In einem Blog „erklärt“ eine aus der Ukraine nach Deutschland geflüchtete Journalistin pauschal das russische Volk. Es sei faul, bequem, aggressiv, bindungslos und nicht empathiefähig. Ukrainer dagegen werden als in allen Bereichen vorbildhaft geschildert. Die Landeszentrale für politische Bildung in Baden-Württemberg hat diesem „Ukraine-Tagebuch“ viel Platz eingeräumt. Und das verwundert kaum, wenn man auch die eigenen Texte der Landeszentrale in Sachen Ukraine liest. Von Rupert Koppold
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„Wir bieten Information und Orientierung für die Meinungs- und Urteilsbildung in einer komplizierter werdenden Welt.“, so verspricht es die baden-württembergische Landeszentrale für politische Bildung (lpb) und verweist auf ihre Selbstverpflichtung:
„Wir sind offen gegenüber Menschen und Themen und treten für Akzeptanz und Toleranz gegenüber ihren Positionen und Fragestellungen ein“.
Ebenso preist sich die Institution, die sich als überparteilich versteht:
„Wir sind Garant für Pluralität, Ausgewogenheit und Qualität in der politischen Bildung,“
Doch dann findet man auf der lpb-Homepage Sätze wie diesen:
„Die Vorfahren der Russen sind Nomaden. Sie waren gezwungen, irgendwohin zu ziehen, jemanden zu erobern, aggressiver zu sein, um sich selbst Lebensbedingungen zu verschaffen. Der Nomade hat keine Bindung an das Land. Daher der Unwille und die Unfähigkeit, sich die Welt um ihn herum einzurichten, sich anzustrengen, um bequem zu leben.”
Als vorbildlich werden dagegen die Ukrainer beschrieben, sie seien „… sparsam, verwurzelt in dieser sehr sesshaften Lebensweise, sowie in dem Wunsch, das zu schützen, was man hat und ein Höchstmaß an Friedfertigkeit zu erreichen”.
Sind das Zitate aus der rassistisch angehauchten Völkerkunde vergangener Zeiten? Sollen hier dumpf-dumme Ressentiments nur deshalb angeführt werden, um sich von ihnen zu distanzieren und danach die Fortschritte der modernen Ethnologie aufzuzeigen? Nein, leider nicht. Die Sätze sind ernst gemeint und aktuell. Geschrieben wurden sie von der ukrainischen Journalistin Anna Kupriy, die nach Ausbruch des Krieges von Odessa nach Deutschland geflüchtet ist. Sie lebe derzeit in der Nähe von Stuttgart, schreibt die Landeszentrale für politische Bildung, die Frau Kupriy auf ihrer Homepage Platz für einen Blog eingerichtet hat. Mittlerweile sind dreizehn Folgen dieses „Ukraine-Tagebuchs“ erschienen.
Die oben zitierten Sätze sind keine Ausrutscher. Sie sind wohl auch nicht (oder nicht nur) nachvollziehbare Reaktion eines Opfers, geschrieben in einer Art innerem Ausnahmezustand aus Angst, Wut und Verzweiflung. Vielmehr wirken sie wie der Ausdruck einer Haltung, die sich schon lange vor Kriegsbeginn herausgebildet hat. Es ist eine Haltung ultranationalistischer Selbstüberhöhung, die nicht nur die Regierung oder das Militär des „wilden, aggressiven Nachbarn“ zum Feind erklärt, sondern das gesamte und als minderwertig geschilderte russische Volk.
„Die Denkweise vieler Russen ist überwiegend asiatisch, die der Ukrainer europäisch”, konstatiert Anna Kupriy und betont, was Ukrainer und Russen außerdem unterscheide: „Russen gelten als weniger empathiefähig …“.
Überhaupt dieses Russland:
„Trinkende Familien, Armut und mangelnde Bereitschaft, sich zu entwickeln – ein fruchtbarer Boden für jemanden, der einen Krieg anzetteln will.”
Und daraus folgt für Anna Kupriy: “… keiner der bewussten Ukrainer (wird) einen Russen als Bruder bezeichnen. Und mehr noch: Er wird diesen Vergleich als Beleidigung empfinden.”
“Für die Ukrainer waren Männer und Frauen historisch gesehen immer gleichberechtigt, und unsere Haltung Frauen gegenüber ist ästhetisch…“, so steht es in diesem Ukraine-Tagebuch. Dagegen in Russland: „In der Moskauer Tradition hat immer ein Mann eine Frau geführt. Wenn er dich schlägt, bedeutet das, dass er dich liebt’ . Das ist der springende Punkt in der russischen Auffassung von Familienwerten.”
Nein, Anna Kupriy versteht sich nicht als Märchenerzählerin, aber sie kennt sich im Genre aus. Das liest sich dann so:
„Die ukrainische Märchenfigur ist aktiv, sie rüstet ständig den Raum um sich aus und verändert ihn, indem sie Gerechtigkeit sucht.“
Dagegen:
„Eine russische Märchenfigur wartet auf den Segen von jemandem …“
Anna Kupriy „beweist“ auch, dass die ukrainische Sprache weniger mit der russischen gemein hat, als manche denken. Und will damit wohl indirekt zu verstehen geben, dass russisch sprechende Ukrainer, also ein knappes Drittel der Bevölkerung, für sie keine echten Ukrainer sind.
Wenn man diesen Blog liest, muss man zum Schluss kommen, dass Ukrainer in ihrer „Wertigkeit“ an der Spitze aller Völker stehen. Frau Kupriy jedenfalls weiß:
„Die Ukrainer sind universell einsetzbar, beherrschen mühelos mehrere Spezialgebiete und sind dabei erstaunlich effizient.“
Und dann schreibt sie in direkter Leseransprache und vertraulichem Aufklärungston: „Nach dem Beginn des Krieges im Februar 2022 wurden in einigen Regionen Polens die Bauarbeiten massiv eingestellt. Weißt du, warum? Weil die ukrainischen Männer, die in Polen arbeiteten, ihre Arbeit aufgaben und in die Ukraine zurückkehrten, um sie zu verteidigen.“ Dass es vielleicht Ausdruck eines maroden Wirtschaftssystems sein könnte, wenn ein signifikanter Teil der Bevölkerung Arbeit im Ausland suchen muss, kommt Anna Kupriy nicht in den Sinn.
Und so geht die „Aufklärung“ weiter: „Weißt du, welche Art von Geschäft in Polen danach eine unerwartete Entwicklung genommen hat? Die Gastronomie. Ukrainische Frauen, die nach Polen kamen, sahen sich um und beschlossen: Wir können nicht untätig bleiben. Eine nach der anderen eröffneten dort kleine Bäckereien und Cafés mit ukrainischer Küche. Als Nächstes steht ein Durchbruch im Bereich der Schönheitsindustrie an: Ukrainische Frauen, die eine Arbeitserlaubnis erhalten haben, bieten Maniküre, Haarschnitt und Tätowierungen an. Und wir wissen, wie man arbeitet, glaube mir!“ Man will jetzt lieber nicht fragen, welche Art von Tätowierungen oder welche Art von Dienstleistungen sonst noch angeboten werden. Aber man sollte spätestens jetzt darauf hinweisen, wie die ökonomische Situation der Ukraine tatsächlich ist. Werner Rügemer zum Beispiel hat dies neulich in den NachDenkSeiten ausführlich und detailliert getan.
Die Lobpreisung der Ukrainer und der Ukraine, verbunden mit der Herabsetzung anderer Nationalitäten und Völker, setzt sich bei Frau Kupriy übrigens auch gegenüber ihrem Gastland fort. Deutschland ist in den Augen dieser Ukrainerin nämlich erstaunlich rückständig. In ihrem Land seien „24-Stunden-Supermärkte und -Apotheken längst alltäglich geworden. Eine besondere Überraschung für die Ukrainer ist daher ein vollwertiges Wochenende, an dem alles geschlossen ist …“ Oder die unnütze deutsche Post! „In unserem Land sehen wir die klassische Post als eine Art Archaismus an. Wir lösen alle Probleme durch Telefonate und Chatten mit Instant Messengern …“
Schlimm ist in Deutschland auch das Internet: „Das Internet ist in unserem Land fast überall verfügbar… Hier (also in Deutschland) sind wir mit der Tatsache konfrontiert, dass es in kleinen Städten und Mietshäusern oft kein Internet gibt …” Ist noch etwas besser in der Ukraine? Aber ja: „Ich habe mehr als einmal gehört, dass trotz des hohen Niveaus der medizinischen Versorgung in Deutschland der Service in der Ukraine effizienter aufgebaut ist.”
In ihrem Blog preist Frau Kupriy, die vor dem Krieg neben ihrer Journalistentätigkeit (über die wenig Konkretes zu erfahren ist) in der Tourismusbranche gearbeitet hat, auch ihre Heimatstadt Odessa an. So wie sie dies schon in der Ankündigung zu ihren damaligen Führungen tat. „Unglaubliche Träumer, spielende Abenteurer, großzügige Gönner, kluge Geschäftsleute und Abenteurer … Die Menschen, die unsere Stadt regierten, waren sehr unterschiedlich. Aber jeder von ihnen, der am Ruder stand, steuerte auf den Erfolg zu – nicht auf sich selbst. Für Odessa.“ Das müsste dann wohl auch, obwohl er namentlich nicht erwähnt wird, für Gennady Trukhanov gelten. Der ist seit 2014 Bürgermeister der Stadt und dazu, schon lange vor diesem Datum und nicht nur laut BBC, führendes Mitglied der berüchtigten Odessa Mafia.
Aber Anna Kupriy, die nach eigenen Angaben alles über Odessa weiß, verstand ihre Aufgabe als Stadtführerin eben so, dass sie „die Leute zu Verliebten“ machen wollte, „sie sollten sich in Odessa verlieben. Das war meine Arbeit die letzten fünf Jahre vor dem Krieg.“ Also lieber nichts über Odessas brodelnde Kriminalgeschichte sagen und auch nichts über das dortige Gewerkschaftshaus, in dem am 2. Mai 2014 ein Pro-Maidan-Mob linke Maidan-Gegner eingeschlossen und verbrannt hat, ein von den Behörden nie aufgeklärter, weil nie wirklich verfolgter Massenmord.
Der Romancier Eugen Ruge („In Zeiten des abnehmenden Lichts“) hat damals in der „Zeit“ geschrieben: „Da werden in Odessa 40 Menschen von Maidan-Anhängern ermordet, aber der Deutschlandfunk formuliert so lange an der Meldung herum, bis irgendwie, man weiß nicht, wie, das Gegenteil herauskommt.“ (Ruges hellsichtiger und von heute aus betrachtet fast prophetischer Text wurde vom „Infosperber“ nachgedruckt.
Und das bringt uns zurück zur Landeszentrale für politische Bildung. Ist das Ukraine-Tagebuch von Frau Kupriy versehentlich auf deren Homepage gelandet? Oder verantwortet und vertritt diese Institution diesen Blog tatsächlich inhaltlich? Eine Relativierung, gar eine Distanzierung findet jedenfalls nicht statt. Und das wundert dann etwas weniger, wenn man den eigenen lpb-Beitrag zur Geschichte der Ukraine liest. „Mehr als 2,4 Millionen Männer und Frauen wurden als sogenannte ,Ostarbeiter‘ aus der Ukraine, die von September 1941 an als ,Reichskommissariat Ukraine‘ von den Nationalsozialisten besetzt worden war, ins Deutsche Reich verschleppt, wo sie in zahlreichen Betrieben Zwangsarbeit leisten mussten und oftmals daran starben. Allerdings sind auch Formen der Kollaboration mit den nationalsozialistischen Machthabern dokumentiert. Mit der Gründung nationaler Gruppierungen wie etwa der „Organisation Ukrainischer Nationalisten“ erhofften sich einige Ukrainer neuen Aufschwung eines von Hitler unterstützen Nationalstaats.“
Und das war’s auch schon fast zur Kollaboration ukrainischer Nationalisten und Faschisten mit dem deutschen Hitler-Reich, mit der Wehrmacht, mit der SS. Die massive Kollaboration bei der Ermordung ukrainischer Juden wird komplett ignoriert. So formuliert die lpb: „Neben Massenmorden an Jüdinnen und Juden in Charkiw, Berditschew und an anderen Orten ist das Massaker von Babyn Jar in der Nähe von Kiew das bis heute bekannteste Verbrechen der deutschen Wehrmacht auf ukrainischem Boden. In der Schlucht von Babyn Jar wurden mehr als 30.000 Menschen ermordet.“ Tatsächlich, so schreibt der Historiker Grzegorz Rossoliński-Liebe, wurden diese Verbrechen der deutschen Nazis unter großer und aktiver Mithilfe vieler ukrainischer Nationalisten begangen. Bei der Landeszentrale aber geht der Text zu Babyn Jar mit einer anderen Täterzuweisung weiter: „Die wenigen Überlebenden wurden nach der Rückeroberung der Ukraine durch die Rote Armee 1944 Opfer antijüdischer Kampagnen durch die Sowjetunion.“
Es ist geradezu obszön, wenn die Selenski-Regierung sich, etwa in der israelischen Knesset, so besorgt um die Gedenkstätte Babyn Jar zeigt, das eigene Land nur als Hort der Nazi-Opfer oder Widerstandskämpfer darstellt – und gleichzeitig Denkmäler für die eigenen Mittäter errichtet! Denn es wurden und werden in der Ukraine ja nicht nur Straßen benannt nach dem zum Nationalhelden erkorenen Antisemiten und Faschistenführer Stepan Bandera, der die Ukraine ethnisch säubern wollte. Diesem „Helden“ zu Ehren wurden und werden auch Statuen errichtet – die in Lviv alias Lemberg ist sieben Meter hoch! In der Ukraine wurde Bandera eben nicht nur von den neonazistischen Asow-Kriegern als Vorbild erkoren.
Stepan Bandera? Wer war das nochmal? In den großen deutschen Medien tauchte er höchstens am Rande und/oder in verschwommenen Beschreibungen auf, meist wurde er ganz verschwiegen. Als Tilo Jung neulich in seinem Podcast „Jung und Naiv“ den ukrainischen Botschafter Andrij Melnyk in einem Interview als Bandera-Anhänger zeigte, schüttelten sich die deutschen Qualitätsmedien kurz und taten so, als wären sie erstaunt (sie hatten natürlich alles gewusst, aber meist nicht publiziert), lieferten dann entschuldigende Zeilen zu Bandera – Tenor: eine komplizierte Figur, andere Zeiten etc. – und zogen sich wieder ins Verschweigen zurück. Auch in der Landeszentrale für politische Bildung scheint ihn niemand zu kennen. Jedenfalls kommt der Name Bandera im Text zur Ukraine-Geschichte nicht vor.
Im Mai dieses Jahres hatte ich folgende Frage an die lpb gesandt:
„Sehr geehrte Damen und Herren,
es geht um die Geschichte der Ukraine in ihrem Text. Warum fehlen Worte wie Asow und Bandera? Letzterer war ein Faschist, Nazi-Kollaborateur, Judenhasser, Mörder. Seine Gruppe war an Pogromen beteiligt. Bandera aber ist eine Art Gründungsvater der Ukraine geworden. Geehrt mit Denkmälern, Straßennamen, Fackelzügen.“
Mir wurde der Eingang der Frage bestätigt. Eine Antwort habe ich allerdings nicht erhalten.
Die Landeszentrale für politische Bildung hat sicher ihre Verdienste. Was sie sich in Sachen Ukraine leistet, ist, man muss es wohl so formulieren, propagandistische Geschichtsklitterung. Und was sie sich mit der Veröffentlichung dieses unsäglichen Ukraine-Tagebuch-Blogs leistet, das torpediert die propagierten Werte Aufklärung, Toleranz, Völkerverständigung oder Friedenswillen. Geben wir das letzte fatal-unversöhnliche Wort an Anna Kupriy: “… es ist unwahrscheinlich, dass die Ukrainer auch nach mehreren Generationen die Kraft zur Vergebung finden können”.
Anmerkung der Redaktion: Nach Erscheinen des Artikels und Leserzuschriften an die Landeszentrale für politische Bildung in Baden-Württemberg hat diese umgehend reagiert und noch am selben Tag erklärt:
„Wir bedauern, dass einzelne Passagen im Ukraine-Tagebuch der Journalistin Anna Kupriy offensichtlich als pauschalisierend verstanden werden konnten. Wir haben die Folge 7 des Tagebuchs („Ukrainer und Russen“) deshalb vom Netz genommen und auch an einzelnen anderen Stellen auf der Webseite nachgebessert.”
Leserbriefe zu diesem Artikel finden Sie hier.
Titelbild: Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg, CC0