Über die militärische Rivalität der drei Großmächte[1] beraten ab 11. Oktober über 300 Führungskräfte der NATO mit politischen Spitzenkräften und Vertretern der Rüstungsindustrie sowie Militärstrategen in der Messe in Essen. Bereits das martialische Ankündigungsvideo macht deutlich, welcher Geist hier einlädt: Es geht um das, was in Anlehnung an ein Zitat des ehemaligen Militärministers Theodor zu Guttenberg ‚umgangssprachlich Krieg‘[2] heißt. Bei den staatlichen Großmächten USA mit ihren NATO-Vasallen versus China und Russland geht es um die Vorbereitung einer Eskalation zwischen den Weltmächten, die über 90 Prozent der nuklearen Arsenale bereit halten – damit geht es um die Gefahr eines Weltuntergangs. Von Bernhard Trautvetter.
Eine Gefahr für das Bestehen der Zivilisation blenden die Strategen geflissentlich aus. In einem online nicht mehr verfügbaren Papier (Call for Papers) an vorgesehene Referenten fragte die einladende Strategieschmiede „Joint Air Power Competencce Centre“ (JAPCC):
„Wie können wir die Bemühungen unserer Regierungen/Bündnisse in diesem Wettbewerb mit dem militärischen Machtinstrument unterstützen?“
Das Konferenzthema der NATO-Militärs folgt dem Titel eines Papiers des wissenschaftlichen Dienstes des US-Kongresses: „Globale Konkurrenz der staatlichen Großmächte“[3]. Das Dokument – zu Deutsch ‚Erneu[er]ter Wettbewerb der Großmächte‘ („Renewed Great Power Competition: Implications for Defense — Issues for Congress”) – berührt Punkte, die die Autoren auf China sowie Russland beziehen:
- „die große Strategie und die Geopolitik des Wettbewerbs der Großmächte als Ausgangsbasis
- für die Beratung über Fragen der US-Verteidigung;
- Kernwaffen, nukleare Abschreckung und nukleare Rüstungskontrolle;
- militärische Fähigkeiten der USA und ihrer Verbündeten im Raum am Indo-Pazifik;
- die militärischen Fähigkeiten der USA und der NATO in Europa;
- Fähigkeiten zur Führung der so genannten hochentwickelten konventionellen Kriegsführung;
- Aufrechterhaltung der Überlegenheit der USA bei konventionellen Waffentechnologien;
- Innovation und Geschwindigkeit der Entwicklung und des Einsatzes von Waffensystemen;
- Mobilisierungsfähigkeiten für einen ausgedehnten und groß angelegten Konflikt;
- Lieferketten-Sicherheit
- Grauzonentaktiken, darunter hybride Kriegsführung“
Der wissenschaftliche Dienst des US-Kongresses räumt immerhin ein:
„Die Wiederbelebung des Wettbewerbs der Großmächte hat zu einer erneuten Betonung der Fähigkeiten zur Führung der so genannten konventionellen Kriegsführung auf höchstem Niveau geführt, d.h. in großem Maßstab liegt der Schwerpunkt (…) auf hochintensiver, technologisch anspruchsvoller konventioneller Kriegsführung gegen Gegner mit ähnlich hoch entwickelten militärischen Fähigkeiten.“
Die Vertreter des militärisch-industriellen Komplexes betrachten die Konkurrenz der Großmächte entsprechend ihrer militärischen Funktion und sie gehen dabei bis an die nukleare Schwelle. Dabei blenden sie die Warnung von Wissenschaftlern aus, dass ein Atomkrieg nicht zu gewinnen ist und dass er das Schicksal der Menschheit bedroht. Wenn in der gegenwärtig extrem angespannten Weltlage eine Macht den Atomkrieg eröffnet, gibt es kein Zurück mehr. Dann droht das Ende der Menschheit. Die verantwortungslose Leichtfertigkeit der Strategen offenbart der ehemalige Chefstratege des Pentagon, Elbridge A. Colby, mit diesen Worten:
“Wir müssen bereit sein, Atomwaffen gezielt einzusetzen. Natürlich kann man die apokalyptische Gefahr solcher Waffen nicht komplett kontrollieren, aber wir sollten zu einem gezielten Einsatz bereit sein“.[4]
Mit Szenarien, die einen Krieg in Europa oder in China zum Gegenstand haben, gehen die Strategen das Risiko eines nuklearen Infernos auch ohne Nuklearkrieg ein. In Europa sind knapp 200 Atomreaktoren am Netz, 111 sind stillgelegt und weitere in der Planung. In einem so hochgefährlich industrialisierten Erdteil stellt ein solches Szenario ein – bewusst eingegangenes – Risiko des Untergangs der Zivilisation zumindest in diesem Raum dar. Dies „Sicherheitspolitik“ zu nennen, wie die Militärs das tun, das stellt eine babylonische Sprachverwirrung dar, die bei vielen Akteuren als Ergebnis der Manipulation der NATO-Lobby zu vernehmen ist.
Der Grund für diese Leichtfertigkeit im Umgang mit dem existenziellen Risiko des Weltuntergangs liegt im unmittelbaren und damit kurzfristigen Rendite-Interesse der Rüstungskonzerne, wie General Verney und der Konzernvertreter von Airbus am Ende des Vorbereitungsmanuskripts der Tagung ausführen:
„Als Entwickler und Anbieter neuer Technologien ist die Industrie bereit, die Streitkräfte (…) zu unterstützen. In Anbetracht der ehrgeizigen Ziele, die auf dem Spiel stehen, ist eine starke Partnerschaft zwischen beiden Seiten von entscheidender Bedeutung, um eine gründliche Erfassung der Bedürfnisse zu gewährleisten (…), ohne sich zu früh für bestimmte technische Optionen zu entscheiden, die eine künftige MDO (Multi-Domain-Operation, also eine Kriegsstrategie unter Einbezug aller Waffengattungen und Technikbereiche, B.T.) behindern würden. Die Entwicklung von Betriebskonzepten und technischen Lösungen steckt noch in den Kinderschuhen. Nur wenn wir Hand in Hand arbeiten, können wir die vor uns liegenden Herausforderungen bewältigen.“ [5]
Hier bewahrheitet sich erneut, dass der Kapitalismus den Krieg in sich trägt wie die Wolke den Regen, wie es einst der französische Sozialist Jean Jaures[6] auf den Punkt brachte.
Alternative Friedenstagung
Der wachsenden Weltkriegsgefahr stellt sich die Friedensbewegung mit einigen Aktionen entgegen, so mit einer Friedenstagung zur Aufklärung über die in der Messe Essen anstehende NATO-Konferenz[7]. Im Aufruf zur Friedenstagung am 10.9.2022 in Essen heißt es:
„Die militärischen und ökologischen Zukunftsgefährdungen können nur mit einer friedens-ökologischen Politik abgewendet werden, die Kriege beendet und verhindert und die Konflikte möglichst mit gewaltfreien – diplomatischen – Mitteln löst. Eine Politik militärischer Rivalität und Überlegenheit ist gegen die Überlebensinteressen der Menschheit gerichtet. Stattdessen bedarf es einer umfassenden Kooperation aller Staaten und einer globalen Rüstungskontrolle und Abrüstung in einer Friedensordnung gemeinsamer Sicherheit.“[8]
Titelbild: Vadim Sadovski / shutterstock
[«1] sueddeutsche.de/politik/bundeswehr-in-afghanistan-was-heisst-hier-krieg-1.6506
[«2] japcc.org/
[«3] Die Zitate aus dem US-Papier entstammen dem Dokument: crsreports.congress.gov/product/pdf/r/r43838
[«5] japcc.org/read-aheads/joint-air-space-power-conference-2022-read-ahead/ S. 98
[«6] ag-friedensforschung.de/bewegung1/ostermarsch2014/mayer.html
[«7] essener-friedensforum.de/no-natom-krieg-essen/
[«8] essener-friedensforum.de/wp-content/uploads/2022/08/EFF-Flyer.pdf