Der Mitbegründer der britischen Rockband Pink Floyd, Roger Waters, geht in einem interessanten CNN-Interview ins Gericht: mit der NATO-Position vor und während des Ukrainekriegs und mit der Haltung vieler westlicher Journalisten dazu. Ich folge nicht allen seinen politischen Aussagen, aber Waters ist im Moment einer der ganz wenigen prominenten Künstler, die sich wahrnehmbar gegen die verzerrende und verkürzende Meinungsmache zum Ukrainekrieg positionieren. Von Tobias Riegel.
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„We don’t need no Education“ („Wir brauchen keine Bildung“) lautet eine bekannte Textzeile, die Roger Waters kreiert hat. Mit einem aktuellen Interview bei CNN stützt er diese These zunächst nicht – Waters macht etwa bei der Vorgeschichte des Ukrainekriegs den Eindruck, besser informiert zu sein als die meisten tonangebenden Journalisten in Deutschland.
„Sagen Sie nicht, es gäbe seriöse Nachrichten auf CNN“
Aber der Text des zitierten Pink-Floyd-Songs „Another Brick in the Wall II“ geht ja auch noch weiter, mit folgender Zeile: „We don’t need no Thought Control“ („Wir brauchen keine Gedankenkontrolle“) – es kommt also auf die Inhalte der „Bildung“ an. Dieser Unterschied zwischen „kontrollierender“ Berieselung einerseits und nützlicher Information andererseits wird auch im Interview thematisiert, wenn der CNN-Journalist Michael Smerconish für die politische Orientierung empfiehlt, möglichst viele Quellen zu studieren und damit mutmaßlich etablierte Mainstreammedien meint. Waters nennt im folgenden Satz eines der Motive hinter einem solchen Nachrichten-Strom:
„Wenn ich die ganze Zeit damit verbringen würde, zu lesen, was bei Fox, New York Times und Washington Post und all dem anderen Müll verbreitet wird (…), ich würde zu nichts anderem mehr kommen.“
Er ergänzt:
„Wo findet man denn Nachrichten – und sagen Sie nicht, es gäbe seriöse Nachrichten auf CNN.“
“Biden schürt das Feuer in der Ukraine“
Bei Waters’ aktueller Bühnenshow kommt eine Montage von Kriegsverbrechern zum Einsatz, darunter befindet sich auch US-Präsident Joe Biden. Auf die irritierte Frage von Smerconish dazu, trifft Waters dann einige wichtige Aussagen:
“Biden schürt das Feuer in der Ukraine, das ist ein großes Verbrechen.“
„Warum verlängern die USA den Krieg? Er könnte morgen enden, wenn Biden es wollte“, so Waters weiter, der auch fragt: “Warum ermutigten die Vereinigten Staaten den ukrainischen Präsidenten Selenskyj nicht dazu, zu verhandeln, um diesem schrecklichen, grauenhaften Krieg vorzubeugen?”. Selensky sei doch von den Ukrainern eigentlich gewählt worden, um den Friedensplan „Minsk II“ umzusetzen. Auf den Einwand von Smerconish, es seien doch die Russen, die angegriffen hätten, antwortete Waters:
„Jeder Kriegsbeginn hat eine Geschichte. Sie können sagen, der Krieg begann an jenem Tag, oder auch schon 2008. Es geht in diesem Krieg im Grundsatz um Aktion und Reaktion auf das Vorrücken der NATO bis zur russischen Grenze.“
Die NATO hätte Gorbatschow aber einst das Gegenteil versprochen, und: “Sie sollten sich überlegen, was die USA machen würden, wenn China in Kanada und Mexiko seine Atomwaffen stationieren würde”.
Pathos und Zero-Covid
Waters zögert auch nicht, Pathos zu entwickeln, etwa mit einer Theorie eines (selbstverständlich zu begrüßenden) ganzheitlichen Verständnisses unter allen Menschen. Befremdlich waren für mich seine Aussagen zur Corona-Politik, die eine Präferenz für eine harte Zero-Covid-Strategie vermuten lassen, wie sie in China verfolgt wird. Bei diesem Beispiel stößt dann auch die Medienkritik von Waters an Grenzen, etwa wenn die Medienkampagnen zu den Corona-Maßnahmen von ihm nicht angemessen kritisiert werden.
Die Aussage, wonach China Taiwan derzeit „umzingle“, wies Waters zurück, denn die Insel sei nach gängiger internationaler Meinung seit 1948 ein Teil von China. „Glückwünsche“ äußert er für Kolumbien, das endlich einen Präsidenten habe, der nicht „in der Tasche“ von US-Konzernen stecke.
Es werden in dem Gespräch auch musikalische Themen gestreift, etwa durch Blicke auf die komplizierte, aber kreative Zusammenarbeit mit den Kollegen von Pink Floyd. Auf seinen Solo-Konzerten spiele Waters noch immer viele Stücke von klassischen Pink-Floyd-Alben, etwa „Dark Side of the Moon“ und „Wish you were here“. Doch auch dieses Thema wird schnell politisch, wenn die Frage gestellt wird:
„Kann man eine Waters-Show auch dann genießen, wenn man seine politischen Äußerungen nicht teilt?“
Roger Waters, der „Verschwörungs-Erzähler“
Russlands Ex-Präsident Dmitrij Medwedew teilte die aktuellen Äußerungen erwartungsgemäß und twitterte: „Es gibt noch adäquate Leute im Westen. Pink Floyd forever.“ Die Reaktionen mancher großer Medien im Westen gehen – ebenfalls erwartungsgemäß – in eine andere Richtung. Beim Waters-Interview muss man aber auch positiv anrechnen, dass Teile dieses Gesprächs mit CNN auf einem Mainstream-Kanal prominent gesendet wurden.
Einige Stimmen aus der Pop-Branche sind nicht amüsiert über die Positionen von Waters, etwa die deutsche Ausgabe des Musikmagazins „Rolling Stone“, das Waters als „Verschwörungs-Erzähler“ einordnet , der „einer der prominentesten Unterstützer der Israel-feindlichen BDS-Bewegung“ sei und der 2013 Israels Umgang mit den Palästinensern auf eine Stufe mit dem Vorgehen der Nazis gegen die Juden gestellt habe. Der Bayerische Rundfunk ordnet manche der Aussagen des aktuellen Interviews als „sehr umstritten“ oder gar „bizarr“ ein.
Der ukrainische Botschafter in Österreich, Olexander Scherba, nannte Waters nach dem Interview laut Medienberichten eine „willenlose, herzlose, gnadenlose und verlorene Person“. Erst habe Waters behauptet, es werde keinen Krieg geben, weil Putin zu schlau dafür sei. „Jetzt gibt es Krieg – und du sagst, dieser Krieg habe einen guten Grund“, schrieb Scherba auf Twitter und forderte Waters auf, nach Russland zu ziehen.
Diese Aufforderung soll mutmaßlich ein Bild von Waters als kritiklosem Putin-Fan zeichnen. Dieses Bild hat aber keinen Bestand. So nannte Waters den russischen Einmarsch in die Ukraine den „Akt eines Gangsters“. Außerdem hatte er 2014 öffentlich die bedrängte russische Band „Pussy Riot“ unterstützt und sich in New York mit Marija Wladimirowna Aljochina und Nadeschda Andrejewna Tolokonnikowa getroffen.
Das Bild von Waters ist also facettenreich. Ich folge nicht allen seinen politischen Aussagen. Aber es ist zu respektieren, dass er im Moment einer der ganz wenigen prominenten Künstler ist, die sich öffentlich und wahrnehmbar gegen die extrem verzerrende und verkürzende Meinungsmache zum Ukrainekrieg positionieren.
Titelbild: Taya Ovod / Shutterstock