Die Höhe der als „Gasumlage“ bezeichneten Abgabe, mit der die Bundesregierung die „Rettung“ des großen Gasimporteurs Uniper finanzieren will, steht nun fest. Es sind 2,419 Cent. Nachrichtenformate wie die Tagesschau beziffern die Mehrbelastung eines durchschnittlichen Haushalts auf 484 Euro pro Jahr. Dabei geht meist unter, dass diese Umlage nur ein kleinerer Teil der Mehrbelastung ist und die massiv gestiegenen Gaspreise ja noch hinzugerechnet werden müssen. Auch Kritiker, vor allem aus der politischen Linken, haben sich nun auf diese Gasumlage eingeschossen und wollen in Protesten gegen diese Umlage mobilisieren. Das ist ein Scheingefecht, das an der Lösung des Gesamtproblems vorbeigeht. Von Jens Berger.
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Mehrkosten im mittleren vierstelligen Bereich – das wird ein heißer Winter trotz kalter Wohnungen
Um eine grobe Ahnung von den künftig noch zu erwartenden Preissteigerungen für Erdgas zu bekommen, ist es ganz hilfreich, sich einmal den aktuellen Börsenpreis für Erdgas an der Leipziger Energiebörse EEX anzuschauen. Dort wurde eine Megawattstunde gestern für 234 Euro gehandelt. Das ist erstmal ein abstrakter Wert. Rechnet man dies jedoch auf die für Haushalte relevante Größe um, kommt man auf 23,4 Cent pro Kilowattstunde. Zum Vergleich: Der durchschnittliche Gaspreis für Haushalte beträgt zurzeit bei den Versorgern, die den Arbeitspreis bereits angepasst haben, inklusive der Gasumlage, 19,56 Cent und liegt damit rund vier Cent unter dem Börsenpreis, der jedoch ein Großhandelspreis ohne Steuern und Abgaben und ohne Netzentgelte sowie die Kosten der Endversorger ist, die ja beim Endkundenpreis noch hinzugezählt werden müssen.
Ist der Börsenpreis maßgeblich für den Endkundenpreis? Ja! Denn seit einigen Jahren orientieren sich auch langfristige Lieferverträge über ihre Preisanpassungsklauseln an diesem Börsenpreis; nur halt zeitversetzt. Dies im Hinterkopf, sollte klar sein, dass wir bei der nun heiß debattierten Gasumlage leider tatsächlich nur über einen kleinen Teil der bereits in diesem Herbst und später zu erwartenden Mehrbelastungen für Verbraucher sprechen.
Überträgt man die bereits heute von vielen Versorgern vorgenommenen Preissteigerungen auf einen durchschnittlichen, in einem Einfamilienhaus lebenden Haushalt, kommt man auf einen neuen Gaspreis von 3.912 Euro pro Jahr – das sind 2.582 Euro mehr als im Jahr zuvor, da zu den von Tagesschau und Co. genannten 484 Euro für die Gasumlage noch 2.098 Euro für den höheren Arbeitspreis kommen. Wie bereits gesagt: Das betrifft alle Haushalte, auch wenn einige Versorger immer noch mit den neuen Preisen ab Oktober hinter dem Berg halten. Auch bei ihnen wird eine Preiserhöhung folgen, das ist so sicher wie das Amen in der Kirche. Und: Die hier genannten Zahlen betreffen „nur“ die erste Preiserhöhungsrunde. Alleine der Umstand, dass der Endkundenpreis inkl. Steuern, Abgaben und Margen zurzeit unter dem Großhandels-Nettopreis liegt, zeigt, dass hier das Ende der Fahnenstange noch lange nicht erreicht ist.
Und was macht die Politik? Man zofft sich derzeit, ob auf die Umlage noch Umsatzsteuern erhoben werden. Natürlich, das ist vor allem für finanzschwache Haushalte eine wichtige Frage, wirkt bei Betrachtung der Gesamtbelastungen aber so, als streite man sich bei einem Haus mit wegbrechendem Fundament darüber, ob die Fensterfarbe wetterfest ist. Und wer die Nachrichten nur oberflächlich verfolgt, wiegt sich dabei oft immer noch in Sicherheit, dass die zu erwartenden Mehrkosten mit einem dreistelligen Betrag pro Jahr ja noch halbwegs überschaubar sind und man das schon irgendwie hinbekommt.
Der Bundesregierung kann dies nur recht sein. Ein Volk, das sich seit Jahren, wenn nicht gar Jahrzehnten in einer Duldungsstarre eingerichtet hat, braucht schon ein ordentliches „Hallo Wach!“, um auf die Straße zu gehen und seinen gewählten Volksvertretern Feuer unter dem Hintern zu machen. Die kommunizierten 484 Euro sind – gerade für viele Angehörige der politisch passiven Mittelschicht – noch kein „Hallo Wach!“. Mehrbelastungen im mittleren vierstelligen Bereich wären es jedoch. Honi soit qui mal y pense – das Fokussieren auf die Gasumlage ist also durchaus staatstragend und passt damit eigentlich recht gut in den auch ansonsten staatstragenden Kurs der Medienberichterstattung.
Nicht wirklich einleuchtend ist jedoch, warum diejenigen, die dennoch auf die Straße gehen werden, sich auf diesen Randaspekt fokussieren sollten. Sicher, man könnte die Umlage auch über Steuern finanzieren und damit gerechter verteilen. Dann würden einkommensschwache Haushalte, die mit Gas heizen, ein wenig entlastet werden. Aber auch das ist letztlich nur ein Scheingefecht, bei dem es „nur“ um einen kleinen Teil der horrenden Mehrbelastung geht. Die Gaspreiserhöhung selbst ist der Elefant im Raum. Alle sehen ihn, aber keiner nimmt ihn wahr.
Auch das folgt einer gewissen Logik. Denn ein wenig Kosmetik rund um die Gasumlage ist ja durchaus innerhalb des Koordinatensystems der Regierungspolitik. Man federt hier ein wenig ab, verteilt dort ein wenig um – ein paar Euro reichen. Und schon hat die Umlage ein soziales Mäntelchen. Man streicht die Fenster rot … und das wegbrechende Fundament ignoriert man.
Wer sich auf die Gasumlage fokussiert, muss sich halt nicht mehr der eigentlich wichtigen Frage widmen: Wie schaffen wir es, dass der Gaspreis wieder auf das langjährige Mittel sinkt und die Menschen es im Winter warm haben, ohne dafür Unsummen zu bezahlen? Wie schaffen wir es, dass Energie für Industrie und Wirtschaft wieder ein bezahlbares Gut wird und die energiebedingten Kostensteigerungen nicht derart auf die Produktpreise umgelegt werden, dass dies die Inflation antreibt und gleichzeitig die Konkurrenzfähigkeit deutscher Hersteller ruiniert?
Aber diese Debatte ist nun einmal für die Bundesregierung und die großen Medien unbequem. Wer für „die Ukraine“ oder gar „die Freiheit“ frieren will und den steigenden Preisen im Angesicht der nötigen Energiewende durchaus was abgewinnen kann, wird die Lösungen für das Energiepreisproblem als Tabu ansehen. Dabei genügt ein Blick auf die Landkarte. Deutschland braucht Gas, Russland hat Gas. Die vergangenen 50 Jahre haben gezeigt, dass Russland dieses Gas seinen westlichen Nachbarn bei allen Schwankungen in den gemeinsamen Beziehungen auch gerne zuverlässig und zu fairen Preisen verkauft. Zumindest so lange, wie Deutschland den Bogen nicht überspannt hat und seinem Nachbarn einen als „Sanktionen“ beschönigten Wirtschaftskrieg erklärt hat und sich von den USA in einen Stellvertreterkrieg gegen Russland ziehen ließ. Die Folgen dieser Politik sehen wir nun auf unserer Gasrechnung. Dass die Bundesregierung nicht daran erinnert werden will, versteht sich von selbst.
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Titelbild: Screenshot Tagesschau