Das „Duell“, das keines war. Spiegelfechterei auf neoliberalem Paukboden.
Schröder versuchte vergeblich, seine Reformen als Erfolg darzustellen, und Merkel mäkelte daran herum. Die entscheidende Frage, wie das Schrödersche „Weiter so“ und das Merkelsche „noch Weiter so“ Erfolge bei Wachstum und Beschäftigung bringen und den Sozialstaat erhalten kann, wurde weder gestellt noch beantwortet. Das war kein „Duell“, sondern eine mediale Selbstinszenierung von vier Talk-show-„Stars“, einem Kanzler und einer Kanzlerkandidatin, die versuchten, mit eingeübten Floskeln beim Gegner Treffer zu landen. Dass es in zwei Wochen um eine wirkliche Richtungsentscheidung gehe, konnte man nun wahrlich nicht erkennen, es geht um einen Kanzler, der seinen Kurs fortsetzen will, oder eine Kanzlerin, die verspricht, dass sie das Land auf diesem Kurs noch viel rücksichtsloser umkrempeln will.
Was wurde seit Wochen ein Spektakel inszeniert, vergleichbar nur wie das Aufheizen der Stimmung vor einem großen Fußballspiel oder einem Boxkampf. Alle sprachen nur noch vom „Duell“ – was ja üblicherweise einen Sieger und ein Opfer auf dem Kampfplatz hinterlässt. Gemessen an dieser künstlich erzeugten Erwartungshaltung war das, was Gerhard Schröder und Angela Merke geboten haben, eine Enttäuschung. Die aus den Talk-Shows von ARD, ZDF, RTL und Sat1 bekannten Stichwortgeber kamen mit keiner einzigen Frage über das übliche oberflächliche Frageritual hinaus.
Es gehört schon viel Chuzpe dazu, wenn Gerhard Schröder den Fernsehzuschauern weis zu machen versuchte, dass er erst damit habe beginnen müssen, einen Reformstau aufzulösen, und dass seine „Reformen“ zu greifen beginnen. Noch dreister ist da nur noch, wenn Frau Merkel, die ja alle diese „Reformen“ mitgemacht und über Bundesrat und Vermittlungsausschuss eher noch verschärft hat, Schröder deren Erfolglosigkeit vorhält, aber nicht mehr anbietet, als dass man jetzt nicht stehen bleiben dürfe und dass man weiter gehen müsse, als die Sozialdemokraten gegangen sind.
Was wurde da vom Kanzler und seiner Herausforderin nicht einmal mehr über die Arbeitsplätze schaffende Wirkung der Senkung von Lohnnebenkosten geschwafelt! Hilflos verwies Frau Merkel darauf, dass Wirtschaftsforschungsinstitute bei einer ein-prozentigen Senkung der Arbeitslosenversicherungsbeiträge für die Arbeitgeber massenhaft Arbeitsplätze prognostizierten. Beide Diskutanten sangen das hohe Lied auf die kapitalgedeckte Altersvorsorge als zweite Säule zur Erhaltung eines auskömmlichen Lebensstandards im Alter. Pech für Frau Merkel, dass ihr Visionär und designierter Finanzminister Paul Kirchhof die Alterssicherung komplett auf Kapitaldeckung umstellen und das Umlageverfahren auslaufen lassen will. Da konnte Schröder natürlich leicht davon ablenken, dass sein Kapitaldeckungsversuch, die Riesterrente, von der Bevölkerung bisher nicht angenommen wurde, und die Menschen in ihrer überwiegenden Mehrheit am Umlagesystem festhalten wollen. Keiner oder keine unter unserem, sich selbst beweihräuchernden, journalistischen Spitzenpersonal hat Frau Merkel danach gefragt, warum und wie ihre Forderung nach einer weiteren Senkung der Spitzensteuersätze, nach eine weiteren Beseitigung des Kündigungsschutzes für Arbeitssuchende oder nach Aufweichung der Tarifverträge zu mehr Wachstum beitragen könnte.
Wie die Arbeitslosengeld-II-Empfänger bei den derzeitigen Energiepreisen und bei den derzeitigen „neu justierten“ Bedarfssätzen über den Winter kommen können sollen, dazu fiel Schröder nicht viel mehr ein, als an die Mineralölkonzerne zu appellieren, gegen Spekulanten zu wettern und darauf hinzuweisen, dass eben die Energiepreise am Markt „hergestellt“ werden. Jeder, der in den letzten Tagen einen Blick in die Zeitungen geworfen hat, sah und hörte nur das schon bis zum Überdruss Gelesene. Es ging in den gesamten eineinhalb Stunden sowohl Schröder als auch Merkel nur darum, die in ihren Wahlkampfreden getesteten Applauspassagen an passender Stelle unterzubringen.
Schröder sprach beschönigend statt von Sozialabbau von der „Neujustierung der sozialen Sicherungssysteme“ um unserer Kinder und Enkel willen. Er buhlte mit der Mittelmachtrolle Deutschlands und – durchaus zu Recht – mit seiner Haltung zum Irak-Krieg. Er landete Treffer bei der Absicht der Union, die Pendlerpauschale zu streichen, und er punktete bei der Benzinpreisexplosion, als er die von Frau Merkel geforderten Senkung der Ökosteuer mit deren Plan zur Erhöhung der Mehrwertsteuer gegenrechnete. Er konnte – gut präpariert – Kirchhof als Buhmann aufbauen und sich an dessen unseriösen und unrealistischen Vorschlägen abarbeiten. Schröder konnte unterbringen, dass man das Land nicht so schlecht reden dürfe, dass die Deutschen auf ihre Leistungen stolz sein könnten, dass Stoiber mit seiner Beschimpfung der Ostdeutschen seinen Frust über seine Wahlniederlage ablasse, dass Gerhard seine Frau Doris liebt oder dass er wisse, woher er komme, und er sprach natürlich vom „Respekt gegenüber den Wählerinnen und Wählern“, der Frau Merkel angesichts ihrer Siegesgewissheit abgehe – dabei spielte er doch selbst den Siegessicheren. Er hat weitgehend den Katalog abarbeiten können, von dem die „Spin-Doctores“ der Meinung sind, dass der Kanzler damit Sympathiepunkte erzielen könnte.
Neu und richtig war sein Argument, dass das Desaster bei der staatlichen Hilfe für die Hurrikanopfer im Süden der USA beweise, wie wichtig staatliche Handlungsfähigkeit bei der Abhilfe von unverschuldeter Not ist, und zu welchen schrecklichen Konsequenzen die „Entstaatlichung“ führe.
Auch Merkel hat sich geradezu zwanghaft bemüht, mit den ihr von ihren Beratern auf den Weg gegebenen Schlagwaffen Treffer zu landen. Die Diskussion um die Zukunft Deutschlands war ihr nicht zu schade, die blöden Schröder-Zitate von den Lehrern als „faulen Säcken“ oder von dem „Gedöns“ beim Ministerium für Familie, Jugend und Gleichstellung noch einmal aufzutischen. Sie hat die Wut über die Benzinpreise genauso populistisch für sich zu nutzen versucht wie die Stimmung gegen die europäischen Bürokraten. Sie hat Schröders Sprunghaftigkeit ebenso angeprangert, wie sie mit den Ängsten der Menschen im Hinblick auf ihre Altersversorgung oder mit dem fremdenfeindlichen Motiv der „Aufnahmefähigkeit“ der EU im Hinblick auf die Verhandlungen mit der Türkei gespielt hat.
Ansonsten bramarbasierte sie vom „besser auf die Beine kommen“, von der „wirtschaftlich fortschrittlichen Kraft“, vom „Kurswechsel“, von der „Weiche aufwärts“, von der „Vorfahrt für Arbeit“, von „Visionen“ oder – wo sie ausnahmsweise mal konkret wurde – davon, dass die Streichung der Pendlerpauschale und der Zuschläge für Nacht- und Sonntagsarbeit ja von den Tarifparteien durch Lohnerhöhungen ausgeglichen werden könnten – und das, obwohl doch die Schwächung der Gewerkschaften eines ihrer wichtigsten Ziele ist. Sie sprach viel von „den Menschen“ und von einem „sozial gerechten und menschlichen Leben“. Sie lobte gar noch Paul Kirchhofs Frauenbild mit der Trias Küche, Kinder, Kirche, als modern, weil dessen Töchter schließlich alle einen Beruf ausübten. Im übrigen hat Frau Merkel alles vermieden, womit sie irgendwo bei den Wählerinnen und Wählern hätte anecken können.
Das „Duell“ erinnerte ziemlich stark an die Choreographie der Runde der Spitzenkandidaten in Nordrhein-Westfalen zwischen Peer Steinbrück und Jürgen Rüttgers: Steinbrück verteidigte dabei einen gescheiterten Reformkurs, und Rüttgers bot hohle und menschelnde Phrasen. Das schien Vorbild auch für die Inszenierung auf Bundesebene zu sein.
Gerhard Schröder baut nach neun Niederlagen seiner Partei bei Landtagswahlen seit der Ausrufung der Agenda offenbar immer noch darauf, durch seine zweifelsohne vorhandenen medialen Präsentationsfähigkeiten den Leuten einreden zu können, dass seine Reformen sozial gerecht gewesen seien, dass die Zumutungen gegenüber der unteren Hälfte der Gesellschaft und der Umverteilung von unten nach oben am Wahltag vergessen seien, ohne den Arbeitnehmern – auf die er ja für eine Wiederwahl angewiesen wäre – plausible Argumente nennen zu können, wie es für sie wieder aufwärts gehen könnte. Im „Duell“ sprach Schröder viel von Vertrauen, um das er werbe; worauf sich das Vertrauen der Menschen bei einem „Weiter so“ stützen könnte, darauf blieb der noch amtierende Bundeskanzler eine Antwort schuldig.
Angela Merkel sagte Schröder voraus, dass er in vierzehn Tagen in der SPD keine Rolle mehr spielen werde. Sie dürfte damit nicht falsch liegen. Das Tragische daran ist, dass dann – im Falle eines Wahlsieges – Merkel eine Rolle als Kanzlerin spielen würde, die diesen Kurs, der Schröder scheitern ließ, nur noch drastischer und schneller voran treiben würde, womöglich mit einer SPD, dann aber eben ohne Schröder.