Am 15. Juli, anderthalb Monate nach der Amtsenthebung der ukrainischen Menschenrechtsbeauftragten und entsprechender Berichterstattung auf den NachDenkSeiten, veröffentlichen die selbsterklärten „Faktenchecker“ von Correctiv einen „Faktencheck“ unter dem Titel: „Sexuelle Gewalt im Ukraine-Krieg: Warum Lyudmila Denisova ihren Job verlor – und wie die russische Propaganda das ausnutzt.“ In dem Artikel werden u.a. die NachDenkSeiten mittels Verdrehungen und Unterstellungen als „für Desinformation bekannte Website“ und Verbreiter „russischer Narrative“ bezeichnet. Von Florian Warweg.
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Als Correctiv-Faktenchecker hat man es nicht leicht, gerade im beginnenden Sommerloch. Man ist krampfhaft gezwungen, permanent Faktenchecks zu produzieren, denn man muss ja irgendwie die Existenz des „Recherchezentrums“ und den damit verbundenen, recht gut bezahlten Job als „Faktenchecker“ rechtfertigen, insbesondere gegenüber dem derzeitigen Hauptsponsor von Correctiv, dem US-Multimilliardär und eBay-Gründer Pierre Omidyar und dessen Stiftung „Omidyar Network“.
Das führt dann unter anderem dazu, wie im aktuellen „Faktencheck“ geschehen, dass man selbst monatealte Artikel hochholt und diese einem vermeintlichen Faktencheck unterzieht.
Dieser „Faktencheck“ ist in vielerlei Hinsicht exemplarisch für die manipulative Art und Weise, in welcher die Faktencheck-Redaktion von Correctiv vorgeht, und belegt ebenso exemplarisch, dass es Correctiv im Zweifel eher um Diffamierung als wirkliche faktenbasierte Überprüfung geht.
Wer steckt hinter diesem Faktencheck?
Verfasst wurde der „Faktencheck“ von den Correctiv-„Faktencheckern“ Sophie Timmermann, die zuvor für das umstrittene britische „Recherchenetzwerk“ Bellingcat gerarbeitet hat, sowie von Matthias Bau, der in Duisburg-Essen Philosophie und Germanistik studierte und dann über ein Praktikum in der „Klimaredaktion“ zu Correctiv stieß.
Manipulative Methoden: Verkürzungen, Unterstellungen und Gleichsetzungen mit dem Ziel der Verleumdung
Schon der Einstieg des Artikels spricht Bände:
„Einige für Desinformation bekannte deutschsprachige Webseiten werfen ihr (der ukrainischen Menschenrechtsbeauftragten Lyudmila Denisova) vor, die Fälle schlichtweg erfunden zu haben. Was ist dran an den Vorwürfen?“
Diese Behauptung wird erstmal dem Leser so vorgesetzt, ohne jede weitere Konkretisierung von Namen oder Belegen für die Behauptung der „Desinformation“.
Dann geht es im selben Ton weiter im Fließtext:
„In der Ukraine kritisierten Medienschaffende und Menschenrechtsaktivisten Denisovas detaillierte Berichte zu sexueller Gewalt als unangemessen und unethisch. Doch die Vorwürfe gehen noch weiter, befeuert von Russland und deutschsprachigen Webseiten, die seit Wochen aus pro-russischer Sicht über den Krieg in der Ukraine berichten und immer wieder Desinformation zum Thema verbreiten.“
Erneut werden zum zweiten Mal innerhalb weniger Sätze die Behauptungen („pro-russisch sowie „Desinformation“) lanciert, erneut ohne Nennung von Namen oder Belegen. Wozu soll das dienen? Dem Aufbau einer Spannungskurve?
Darauf folgt dann ein Verweis auf einen Telegram-Post der Sprecherin des russischen Außenministeriums, Maria Sacharowa. Diese habe laut Correctiv behauptet, dass Denisova entlassen wurde, weil sie Falschmeldungen über „angebliche Vergewaltigungen ukrainischer Bürger durch das russische Militär“ verbreitet habe.
Nach diesem ganzen sprachlich-taktischen Vorspiel nennen die Verfasser des Faktenchecks dann erstmals konkrete Namen von den zuvor nur angedeuteten „deutschsprachigen Webseiten“, die angeblich regelmäßig „Desinformation“ und „prorussische Narrative“ verbreiten würden. Die Correctiv-Autoren schreiben:
„Wenig später griffen deutschsprachige Webseiten das russische Narrativ auf. Die Nachdenkseiten titelten: „Ukrainische Menschenrechtskommissarin stürzt über erfundene ‚Massenvergewaltigungen‘“. Im Text heißt es, Denisova habe sich „die meisten Schilderungen schlichtweg ausgedacht.“
Des Weiteren wird in diesem Zusammenhang noch auf Artikel von Report24 und Anti-Spiegel verwiesen.
Wenn Sie als unbedachter Correctiv-Leser bis zu diesem Punkt den „Faktencheck“-Artikel gelesen haben, verfestigt sich folgendes Bild: Es sind die im Text zuerst genannten NachDenkSeiten (NDS), die angeblich „prorussische Narrative“ und „immer wieder Desinformation“ verbreiten. „Immer wieder Desinformation“ wird sogar mit einer Verlinkung als mutmaßlicher Beleg für die Behauptung versehen, doch führt dieser nur zu einem weiteren langatmigem Correctiv-Artikel, in dem die NDS allerdings mit keinem Wort erwähnt werden. Zudem wird durch das ganze zuvor getätigte sprachliche Framing impliziert, dass auch die Aussagen der NDS zu den Gründen der Entlassung der ukrainischen Ombudsfrau reine Desinformation sei. Doch dem ist nachweislich nicht so.
Die argumentative Kehrtwende und nächster manipulativer Kunstgriff von Correctiv
Jetzt wird es richtig absurd. Denn nach all diesen impliziten und expliziten Tiraden gegen die NachDenkSeiten über angebliche Desinformation und Übernahme „russischer Narrative“ bezüglich der Amtsenthebung der ukrainischen Menschenrechtsbeauftragten Denisova heißt es im weiteren Verlauf des Correctiv-Artikels plötzlich:
„Unsere Recherche zeigt: Es gibt berechtigte Zweifel an den Fällen, die Denisova öffentlichkeitswirksam über Medien und Soziale Netzwerke verbreitete. Wie viele davon sich tatsächlich ereigneten, bleibt unklar. Denisova hat zu ihren Schilderungen keine Unterlagen an die UN-Menschenrechtsmission in der Ukraine geschickt, obwohl die UN sie dazu ermutigte.“
Und darauf folgt dann aber gleich der nächste manipulative Kunstgriff im „Faktencheck“:
Dass es diese „berechtigten Zweifel“ an den Aussagen der ukrainischen Menschenrechtsbeauftragten (und damit verbundene Vorwürfe der Übertreibung und Lüge) hinsichtlich der angeblichen systematischen Massenvergewaltigungen durch russische Soldaten gibt, bedeute jedoch nicht, so Correctiv, „dass es keine Fälle sexueller Gewalt im Zuge des russischen Kriegs gegen die Ukraine gab oder gibt“
Hier wird erneut mit einer Unterstellung gearbeitet. Mit keinem Wort hat NDS-Redakteur Jens Berger in seinem Artikel behauptet, dass es grundsätzlich keine Fälle sexueller Gewalt im Ukraine-Krieg gegeben habe oder solche Vorwürfe ausschließlich erfunden seien. Sein Artikel bezog sich ausschließlich auf die Behauptungen der Ombudsfrau Denisova. Auch dies ist eine klassische Manipulationsmethode à la Correctiv. Man wirft dem Verfasser eines Artikels etwas vor, was dieser überhaupt nicht so geschrieben hat, um dann genau diese so nie getätigte Behauptung als „Desinformation“ zu charakterisieren.
Weiter heißt es dann bei Correctiv:
„Die Auswirkung der Vorwürfe gegen Denisova ist weitreichend: Die russische Propaganda hat damit einen Angriffspunkt zu leugnen, dass ihre Soldaten in der Ukraine Kriegsverbrechen begehen.“
Damit sind wir bei einer weiteren Diffamierungstechnik. Da im Abschnitt zuvor von den NachDenkSeiten die Rede ist, kommt es in der argumentativen Logik des Artikels zu einer Gleichsetzung von dem Artikel der NDS mit der Behauptung der angeblichen „russischen Propaganda“ in Bezug auf die Gründe für die Absetzung der ukrainischen Ombudsfrau. Die dabei angewandte Argumentationsweise ist haarsträubend:
Die NachDenkSeiten seien Verbreiter „russischer Narrative“, da sie, aufbauend auf den öffentlichen Aussagen ukrainischer Offizieller, davon sprachen, dass Denisova die Vorwürfe erfunden habe. Wow.
Es sei daran erinnert, dass der Staatsanwalt, der für die Region Butscha zuständig ist, gegenüber Journalisten explizit von „fabrizierten und erfundenen Vorfällen“ gesprochen hat, und die Staatsanwaltschaft in Kiew erklärte gegenüber Ukrainska Pravda, dass die Ombudsfrau im Verhör einräumte, „sie habe diese Gruselgeschichten erzählt, weil sie den Sieg für die Ukraine will.“
Selektive Quellenauswahl
Das Arsenal an manipulativen Techniken ist aber bei den „Faktencheckern“ von Correctiv damit noch nicht erschöpft (bei Bellingcat gelernt, ist gelernt). Sie behaupten dann weiter, dass sich die Nachdenkseiten „als vermeintlichen Beleg, dass Denisova sich die Fälle sexueller Gewalt ausgedacht habe, auf ein Interview, das Denisova wenige Tage nach ihrer Entlassung gab“, berufen. Doch Denisova, so die Argumentation von Timmermann und Bau, hätte in diesem Interview zwar eingeräumt, dass sie mit ihrer Darstellung „vielleicht übertrieben“ habe, aber „dass sie die Vorfälle erfunden habe, sagt Denisova in dem Interview nicht“.
Mit dieser Aussage hätten die Correctiv-Faktenchecker sogar einen Punkt, denn explizit von „ausgedacht“ spricht Denisova tatsächlich nicht in dem Interview. Doch die NachDenkSeiten haben in diesem Zusammenhang auf eine weitere Pressekonferenz vom 14. Mai 2022 in Kiew verlinkt, die von den Faktencheckern bemerkenswerter Weise komplett ignoriert wird. Dort spricht die Ombudsfrau (ab Minute 00:25) erneut von den angeblich 25 in einem Keller in Butscha gefangengehaltenen Frauen und Mädchen zwischen 14 und 25 Jahren, die systematisch und über Wochen von russischen Soldaten vergewaltigt worden sein sollen. Sie schmückt dies dann mit allerhand weiteren Details aus und erzählt dann auch noch von einer 72-jährigen Großmutter, die ebenfalls dort vergewaltigt worden sei.
Daraufhin melden sich mehrere Journalisten aus EU-Ländern (darunter allerdings kein einziger deutscher Medienvertreter) und verweisen auf Gespräche mit dem lokalen Staatsanwalt, Polizisten und weiteren Anwohnern und Journalisten von Butscha, und keiner von diesen konnte und wollte die Angaben von Denisova bestätigen, im Gegenteil. Beispielhaft geben wir hier die Ausführungen der eigentlich sehr pro Ukraine gestimmten Korrespondentin des renommierten italienischen Wochenmagazins L’Espresso (vergleichbar mit Spiegel in Deutschland), Federica Bianchi, wieder (ab Minute 00:35 im Video):
„Ich fuhr heute nach Butscha, um Ihre Angaben bezüglich der 25 Frauen zu verifizieren. Ich traf mich dort mit dem verantwortlichen Staatsanwalt und dieser sagte mir, er hätte keinerlei Informationen über diese 25 Frauen und dass Sie diese Informationen erfunden und fabriziert hätten. Zudem sprach ich mit anderen lokalen Journalisten, auch die bestätigten diese Version des Staatsanwalts. Dann befragte ich 15 Polizisten in Butscha, wo sich der Platz befindet, in dem diese Massenvergewaltigungen stattgefunden haben sollen, und niemand hatte davon gehört. Angesichts dieser Faktenlage scheint es mir, es gibt nur Worte, keine Realität. Und das sage ich als Frau, die weiß, was Vergewaltigung bedeutet.“
Ein weiterer Journalist erklärte auf derselben Pressekonferenz (ab Minute 00:25), dass er mit dem zuständigen ukrainischen General in Butscha gesprochen hätte und dass dieser ihm erklärt hätte, es gäbe insgesamt nur zwei bestätigte Meldungen über Vergewaltigungen durch russische Soldaten und dass diese Soldaten umgehend von einem russischen Militärgericht zum Tode verurteilt und erschossen worden seien. Dann fragte er Denisova direkt: „Wir müssen in Ihrem und unserem Interesse sehr präzise sein. Sind Sie sich angesichts dieser Informationen sicher, dass, wie Sie behaupten, Vergewaltigungen eine explizite Taktik der russischen Armee sind?“
Man könnte jetzt Spekulationen anstellen, aus welchen Motiven die Correctiv-Faktenchecker mit keinem Wort auf den Verweis der NachDenkSeiten auf diese offizielle Pressekonferenz des staatlichen „Ukraine Media Center“ eingehen und die dort getätigten Aussagen und Berichte komplett in ihrem Faktencheck ignorieren.
Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang auch, wie selektiv Correctiv mit seinen eigenen Quellen umgeht, um, à propos, ein gewisses „Narrativ“ zu pflegen. Ein Großteil der „Recherche“ von Correctiv beruht, wie sie selbst einräumen, auf einer umfassenden Untersuchung der Ukrainska Pravda (UP) zum Agieren von Denisova.
Aufschlussreich ist dabei insbesondere, welche zentralen Teile der Ergebnisse dieser Untersuchung die „Faktenchecker“ dabei unter den Tisch fallen lassen. Unter anderem die Aussagen der Kiewer Staatsanwaltschaft gegenüber der UP, dass die Ombudsfrau zunächst bei der Vernehmung alles geleugnet habe, dann aber einräumte, nachdem sie keine einzige Quelle zu ihren Behauptungen nennen konnte, dass sie „Gräuelgeschichten“ erzählt habe. Später räumte sie ebenso ein, dass die einzige Infoquelle für die angeblichen Vergewaltigungsgeschichten ihre Tochter war. Ebenso unerwähnt lassen sie den Hinweis von UP, dass Denisova 2019, also während ihres Amtes als Menschenrechtsbeauftragte, in einen massiven Korruptionsskandal verwickelt war, bekannt unter dem Namen „Wolfsbänder“. In diesem Zusammenhang ist ein weiteres Detail aufschlussreich. Am 1. April wurde auf Betreiben von Denisova eine „Sonderhotline“ für sexuellen Missbrauch eingerichtet. Bei Correctiv heißt es dazu: „Offiziell sollen fünf Personen bei der Hotline gearbeitet haben. Eine davon ist Denisovas Tochter: Oleksandra Kvitko.“
Diese Information haben die „Faktenchecker“ direkt vom Investigativ-Artikel der UP übernommen. Allerdings mit einer kleinen Änderung. Bei UP heißt es unmissverständlich: „Die Ombudsstelle stellte auch die Psychologin vor, die die Sonderhotline leitete. Ihr Name ist Oleksandra Kvitko.“
Das heißt, die Tochter der Ombudsfrau war nicht einfach nur eine von angeblich fünf Angestellten, sondern die Chefin dieses von ihrer Mutter ins Leben gerufenen Sonderprojektes, das von UNICEF finanziert wurde. Aus der ursprünglichen Information, dass die Tochter von Denisova die Sonderhotline leitete, wird bei den Faktencheckern ,eine von mehreren Mitarbeitern‘. Ein kleiner, aber bedeutender Unterschied.
Dies auch angesichts der Tatsache, dass die UP darauf verweist, dass bis heute Unklarheit besteht, ob es die anderen Psychologen überhaupt gab. Es steht laut UP der Verdacht im Raum, dass es „materielle Bereicherung“ bei der Abrechnung der Sonderhotline gegeben hat. Ein Indiz für diesen Verdacht ist die Tatsache, dass Oleksandra Kvitko als Chefin der Hotline erklärt hatte, dass diese in anderthalb Monaten etwa 1.040 Anrufe erhalten habe. Davon sollen 450 die Vergewaltigung von Kindern zum Thema gehabt haben. Als die Staatsanwälte jedoch das offizielle Anruf-Protokoll einforderten, stellte sich heraus, dass während der gesamten Zeit insgesamt nur 92 Anrufe bei dieser von UNICEF gesponserten Hotline eingegangen waren. Anfragen an UNICEF zu Finanzierungshöhe und weitere Fragen wurden bisher nicht beantwortet.
Doch während sich die „Faktenchecker“ um einen forcierten und wie dargelegt höchst fragwürdigen „Faktencheck“ der NachDenkSeiten bemühen, lassen sie die wirklich interessanten Fälle in der Berichterstattung zur ukrainischen Ombudsfrau und ihren Behauptungen völlig außen vor. So haben zum Beispiel RTL und Spiegel mehrere Artikel veröffentlicht, in welchen völlig ungefiltert und unhinterfragt die Darstellung von Denisova wiedergegeben wurde. Diese Artikel stehen bis heute unverändert und ohne jede Einordnung oder Anmerkung online. Hier mal einen unvoreingenommenen Faktencheck durchzuführen, wäre wirklich ein Beitrag zur Aufklärung.
Werte Leser, haben Sie Anmerkungen zu diesem Artikel und dem „Faktencheck“ von Correctiv? Schreiben Sie uns gerne: [email protected]
Wenn Sie Hinweise haben auf sogenannte Faktenchecks, die Ihnen fragwürdig erscheinen und die wir uns als NachDenkSeiten-Redaktion mal näher anschauen und gegenchecken sollen, schreiben Sie uns ebenfalls gerne an: [email protected]
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