Das falsche Narrativ des Westens über Russland und China – von Jeffrey Sachs
Susanne Hofmann hat diesen Artikel – The west’s false narrative about Russia and China – für die NachDenkSeiten übersetzt. Der Hinweis darauf stammt von Willy Wimmer. Er hat dazu Folgendes geschrieben: „Dieser Text stammt von dem Mann, der der Sowjetunion den Rest gegeben hatte. Wir sind seit langem auf dem Holzweg. Alexander Sosnowski und ich haben dies in unserem Buch ‚Und immer wieder Versailles‘ 2019 beschrieben und schon Jahre zuvor öffentlich gemacht.“ Der Artikel von Jeffrey Sachs bringt in der Tat nichts vollkommen Neues. Er ist aber eine sehr gute Zusammenfassung und plädiert für eine friedliche Lösung. Albrecht Müller.
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Das falsche Narrativ des Westens über Russland und China
von Jeffrey Sachs
Die Welt steht nicht zuletzt deshalb am Rande einer nuklearen Katastrophe, weil westliche Politiker nicht imstande sind, die Ursachen der eskalierenden globalen Konflikte offen zu benennen. Das gebetsmühlenhaft wiederholte westliche Narrativ vom edlen Westen und dem bösen Russland und China ist einfältig und außerordentlich gefährlich. Es ist ein Versuch, die öffentliche Meinung zu manipulieren und sich nicht sehr realer und dringend notwendiger Diplomatie zu widmen.
Das wesentliche Narrativ des Westens ist in die nationale Sicherheitsstrategie der USA verwoben. Der Kerngedanke der USA ist, dass China und Russland unerbittliche Feinde sind, die „versuchen, die amerikanische Sicherheit und den Wohlstand zu untergraben“. Diese Länder sind nach Ansicht der USA dazu entschlossen, ihre Wirtschaft weniger frei und weniger fair zu gestalten, ihr Militär auszubauen und Informationen und Daten zu kontrollieren, um ihre Gesellschaften zu unterdrücken und ihren Einfluss auszuweiten.
Die Ironie besteht darin, dass die USA seit 1980 in mindestens 15 Kriegen in Übersee involviert waren (Afghanistan, Irak, Libyen, Panama, Serbien, Syrien und Jemen, um nur einige zu nennen), während China an keinem einzigen und Russland nur an einem außerhalb der ehemaligen Sowjetunion beteiligt war, nämlich in Syrien.
Die USA haben in 85 Ländern Militärbasen, China in dreien und Russland in einem außerhalb der ehemaligen Sowjetunion, nämlich in Syrien. Präsident Joe Biden unterstützt dieses Narrativ und erklärt, dass die größte Herausforderung unserer Zeit der Wettbewerb mit den Autokratien sei, die „versuchen, ihre eigene Macht auszubauen, ihren Einfluss in die ganze Welt zu exportieren und auszuweiten und ihre repressive Politik und Praxis als effizienteren Weg zur Bewältigung der heutigen Herausforderungen zu rechtfertigen“. Die Sicherheitsstrategie der USA ist nicht das Werk eines einzelnen US-Präsidenten, sondern des weitgehend autonomen US-Sicherheitsapparats, der hinter einer Mauer der Geheimhaltung agiert.
Durch Manipulation der Fakten verkauft man der westlichen Öffentlichkeit die übersteigerte Angst vor China und Russland. Eine Generation zuvor verkaufte George W. Bush junior der Öffentlichkeit die Idee, Amerikas größte Bedrohung sei der islamische Fundamentalismus, ohne zu erwähnen, dass es die CIA war, die zusammen mit Saudi-Arabien und anderen Ländern die Dschihadisten in Afghanistan, Syrien und anderswo geschaffen, finanziert und eingesetzt hatte, um Amerikas Kriege zu führen.
Oder denken Sie an den Einmarsch der Sowjetunion in Afghanistan im Jahr 1980, der in den westlichen Medien als ein unprovozierter Akt der Perfidie dargestellt wurde. Jahre später erfuhren wir, dass der sowjetischen Invasion in Wirklichkeit eine CIA-Operation vorausgegangen war, die die sowjetische Invasion provozieren sollte! Die gleiche Fehlinformation gab es auch in Bezug auf Syrien. Die westliche Presse ist voller Schuldzuweisungen gegen Putins militärische Unterstützung für Syriens Präsidenten Bashar al-Assad seit dem Jahr 2015, ohne zu erwähnen, dass die USA den Sturz von Assad seit 2011 unterstützten, wobei die CIA eine große Operation (Timber Sycamore) finanzierte, um Assad zu stürzen, Jahre bevor Russland kam.
Oder vor kurzem, als die Sprecherin des US-Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, Chinas Warnungen zum Trotz rücksichtslos nach Taiwan flog, kritisierte kein G7-Außenminister Pelosis Provokation, dagegen übten die G7-Minister gemeinsam scharfe Kritik an Chinas „Überreaktion” auf Pelosis Reise.
Das westliche Narrativ über den Ukraine-Krieg besagt, dass es sich um einen unprovozierten Angriff Putins handelt, der das russische Imperium wiederherstellen will. Die wahre Geschichte beginnt jedoch mit dem Versprechen des Westens an den sowjetischen Präsidenten Michail Gorbatschow, die NATO werde sich nicht nach Osten ausdehnen, gefolgt von vier Wellen der NATO-Erweiterung: 1999 wurden drei mitteleuropäische Staaten aufgenommen, 2004 sieben weitere, darunter die Staaten am Schwarzen Meer und die baltischen Staaten, 2008 sagte die NATO die Erweiterung um die Ukraine und Georgien zu, und 2022 wurden vier asiatisch-pazifische Staatschefs von der NATO eingeladen, um China ins Visier zu nehmen.
Die westlichen Medien erwähnen auch nicht die Rolle der USA beim Sturz des pro-russischen ukrainischen Präsidenten Viktor Janukowitsch im Jahr 2014, das Versäumnis der Regierungen Frankreichs und Deutschlands, der Garanten des Minsk-II-Abkommens, die Ukraine zur Einhaltung ihrer Verpflichtungen zu bringen, die umfangreichen US-Waffenlieferungen an die Ukraine während der Regierungen Trump und Biden schon vor dem Krieg sowie die Weigerung der USA, mit Putin über die NATO-Erweiterung um die Ukraine zu verhandeln.
Natürlich behauptet die NATO, dieser Schritt sei rein defensiv, Putin habe also nichts zu befürchten. Putin sollte also mit anderen Worten über die CIA-Operationen in Afghanistan und Syrien hinwegsehen, ebenso wie über die NATO-Bombardierung Serbiens im Jahr 1999, den NATO-Sturz von Moammar Gaddafi im Jahr 2011, die 15-jährige NATO-Besetzung Afghanistans, Bidens “Fauxpas”, den Sturz Putins zu fordern – der natürlich überhaupt kein Fauxpas war – oder die Aussage von US-Verteidigungsminister Lloyd Austin, das Kriegsziel der USA in der Ukraine sei die Schwächung Russlands.
Im Kern all dessen steht der Versuch der USA, die Hegemonialmacht der Welt zu bleiben, indem sie ihre Militärbündnisse auf der ganzen Welt ausbauen, mit dem Ziel, China und Russland einzudämmen oder zu besiegen. Das ist eine gefährliche, wahnhafte und überholte Idee. Die USA haben nur 4,2 Prozent der Weltbevölkerung und nur 16 Prozent des Welt-Brutto-Inlandsprodukts, bezogen auf internationale Preise. Tatsächlich ist das gemeinsame BIP der G7 heute geringer als das der BRICS-Staaten Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika, während die G7-Bevölkerung nur sechs Prozent der Weltbevölkerung ausmacht, verglichen mit 41 Prozent in den BRICS.
Es gibt nur ein Land, dessen selbsterklärte Fantasie es ist, die dominierende Macht der Welt zu sein: die USA. Es ist an der Zeit, dass die USA die wahren Quellen der Sicherheit erkennen: den inneren sozialen Zusammenhalt und die verantwortungsvolle Zusammenarbeit mit dem Rest der Welt, und nicht die Illusion der Hegemonie. Mit einer solchen neu konzipierten Außenpolitik würden die USA und ihre Verbündeten einen Krieg mit China und Russland vermeiden und die Welt in die Lage versetzen, ihre unzähligen Umwelt-, Energie-, Nahrungsmittel- und sozialen Krisen anzugehen.
Vor allem aber sollten die europäischen Staats- und Regierungschefs in dieser extrem gefährlichen Zeit die wahre Quelle der europäischen Sicherheit in den Blick nehmen: Es ist nicht die Hegemonie der USA, sondern es sind europäische Sicherheitsvereinbarungen, die die legitimen Sicherheitsinteressen aller europäischen Staaten respektieren – sicherlich auch die der Ukraine, aber auch die Russlands, das sich weiterhin gegen die NATO-Erweiterung am Schwarzen Meer stemmt. Europa sollte sich darauf besinnen, dass die Nichterweiterung der NATO und die Umsetzung der Minsk-II-Vereinbarungen diesen schrecklichen Krieg in der Ukraine hätten verhindern können. In dieser Phase ist Diplomatie, nicht militärische Eskalation, der wahre Weg zu europäischer und globaler Sicherheit.