Anfang des Jahres konnte man lesen, dass Gregor Gysi für einige Tage die Rolle des Erzählers im Musical „Rocky Horror Show“ übernehmen würde. Um eine Horror-Show zu erleben, musste man als der LINKEN zugeneigter Bürger in den vergangenen Jahren aber gewiss nicht das frivole Grusel-Musical von Richard O’Brien besuchen – da reichte es, wenn man die Geschehnisse der Partei verfolgte: Das Festhalten an gescheiterten Strategien, der öffentliche Streit und die um sich greifende politische Anpassung gaben kein gutes Bild ab. An diesem Wochenende nun findet in Erfurt der Bundesparteitag der LINKEN statt, der vermutlich wegweisende Entscheidungen darüber treffen wird, ob diese Partei eine Zukunft haben wird oder nicht. In diesem ersten Teil wird skizziert, wie es zu dieser Situation gekommen ist. Der zweite Teil beschäftigt sich mit der Frage, was vom anstehenden Parteitag zu erwarten ist. Von Robert Schiffmann.
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Die Wahlergebnisse bei der Bundestagswahl 2021 (4,9%) sowie bei den Landtagswahlen (Schleswig-Holstein 1,7%, NRW 2,1 %) in diesem Jahr waren düster. Lediglich Gregor Gysi, Gesine Lötzsch und Sören Pellmann und ihren gewonnenen Direktmandaten ist es zu verdanken, dass DIE LINKE überhaupt noch im Bundestag sitzt. Doch nicht erst seit gestern schneidet DIE LINKE bei Wahlen immer schlechter ab. Spätestens seit der Europawahl 2019, bei der DIE LINKE nur noch 5,5% der Stimmen holte, steckt die Partei in einer veritablen Krise. Damals konzipierte der Bundesgeschäftsführer Jörg Schindler eine Wahlkampagne, die ein „besonderes Augenmerk“ auf die Wählerschaft der Grünen warf und die Kritik an der EU und ihrer Verfasstheit abschwächte. Für diese neue Hauptzielgruppe hatten sich die damaligen Parteivorsitzenden Katja Kipping und Bernd Riexinger schon länger stark gemacht.
Die besagte Europawahl-Kampagne konnte dabei nicht so richtig deutlich machen (bspw. durch harte Kritik an den Grünen), warum man DIE LINKE und eben nicht das grüne Original wählen sollte. Sachlich überzeugender Unmut an dieser Ausrichtung wurde überhört. Und so gingen auch die Landtagswahlen in Sachsen und Brandenburg 2019 daneben. Natürlich: Der LINKEN sterben im Osten auch die alten PDS-Wähler weg, aber der Absturz dort ist allein damit nicht zu erklären. In Sachsen halbierte sich DIE LINKE fast (18,9% im Jahr 2014, 10,4% im Jahr 2019). In Brandenburg ist der Absturz noch massiver: Erreichte die Partei 2009 noch über 27 Prozent, waren es zehn Jahre später gerade noch 10,7 Prozent. Die letzte Umfrage aus 2022 für dieses Bundesland sieht DIE LINKE nur noch bei 7 Prozent! Neben der Strategie aus der Parteizentrale spielt hier natürlich auch der stark ausgeprägte politische Opportunismus weiter Teile der Ost-Realos der LINKEN eine Rolle, der die Wählerschaft frustriert zurücklässt.
Wenn man ehrlich ist, zeigte das Jahr 2019 bereits, dass die von Katja Kipping und Bernd Riexinger eingeleitete Strategie, sich hauptsächlich auf die aktivistischen, akademischen Stadtbewohner zu fokussieren, zum Scheitern verurteilt ist. Sie funktioniert vielleicht in Gebieten wie Berlin-Kreuzberg oder im Hamburger Schanzenviertel. Doch für Flächenländer, Kleinstädte und sogar schon für die nicht angesagten Stadtteile der Großstädte ist sie ungeeignet. Dort leben aber erheblich mehr Menschen als in den Innenstädten. Und vor allem lebt dort der Großteil der Niedriglöhner, der „normalen“ Mittelschicht und der Rentner. Eigentlich ein Kernklientel von Parteien, die sich in der Tradition der Arbeiterbewegung sehen. Das Ergebnis dieser strategischen Verengung auf ein bestimmtes Milieu seitens der Parteiführung war auch bei der Bundestagswahl 2021 erkennbar: Da wählten gerade mal noch 3 % der Wähler ohne Abitur DIE LINKE. Auch unter Arbeitern (5 %) ist man deutlich schwächer als früher. Und das, obwohl „Soziale Sicherheit“ für die Wähler das wichtigste Thema war.
Der oft in Papieren bemühte Ansatz der „verbindenden Klassenpolitik“, den Ex-Parteichef Riexinger eingeführt hat, scheint die sozialen Milieus nicht zu verbinden. Unbestritten sind politische Bewegungen wichtig, aber: Der Fokus auf Bewegungen und Aktivisten und deren Sprache, Lebensstil und Gedankenwelt ist weit weg von der Mehrheit der Bevölkerung. Ein Indiz dafür ist, dass DIE LINKE in den vergangenen Jahren zwar tausende junge, neue aktivistische Mitglieder dazugewonnen hat, sie aber – wie beschrieben – bei den Wahlen nach unten gegangen ist. Das ist aber eben nur auf den ersten Blick paradox.
Was gerne ausgeblendet wird, ist, dass durch einen Fokus auf eher grüne Wähler-Klientel DIE LINKE für andere, zahlenmäßig größere Bevölkerungsgruppen unattraktiver wird. Denn Die Grünen sind sowohl unter den Menschen mit geringen Einkommen oder unter solchen mit niedrigen Bildungsabschlüssen nicht sehr beliebt.
Außerdem muss sich DIE LINKE verändern, um unter den Grünenwählern überhaupt erfolgreich zu sein. Ein paar aktuelle Beispiele: Laut einer aktuellen Umfrage sind die Wähler der Grünen mit Abstand am vehementesten für die Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine und sie machen sich gleichzeitig am wenigsten Sorgen über die Konsequenzen (bspw. Eskalation des Konflikts zu einem Weltkrieg). Auch sind die Grünenwähler am stärksten für ein Embargo russischen Öls. Und nur bei Grünenwählern gibt’s zudem eine Mehrheit für einen Importstopp von russischem Gas. Selbstverständlich wird der Verzicht auf russische Energieträger die Energiepreise und die gesamte Teuerung nochmals verstärken. Darunter leiden besonders ärmere Mitbürger. Auch viele tausende Jobs stehen dadurch auf der Kippe. Sanktionen dieser Art schaden hierzulande mehr als sie nützen und erfüllen auch nicht den Zweck, den russischen Krieg zu beenden.
Wer sich an der grünen Wählerklientel oder auch am politischen Kompass von Fridays for Future orientiert und diese Kreise gewinnen will, der sollte dann aber so ehrlich sein und zugeben, dass man dafür die friedenspolitischen Linien der LINKEN massiv wird aufweichen müssen. Und mit Klassenpolitik, die an den gemeinsamen (materiellen) Interessen der Mehrheit der Bevölkerung ansetzt, hat so eine Ausrichtung absolut gar nichts zu tun. Es verwundert denn auch nicht, dass mehrere Bundestagsabgeordnete und Parteifunktionäre der LINKEN einigermaßen schockiert darüber berichteten, dass sie auf Friedenskundgebungen anlässlich des Krieges Russlands in der Ukraine, vor allem von jüngeren Leuten und Fridays-for-Future-Aktivisten dafür ausgebuht wurden, als sie sich gegen Waffenlieferungen an die Ukraine aussprachen. Die Geister, die ich rief…
Zurück zur Chronik des Niedergangs: Als Reaktion auf das Grummeln und den Unmut in der Partei 2019 rief die Parteiführung aus Kipping/Riexinger eine sogenannte Strategiedebatte ins Leben, „vergaß“ dabei aber klare Fragestellungen und Ziele vorzugeben. Das Ergebnis fiel deswegen recht unbefriedigend aus, was aber nicht am mangelnden Engagement der Mitglieder lag: Hunderte schrieben ebenso viele schriftliche Texte mit vollkommen unterschiedlicher Struktur. Kaum jemand in der Partei dürfte allerdings mehr als ein paar davon gelesen haben. Als Abschluss dieser „Strategiedebatte“ wurde eine Konferenz anberaumt, die aus der Parteiführung als großer Erfolg gefeiert wurde. Erkennbar verändert hat sich durch diese „Strategie“-Tätigkeiten nichts – es wirkte eher wie eine bewusste Selbstbeschäftigung der Partei, um Kritik in harmlose Bahnen zu lenken.
Eine aufrichtige Frage wäre demnach: Wie ist es möglich, dass nur eineinhalb Jahre nach einer vorgeblich sehr erfolgreichen Strategiekonferenz das bereits erwähnte Ergebnis von 4,9 Prozent eingefahren wurde? Wie erfolgreich kann eine Strategie sein, die zu diesen Resultaten führt und die der Partei nun erneut Strategiediskussionen und einen Existenzkampf aufnötigt? Zugegeben: Eine Teilerklärung für das schlechte Bundestagswahlergebnis ist auch, dass es in diesen eineinhalb Jahren eine Pandemie gab, bei der weite Teil der LINKEN als Opposition ausfielen und sich am hypermoralischen und medialen Mainstream orientierten.
Nach dem Bundestagswahlergebnis im letzten Herbst dauerte es nicht lange, bis die Schuldige dafür gefunden war: Sahra Wagenknecht. Ihr und ihrem Umfeld in der Bundestagsfraktion wurde u.a. vom Bundesgeschäftsführer Jörg Schindler in einem ziemlich unterirdischen Text vorgeworfen, durch abweichende öffentliche Wortmeldungen der Partei geschadet zu haben. Hinter diesen unterschiedlichen Wortmeldungen steckt jedoch keine Sabotage, sondern ganz einfach der Richtungsstreit der Partei. Das sogenannte Wagenknecht-Lager hält zum einen klassisch linke Außenpolitik hoch, wie sie im Erfurter Parteiprogramm der LINKEN verankert ist und wie sie bis in die 90er in den linkeren Teilen der SPD und unter vielen Grünen Usus war. Das stört aber dabei, die heutigen liberalen Großstädter zu erreichen und in rot-rot-grüne Regierungen einzutreten und soll deswegen „wegmodernisiert“ werden.
Zum anderen geht es darum, dass Wagenknecht und andere tatsächlich die breite Masse der Bevölkerung ansprechen können und wollen. Die tickt aber eben anders als weite Teile der akademischen Großstadtbürger und sorgt sich beispielsweise ernsthaft um steigende Energiepreise und Ölembargos. Hinter der viel beklagten Vielstimmigkeit der Partei, die für die schwachen Wahlergebnisse verantwortlich gemacht wird, stecken also unterschiedliche strategische Ausrichtungen und die Frage, für wen die Partei in erster Linie Politik machen möchte. Mit den von Schindler vorgeschlagenen Positionskorridoren – also Maulkörben für abweichende Meinungen – wird diese strategische Auseinandersetzung kaum zu lösen sein.
Nachvollziehbar ist, dass sich wohl viele in der Partei gewünscht hätten, dass Wagenknecht ihr letztes Buch „Die Selbstgerechten“ erst nach der Bundestagswahl veröffentlicht hätte. Ihren im Großen und Ganzen zutreffenden Ausführungen hätte das sicher keinen Abbruch getan. Wenn man die Art und Weise, wie Wagenknecht in den letzten Jahren angefeindet wurde, wie sachliche Einwände von ihr skandalisiert wurden, verfolgt hat, kann man jedoch auch verstehen, dass sie hier keine Rücksicht genommen hat. Beispielhaft genannt sei hier nur kurz die Kontroverse um die Forderung nach „offenen Grenzen für alle“ vom Kipping/Riexinger-Umfeld. Einige Parteimitglieder wiesen das als unrealistisch zurück und plädierten sachlich für andere Losungen. Nicht zuletzt auch, weil nur winzige Minderheiten in der Gesellschaft solche Grenzenlosigkeit goutieren. Die Vereinbarkeit solcher Hirngespinste mit einem klassenpolitischen Ansatz ist zudem höchst fraglich.
Nachdem Wagenknecht und andere heftigste Anfeindungen ertragen mussten – sie wurden aus der Partei heraus u.a. als AfD-Light bezeichnet (hier die treffende Reaktion darauf) – konnte doch noch ein Kompromiss gefunden werden. Darin einigten sich Wagenknecht, Ihr Ko-Fraktionschef Bartsch sowie Kipping und Riexinger im Spätsommer 2018 auf eine Formulierung, die auf die Forderung nach „offenen Grenzen für alle“ verzichtete. Damit hätte dieser Streitpunkt ein für alle Mal erledigt sein müssen. Doch nur wenige Monate später ließen Kipping und Riexinger diese Forderung wieder ins Europawahlprogramm (auf Seite 40) der Partei schreiben. Wer solche Parteifreunde hat, braucht keine Feinde mehr. Und allein dieses Beispiel genügt, um zu verstehen, warum die Partei um ihre Fortexistenz bangen muss.
Titelbild: Die Linke