Man hat es nicht leicht als selbsternannter Faktenchecker, insbesondere mitten im Sommerloch drohen einem die Themen auszugehen. Und in der Not, so bestätigt es die alte Volksweisheit immer wieder, frisst sich der Teufel, äh, „Faktenchecker“ der Deutschen Presse-Agentur (dpa), dann sogar durch die korrekte Wortherkunft des Nachnamens eines Grünen-Spitzenpolitikers aus Bayern und verdient sich dadurch das Prädikat „Besonders absurder Faktencheck des Monats“. Von Florian Warweg.
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Im aktuellsten der derzeit veröffentlichten dpa-Faktenchecks vom 5. August geht es um die alle Bundesbürger* nicht schlafen lassende Frage, ob der Nachname des Grünen-Politikers Anton Hofreiter tatsächlich im Mittelalter einen Dorftrottel bezeichnete. Dazu dpa im Wortlaut:
„Zuletzt verbreitete sich ein Sharepic zur Namensherkunft des Grünen-Bundestagsabgeordneten Anton Hofreiter. Darin wird behauptet, dass als Hofreiter im Mittelalter ein Dorftrottel bezeichnet wurde, „der zwar ein Pferd sattelte, aber zu blöd war, den Ausgang der Burg zu finden“. Ist diese Interpretation es (sic!) Namens wirklich korrekt?“
Danach folgen in klassischer dpa-Faktencheck-Manier die Kategorien „Bewertung“ und „Fakten“. Diese Abfolge soll laut dpa „eine möglichst große Klarheit schaffen“. Man beachte die folglich bewusst gewählte Reihenfolge. Im Rest der Welt führt man erst Fakten an und nimmt dann eine Einordnung vor, aber gut, die dpa wird sich schon was bei diesem Ansatz gedacht haben. Die „Bewertung“ lautet recht eindeutig:
„Der Ursprung des Nachnamens Hofreiter kann nicht von der heutigen Bedeutung der beiden zusammengesetzten Wörter abgeleitet werden. Namensforscher und Wörterbücher erklären den Familiennamen mit der Herkunft oder dem Beruf früherer Namensträger.“
Man beachte die absolut formulierte Aussage „kann nicht von der heutigen Bedeutung abgeleitet werden“ sowie die Nutzung des Plurals bei „Namensforscher“. Das wird im Laufe des Gegenchecks noch relevant.
Unter „Fakten“ heißt es dann im dpa-„Faktencheck“:
„Die örtliche Streuung eines Nachnamens deute meist daraufhin, dass er von einem Ortsnamen abgeleitet sei, schreibt das Zentrum für Namenforschung von Professor Jürgen Udolph auf seiner Facebook-Seite.
Die zu dem Post veröffentlichten geografischen Karten zeigen die Verbreitung des Namens im Südosten Bayerns und im Norden von Österreich. „In diesem Fall dürften es ein Ortsname oder, vielleicht besser, zwei Ortsnamen sein: Hofreith und Hofreuth“, heißt es in dem Post. Tatsächlich stammt der Grünen-Politiker Anton Hofreiter aus Bayern.“
Soweit der ironiefreie Faktencheck der dpa zur korrekten Einordnung des Nachnamens eines Bundestagsabgeordneten von Bündnis90/Die Grünen.
Versuchen wir nun uns ebenso ironiefrei dem Gegencheck dieses dpa-„Faktenchecks“ zu widmen. Zunächst fällt auf, dass die Verlinkung von dpa zu dem angesprochenen „Sharepic“, also dem Corpus Delicti des ganzen Faktenchecks, ins Leere läuft („Leider ist dieser Inhalt derzeit nicht verfügbar“) und der Leser sich also erstmal gar keine eigene Meinung dazu bilden kann. Das überrascht auch nicht, denn am Ende des Faktenchecks findet sich folgende Erklärung:
„Dieser Faktencheck wurde im Rahmen des Facebook/Meta-Programms für unabhängige Faktenprüfung erstellt.“
Daraus folgt, dass dpa diesen Beitrag in ihrer bezahlten Rolle als Faktenprüfer für Facebook entsprechend kategorisiert hat, was mutmaßlich zur Löschung führte. Es wird folglich auf einen Beitrag verlinkt, von dem man in der Redaktion bereits wusste, dass er gar nicht mehr online verfügbar sein wird. Man hätte aus Transparenzgründen zumindest einen Screenshot einstellen können, aber auch dies wurde nicht getan. Transparenz geht anders.
Macht man sich aber auf die Suche nach Posts zu Hofreiter und der angeblichen Namensbedeutung als „Dorftrottel“, wird man schnell fündig. Im Jahr 2019.
Der Facebook-Post des Zentrums für Namenforschung von Professor Jürgen Udolph, den die dpa-„Faktenchecker“ als einzige argumentative Quelle für ihren „Faktencheck“ anführen, stammt ebenfalls aus dem Jahr 2019.
Das heißt, die dpa macht einen Faktencheck im August 2022 auf Grundlage von drei Jahre alten Veröffentlichungen. Sowas nennt man wohl forcierte Arbeitsbeschaffungsmaßnahme (FABM). Zudem versteckt sich hinter der angeblichen wissenschaftlichen Quelle „Professor Jürgen Udolph – Zentrum für Namensforschung“ ein profitorientiertes Dienstleistungsunternehmen, welches auf Facebook und auf der Website vor allem Werbung macht für die vom Unternehmen zum Stückpreis von 150 bis 500 Euro angebotene „Nachnamensbücher“. Ob der ausschließliche Verweis auf einen Facebook-Post dieses Unternehmens wirklich eine adäquate Quelle für einen dpa-Faktencheck darstellen sollte? Da außer Professor Jürgen Udolph, der sich auf seiner Seite als „Deutschlands bekanntester Namenforscher“ betitelt, keine weiteren Namensforscher im dpa-Faktencheck namentlich genannt werden, ist die Behauptung im Plural von dpa „Namensforscher erklären den Familiennamen mit der Herkunft…“ so nicht korrekt. Dies gilt ebenso für die dpa-Bewertung, mit der der Faktencheck abgeschlossen wird:
„Eindeutig ist jedoch, dass der Nachname Hofreiter nicht wie in dem Post behauptet von einem Dorftrottel abgeleitet wurde.“
Doch weder der von der dpa zitierte Namensforscher noch die von der dpa im Faktencheck angeführten zwei Wörterbücher (hier und hier) stellen dies so eindeutig dar, wie die dpa es vorgibt. Bei dem Facebook-Post von Prof. Udolph heißt es dazu lediglich:
„Nicht ausgeschlossen ist natürlich auch, dass er einen Mann bezeichnet hat, der in irgendeiner Weise mit den genannten Bedeutungen zu tun gehabt hat. Allerdings scheint mir die Streuung des Namens eher auf eine Ableitung von einem der beiden Ortsnamen hinzuweisen.“
Das Ganze wird aber noch absurder (bzw. forcierter), wenn man sich näher mit dem Ausgangspost aus dem Jahr 2019 beschäftigt. Dieser ist offensichtlich in satirischer Absicht verfasst worden. Denn nach der Behauptung, dass „Hofreiter“ im Mittelalter einen „Dorftrottel“ bezeichnete, steht in dem Post weiter:
„Ob die im Ruhrgebiet gängige Bezeichnung für einen grenzdebil-sabbelnden Mitbürger als “Brabbeltoni” mit dem dullen Anton zusammenhängt, wird zur Zeit von der Heinrich-Böll-Stiftung untersucht. Die Untersuchung ist Teil einer Forschungsarbeit unter dem Titel “Zurück zu den Grünen Wurzeln”. (Näheres zu der spektakulären Studie auf Nachfrage. Nur soweit: Einige Ergebnisse sind “Verschlussache”.).“
Dies ist in so evidenter Weise sarkastisch-satirisch angelegt, dass es wirklich komplett absurd anmutet, dass die dpa vor diesem Hintergrund einen ernstgemeinten Faktencheck durchgeführt hat. Einen Faktencheck, der, à propos Transparenz und sonstige Faktencheck-Standards, zudem ohne jede Namensnennung veröffentlicht wurde. Es gibt genug Punkte, die man bei der Faktencheck-Konkurrenz von Correctiv an Form und Inhalt ihrer Faktenchecks kritisieren kann, aber immerhin schaffen sie es im Gegensatz zur dpa, transparent die Namen der Autoren der jeweiligen Faktenchecks anzugeben.
Auf der Faktencheck-Seite der dpa gibt es auch einen Teil, in dem dargelegt wird, welche Art von Themen für Faktenchecks infrage kommen. Darin heißt es:
„Die dpa greift in ihren Faktenchecks (…) in der Regel Themen von nationaler oder mindestens bundeslandweiter Bedeutung auf. Denn als größte deutsche Nachrichtenagentur haben wir mit unserer Berichterstattung eine enorme Reichweite.“
Will uns die dpa ernsthaft weismachen, dass ein satirisch intendiertes Sharepic über den etymologischen Hintergrund des Nachnamens „Hofreiter“ wirklich ein Thema „nationaler Bedeutung“ ist? Fragen über Fragen …
Titelbild: Screenshot dpa.de