Die Gasumlage liegt in Trümmern. Eigentlich sollten in diesen Tagen die ersten Zahlungen aus der Umlage an die Gasimporteure fließen, doch nun hat Wirtschaftsminister Habeck Medienberichten zufolge den Start der Umlage erst einmal auf den 31. Oktober verschoben. Böse Zungen spotten, er wolle damit seine Partei erst einmal über die Landtagswahlen in Niedersachsen retten, die Anfang Oktober stattfinden. Da ist sicher etwas dran, denn eigentlich hätte Habeck bereits eingestehen müssen, dass er die Umlage komplett „versemmelt“ hat und sie ersatzlos gestrichen wird. Mehr und mehr stellt sich die Frage, ob es nicht längst an der Zeit wäre, das Energiekrisenmanagement dem Kompetenzbereich des „Superministers“ für Wirtschaft und Klimaschutz zu entziehen. Habeck kann es nun einmal nicht und die Fragen der Gas- und Stromversorgung sind zu wichtig, um sie einem Dilettanten zu überlassen. Von Jens Berger.
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Als Robert Habeck die Gasumlage am 28. Juli vorstellte und für die Umlage einen Preiskorridor zwischen 1,5 und 5 Cent pro kWh nannte, kommentierten die NachDenkSeiten diese Zahlen kritisch:
„Daher ist es ein absolutes Rätsel, wie Robert Habeck zu dem Schluss kommt, dass die über die Umlage abgesicherten Verluste der Gasimporteure sich auf maximal fünf Cent pro Kilowattstunde begrenzen ließen. Die Summe könnte am Ende auch deutlich – sehr deutlich – höher ausfallen.“
Später wurde die Höhe der Umlage auf 2,42 Cent – ohne Steuern – sogar im unteren Bereich dieses Korridors festgelegt. Spätestens zu diesem Zeitpunkt war glasklar, dass diese Rechnung so nicht funktionieren kann. Natürlich kennen die NachDenkSeiten keine betrieblichen Interna von Uniper, aber ein grober Blick auf die Zahlen hilft ungemein, um sich eine Vorstellung von den Größenordnungen zu machen.
Das Geschäftsmodell von Großimporteuren wie Uniper ist es – vereinfacht gesagt – sehr große Volumina Erdgas über langlaufende Verträge z.B. mit der Gazprom einzukaufen und dieses Gas über Terminkontrakte an Versorgungsunternehmen wie Stadtwerke zu verkaufen. Mit den Kürzungen der Liefermengen und der späteren Einstellungen aller Lieferungen aus Russland kollabierte dieses Geschäftsmodell. Das Gas, das Uniper bereits an die Stadtwerke verkauft hat, musste der Konzern nun am Spotmarkt einkaufen. Die Umlage war dafür gedacht, Uniper die nötigen finanziellen Mittel an die Hand zu geben, um genau die Mengen einzukaufen, die man für die nächsten Wochen, Monate und Jahre bereits an die Stadtwerke verkauft hat. Würde Uniper das Geld ausgehen, drohte den Stadtwerken der flächendeckende Kollaps. Die „Rettung“ von Uniper war in der Theorie auch eine gute Idee. Schaut man sich jedoch die aufgerufenen Preise auf dem Spotmarkt an, sollte auch sehr schnell klar werden, dass diese ein sehr, sehr teures Unterfangen wird – deutlich teurer als die Einnahmen der 2,4-Cent-Umlage.
Großhandelspreis für Gas am Spotmarkt
Im Durchschnitt lagen die Großhandelspreise vor der Energiekrise bei rund 20 Euro pro Megawattstunde. Das sind umgerechnet auf die haushaltsübliche Größe Kilowattstunde zwei Cent. Seit dem Einmarsch russischer Truppen in die Ukraine liegt der Preis nahezu durchgängig über 100 Euro pro Megawattstunde, seit dem Stopp der Lieferungen über Nord Stream 1 sogar sehr deutlich darüber. Wenn man sehr konservativ prognostiziert, könnte man für das Jahr 2022 bis zum Ende der Heizsaison im Frühjahr 2023 mit einem durchschnittlichen Einkaufspreis am Spotmarkt von 120 Euro pro Megawattstunde kalkulieren. Das sind 12 Cent pro Kilowattstunde. Die Differenz zum „Vorkrisenpreis“ beträgt also ganze zehn Cent pro Kilowattstunde und es ist nach wie vor vollkommen rätselhaft, wie die „Habeck-Umlage“ in Höhe von 2,42 Cent diese Differenz ausgleichen soll. Diese Zahl ist reine Augenwischerei.
So kam es, wie es kommen musste. Alleine der größte Gasimporteur Deutschlands, Uniper, hat seine von der KfW als eine Art Vorfinanzierung der Umlage zur Verfügung gestellte Kreditlinie in Höhe von neun Milliarden Euro bereits Ende August voll ausgeschöpft, so dass weitere vier Milliarden Euro zur Verfügung gestellt werden mussten. Auch hier sollte man die Zahlen zur Bewertung ins Verhältnis setzen: Als der finnische Fortum-Konzern 2018 die Uniper-Anteile von E.ON übernahm, wurde der Wert des Unternehmens auf acht Milliarden Euro taxiert. Zurzeit ist es auf Basis des Aktienkurses nur noch knapp 1,4 Milliarden Euro wert. Diese Zahlen sollten auch für Bundeswirtschaftsminister verständlich sein, die so ihre Probleme mit wirtschaftlichen Fachausdrücken haben.
Stand heute ist es also mehr und mehr fraglich, wie die vergleichsweise kleine Umlage ausreichen soll, um Uniper nicht in die Zahlungsunfähigkeit schlittern zu lassen. Die große Frage ist jedoch, wie das Wirtschaftsministerium sich derart verrechnen konnte. Hierfür trägt Robert Habeck die volle Verantwortung. Und als wäre das alles noch nicht schlimm genug, stellt sich spätestens hier auch noch die Frage, welches Konzept die Bundesregierung eigentlich hat, um die Versorgung der Stadtwerke auch über den Herbst hinaus zu garantieren. Der Teufel steckt hier nämlich im Detail.
Eine Umlage ist ein Konstrukt mit vergleichsweise hohen rechtlichen Hürden. Sie darf einzelne Marktteilnehmer nicht diskriminieren und darf den Staat oder staatlich kontrollierte Betriebe nicht querfinanzieren – sonst müsste die Umlage rechtlich als „Sonderabgabe“ firmieren und strengere Kriterien erfüllen. Nun wusste Robert Habeck ja dummerweise vor Formulierung der Umlage nach eigener Aussage nicht, „wie dieser Gasmarkt verflochten ist“ – alleine diese Aussage aus dem Mund des obersten Dienstherren der Netzagentur samt ihrer fast 3.000 Mitarbeiter, deren Aufgabe genau die Bereitstellung dieser Daten ist, ist eigentlich ungeheuerlich. Und weil Habeck die Akteure auf dem Gasmarkt angeblich nicht kannte, war die Gasumlage so formuliert, dass sie auch von internationalen Konzernen wie den hochprofitablen Schweizer Rohstoffgiganten Vitol und Gunvor in Anspruch genommen werden konnte.
Als dies zu massiver Kritik führte, kündigte Habeck an, diese „Trittbrettfahrer vom Trittbrett [zu] schubsen“. Doch das ist leichter gesagt als getan, da die später verkündeten Korrekturen an der Gasumlage rechtlich fragwürdig sind und nun einmal eine Diskriminierung bestimmter Marktteilnehmer darstellen – auch wenn der Minister sie für „Trittbrettfahrer“ hält. Das ist wohl auch der Grund, warum diese Korrekturen in dem aktuellen Referentenentwurf laut SPIEGEL überhaupt nicht enthalten sind.
Hinzu kommt ein zweites – womöglich noch größeres – Problem. Streng genommen kommen drei Unternehmen in Frage, für die die Gasumlage eigentlich ihrem Sinn nach gedacht war – Uniper, SEFE und VNG. Die VNG ist eine Tochter des deutschen Energiekonzerns EnBW. Das Unternehmen ist jedoch derart in Schieflage, dass es Anfang September Staatshilfen beantragen musste. Will der Staat das Geld nicht verbrennen, müsste er die VNG zum Teil oder komplett verstaatlichen. SEFE (Securing Energy for Europe) ist die Nachfolgerin von Gazprom Germania und steht direkt unter der „treuhänderischen“ Kontrolle der Netzagentur. Uniper wiederum ist – siehe oben – ein Fass ohne Boden und wie bei der VNG müsste der Staat das Unternehmen eigentlich eher heute als morgen verstaatlichen, um Verluste in Milliardenhöhe abzuwenden. Einer der drei Kandidaten für die Umlage wird also direkt vom Staat kontrolliert, die beiden anderen werden aller Voraussicht nach in Kürze verstaatlicht. Damit erfüllt der Kern der Gasumlage aber zweifelsohne nicht den rechtlichen Charakter einer Umlage, sondern den einer „Sonderabgabe“ und ist in der jetzigen Form ohnehin rechtlich nicht haltbar.
Die Gasumlage wird also aller Voraussicht nach auch nicht am 31. Oktober, sondern gar nicht kommen. Und wenn sie doch kommen sollte, dann in der ursprünglichen Fassung samt Einladung an „Trittbrettfahrer“, sich auf Kosten der deutschen Gaskunden zu bereichern. Für Robert Habeck wäre beides ein Desaster. Die Umlage, die mit seinem Namen verbunden ist, ist ein Fiasko.
Nun könnte man spötteln und sagen, dass der grüne Wirtschaftsminister offenbar nichts von seinem Fach versteht und heillos überfordert ist. Das stimmt. Die Versorgungssicherheit ist mitten in der schlimmsten Energiekrise seit Bestehen der Bundesrepublik jedoch kein Übungsparcours, auf dem man einen derart überforderten Minister-Azubi praktische Erfahrungen sammeln lassen sollte. Es ist ernst. Daher ist es überfällig, dem Bundeswirtschaftsminister das oberste Krisenmanagement in der Energiekrise zu entziehen. Dafür sollte die Bundesregierung einen fachkundigen Krisenstab einsetzen, der nur dem Bundeskanzleramt unterstellt ist. Robert Habeck hatte seine Chance und er hat sie „versemmelt“. Eine zweite Chance darf er angesichts der dramatischen Folgen, die Fehlentscheidungen in dieser Krise nach sich ziehen, nicht bekommen.
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