarisierung der Front unter UNO-Aufsicht,
- Verhandlungen über den Status der Ukraine,
- bilaterales Abkommen zwischen Kiew und Moskau über die Krim und den Donbass sowie
- ein multilaterales Abkommen über Frieden und Sicherheit in Europa.
Aktuell wird dieser Plan ergänzt durch den Vorschlag des mexikanischen Präsidenten:
- Unverzügliche Bildung eines Komitees für Dialog und Frieden anstelle der Fortsetzung dieses schmerzhaften und absurden Krieges. Als Vermittler sollen die Staatsoberhäupter Indiens und des Vatikans sowie der Generalsekretär der Vereinten Nationen agieren. Also der indische Premierminister Modi, Papst Franziskus und Generalsekretär António Guterres.
- Die Friedensmission unter Leitung der genannten Vertreter soll dann unverzüglich eine Einstellung der Feindseligkeiten in der Ukraine und die Aufnahme direkter Gespräche mit dem ukrainischen Präsidenten Zelensky und dem russischen Präsidenten Putin anstreben.
- Darüber hinaus sollte dieses Verhandlungs-Komitee auch ein multinationales Abkommen erzielen, um einen Waffenstillstand von mindestens fünf Jahren zu vereinbaren, einstimmig angenommen im UN-Sicherheitsrat, welches auch
- die sofortige Aussetzung militärischer Aktionen und Provokationen sowie von Atom- und Raketentests beinhaltet.
Jeder Tag, an dem diese Initiativen nicht aufgegriffen werden, verlängert nicht nur den Krieg, sondern lässt die Glaubwürdigkeit „des Westens“ immer weiter schwinden.
Titelbild: shutterstock / Naeblys