Private-Equity-Fonds kaufen seit Jahren und verstärkt noch durch die Corona-Krise massenweise Arztsitze auf und wandeln diese zu dukatenscheißenden Profitcentern um. Vorneweg in der Augen- und Zahnmedizin bringen sich immer mehr investorengetragene Medizinische Versorgungszentren in Stellung, die das Solidarsystem mit überhöhten Honoraren und überteuerten Zusatzleistungen plündern, die als Rendite in Steueroasen landen. Die Bundesregierung weiß schon sehr lange von den Machenschaften, unternimmt aber nichts dagegen. Aus der Warte der Patienten wirkt das wie unterlassene Hilfeleistung, aus Sicht der Profiteure wie tätige Mithilfe. Von Ralf Wurzbacher.
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Rührig, wie die Hamburger Sparkasse (Haspa) ist, kümmert sie sich auch um niedergelassene Ärztinnen und Ärzte, die ihre Praxis loswerden wollen. Zum Beispiel an einen Private-Equity-Fonds (PEF). Seit gut zwei Jahren wirbt die Bank auf ihrer Webseite ganz unverblümt und in Gestalt von Christian Holz, Berater für Firmenübernahmen, der seine Brötchen bei einer entsprechend spezialisierten Consultungfirma verdient, für die Vorteile eines „Investments“, die da aus Sicht der Anleger wären: „konjunkturunabhängige und damit stabile Cash Flows, hohes Potential aufgrund der zunehmenden Alterung der Gesellschaft sowie der allgemeine Trend zu qualitativ hochwertiger Fachbehandlung“.
Nicht minder lohnend seien die Deals für die Verkäufer selbst, weiß der nette Herr Holz. Denn damit sicherten sie sich „einen Großteil des in die Praxis investierten Kapitals auf die private Ebene und damit gegebenenfalls auch für nachfolgende Generationen“ – aus der eigenen Brut, versteht sich. Natürlich ist bei all dem Vorsicht geboten. „Wir sehen oft Unternehmen, die den optimalen Verkaufszeitpunkt verpasst haben. Sei es aufgrund von konjunkturellen Schwankungen, Gesetzesänderungen, Regulierung beziehungsweise sonstigen Marktgegebenheiten.“ Deshalb gelte: „Timing ist die halbe Miete.“
Öffentlich-private-Partnerschaft
Der Vorgang hat etwas Erhellendes. Ein staatlich verfasstes Finanzinstitut mit dem Label der Gemeinnützigkeit legt sich dafür ins Zeug, sogenannten Heuschrecken Zugriff auf das über weite Strecken noch öffentliche Gesundheitswesen zu verschaffen. So bekommt der Begriff öffentlich-private Partnerschaft einen ganz neuen Dreh. In dieselbe Kategorie fällt das, was die Bundesregierung in der Angelegenheit unternimmt, nämlich: Nichts! Dieser Tage hatte Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek öffentlich vor einem Ausverkauf von Arztpraxen an internationale Finanzkonzerne gewarnt. Diese hätten insbesondere „bestimmte Fachärzte wie Augenärzte, Nephrologen, aber auch Radiologen“ ins Visier genommen, befand der CSU-Politiker. Eindrücklich habe er deshalb das Bundesgesundheitsministerium (BGM) schon vor längerer Zeit darum gebeten, sich des Themas anzunehmen und so schnell wie möglich eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe einzurichten. Reaktion? Fehlanzeige.
Zu Wort meldeten sich desgleichen der Medizinethiker Eckhard Nagel von der Universität Bayreuth und Eugen Brysch, Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz. Genesungschancen dürften nicht durch wirtschaftliche Strukturen und Interessen gefährdet werden und die lukrativste Behandlung oder Abrechnungsstrategie im Vordergrund stehen, bemerkte Brysch. „Das unentbehrliche Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient droht hier verletzt zu werden“, äußerte sich Nagel, der von einer „alarmierenden Lage“ sprach. Erst Anfang April hatte das ARD-Magazin Panorama berichtet, dass in jüngeren Jahren „bereits Hunderte, möglicherweise sogar Tausende Arztsitze“ den Besitzer gewechselt hätten. Genaue Daten und Zahlen existierten nicht. „Der Wandel vollzieht sich nahezu unbemerkt.“
Noch mehr Corona-Profiteure
Hoch im Kurs stehen insbesondere Augenarztpraxen, von denen bundesweit mittlerweile mehr als 500 in Ketten unter Regie internationaler Finanzunternehmen organisiert sein sollen. Das wären dreimal so viele wie vor drei Jahren. Offenbar haben viele Mediziner unter dem Druck der Corona-Krise ihre Praxis an potente Vermögensverwalter veräußert, für die sie sich jetzt im Angestelltenverhältnis als Renditejäger betätigen. Das wäre ein weiterer von etlichen Kollateralschäden der Pandemie, die gerade im Gesundheitssektor schlimme Verheerungen anrichten. Dazu zählen ein verschärfter Pflegenotstand, den die Hans-Böckler-Stiftung in einer aktuellen Studie allein in der Intensivmedizin mit 50.000 beziffert, sowie ein verschärftes Krankenhaussterben wegen eines über zweijährigen Bettenleerstands von historischem Ausmaß.
Profiteure sind, beim Klinikkahlschlag wie beim massenhaften Aufkauf von Praxen, finanzstarke Akteure mit namen- und gesichtslosen Geldgebern im Rücken, die die Krankheit beziehungsweise Gesundheit der Menschen als Renditeobjekt ausschlachten. Dabei seien Gewinnerwartungen von 20 Prozent „üblich“, wie Panorama herausfand, was sich etwa mittels überhöhter Abrechnungen von Behandlungen oder durch das Aufschwatzen überteuerter und unnötiger Zusatzleistungen realisieren lässt. Ein bevorzugter Profitbringer ist nach Auskunft einer Augenärztin die Operation des Grauen Stars. „Da sollten wir möglichst hohe Stückzahlen rekrutieren“, sagte sie dem Magazin. Eine Dentistin gestand, Zähne angebohrt zu haben, die eigentlich noch gesund gewesen seien. Und wenn die Krankenkassen bei unangemessen hohen Forderungen doch einmal nachhakten, habe sie sich „irgendeine Begründung aus den Rippen geleiert“.
Abzockerei nach MVZ-Art
Licht ins Dunkel dieser Machenschaften bringt das Berliner Institut für Gesundheits- und Sozialforschung (IGES). Vor knapp zwei Monaten legte es ein Gutachten im Auftrag der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns (KVB) vor, das konkrete Zahlen zu den Unkosten der Abzockerei für die Solidargemeinschaft liefert. Im Zentrum stehen dabei sogenannte Medizinische Versorgungszentren (MVZ), die das vielleicht größte Einfallstor für Privatisierungen im Gesundheitssektor darstellen. Anders als Vollkrankenhäuser bieten diese ambulanten Einrichtungen keine Rundumversorgung (kein 24-Stundenbetrieb, keine Notfallambulanz), sondern arbeiten in aller Regel hochspezialisiert, vor allem in Bereichen mit den größten Margen. Vor allem auf diese Häuser haben es internationale Finanzjongleure abgesehen beziehungsweise sind die großen Klinikketten mit geldwerter Unterstützung der Politik (Krankenhausstrukturfonds) damit befasst, immer mehr Regelkrankenhäuser durch solche Einheiten zu ersetzen.
Wie die IGES ermittelt hat, lassen sich die in Bayern operierenden MVZs Behandlungen schon ohne Zutun von Finanzinvestoren deutlich besser honorieren als Einzelpraxen. Im Betrachtungszeitraum 2018 und 2019 betrug die Differenz 5,7 Prozent. Sobald ein Investor die Strippen zieht, sind es sogar 10,4 Prozent. Untersucht haben die Forscher außerdem, wie sich die Tätigkeit mehrerer Fachrichtungen „unter einem Dach“, typisch für MVZs, auswirkt. Ergebnis: Es schlagen fast „20 Prozent mehr Mitversorgungsleistungen“ zu Buche, wobei von diesen mehr als 60 Prozent innerhalb des gleichen MVZ vorgenommen werden. MVZs sind also buchstäblich Profitcenter, in denen die beteiligten Ärzte sich ihre Patienten gegenseitig zuschanzen, um das Maximum aus ihnen herauszuholen.
Korporatisierung
In einer im Dezember 2020 veröffentlichten Studie hatte die IGES die Bedeutung der MVZs in der Zahnmedizin beleuchtet. Demnach war damals schon bundesweit jedes fünfte in diesem Bereich tätige MVZ Eigentum eines Private-Equity-Fonds, ansässig „vorrangig in großstädtischen Regionen, wo vor allem jüngere und gutverdienende Bewohner leben“. Bezogen auf sämtliche Fachrichtungen besaßen Finanzinvestoren im vierten Quartal 2019 nahezu zehn Prozent aller in Bayern tätigen MVZs. Nimmt man alle Arztpraxisstandorte, hat sich die Zahl derjenigen in Händen von Spekulanten befindlichen im Freistaat in den Jahren 2018/19 um 72 Prozent erhöht.
Wie genau der Vormarsch der PEFs vonstatten geht, haben Richard Bůžek von der Universität Münster und Christoph Scheuplein vom Institut Arbeit und Technik (IAT) an der Westfälischen Hochschule in Gelsenkirchen in einem Artikel in der „Zeitschrift für die wirtschaftliche und soziale Geografie“ ausgearbeitet. In den Blick nahmen sie dafür 17 in Bayern tätige Arztketten, bei denen sich eine „Korporatisierung“ vollziehe, das heißt ein „Umbau von Einzelpraxen in großunternehmerische Strukturen“. Die Ketten betrieben einerseits eine „Zugangsstruktur“ mit einer Erwerbsgesellschaft und einem Krankenhaus, die dazu dienten, MVZs zu kaufen und zu steuern. Andererseits hätten sie eine „Finanzstruktur“ aufgebaut, über die das Investitionskapital nach Deutschland transferiert werde, beziehungsweise der erzielte Gewinn zurück an die Kapitaleigner.
Ausschlachten und weiterverkaufen
Allein in 14 Fällen seien „Fonds-Standorte in einer Steueroase angesiedelt“, etwa auf Guernsey, Jersey und den Cayman Islands. In vielen Fällen würden zudem Tochtergesellschaften an mehreren Offshore-Finanzzentren errichtet, um die verschiedenen steuerlichen Vorteile miteinander zu kombinieren. Nach Darstellung der beiden Wissenschaftler treiben die PEFs ihren Beutezug „mit hohem Tempo“ voran, wobei ihr Vorgehen für die Gesundheitspolitik und die Kassenärztliche Selbstverwaltung „kaum transparent“ sei. In wenigen Jahren würden die Konstrukte „entsprechend dem Geschäftsmodell der Finanzinvestoren wieder verkauft“, die „Finanzstrukturen“ hätten dann ihren Zweck erfüllt oder werden ausgetauscht. „Die konzernartigen Arztketten mit ihren ‚Zugangsstrukturen‘ aber werden die ambulante Patientenversorgung in Deutschland dauerhaft prägen.“
Wie auf diesem Wege in kurzer Zeit Emporkömmlinge mit gewaltiger Marktmacht entstehen, zeigt sich am Fall der Sanoptis AG. Nach Panorama-Recherchen hat sich seit 2019 ein Londoner Finanzinvestor über einen Fonds in Luxemburg im Bereich Augenmedizin mehrere regionale Verbünde in Schleswig-Holstein unter den Nagel gerissen. Allein in Kiel sollen sich mehr als die Hälfte aller Augenärzte unter dem Dach versammeln. Nach Eigendarstellung unterhält das „innovative Netzwerk“ für „Augenheilkunde der Spitzenklasse“ in Deutschland und der Schweiz inzwischen „über 240 Standorte“.
Von Haus aus betriebsblind
Sowohl die IGES als auch auch die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) haben angesichts dieser Vorgänge wiederholt dringenden „politischen Handlungsbedarf“ angemahnt. Eigentlich sollte das 2019 unter Ex-BMG-Chef Jens Spahn (CDU) beschlossene Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG) Abhilfe schaffen und den Vormarsch der investorengetragenen Versorgungszentren (iMVZ), insbesondere jener im zahnmedizinischen Sektor, bremsen. Im Praxistest hat die Regelung jedoch komplett versagt. So hatte ein Rechtsgutachten für die KBV schon 2020 festgestellt, dass die von den iMVZ ausgehenden Gefahren auch mit der neuen Rechtslage unverändert fortbestünden.
Im vergangenen November nahmen die Gesundheitsminister der Bundesländer den stetig steigenden Anteil investorengetragener Praxen in einem gemeinsamen Beschluss mit „wachsender Sorge zur Kenntnis“ und forderten eine Gesetzesinitiative durch die Bundesregierung. Damals war formal noch Spahn im Amt, kurz darauf übernahm Karl Lauterbach (SPD) das Ressort. Der Untätigkeit tat dies keinen Abbruch. Auf Panorama-Anfrage ließ das Ministerium ausrichten, es sei ihm nicht bekannt, „ob und inwieweit eine beherrschende Marktkonzentration augenärztlicher Versorgungsstrukturen“ in einzelnen Bereichen vorliege und „worauf etwaige Konzentrationstendenzen zurückzuführen“ seien. Im Übrigen sei es rechtlich schwierig, den Markt stärker zu beschränken. Allein die Feststellung einer Zunahme von investorenbetriebenen Praxen reiche dafür nicht aus. Und vom Bundeskartellamt verlautete, es habe in den zurückliegenden Jahren die Zukäufe der großen Augenarztketten nicht kontrolliert. So etwas läuft wohl unter Betriebsblindheit.
Vertrau auf Doktor Blackstone!
Wenigstens Herr Holz von ConsultingKontor behält im Namen der Hamburger Sparkasse den Durchblick. „Der Gesundheitssektor ist derzeit nach Software und Technologie die gefragteste Branche bei Zukäufen von Finanzinvestoren“, wusste er schon vor zwei Jahren und beschwor die schönste Win-win-Situation für alle Beteiligten. Womit er freilich auch die Patienten meint, die bei Dr. Blackstone so gut aufgehoben sein sollen wie bei Dr. Best. Und was rät der Berater den Verkäufern nach einer erfolgreichen Transaktion? „Sich zunächst eine Bank mit möglichst wenig oder keinen Guthabengebühren suchen, damit die Millionen Kaufpreiszahlung möglichst kostenneutral angelegt werden“. Noch besser: Ab damit in die Steueroase. Das würde Holz natürlich niemals empfehlen …
Titelbild: Andrey_Popov/shutterstock.com