Der größte deutsche Gasimporteur Uniper steht seit einigen Tagen unter staatlicher Kuratel. Ohne weitere Milliardenspritzen würde das Unternehmen binnen Tagen seine Gaslieferungen nicht mehr bezahlen können. Um dies zu verhindern, verkündete Wirtschaftsminister Habeck gestern eine Gasumlage – bezahlt von allen Gaskunden als Aufschlag auf den Gaspreis pro Kilowattstunde. So weit, so gut. Problematisch ist jedoch, dass diese Umlage von Habeck und den berichtenden Medien missverständlich so dargestellt wurde, als beschriebe sie die „gesamten“ zu erwartenden Mehrkosten. Das ist jedoch falsch. Die mittlere dreistellige Summe pro Haushalt für die Umlage ist lediglich für die Rettung von Uniper und Co. – die eigentliche Preissteigerung wird deutlich höher ausfallen und mindestens zu einer Verdreifachung der Endkundenpreise führen. Wir reden hier also über Mehrkosten im mittleren vierstelligen Bereich. Die große Preisschock steht den meisten Haushalten erst noch bevor. Nur ein Umdenken bei der Sanktionspolitik könnte noch das Schlimmste verhindern. Von Jens Berger.
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Dass die Politik in Sachen Uniper aktiv werden muss, stand schon länger fest. Zum Verhängnis wurde dem größten europäischen Gasimporteur, der aus dem deutschen Konzern E.ON hervorgegangen ist und heute mehrheitlich dem finnischen Staatsunternehmen Fortum gehört, eine besondere Form dessen, was Ökonomen „Fristentransformation“ nennen und was bereits in der Finanzkrise 2008/2009 Finanzinstitute wie die Hypo Real Estate in den Konkurs trieb. Importeure wie Uniper haben sowohl auf der Einkaufs- wie auch auf der Verkaufsseite große Teile der gehandelten Gasvolumina über langfristige Lieferverträge gesichert, die nur zu bestimmten Terminen preislich angepasst werden können. Auf der Verkaufsseite gehören große Industriebetriebe und Versorgungsunternehmen, wie die Stadtwerke, zu den Kunden Unipers. Die Lieferverträge für diese Kunden sind langfristig und können in diesem Jahr frühstens im Oktober preislich angepasst werden.
Uniper wiederum hat sich auf der Beschaffungsseite einen Teil – aber eben auch nur einen Teil – der verkauften Mengen an Erdgas durch sehr langfristige Lieferverträge mit dem russischen Anbieter Gazprom abgesichert. Den Rest muss der Konzern auf dem sogenannten Spotmarkt zum aktuellen Börsenpreis einkaufen. Hier bezahlten Einkäufer im Sommer 2020 noch rund fünf Euro für eine Megawattstunde Erdgas. Aktuell liegt der Spotmarktpreis für eine Megawattstunde bei über 200 Euro. Es ist verständlich, dass die Differenz zwischen extrem teuer eingekauften Mengen auf dem Spotmarkt und vergleichsweise preiswert über langfristige Lieferverträge verkaufte Mengen an die Stadtwerke über kurz oder lang selbst grundsolide Importeure wie Uniper in den Ruin treibt.
Bei Uniper war dies am 8. Juli der Fall. Der Konzern kapitulierte und wandte sich an den Bund, der zwei Wochen später bei Uniper das Ruder übernahm, sich erst einmal mit 30 Prozent am Unternehmen beteiligte und ein 15 Milliarden Euro schweres Rettungspaket schnürte. Teil dieses Rettungspakets war es, die auflaufenden Milliardenverluste durch die Fristentransformation auf die Endkunden zu verteilen. Eine Übernahme der Verluste war dabei in der Tat alternativlos, da ansonsten bundesweit die Gasversorgung zusammengebrochen wäre. Keinesfalls alternativlos war es indes, sämtliche Verluste den Gaskunden aufzubürden. Immerhin besitzt Uniper zahlreiche Aktiva, wie Kraftwerke in mehreren europäischen Ländern, die man im Rahmen einer Umstrukturierung hätte verkaufen können, und auch Unipers Mutterkonzern Fortum verfügt durchaus noch über finanzielle Reserven. Wenn man die Gasversorgung der Bevölkerung als gesellschaftliche Aufgabe sieht, wäre zudem eine Übernahme der Verluste durch den Bund selbst eine Option gewesen, die aus volkswirtschaftlicher Sicht eine schlauere Entscheidung gewesen wäre, da so ein weiterer Kaufkraftverlust samt negativer konjunktureller Effekte hätte vermieden werden können. Doch dem stand offenbar das Dogma der „Schwarzen Null“ im Weg, das vom Koalitionspartner FDP, dem das Finanzministerium untersteht, ja immer noch gepredigt wird.
Wie hoch die Verluste der Importeure rund um Uniper am Ende sein werden, ist auch für das Wirtschaftsministerium nicht seriös zu beziffern. Als Außenstehender ist es vollkommen unmöglich, sich hierzu seriös zu äußern, da nicht bekannt ist, wie groß die Differenz zwischen langfristig gesicherten Importen und den langfristigen Lieferverträgen an Industrie und Stadtwerke eigentlich ist. Auch der künftige Börsenpreis an den Spotmärkten ist unbekannt. Und last but not least ist es zurzeit völlig offen, ob die Gazprom ihren physischen Lieferverpflichtungen überhaupt nachkommt. Die derzeitige Farce um die Nord-Stream-Turbinen und deren Wartung zeigt, dass Russland durchaus gewillt ist, Deutschland auf Augenhöhe zu demonstrieren, was man von dessen immer maßloserer Einmischung in den Ukraine-Krieg und den einseitigen Sanktionen gegen Russland hält. Daher ist es ein absolutes Rätsel, wie Robert Habeck zu dem Schluss kommt, dass die über die Umlage abgesicherten Verluste der Gasimporteure sich auf maximal fünf Cent pro Kilowattstunde begrenzen ließen. Die Summe könnte am Ende auch deutlich – sehr deutlich – höher ausfallen.
Ebenso rätselhaft ist es, warum die Umlage so kommuniziert wird, als umfasse sie die zu erwartenden Mehrkosten der Gaskunden. Das ist falsch. Dazu ein kleines Rechenbeispiel, das sich durch die wenig erfreuliche Lektüre der Briefe meines Gasversorgers in den letzten zwei Jahren ergibt. Anfang 2021 wurde mein Gaspreis aufgrund der CO2-Steuer von ehemals 5,89 Cent/kWh auf 6,44 Cent/kWh erhöht. Im November 2021 wurde der Preis wegen erhöhter Beschaffungskosten dann auf 10,7 Cent/kWh erhöht und vor wenigen Wochen kam es zur nächsten Preiserhöhung – diesmal auf 17,67 Cent/kWh. Kommt eine Umlage von fünf Cent/kWh hinzu, werden es ab Oktober 22,67 Cent/kWh sein – wahrscheinlich sogar noch mehr, da auf die fünf Cent nach jetzigem Informationsstand noch die Umsatzsteuer hinzukommt. Daraus ergibt sich nicht die von Habeck genannte Preiserhöhung „im mittleren dreistelligen Bereich“, sondern – bezogen auf den August 2021 – eine Verdreieinhalbfachung der Kosten! Bezogen auf den Eckverbrauch von 20.000 kWh pro Jahr für ein Einfamilienhaus sind dies Mehrkosten von 3.226 Euro. Das ist keine Preiserhöhung im mittleren drei-, sondern im mittleren vierstelligen Bereich. Und das ist wohlgemerkt eine konservative Schätzung, da sie davon ausgeht, dass der Gaspreis nicht weiter steigt, was nicht sonderlich wahrscheinlich ist.
Die zu erwartenden Mehrkosten dürften jedoch nur wenigen Haushalten bekannt sein. Die meisten Stadtwerke haben ihre Preise nämlich noch nicht oder nicht in voller Höhe angepasst. Die Preiserhöhungen werden aber kommen und hier ist nicht von der Habeck’schen Umlage die Rede – die kommt noch obendrauf. Eine Umfrage des Vergleichsportals Verivox ergab Anfang des Monats, dass bislang zwei Drittel aller Versorger die Abschläge noch gar nicht angepasst haben. Vor allem Mieter, die ihr Gas indirekt über die Nebenkostenabrechnung bezahlen, dürften vielfach noch ihr blaues Wunder erleben. Für Rentner und Geringverdiener ist dies eine einzige Katastrophe, die vielfach zu Zahlungsunfähigkeit führen wird.
Aber auch für Normal- und Besserverdiener, die sich zwar die Nachzahlungen und die neuen Abschläge leisten können, wird dies deutliche Auswirkungen auf das Ausgabeverhalten haben. Man kann jeden Euro nur einmal ausgeben und wenn Mehrausgaben im mittleren vierstelligen Bereich für die Heizkosten anfallen – die steigenden Stromkosten kommen ja auch noch hinzu – muss natürlich an anderer Stelle gespart werden. Gerade für die durch die Coronamaßnahmen gebeutelten Bereiche Gastronomie, Hotellerie, Tourismus und Kultur ist das eine Hiobsbotschaft. Hier sparen die Bürger sicher am ehesten, doch auch andere Bereiche wird es treffen. Das neue Auto kann auch noch warten, die Renovierung ebenfalls. Deutschland steht vor einer gravierenden binnenkonjunkturellen Krise. Doch noch wagt dies niemand auszusprechen.
Dabei wäre es gar nicht schwer, diese Krise abzuwenden. Man müsste „nur“ die Sanktionspolitik überdenken und die bereits verlegte Pipeline Nord Stream 2 in Betrieb nehmen und hätte dann preiswertes Gas in Hülle und Fülle. Es gibt keinen einzigen logischen Grund, warum der Endkundenpreis dann nicht binnen kürzester Zeit wieder auf das Niveau von 2020 fallen könnte. Doch die Bundesregierung will im Donbass ja lieber „den Wertewesten“ bis zum letzten Ukrainer verteidigen. Wenn ihr das mal nicht auf die Füße fällt. Spätestens wenn die Gasrechnungen und die neuen Abschlagszahlungen ins Haus flattern, dürfte sich die „Solidarität“ für die Ukraine und die Unterstützung der Politik der Bundesregierung merklich abkühlen. Trotz kalter Wohnungen dürfte dies ein heißer Winter werden.
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Titelbild: Screenshot Tagesschau.de