Das Eskalationskarussell im Namen der Freiheit der Ukrainer dreht sich im Angesicht des Krieges weiter und weiter. Von Versuchen, endlich an den Verhandlungstisch zu kommen – keine Spur, so scheint es: Jetzt wurde im Nachbarland Russlands das Spielen russischer Musik verboten. Die einfachen Menschen sind wohl nicht gefragt worden, die ukrainischen Bürger nicht, die russisch-ukrainischen Bürger im selben Land nicht, die Musiker auch nicht. Doch, wohin soll die Reise noch gehen, wenn die Türen zwischen den Menschen fester und fester verstellt und vernagelt werden, selbst wenn die Wut im Krieg groß und heftig ist wie die Reaktionen? All die Wut zu überwinden, ist das Gebot für die Zukunft. Ein Kommentar von Frank Blenz.
Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
Podcast: Play in new window | Download
Krieg auf dem Feld der Popkultur, titelte der Deutschlandfunk über diese Neuigkeit: Das Parlament in Kiew hat diese Woche ein Gesetz verabschiedet, das russische Musik im öffentlichen Raum verbietet. Weiter wurde festgelegt, dass die Quote der ukrainischen Musik im Radio von 35 auf 40 Prozent erhöht werde. Und: Russische Musiker dürfen nur dann im Land auftreten, wenn sie sich öffentlich gegen ihr eigenes Land als Krieg führende Nation bekennen.
Wie russisch sei die Musik in der Ukraine, fragte daraufhin Adalbert Siniawski, Moderator der Kultursendung Corso im Deutschlandfunk, seinen Interviewpartner Yuriy Gurzhy, Musiker, Autor aus der Ukraine, in Berlin lebend, in der Dienstagsausgabe zu diesem Thema „Verbot für russische Musik in der Ukraine“. Die Beschreibung russischer Kultur, dem russischen Anteil in der Musik, die russische Seele in der Ukraine, die Verbindungen und Traditionen, die als Teil des Landes im Land Ukraine fest besteht, diese Infos, die der Moderator seinem Gast entlocken wollte, sie blieben aus. Gurzhy brüskierte hingegen Siniawski, er antwortete ihm wie sein Landsmann Melnyk, der forsche ukrainische Botschafter in Berlin, indem er die Frage als „seltsam“ abqualifizierte. Wie englisch sei die Musik in Deutschland, fügte er stattdessen seine Gegenfrage hinzu.
Klar, russische Bands hätten schon immer im Land gespielt, doch der Pop ist und bleibt ukrainisch, so der Musiker schließlich. Putintreue Musik sei nun verboten, das Verbot sei zu 100 Prozent richtig, indes habe es lediglich eine symbolische Bedeutung. Es sei eben so, dass die, die russische Musik hören wollen, es auch weiter tun würden.
Moderator Siniawski legte nach, gab nicht auf: Die Ukraine strebe in die pluralistische, freie EU, man begäbe sich mit der Zensur auf einen anderen Weg, sagte er und fügte hinzu: In diesen Zeiten müsste es doch erst recht so sein, dass man zusammenarbeite, den Dialog suche. Der Musiker konterte, es sei unethisch, diese Frage zu stellen in Deutschland. Wieder sprach Gurzhy das Wort „seltsam“ aus und sinnierte, warum man in Deutschland so gern nach Verbindendem suche, wo doch gerade nicht die Zeit der Kooperation und Zusammenarbeit sei. Moderator Siniawski, ruhig und wenig gereizt, sprach schließlich Gruzhy den Titel „Musikbotschafter Melnyk“ zu und bat diesen, noch ein paar Worte über seine publizistische Arbeit „Kriegstagebuch“ im Berliner Tagesspiegel zu finden.
Das Interview, die Antworten des lange schon in Deutschland lebenden Musikers und Autors – sie ließen jede Aussicht vermissen, die sich den Fragen stellt wie: Was folgt danach? Wo bleibt der Einsatz, die Forderung nach Frieden, nach Verständigung, nach einem Plan für eine Versöhnung? Musiker Gurzhy verurteilte den Krieg, die Zerstörung, Russland. Verständlich. Doch die Intensität der Wut gegen das „Russische“ erschreckte den Zuhörer. Gurzhy zeigte sich selbst kriegerisch, fanatisch, unversöhnlich, stur. Handausstreckende Überlegungen, die der Interviewer des DLF versuchte zu reichen, sie wurden ebenfalls ausgeschlagen. Der Verweis auf die EU wurde von Siniawski richtig gesetzt.
Wie wird ein Land Mitglied der EU? Die Empfehlung, die Ukraine zum Kandidaten für eine Mitgliedschaft in der Europäischen Union zu ernennen, ist ausgesprochen, EU-Präsidentin von der Leyen nennt ihre EU mütterlich Familie. Und eben zu dieser Familie gehöre, so die Präsidentin, auch die Ukraine. Zu den Prinzipien und zur Idee der EU zählen Diversität, Internationalität, Solidarität, Zusammenarbeit, Toleranz und ein stetes Ankämpfen gegen Nationalismus und Ausgrenzung, oder nicht? Und ja, es geht in der EU auch darum, dass man sich aufeinander verlassen kann und weiß, voneinander abhängig zu sein – Menschen, Nationen, Ideen.
Ausladungen, Sanktionen, Boykotte, Verbote bis hin zu den Liedern der russischstämmigen Bevölkerung im Land sind keine Optionen für das Zusammenleben. Das Zurückdrängen des Russischen, die Ausschließlichkeit des Ukrainischen, beides hat eben ursächlich auch etwas mit dem Krieg, der gerade tobt, zu tun. In der Ukraine leben nicht wenige Menschen mit russisch-ukrainischer Nationalität. Nebenbei: Dazu noch mehr als 100.000 ukrainische Ungarn. Auch diese Bevölkerungsgruppe im Land wurde und wird von Nationalisten der Ukraine bekämpft. Mit Gesetzen, mit Benachteiligung, mit Ausgrenzung.
All die Aktivitäten und Gegenaktivitäten voller Aggressivität, Wut und Hass müssen zurückgedrängt werden. Die Kriegsparteien gehören sofort an den Verhandlungstisch, der Krieg darf nicht verlängert werden, einschließlich aller sinnlosen Begleitaktionen, Verbote, Entwertungen. Die Ukraine ist ein europäisches Land, das als neutrales Land eine friedliche Zukunft verdient. Mit allen Nachbarn. Mit Sport, mit Kultur, mit Handel und Wandel. Und mit russischer Popmusik.
Titelbild: Gallks/shutterstock.com