Am vergangenen Freitag hat das Anwaltsteam von Julian Assange gegen die Punkte des Auslieferungsurteils, in denen Bezirksrichterin Vanessa Baraitser den USA recht gegeben hatte, Berufung eingelegt. Im Januar 2021 hatte sie die Auslieferung von Assange an die USA aufgrund seines Gesundheitszustandes und zu erwartender Haftbedingungen in den USA abgelehnt, während sie den Spionagevorwürfen und dem des Computer-Einbruchs stattgegeben hatte. Die US-Regierung hatte gegen die medizinischen Gründe Berufung eingelegt und daraufhin hatte der High Court im vergangenen Dezember die Entscheidung des Bezirksgerichts gekippt. Eine Zusammenfassung der jüngsten Entwicklungen in diesem bestürzenden Fall von Moritz Müller.
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Die „perfektionierten Beschwerdegründe“ („Perfected Grounds of Appeal“ richten sich an die US-Regierung und an die britische Innenministerin Priti Patel, welche Julian Assanges Auslieferung an die USA im Juni genehmigt hatte.
Dies sind die Kernpunkte, wegen denen am High Court Beschwerde eingelegt wird:
- Julian Assange wird wegen seiner politischen Meinung verfolgt und bestraft (s.81(a) of the Extradition Act).
- Julian Assange wird trotz geschützter freier Rede verfolgt.
- Das Auslieferungsbegehren verstößt gegen das Auslieferungsabkommen zwischen den USA und dem Vereinigten Königreich und gegen internationales Recht, da es sich um einen politischen Fall handelt.
- Die US-Regierung hat wesentlich Fakten des Falls bei den britischen Gerichten falsch dargestellt.
- Das Auslieferungsbegehren und die Begleitumstände stellen einen Missbrauch des Verfahrens dar.
Hier kann man diese Punkte im englischen Original lesen.
Julian Assanges Frau Stella Assange kommentierte die Beschwerde:
„Seit dem letzten Urteil sind überwältigende Beweise aufgetaucht, die zeigen, dass die Strafverfolgung der Vereinigten Staaten gegen meinen Mann ein krimineller Missbrauch ist. Die Richter des Obersten Gerichtshofs werden nun entscheiden, ob Julian die Möglichkeit erhält, den Fall gegen die Vereinigten Staaten in der Berufungsverhandlung öffentlich und in vollem Umfang vorzutragen.“
Nun entscheidet ein Richter, ob die Beschwerde beim High Court zugelassen wird. Das wird sich wohl wieder einige Zeit hinziehen. Meines Erachtens ist das Teil der von Stella Assange angesprochenen Zermürbungskampagne gegen ihren Mann.
Dass das ganze Verfahren überhaupt noch läuft, hat wohl damit zu tun, dass an Julian Assange, der tausende Dokumente veröffentlicht hat, die nicht nur die USA und das Vereinigte Königreich in einem extrem schlechten Licht dastehen lassen, ein Exempel statuiert werden soll.
Während seines Botschaftsasyls wurde seine Privatsphäre konsequent durch Überwachung verletzt. Vertrauliche Gespräche mit seinen Anwälten wurden abgehört, höchstwahrscheinlich im Auftrag US-amerikanischer Geheimdienste. Während der Auslieferungsanhörung hatte ein Anklagevertreter die Behauptung aufgestellt, dass es im US-Apparat „chinesische Mauern“ gebe, sodass die von Geheimdiensten abgehörten Gespräche nicht im Justizministerium landen würden. Hier kann sich jeder selbst Gedanken über den wahrscheinlichen Wahrheitsgehalt einer solchen Behauptung machen.
Nach dem Verrat der damaligen ecuadorianischen Regierung an Assange im April 2019, der in der Übergabe von Assange direkt aus dem Botschaftsasyl an die Londoner Polizei mündete und den Entzug seiner ecuadorianischen Staatsbürgerschaft beinhaltete, wurden sein Hab und Gut, inklusive Briefverkehr und Computer, als diplomatisches Gepäck nach Ecuador geschafft und von dort an die USA übergeben.
Man sollte denken, dass in einem „Rechtsstaat“ ein Prozess auf solchen Grundlagen nicht geführt werden könne. Das alles scheint aber keinen Politiker, der an westlichen Regierungen aktiv beteiligt ist, ernsthaft zu interessieren. Hier machen auch Frau Baerbock und Herr Habeck, die noch im Wahlkampf mit Pro-Assange-Aussagen auf Stimmenfang gingen, keine Ausnahme. Jetzt scheinen sie in ihren Ministerämtern nicht mehr an Assanges Schicksal interessiert bzw. jetzt werden (unter der Hand) die Interessen des Imperiums vertreten.
Es scheint so zu sein, dass sich politische Würdenträger nur vor oder erst nach ihrer Amtsinhaberschaft für Assange interessieren oder einsetzen. Die am Mittwoch aus dem Amt scheidende UN-Menschenrechtsbeauftragte ist so ein Fall. Sie hatte sich am Donnerstag mit Stella Assange getroffen und nun ein Statement zugunsten von Julian Assange veröffentlicht.
Das ist natürlich willkommen und gut, und Stella Assange ist sicher sehr froh über dieses Treffen, und ich hoffe, dass es etwas in Bewegung bringt. Der ehemalige UN-Sonderbeauftragte für Folter, Nils Melzer, hatte allerdings schon vor über einem Jahr um ein Gespräch mit Frau Bachelet bezüglich Assange gebeten. In diesem Artikel sagt er dazu Folgendes:
„Ich habe sogar die [UN-; Anm. MM] Generalversammlung in New York informiert. Aber es gab keine Reaktion. Ich habe sogar versucht, mich mit der Hochkommissarin für Menschenrechte [Michelle Bachelet] zu treffen. Bei mehreren Gelegenheiten habe ich schriftlich um ein Treffen gebeten, und sie hat es auf eine Ebene delegiert, auf der es wiederum nicht hilfreich ist.“
Der britische Oppositionsführer Jeremy Corbyn gab direkt nach der Verhaftung von Julian Assange ein Statement zu seinen Gunsten ab, um dann 9 Monate lang, bis nach der verlorenen Unterhauswahl und seinem Abtritt, nichts mehr öffentlich zu verlautbaren. In letzter Zeit spricht er sich wieder öffentlich für Julian Assange aus, was sicher auch hilfreich ist.
Ähnlich ist es beim neuen australischen Premierminister Anthony Albanese, der vor der Wahl über den Fall des Australiers Assange sagte, „genug ist genug“, und nun im Amt sagt, dass nicht „alle Diplomatie mit einem Megafon“ gemacht werden solle. Ob er jetzt Geheimdiplomatie für Assange betreibt oder Nulldiplomatie, kann sich wiederum jeder selbst überlegen.
Vielleicht gibt es (Hinter-)Gründe, warum nicht nur die vorgenannten Personen vor einem vehementen Einsatz für Assange, für wirkliche Presse- und Meinungsfreiheit und für Menschenrechte zurückschrecken. Darüber ergibt sich vielleicht für die Nachwelt ein kompletteres Bild.
Daher liegt es momentan an Menschen wie Nikolai „Kolja“ Rewin mit seinem Marsch nach Belmarsh, wo Assange gefangen gehalten wird, dass sein Fall öffentliche Beachtung findet. Kolja ist mittlerweile irgendwo zwischen Gent und Lille.
Dem gleichen Zweck dient die am 8. Oktober in London stattfindende Menschenkette, die um die Houses of Parliament gelegt werden soll. Hierfür braucht es 5.000 Menschen. Wenn Sie Verwandte, Bekannte oder Freunde in London oder Umgebung haben, so lassen Sie diese davon wissen.
Wenn man selber in London dabei sein will und das umwelttechnisch verantworten kann und will, ist vielleicht diese Passage aus einer E-Mail, die uns am Wochenende erreichte, interessant:
„#freeAssange Mit dem Bus nach London!!!
Am 08.10.2022 soll eine große Menschenkette für die Freilassung Julian Assanges um das britische Parlament gebildet werden. Bislang sind 1900 der benötigten 5000 Teilnehmer registriert. Wir wollen Gesicht zeigen und dafür demonstrieren, dass der größte Justiz Skandal des Jahrhunderts um den wichtigsten Journalisten unserer Zeit ein gutes Ende nimmt. Für unsere Freiheit und die unserer Kinder! Begleitet uns!
Wir wollen innerhalb der nächsten Woche einen Bus chartern von Ulm über Stuttgart nach London.
Abfahrt: Am 06.10. Abends – Ulm
Rückkehr: Am 09.10. um 18 Uhr
Kosten bei vollbesetztem Bus: ca 160 Euro pro Person
Gebt Euch einen Ruck und kommt mit, damit wir den Bus voll bekommen…
Bei Interesse bitte PN an mich.
Wer einfach gar nicht mit kann, diese Aktion aber gerne unterstützen möchte, kann dies auch gerne finanziell tun, indem er bspw einem Aktivisten die Fahrt sponsort, der sich diese sonst nicht leisten kann.
Mittlerweile gibt es auch einen Stopp zum Zusteigen in Köln.
Bei Interesse oder Fragen bitte kurze E-mail an uns: free-assange-koeln(at)protonmail.com“
Für alle, die sich in näherer Umgebung für Assange einsetzen wollen, sei einmal mehr FreeAssange.EU empfohlen.
Diese Woche finden die folgenden Mahnwachen statt:
- Dienstag, Sport für Assange in Berlin und in Esslingen
- Mittwoch in Düsseldorf, Hamburg, Wien und London
- Donnerstag in Dresden und Berlin
- Samstag in London, Piccadilly Circus
Details zu diesen Veranstaltungen finden sich hier.
Außerdem findet man hier Informationen, wie man an Julian Assange schreiben kann.
Bei all diesen Aktionen denke ich an den Spruch, „Steter Tropfen höhlt den Stein!“, und gleichzeitig ist es unglaublich schwierig in der derzeitigen Lage und dem Chaos, das sich an allen Ecken und Enden anbahnt, überhaupt noch optimistisch zu bleiben.
Aber es bleibt einem sowieso nichts anderes übrig …