Bis 2030 braucht die BRD eine Million Ladesäulen für Elektroautos, meint die Bundesregierung. Für einen zügigen Aufbau soll das „Deutschlandnetz“ sorgen, ein zwei Milliarden Euro teures Subventionsprogramm, das den teilnehmenden Unternehmen acht Jahre Sorgenfreiheit garantiert. Allerdings hat dessen Urheber, der frühere Bundesverkehrsminister, das Modell nicht als Beihilfe bei der EU-Kommission angemeldet, wogegen jetzt mehrere Branchengrößen auf EU-Ebene vorgehen. Läuft es dumm, wie üblich bei Andreas Scheuer, könnte das ganze Projekt kurz vor der Umsetzung noch platzen – mit vielleicht erneut immensen Kosten für den Steuerzahler. Von Ralf Wurzbacher.
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Irgendwann, wohl so auf halber Strecke seiner Amtszeit, hatte Andreas Scheuer eine blendende Idee – scheinbar. Weil der sonst so unfehlbare freie Markt bei der Errichtung von Schnellladesäulen für E-Autos nicht in die Gänge kommen wollte, sah sich der Bundesverkehrsminister berufen, der Zukunft auf die Sprünge zu helfen. Also ersannen er und seine Leute einen, wie der CSU-Mann es nannte, „Game Changer“ auf dem Weg zur Elektromobilität und verpassten dem Ding auch gleich den standesgemäßen Namen: „Deutschlandnetz“. Der Plan dahinter: Bis Ende 2023 soll ein Geflecht aus 1.000 Ladeparks mit über 10.000 Ladepunkten höchster technischer Reife der Sorte High Power Charging (HPC) die gesamte Republik überspannen. Ganz egal, wie dicht oder dünn eine Region besiedelt ist, von jedem Punkt auf der Landkarte müsse die nächste Stromtankstelle in nicht mehr als zehn Minuten erreichbar sein.
Bei der offiziellen Präsentation des Konzepts vor einem Jahr sparte Scheuer nicht mit großen Tönen. „Laden muss immer und überall in Deutschland möglich sein. Nur so gelingt es uns, dass wir Menschen von einer klimafreundlichen Mobilität begeistern und sie vom Verbrenner auf ein E-Auto umsteigen.“ Dafür nehme die Regierung „rund zwei Milliarden Euro in die Hand“, das sei ein starkes Signal, „wie ernst es uns mit dem Umstieg auf klimafreundliche Mobilität ist“. Was er nicht sagte und wofür sich einer wie seinesgleichen eigentlich schämen müsste: Das Projekt mutet an, als wäre es direkt aus der Mottenkiste der Planwirtschaft gefischt. Als großer Regulator führt dabei nämlich der Staat das Zepter, wenn es darum geht, die vielen „weißen Flecken“ zu tilgen (O-Ton Scheuer), die die Privatwirtschaft beim Aufbau einer eben nicht flächendeckenden Ladeinfrastruktur zurückgelassen hat.
Rosinen und saure Äpfel
Bisher machen sich die Anbieter vor allem dort breit, wo sich die Kundschaft tummelt, also in Ballungsgebieten, in Städten und entlang der großen Fernstraßenrouten. Außerdem setzen sie darauf, ihre Klientel mit Verträgen und Mitgliedschaften an sich zu binden und Vieltanker mit Rabatten zu locken. In der Abgeschiedenheit auf dem Land finden sich in riesigem Umkreis mithin gar keine Stationen und wenn doch, müssen sich einen einzigen Ladepunkt die E-Fahrer aus mehreren Gemeinden teilen. Wer entwickelt da schon die rechte Lust, vom Benziner auf den Tesla umzusteigen?
Um den Dingen den richtigen Dreh zu geben, zauberte Scheuer daher ziemlich lukrative Anreize aus dem Hut. Unternehmer, die bei der Ausschreibung zum Zug kommen, erhalten als CPO (Charge Point Operator) öffentliche Zuwendungen sowohl für den Aufbau von Ladeparks als auch den Betrieb. Dessen Kosten übernimmt der Bund komplett für die folgenden acht Jahre. Damit nicht erneut nur Sahnestandorte das Rennen machen, werden attraktive und weniger profitable Spots in Regionallosen zusammengefasst. Um eine Rosine zu ergattern, müssen Anwärter also nebenbei in den sauren Apfel beißen. Indem die federführende „Nationale Leitstelle Ladeinfrastruktur“ sowohl große als auch kleinere Lose offeriert, soll zudem gewährleistet sein, dass nicht bloß finanzstarke Konzerne, sondern ebenso kleine und mittelständische Firmen eine Chance haben. Pro Station müssen gemäß der zu erwartenden Frequentierung vier bis maximal 16 Ladepunkte errichtet werden und je komfortabler das Drumherum (Dach, Gastronomie, sanitäre Anlagen), desto besser stehen die Chancen, den Zuschlag zu erhalten.
Was nach einer runden Sache klingt, hat freilich etliche Haken, angefangen beim größten, dem Irrwitz, den motorisierten Individualverkehr zu konservieren und Dutzende Millionen mit fossilen Brennstoffen betriebene Fahrzeuge mittel- und langfristig durch E-Autos ersetzen zu wollen. Nicht nur bleiben der enorme Energiebedarf und die damit einhergehenden CO2-Emissionen bei der Produktion insbesondere der Batterien beim Bemessen des Klimareifenabdrucks der E-Mobilität gerne unberücksichtigt. Dazu kommen die Schäden für Natur und Menschen, die die Ausbeutung von Böden – zumeist in sehr armen Ländern – verursachen, um den – absehbar zur Neige gehenden – Nachschub an Rohstoffen wie Kobalt, Lithium, Nickel sowie an seltenen Erden zu gewährleisten.
Spätwerk des Scheiterns
Steckte man die so verpulverten Ressourcen in den Ausbau der Bahn und würde den Schienenverkehr zur echten Alternative zur Straße ertüchtigen, wäre dem Planeten um vieles mehr geholfen. Das allerdings hieße, der deutschen Autoindustrie den Saft abzudrehen oder mehr noch, gleich die desaströse kapitalistische Wachstumsideologie zu annullieren. Dies jedoch ist bekanntlich so wenig Scheuers Sache wie die seines Nachfolgers Volker Wissing (FDP) oder des ganzen Rests an Ampelmännern und -frauen am Kabinettstisch. Wobei mit Scheuer die bis dato peinlichste Industriemarionette nicht mehr unter den Regierenden weilt. Aber sein langer Schatten munkelt eifrig weiter, etwa aus den beiden Milliardengräbern „Autobahngesellschaft“ oder „Ausländermaut“, die er hauptverantwortlich verbockt hat.
Und als genügte das nicht, droht nun auch das „Deutschlandnetz“ nachträglich unter die Räder seiner Untauglichkeit zu kommen und seine regierungsamtliche Pleitebilanz um ein Spätwerk des Scheiterns zu erweitern. Denn wie das „Handelsblatt“ am Dienstag der Vorwoche berichtete, haben gleich mehrere Unternehmen Beschwerden bei der EU-Kommission eingereicht, um das Vorhaben kurz vor der Umsetzung zu kippen. Zu den Antragstellern zählen der Ladesäulenbetreiber Allego sowie das Inspire-Institut, ein Verein, dem mehrere Branchenvertreter wie Fastned, Ionity und EWE Go angehören. Sie alle monieren einen rechtswidrigen Eingriff in den freien Wettbewerb und sehen ihre Position auf dem Markt gefährdet.
Tatsächlich hat das Arrangement eindeutig Züge einer staatlichen Beihilfe, die innerhalb der EU-Wirtschaftsunion nur in Ausnahmen gestattet ist. Zum Beispiel gilt dies für den Fall eines Marktversagens. Scheuer hatte das Programm seinerzeit mit der Begründung aufgelegt, die Schaffung einer flächendeckenden Infrastruktur sei ohne staatliches Zutun nicht in der gebotenen Eile zu bewältigen. Sowohl das Bundeskartellamt als auch die Monopolkommission bescheinigten der BRD inzwischen in eigenen Analysen aber sehr wohl einen funktionierenden Markt für Ladesäulen, der eine weitere Expansion erwarten lasse. So nennt es das Kartellamt in einem Sachstandsberichts vom Oktober 2021 „zweifelhaft, ob hinreichende Gründe dafür gegeben sind, dass der Bund als Auftraggeber durch eine sehr weitgehende Übernahme des Betriebs- und Auslastungsrisikos faktisch selbst im Bereich des Angebots von Ladeinfrastruktur tätig wird“.
Staatliche Einmischung unerwünscht
Insbesondere stören sich die Wettbewerbshüter an dem Plan, eine „atmende“ Preisobergrenze für die teilnehmenden Unternehmen einzuziehen. Diese sollte nach den ursprünglichen Überlegungen bei 44 Cent pro Kilowattstunde liegen, was umgerechnet einem Literpreis für Diesel von knapp 1,35 Euro entspricht. Auch damit will das Bundesministerium für Digitales und Verkehr (BMDV) Anreize zum Umstieg auf einen Stromer-Pkw setzen. Diesem Ziel dient ferner die „Offenheit“ des Systems dahingehend, dass die beteiligten Anbieter keine Vertragsbindungen mit Kunden eingehen dürfen. Jeder kann tanken, wo er will, und bezahlen, wie er will.
Das alles wäre freilich ein Schlag gegen die Etablierten. Die Konkurrenz kassiert schon heute deutlich mehr als besagte 44 Cent. Tesla zum Beispiel verlangt 58 Cent pro kWh, Ionity von Vertragslosen sogar 79 Cent. Die Fixierung von Höchsttarifen durch einen staatlichen Oberaufseher schießt aus Sicht des Kartellamts selbstredend „über das Ziel hinaus“. Insbesondere könnten durch die Festlegung einer zu niedrigen Preisobergrenze bereits bestehende oder derzeit geplante Geschäftsmodelle und privatwirtschaftliche Investitionsvorhaben wirtschaftlich weniger tragfähig werden. So würden „regulierungsähnliche Maßstäbe gesetzt, die insbesondere ein Risiko der Verdrängung und Frustration privater Angebote mit sich bringen können“.
Natürlich malt die Behörde den Teufel an die Wand. Schließlich kalkuliert die Bundesregierung bis 2030 mit nicht weniger als einer Million Ladesäulen. Bei aktuell etwas mehr als 50.000 Punkten gibt es für die Platzhirsche noch reichlich Geld zu verdienen. Gleichwohl ist die Warnung vor Dyssynergien nicht völlig von der Hand zu weisen, sobald freie und staatlich subventionierte Marktteilnehmer neben- und gegeneinander agieren. Das „Handelsblatt“ verwies auf eine Analyse des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW), wonach heute schon an 28 Prozent der geplanten Standorte des „Deutschlandnetzes“ HPC-Säulen mit einer Leistung von mehr als 150 Kilowatt installiert sind, in weiteren 29 Prozent solche mit mit bis zu 150 Kilowatt. So betrachtet kämen die öffentlich gepamperten Wettbewerber vielfach einfach zu spät oder es drohen, falls man sie trotzdem von der Leine lässt, Doppelstrukturen und Verdrängungsprozesse. In diesem Fall trüge der „Aufbau“ von Staats wegen mithin zum Abbau schon bestehender Angebote bei.
„Ausländermaut“ lässt grüßen
„Das ist Planwirtschaft statt Marktwirtschaft“, empörte sich Allego-Chef Ulf Schulte gegenüber dem „Handelsblatt“. Und die Inspire-Vorsitzende Katharina Boesche bemerkte: „Unternehmen, die in den vergangenen zehn Jahren privatfinanziert Ladesäulen aufgebaut haben, müssen und wollen im Wettbewerb bestehen. Dies können sie aber nicht, wenn der Staat nun quasi als staatlicher Betreiber auftritt und sich in den Markt einmischt.“ Das ist gewiss Jammern auf hohem Niveau und über die großen Fische sollte man sich keine Sorgen machen. Sorgen sollte man sich vielmehr um das schöne Steuergeld, das von Neuem verbrannt werden könnte, weil ein Ex-Minister einen miesen Job gemacht hat. Laut Regierung ist die Eingabefrist zur Teilnahme bereits abgelaufen, über 400 Anträge wurden eingereicht. Dieser Prozess allein hat gewiss schon viele Millionen Euro verschlungen. Was, wenn das ganze Projekt auf den letzten Metern noch abgeblasen wird? Müssen die Gelackmeierten dann entschädigt werden – wie absehbar die verhinderten Betreiber der geplatzten Pkw-Maut?
Man erinnert sich: Auch dabei hatte Scheuer ohne Rücksicht auf die EU-Gesetzgebung agiert, so wie jetzt beim „Deutschlandnetz“. Offenbar hielt er es gar nicht für nötig, das Modell als Beihilfe bei der EU-Kommission anzumelden. Hätte er dies getan – etwa unter Verweis auf ein Marktversagen – gäbe es dazu einen veröffentlichten Beschluss, von dem aber jede Spur fehlt. Dem „Handelsblatt“ teilte das BMDV zwar mit, es werde ein „transparentes und beihilferechtskonformes Vergabeverfahren“ durchgeführt. Eine „abschließende beihilferechtliche Bewertung“ durch die Kommission könne indes erst bei Vorliegen der „finalen Fassung der Vorgaben für die Errichtung und den Betrieb der HPC-Ladeinfrastruktur“ erfolgen. Das mag zwar sein, schützt Amtsnachfolger Wissing aber nicht davor, am Ende doch eine Abfuhr erteilt zu bekommen. Dann müsste die BRD das Projekt möglicherweise wieder stoppen oder in einem anderem Format neu ausschreiben.
Hauptsache ÖPP
Und dann ist da eine Parallele mehr zur „Ausländermaut“. Eigentlich könnte der Bund den Aufbau der Ladeinfrastruktur in unternehmerischer Eigenverantwortung erledigen, über eine klassische staatliche Beschaffungsmaßnahme. Dann hätte er die volle Kontrolle, was Preise, Verteilung und Bedarfserfüllung angeht. So viel „Planwirtschaft“ war Scheuer aber doch zuwider, weshalb er abermals auf eine öffentlich-private Partnerschaft (ÖPP) setzte – mit den üblichen unkalkulierbaren Risiken für die Allgemeinheit. Laut Carl Waßmuth, Sprecher des Vereins Gemeingut in BürgerInnenhand (GiB), „geht E-Mobilität auf der Schiene zwar grundsätzlich viel besser als auf der Straße“. Gleichwohl sollte sich der Staat bei der Ladeinfrastruktur und Speicherkapazität von Millionen Batterien „nicht das Heft aus der Hand nehmen lassen“, wie er gegenüber den NachDenkSeiten äußerte. „Wenn schon Autoakkus, dann sollten sie als Zwischenspeicher für die Energiewende genutzt werden können. Das geht technisch, aber die Autoindustrie möchte das nicht.“ In puncto „Deutschlandnetz“ ahnt Waßmuth nichts Gutes: „Das wird das nächste Milliardengrab für die Steuerzahlenden.“
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