Die EZB hat in der letzten Woche den Leitzins von 0,5 auf 1,25 Prozent erhöht. „Historisch“ sei die Erhöhung um 0,75 Prozentpunkte, aber noch lange nicht genug – das meinen zumindest die meisten Finanzjournalisten und einige gern zitierte Ökonomen. Das ist erstaunlich. Dass eine Zentralbank zu Beginn einer schweren Rezession über den Leitzins ausgerechnet Kredite verteuert, wird die Konjunktur noch weiter schwächen. Aber es geht ja angeblich um die Bekämpfung der Inflation. Hier wird es jedoch konfus. Offenbar haben viele Meinungsmacher immer noch nicht verstanden, wie Inflation entsteht und was die Ursachen für die momentanen Preissteigerungen sind. Eine Leitzinserhöhung wird darauf nämlich keinen nennenswerten Einfluss haben. Von Jens Berger.
Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
Podcast: Play in new window | Download
Es ist nicht einfach, die Zusammenhänge rund um Leitzinsen, Geldmenge und Inflation so zu erklären, dass sie auch für Nicht-Ökonomen verständlich sind. Da ein Fachartikel, den nur einige wenige Leser verstehen, gegen das Selbstverständnis der NachDenkSeiten spricht, von möglichst vielen Lesern verstanden zu werden, hole ich in diesem Artikel etwas weiter aus und versuche mein Bestes, allgemeinverständlich zu argumentieren. Haben Sie also bitte Verständnis dafür, dass ich nicht alle Randaspekte beleuchte und Fachbegriffe vereinfacht benutze.
Die Irrlehre des Monetarismus
Um die unterschiedlichen Sichtweisen zu verstehen, ist es hilfreich, sich zunächst einmal zu vergegenwärtigen, wie Zentralbanker und diejenigen Finanzjournalisten eigentlich ticken, die nun Leitzinserhöhungen fordern. Zwei Ökonomen, drei Meinungen – so könnte man auch die theoretische Diskussion über die Entstehung von Inflation zusammenfassen. Eng verwandt mit dem „Neoliberalismus“ ist die ökonomische Schule der sogenannten Monetaristen. Der Monetarismus wurde in den 1960ern als eine Art liberale Antwort auf die Lehren von John Maynard Keynes entworfen und geht dabei direkt auf den neoliberalen Vordenker Milton Friedman zurück. Kernstück der monetaristischen Lehre ist, dass die Geldmenge monokausal den Geldwert bestimmt. Noch heute hört man oft, dass Geldmenge und Gütermenge sich in einer idealen Volkswirtschaft stets gleichförmig entwickeln sollten. Steigt die Geldmenge stärker als die Gütermenge, würden Angebot und Nachfrage auseinanderklaffen und die Preise steigen.
Nach Ansicht der Monetaristen kann demnach die Notenbank direkt über die Geldmengenpolitik auch den Geldwert „steuern“. Lässt sie beispielsweise die Leitzinsen steigen – so die Lehre – wird weniger Geld nachgefragt, die Geldmenge sinkt, und damit sinkt auch die Inflation. Umgekehrt soll eine Senkung des Leitzinses zu einer stärkeren Nachfrage nach Krediten führen, Geld wird „geschöpft“, die Geldmenge – und damit auch die Inflation – steigen. Weltweit war es übrigens die deutsche Bundesbank, die 1974 als erste Zentralbank überhaupt eine aktive Preisstabilitätspolitik mittels Geldmengensteuerung einführte.
Von jetzt an war eine eigenständige Geldpolitik der Bundesbank möglich, und dazu waren neue theoretische Konzepte gefordert. Diese praktische Herausforderung traf mit der durch die Arbeiten Milton Friedmans ausgelösten „monetaristischen Revolution” zusammen. Als erste Notenbank der Welt kündete die Bundesbank am 5. Dezember 1974 ein Geldmengenziel für das folgende Jahr an.
Aus “Die Jahresgutachten des Sachverständigenrates im Spiegel der Politik“, Ottmar Issing, 2003
Während die Chicago Boys Milton Friedmans neoliberale Lehren in Pinochets Chile umsetzten, wurden Friedmans geldpolitische Lehren also zeitgleich ausgerechnet in der Bundesrepublik Deutschland erstmalig eingeführt. Bis heute gilt die Bundesbank als „Hort“ der Monetaristen und es gibt wohl kein Land, in dem die ökonomischen Fakultäten der Universitäten so sehr in der Hand der Monetaristen sind, wie Deutschland. Wen wundert es also, dass auch sehr viele Finanzjournalisten, die an eben jenen Universitäten studiert haben, monetaristische Positionen vertreten?
Der Monetarismus hat jedoch einen großen „Schönheitsfehler“. Seine Kernaussage ist empirisch schlichtweg nicht gültig und war es auch noch nie. Eigentlich sollten die Unterschiede zwischen der gemessenen Geldmenge und den beobachteten Preissteigerungen in den letzten Jahrzehnten die Monetaristen verstummen lassen. In den USA wuchs beispielsweise die Geldmenge M3 zwischen dem Jahr 1997 und der Finanzkrise 2008 um durchschnittlich 9,1% pro Jahr, während der Konsumentenpreisindex CPI lediglich durchschnittlich um 2,7% jährlich stieg. Die gleiche Entwicklung war auch leicht zeitversetzt in der Eurozone zu beobachten. Dort stieg die Geldmenge M3 zwischen 2001 und dem Beginn der Finanzkrise im Spätsommer 2008 um durchschnittlich 8,2% pro Jahr, während die Verbraucherpreise im gleichen Zeitraum nur jeweils um 2,3% stiegen. Nach der Finanzkrise sah die Entwicklung in beiden großen Währungsräumen, wenn auch auf niedrigerem Niveau – ähnlich aus. Während die Geldmenge in den beiden größten Währungsräumen der Welt rasant zunahm, blieben die realen Preissteigerungen offenbar weit dahinter zurück. Mit Beginn des Jahres 2021 brach übrigens die Wachstumsrate der Geldmenge förmlich ein und halbierte sich seitdem. Parallel dazu entwickelte sich aus einer Deflation zeitgleich eine Inflation von heute 7,9%. Nach der Theorie der Monetaristen hätte genau das Gegenteil geschehen müssen.
Ähnlich verhält es sich mit dem Leitzins. Schaut man sich die Entwicklung des Leitzinses und der Preissteigerung an, erkennt man höchstens einen Zusammenhang: Der Leitzins folgt der Preisentwicklung. Aber das ist ja auch nicht verwunderlich, da sowohl die FED als auch EZB heute dem monetaristischen Dogma folgen und den Leitzins an die Inflation anpassen. Das kann man sich nicht-ökonomisch so vorstellen: Wenn es regnet, spanne ich meinen Regenschirm auf. Der Regenschirm ist eine Reaktion auf den Regen. Aber nicht umgekehrt! Wenn die Sonne scheint und ich meinen Regenschirm aufspanne, wird dies das Wetter nicht interessieren.
Dieser Vergleich ist zwar eingängig, aber natürlich auch übertrieben. Natürlich hat der Leitzins auch einen Einfluss auf die Preissteigerungen. Aber eher indirekt über die gesamtwirtschaftliche Nachfrage und bei weitem nicht so groß, wie es die Zentralbanken gerne behaupten. Fragt ein Unternehmen Kredite für Investitionen nach, schafft es direkt oder indirekt auch Arbeitsplätze, wodurch die aggregierte Nachfrage gleichfalls gesteigert wird. Je mehr Kredite durch die Realwirtschaft nachgefragt werden, desto mehr Geld landet schlussendlich im Privatsektor, um Güter und Dienstleistungen nachzufragen. Die Geldmenge ist somit eine notwendige – aber keinesfalls hinreichende – Bedingung für Preissteigerungen.
Eigentlich könnte man nun denken, dass die Monetaristen sich zu einem Krisentreffen in ihrem Elfenbeinturm zusammenfinden und ihre Theorie für gescheitert erklären. Das Gegenteil ist der Fall. Man kennt das ja: Wenn die Theorie nicht mit der Wirklichkeit übereinstimmt – umso schlimmer für die Wirklichkeit!
Wie kommt es zu Inflation?
Wenn die Erklärung der Monetaristen falsch ist, wie kommt es denn dann zu Preissteigerungen? Diese Frage lässt sich mit dem gesunden Menschenverstand wohl wesentlich einfacher und besser erklären als mit ökonomischen Modellen. Zunächst: Es gibt vereinfacht vier mögliche Auslöser von Preissteigerungen – die Nachfrage, das Angebot, die Kosten und die Wechselkurse.
- die Nachfrage
Wer verstehen will, wie Inflation erzeugt wird, könnte sich beispielsweise in die Rolle des Wirtes eines Eiscafés hineinversetzen. Er ist Unternehmer und will Geld verdienen. Er steht aber auch im Wettbewerb und ist darauf angewiesen, dass sein Eis gekauft wird. Ein solcher Wirt könnte den Preis für seine Eisbecher erhöhen, wenn die Tische vor seinem Eiscafé ständig sehr gut besetzt sind. Realisieren kann er diese Preiserhöhung aber nur dann, wenn seine Gäste auch in der Lage und gewillt sind, höhere Preise zu zahlen. Gesamtwirtschaftlich spielt daher sowohl die Lohnentwicklung als auch die Beschäftigungszahl eine maßgebliche Rolle für Preissteigerungen. Nur wenn mehr Menschen mehr Geld in der Tasche haben, sind sie auch bereit und in der Lage, mehr Geld auszugeben. Eine weitere Bedingung für den Erfolg seiner Preiserhöhung ist der Markt. Wenn er als Einziger seine Preise erhöht und die Konkurrenz nicht mitzieht, werden seine Kunden abwandern. Wenn die steigende Zahlungsbereitschaft jedoch auf breiter Ebene vorhanden ist, werden auch die Anbieter auf breiter Ebene die Chancen auf Preiserhöhungen sehen.
- das Angebot
Ein Grundsatz der Ökonomie ist es, dass der Preis sich durch Angebot und Nachfrage ergibt. Auch bei Preissteigerungen und der Inflation kann die Angebotsseite der ausschlaggebende Faktor sein. Der Zusammenhang von einem merklich knappen Angebot und steigenden Preisen ist beispielsweise bei Wohnungsmieten zu beobachten. In Gebieten, wo eine ohnehin schon hohe Wohnungsnachfrage weiterhin steigt, steigen auch die Mieten, da das Angebot nun einmal nicht so einfach erweitert werden kann – Beispiele dafür sind begehrte Stadtteile in den Großstädten oder deren berühmte „Speckgürtel“. Der Vermieter kann aufgrund des knappen Angebots den Preis erhöhen; so lange bis die Nachfrage so weit sinkt, dass Angebot und Nachfrage übereinkommen. Diese „Angebotsinflation“ ist jedoch eher die Ausnahme. Meist ist das Angebot variabel und es ist die Nachfrage, die den Preis eines Produkts oder einer Dienstleistung bestimmt.
Ein Ausnahme von dieser Regel erleben wir zurzeit. Durch die globalen Coronamaßnahmen kam es zu einer Störung der Lieferketten. Dadurch ging die Produktion für bestimmte Produkte merklich zurück. Das Angebot wurde verknappt. Dies ist zum Beispiel bei Neuwagen und hochwertigen Fahrrädern zu spüren, deren Komponenten bzw. deren Vorprodukte oft aus China und Taiwan kommen und im Zuge der dortigen Lockdowns samt Störungen im globalen Warentransport nicht in der gewünschten Menge bei den deutschen Produzenten ankamen. Wenn ein Fahrradhersteller nun aber bei stetiger Nachfrage nur weniger Produkte verkaufen kann, kann er – wie der Vermieter im beliebten Stadtteil – die Nachfrage über einen höheren Preis drücken und dabei seine Margen steigern.
- die Kosten
Vereinfacht ausgedrückt spiegelt der Preis immer die Kosten plus die Marge des Anbieters wider. Bei der nachfragebedingten Preissteigerung geht es vor allem um die Maximierung der Margen. Wenn aber die Kosten steigen und unser Wirt seine Margen zumindest beibehalten will, ist er ebenfalls gezwungen, die Preise zu erhöhen. Kosten, das können für ihn die Miete für sein Eiscafé, die Löhne seiner Mitarbeiter oder aber die Rohstoff- und Energiekosten sein. Was auf betriebswirtschaftlicher Ebene keinen großen Unterschied macht, ist für die gesamtwirtschaftliche Frage jedoch sehr bedeutend.
Dazu ein kleines Beispiel: Wenn der Wirt und mit ihm die gesamte Wirtschaft höhere Lohnkosten hat, muss er zwar die Preise erhöhen, seine Kunden sind jedoch auf der anderen Seite auch Lohnempfänger und haben durch die steigenden Lohnkosten, die für sie auf der anderen Seite ihre Arbeitseinkommen sind, auch mehr Geld in der Tasche. Hier sprechen Ökonomen dann von einer Lohn-Preis-Spirale. Steigende Löhne treiben hier die Preise, so dass man am Ende zwar mehr Geld in der Tasche hat, sich dafür aber nicht mehr leisten kann.
Ganz anders sieht dies bei „externen Faktoren“ wie zum Beispiel den Energiepreisen aus. Die Energiekosten des Wirts sind die Einnahmen der Energiekonzerne und da Deutschland einen Großteil der Energieträger importiert, landet sogar ein großer Teil des Geldes im Ausland. So kann er hier in der Binnenwirtschaft aber keine Nachfrage generieren. Der Preis steigt und der Kunde hat immer noch so viel Geld wie zuvor in der Tasche. Er kann sich also weniger leisten.
- die Wechselkurse
Bei unserem Wirt spielen die Wechselkurse eine eher geringe Rolle. Sicher verteuern sich die von ihm genutzten Rohstoffe, wenn der Euro gegenüber der Währung des Wirtschaftsgebiets, aus dem er diese Rohstoffe bezieht, an Wert verliert. Bedeutender ist das Wechselkurs-Problem für Industriebetriebe, die einen großen Anteil der Rohstoffe oder Vorprodukte aus anderen Währungsräumen importieren. Der Euro ist im letzten Jahr um rund 20 Prozent gegenüber dem Dollar gefallen. Dadurch haben sich für diese Unternehmen die Beschaffungskosten ebenfalls deutlich erhöht und wenn sie ihre Margen stabil halten wollen, sind sie darauf angewiesen, die Preise dementsprechend zu erhöhen. Auch hier hat der Kunde am Ende genau so viel Geld in der Tasche, für das er sich jedoch weniger leisten kann.
Welchen Einfluss haben Geldmenge und Leitzins auf diese drei Faktoren?
Wäre die monetaristische Erklärung korrekt, dass sich die Preise monokausal durch die Entwicklung der Geldmenge erklären lassen, müsste es für die drei genannten Faktoren ja eine logische Erklärung geben. Ist das so?
Fangen wir mit der Nachfrage an. Haben Sie mehr Geld in der Tasche, weil die Leitzinsen sinken oder die Geldmenge steigt? Nein, natürlich nicht. Zumindest nicht zwangsläufig. Es ist ja nicht so, dass die Zentralbanken „Geld drucken“, wie es die Monetaristen gerne ausdrücken. Geld wird geschöpft, wenn der Staat, die Unternehmen oder der Privatsektor Kredite aufnehmen. Nun ist es aber entscheidend, wofür diese Kredite aufgenommen werden. Wenn der Staat beispielsweise wegen der Coronalockdowns Schulden aufgenommen hat, um Überbrückungsgelder an Gewerbetreibende auszuzahlen, hat der normale Bürger dadurch keinen einzigen Cent mehr in der Tasche. Der Wirt des Eiscafés kann seinen Preis also nicht erhöhen, es kommt nicht zu Preissteigerungen. Ein sehr großer Teil der gestiegenen Geldmenge ist übrigens auf den aufgeblähten Finanzsektor zurückzuführen. Die ganzen Wetten in Form von Derivaten, für die die Banken und Finanzunternehmen Fremdkapital – also Kredite – benötigen, haben jedoch ebenfalls nicht den geringsten Effekt auf den Füllstand ihres Portemonnaies. Inwieweit die Geldmenge also Einfluss auf die Nachfrage hat, wissen wohl auch nur die Monetaristen. Eine plausible Erklärung gibt es nicht.
Ebenso bietet die Geldmenge keine Erklärung für die Preissteigerungen, die aufgrund eines mangelnden Angebots zu beobachten sind. Die Lieferketten sind wegen der Coronamaßnahmen und nicht wegen der Geldmenge oder irgendwelcher Zinsen zusammengebrochen.
Beim Faktor Kosten sieht es genauso aus. Steigen die Löhne, weil Kredite billiger und häufiger in Anspruch genommen werden? Natürlich nicht. Streng genommen ließe sich hier sogar der umgekehrte Effekt erklären. Wenn der Leitzins sinkt und Kredite billiger werden, sinken auch die Finanzkosten der Wirtschaft, die das als Preissenkungen an die Kunden weitergeben könnte. Inwieweit die Geldmenge oder der Leitzins irgendeinen Effekt auf Rohstoff- und Energiekosten haben sollen, ist ebenfalls logisch nicht erklärbar.
Bliebe der Faktor Wechselkurse und hier gibt es in der Tat einen Zusammenhang. Unser liebes Geld ist – vor allem, wenn wir es von Finanzinstituten verwalten lassen – wahrlich flüchtig. Wenn beispielsweise im Dollar-Raum die Zinsen steigen, ist dies für Vermögensverwalter interessant und so manche verzinsliche Anlage wandert vom Euro- in den Dollar-Raum. Dadurch ändern sich Angebot und Nachfrage der beiden Währungen untereinander. Je mehr Geld in den Dollarraum fließt, desto mehr steigt der Wert des Dollars gegenüber dem Euro. Die Auswirkungen dieser Wechselkursschwankungen greifen (s.o.) auch auf die Realwirtschaft über und führen dazu, dass sie Importe verteuern. Dies führt wiederum zu steigenden Kosten und letztlich auch steigenden Preisen.
Zinsbedingte Wechselkurseffekte sind also vorhanden. Wie groß sie sind, lässt sich jedoch nur schwer beziffern, und mit der Geldmenge haben sie weder direkt noch indirekt etwas zu tun.
Welchen Einfluss haben die vier Faktoren und die Geldmenge auf die derzeitige Inflation?
Schaut man sich die derzeitigen Preissteigerungen an, so lassen sie sich recht gut mit den drei genannten Faktoren erklären. Der Faktor Nachfrage scheidet hier aus. Kein Bäcker erhöht den Brotpreis, weil die Kunden gerade so viel Geld in der Tasche haben und er nun höhere Margen realisieren kann. Es sind vor allem die Kosten, die die Preise treiben. Und hier kann man nicht mehr trennscharf zwischen den genannten Faktoren unterscheiden. Neben den Effekten aus der Störung der Lieferketten in Folge der Coronamaßnahmen sind vor allem die Energiekosten der große Treiber der aktuellen Preissteigerungen. Und dies direkt an der Tanksäule oder für den Strom- und Gasverbrauch, als auch indirekt, da die Energiekosten teilweise sehr massiv in die Produktpreise eingehen. Wenn der Bäcker nun das Vierfache für den Betrieb seiner Öfen bezahlt, ist er gezwungen, die höheren Kosten auf den Preis umzulegen. Ähnlich geht es dem Eiscafé-Betreiber im oben genannten Beispiel. Wenn er für die Kühlung seiner Eisbehälter und die Heizung seines Cafés deutlich mehr Geld bezahlen muss und er seine Marge halten will, muss er die Preise erhöhen. Letztlich steckt der Faktor „Energiekosten“ in unterschiedlichem Maß in fast allen Produkten und Dienstleistungen, für die wir Geld ausgeben.
Die Wechselkurse kommen hier übrigens noch verstärkend hinzu, da die allermeisten Rohstoffe – auch Energieträger – in Dollar bepreist und fakturiert werden. Jedoch kann man hier die Wechselkursschwankungen auch nicht 1:1 übertragen, da auch die globale Nachfrage aggregiert ist und Wechselkurse auch einen Einfluss auf die Nachfrage haben. Dummerweise ist gerade „Energie“ ein Gut, das – wie Ökonomen sagen – nur eine sehr geringe Preiselastizität bei der Nachfrage hat; die Nachfrage nimmt bei steigenden Preisen also nur in geringem Maße ab.
Die Preissteigerung auf breiter Flur ist also nahezu monokausal über diese durch Lieferkettenprobleme und Energiepreise ausgelösten Faktoren zu erklären. Spätestens hier muss man ernsthaft die Frage stellen, ob die Monetaristen dies nicht sehen können oder nicht sehen wollen.
Was will man mit Zinserhöhungen eigentlich erreichen?
Polemisch könnte man an dieser Stelle ja mal fragen, ob ein einziger Kubikmeter Gas mehr in das deutsche Leitungsnetz kommt, wenn die EZB den Leitzins erhöht. Mir fällt da selbst bei längerem NachDenken keine plausible Wechselwirkung ein. Auch auf das Lieferkettenproblem hat der Leitzins null Komma null Einfluss.
Mit einer Erhöhung des Leitzinses kann man jedoch eine überhitzte Volkswirtschaft abkühlen, um so die Folgen der typischen konjunkturellen „Boom and Bust Zyklen“ zu entschärfen. Das sollte im Idealfall antizyklisch geschehen. Im Aufschwung könnte man also den Leitzins durchaus erhöhen, während man ihn im Abschwung senken sollte.
Es ist jedoch kein Geheimnis, dass wir uns derzeit am Beginn eines größeren konjunkturellen Abschwungs befinden; also genau an dem Zeitpunkt, an dem man eigentlich die Zinsen senken sollte, um die Rezession abzufedern. Diese Möglichkeit hätte die EZB jedoch – selbst, wenn sie es wollte – gar nicht, da sie die Leitzinsen trotz einer normalen konjunkturellen Entwicklung seit der Finanzkrise auf einem viel zu niedrigen Niveau gehalten hat. Sie hätte den Leitzins aus rein realwirtschaftlichen Gründen eigentlich bereits 2010 und spätestens 2013 wieder erhöhen müssen, als die Konjunktur der Eurozone nach der Finanzkrise – wenn auch leicht – wieder Fahrt aufgenommen hatte. Das geschah jedoch aus Rücksichtnahme vor Banken mit maroden Kreditportfolios und Eurostaaten mit hoher Staatsschuldenquote nicht. Und dieser Umstand birgt ein gewaltiges Krisenpotential, denn vor allem für die hochverschuldeten Staaten könnte es jetzt bei einer „Rückkehr der Zinsen“ knüppeldicke kommen. Italiens Staatsschuldenquote liegt bei über 150 Prozent. Eine Rückkehr zu einem normalen Zinssatz von z.B. vier Prozent würde bedeuten, dass der italienische Staat jedes Jahr sechs Prozent seines BIPs nur für den Zinsdienst aufbringen müsste. Das sind zurzeit 114 Milliarden Euro. Und Italien ist nicht allein. Wir stehen somit vor einem Berg voller ökonomischer Problemstellungen, von denen die Preissteigerungen noch eines der kleineren Probleme sind. Und es sieht nicht so aus, als hätte die EZB Lösungen für diese Probleme.
Leserbriefe zu diesem Beitrag finden Sie hier.
Titelbild: Immersion Imagery/shutterstock.com