FTD empfiehlt FDP
Die Financial Times Deutschland plädiert für einen Regierungswechsel. Von allen verfügbaren Optionen hält sie „Schwarz-Gelb“ für die beste. Angela Merkel könne nur mit einer starken FDP ihre liberale Politik durchsetzen. In den Redaktionsstuben der FTD haben ziemlich engstirnige „marktorientierte Reformer“ das Sagen.
Der Raum, den die FTD zur Ausbreitung ihrer Wahlempfehlung zur Verfügung stellt, ist umgekehrt proportional zur politischen und ökonomischen Bandbreite der Argumente, die die versammelten Redakteure anführen. Auf einer ganzen Seite wird dargelegt, warum sie am 18. September ihren „Vertrauensvorschuss“ der FDP geben. Doch selbst für eine Wirtschaftszeitung bleibt das politische Blickfeld erstaunlich eng.
In der Außenpolitik stünden „keine dringenden Grundsatzentscheidungen an“, heißt es lapidar. Gerade so, als habe es kein Scheitern des EU-Verfassungsvertrages gegeben, gerade so, als wäre die weitere vor allem auch wirtschaftspolitische Gestaltung der Erweiterung der Europäischen Union eine Frage am Rande, gerade so, als gäbe es keinen Streit um die Entsenderichtlinie, als stünde nicht die Rolle Deutschlands in der Staatengemeinschaft etwa bei der Reform der UNO auf der Tagesordnung, gerade so, als wären die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei keine grundsätzliche Streitfrage, so als würde gegen die Atompolitik des Iran nicht schon wieder eine amerikanische Drohkulissen aufgebaut, bei der Deutschland Stellung beziehen muss.
Innenpolitik und Rechtspolitik spielen allenfalls bei Fragen der Zuwanderung eine Rolle. Die Wahrung innerer Liberalität bei aller Notwendigkeit der Terrorbekämpfung ist für die FTD kein Thema.
Finanzpolitik reduziert sich für die FTD auf die Frage, ob eine (offenbar zur Senkung von Sozialbeiträge für richtig gehaltene) Mehrwertsteuererhöhung in die konjunkturelle Lage passt und darauf, dass es riskant wäre, sich mit einer drastischen Etatkonsolidierung in den Aufschwung zu sparen. Aber für welche Haushaltspolitik plädiert die FTD?
Familienpolitik, Bildungspolitik, Innovationspolitik, Infrastruktur- oder Verkehrspolitik, Umweltpolitik oder Verbraucherschutz spielen für die FTD bei einer Wahlentscheidung offenbar keinerlei Rolle, noch nicht einmal die Außenwirtschaftspolitik und die negativen Folgen der Exportdominanz Deutschlands auf die europäischen Nachbarländer oder gar die europäische Stabilitätspolitik. Jedenfalls letztere eigentlich Themen, die auch einen Wirtschaftsjournalisten noch interessieren sollten. Sollte man wenigstens denken.
Dafür wird (zum wievielten Mal eigentlich?) wieder einmal danach gefragt, „wer den Neuanfang gestalten soll“. So als könne man mit der deutschen Volkswirtschaft, wie nach dem Zusammenbruch einfach wieder von Neuem anfangen. Das entspricht einzelwirtschaftlichem Denken, wo nach dem Konkurs eines Unternehmens darüber spekuliert wird, wie man neu anfangen könnte..
„Das alles überragende Thema“ sei die „wirtschaftliche Lage des Landes“. Nach fünf Jahre Stagnation bestehe in Deutschland die akute Gefahr, dass sich Wachstumspessimismus festsetze. Da möchte man ja gerne zustimmen. Wer nun allerdings eine wirtschaftspolitische Analyse für diese nun schon seit weit über einem Jahrzehnt andauernde Stagnation erhoffte, wer Konzepte für die Überwindung dieser Stagnation erwartete, der wird bitter enttäuscht.
Statt nach den Ursachen für den „Stagnationstrend“ zu fragen, statt nur mit einem einzigen Argumente einen Wirkungszusammenhang zwischen der geforderten „Neuausrichtung der Politik“ und der Bekämpfung der wirtschaftlichen Stagnation auch nur zu plausibel zu machen, wird – ganz typisch für das Gefangensein in ideologischem Denken – einfach nur behauptet, der „begonnene Reformkurs soll entschlossen weiterbetrieben werden“.
Nichts dazu, wie trotz explodierenden Exporten die stagnierende Binnennachfrage angekurbelt werden könnte, nichts dazu, warum trotz Steuerentlastungen in Milliardenhöhe für die Unternehmen, die Investitionen rückläufig sind und schon gar nichts dazu, wie etwa durch eine produktivitätsorientierte Lohnpolitik die Kaufkraft gesteigert oder durch welche Etatpolitik man einen Aufschwung unterstützen könnte. Nichts zu einer gesamteuropäischen Anstrengung für Wachstum und Beschäftigung, kein Wort über die restriktive Geldpolitik der Europäischen Zentralbank.
Es findet sich kein einziger Vorschlag, wie die Konjunktur wieder in Gang kommen könnte, das ganze ökonomische Weltbild verengt sich auf „marktorientierte Korrekturen auf dem Arbeitsmarkt und in den Sozialsystemen“, denn solche Reformen erlaubten „eine höhere Wachstumsdynamik…sobald sich das konjunkturelle Umfeld bessert.“
Das ist der typisch neoklassische Gedankenzirkel, dass mehr Markt irgendwann einmal in Zukunft zu höherem Wachstum führe. Diese Flucht in die vage Aussicht, dass sich das konjunkturelle Umfeld irgend wie wieder bessere, zeigt zugleich auch das Dilemma der herrschenden wirtschaftspolitischen Lehre: Sie hat keine Vorstellung darüber, geschweige denn ein Konzept dafür, wie sich die Konjunktur wieder verbessern könnte. Konjunktur kommt sozusagen vom Himmel über die Wirtschaft. Da bleibt nur Hoffen und Abwarten und sich ansonsten durch „marktorientierte Korrekturen“ bereit zu halten, bis die Konjunktur wieder vorbei kommt. Es ist geradezu wie beim Heilsversprechen im Matthäus-Evangelium: Haltet Euch bereit, der Erlöser kommt.
Die FTD lobt und dankt Rot-Grün für deren „Reformpolitik“, die Zeitung habe das „Ad-hoc-Programm“ der Agenda 2010 „unterstützt“. „Die rot-grüne Koalition (sei jetzt) politisch an ihrem Ende angekommen“, der begonnene Reformkurs müsse aber „entschlossen weitergetrieben werden“. Das könne am besten Angela Merkel mit der FDP.
Der Mohr Schröder hat also seine Schuldigkeit für die Wirtschaftsliberalen getan, der Mohr kann gehen.
Man stößt hier einmal mehr auf das typische Argumentationsmuster einer sich gegen alle Anfechtungen immunisierende Glaubenslehre. Jede Nachdenklichkeit oder jede nüchterne Bilanz von Erfolg oder Misserfolg der bisherigen marktorientierten Reformen wird abgeblockt. Angesichts der weitgehenden Erfolglosigkeit der von der FTD unterstützten bisherigen „marktorientierten Korrekturen“ kann und darf es nur einen einzigen Gedanken geben: Noch mehr „marktorientierte Korrekturen“. Damit nicht das politische Risiko eingegangen werden müsse, „dass in der großen Koalition das Soziale ein stärkeres Gewicht erhalten würde“ und weil Angela Merkel „liberalen Positionen näher stehe als die meisten anderen Unionsspitzen“, wäre die FDP für die FTD die beste Wahl. Und damit bloß nicht gar noch die CSU die radikalere Durchsetzung der wirtschaftsliberalen Positionen gefährden könnte, wäre es das Beste, wenn „die FDP bei der Wahl bundesweit mehr Stimmen als die CSU“ erränge: „Dann würde dies auch das Machtgefüge in der Koalition zu Gunsten der Liberalen und zu Gunsten von Angela Merkel verschieben.“ Verweigerung der Analyse, warum sich unsere Volkswirtschaft in einer anhaltenden Stagnation befindet, Hilf- und Ratlosigkeit bei der Frage, wie die Konjunktur wieder angekurbelt werden könnte, panische Angst vor einer rationalen Bilanz inwieweit die marktorientierten Reformen Erfolge oder Misserfolge gezeitigt haben, dafür um so dogmatischeres Vorantreiben des eingeschlagenen Kurses und bei der Wahl geht es ausschließlich um dessen macht- und parteipolitische Absicherung. Auf diese Kernaussage lässt sich die Wahlempfehlung der FTD bringen. Es ist zwar anerkennenswert, dass die FTD – im Gegensatz zu den meisten angeblich „unabhängigen“ Zeitungen, die mit allen Mitteln den Regierungswechsel herbeischreiben – ihre politische Linie offen bekannt gibt. So kann sich der Leser wenigstens ein klares Bild von der politischen und wirtschaftspolitischen Linie des Blattes machen und die liegt halt auf der Linie der Lobby- und Klientelpartei FDP. Über diese wirtschaftsliberale, ausschließlich marktorientierte Haltung der FTD können auch einige gegen die „Modernisierer“ polemisierenden Kommentare etwa von Thomas Fricke nicht hinweg täuschen.
Quelle: FTD