Der Konformitätsdruck hat sich im Zuge der Corona-Krise intensiviert. Zwar war er schon vorher spürbar, doch seit März 2020 nimmt er immer absurdere Formen an. Selbst Kabarettisten müssen jedes Wort abwägen, um ja nicht die selbsternannten Meinungswächter zu verärgern. Wie die Mechanismen funktionieren, weiß Helmut Schleich zu berichten. Der bayerische Kabarettist ist schon sehr lange im Geschäft. Seit 39 Jahren steht er auf der Bühne und tritt sowohl im Radio als auch im TV auf. Beim Bayerischen Rundfunk läuft seit 2011 seine sehr erfolgreiche Politkabarett-Show «SchleichFernsehen», eine Sendung, die sich brandaktueller Themen annimmt, um sie satirisch zu überspitzen. Im Interview spricht der 54-Jährige über seine Erfahrungen der letzten Jahre, über die grassierende Cancel Culture und das Wesen der Satire. Das Interview führte Eugen Zentner.
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Herr Schleich, in Deutschland schreitet die Cancel Culture voran. Wer bei bestimmten Themen vom offiziellen Narrativ abweicht, muss mit heftigem Gegenwind rechnen. Künstler sind davon nicht ausgenommen. Spüren Sie in Ihrer Branche auch einen gewissen Konformitätsdruck?
Zunächst einmal ist ja Gegenwind nichts Schlimmes, sondern vielmehr Teil der Auseinandersetzung in einer Demokratie. Was wir heute erleben, hat jedoch damit nicht mehr allzu viel zu tun. Vielmehr folgt bei kritischen Themen dem Rechts-Framing stante pede die Kontaktsperre, sprich Cancel Culture. Die dazu gehörende Behauptung, Cancel Culture gäbe es gar nicht und der Begriff selbst sei rechtes Framing, treibt die Sache dann noch mal auf die Spitze.
Bei welchen Themen wird Ihrer Erfahrung nach der Druck besonders groß?
Bei Kritik an den Corona-Maßnahmen, an der EU und an allem, was grün daherkommt.
Von wem geht dieser Druck hauptsächlich aus?
Nach meiner Beobachtung entsteht dieser Druck aus einer merkwürdigen Allianz zwischen Medien und links-grüner Politik. Das allgegenwärtige Fakten-Checking etwa, an sich ja aus den USA kommend und gegen Lügen und Halbwahrheiten der Trump-Regierung eingesetzt, also als Kontrollinstanz gegenüber der Macht, wurde während der Corona-Zeit in Deutschland geradezu pervertiert. In regierungsnahen Medien wird Kritik an der Regierung einem Faktencheck unterzogen, und die wichtigsten Regierungsberater dienen als Kronzeugen. Das ging so weit, dass selbst der Bundesrechnungshof zerlegt wurde, als man dort monierte, dass Krankenhäuser, deren Intensivbetten zu über 75 Prozent ausgelastet waren, zusätzliche Geldzahlungen erhalten hätten. Diese Aussage sei falsch, hieß es bei den Faktencheckern. Die Quellen waren dann das bayerische Gesundheitsministerium, der Verband DIVI (Intensivmediziner) und die deutsche Krankenhausgesellschaft. Also der Geldgeber, der Beschuldigte und der Geldempfänger. So etwas kann man sich als Kabarettist nicht ausdenken.
Können Sie ein bisschen die Mechanismen beschreiben, wie die Cancel Culture im Kabarett in der Praxis aussieht? Gibt es bei Gags direkte Ver- und Gebote?
Hier muss man natürlich unterscheiden zwischen Bühne und Medien. Probieren Sie’s aus. Schreiben Sie eine Nummer über Söder und eine über Ricarda Lang. Ich mache beides. Bei Söder wird durchgewinkt, der Lang-Text geradezu seziert. Und selbst wenn alles, was ich ihr in den Mund lege, belegbar ist – und diese Frau ist ja wirklich eine wandelnde Sprechblase (kein Bodyshaming hier) – bleibt am Ende der Vorwurf, der Text sei Grünen-Bashing. In meinen Augen ein völlig absurder Vorwurf an einen Kabarettisten. Wir leben ja schließlich von der Polemik und dem Spott. Was denn sonst?
Sie sind erst kürzlich selber ins Kreuzfeuer geraten. Ihre Figur des Maxwell Strauß hat in den sozialen Medien einen heftigen Shitstorm ausgelöst. Was ist passiert?
Nur kurz. Ich hatte in meiner Sendung „SchleichFernsehen“ wieder einmal die Figur des von mir erfundenen unehelichen Sohnes unseres ehemaligen schwarzen bayerischen Potentaten Franz Josef Strauß ausgepackt. Ein afrikanischer Präsident, der dort die fiktive Republik Mbongalo in autokratischer Weise regiert und dabei das Strauß’sche Bayern der 80er-Jahre in die Gegenwart hinübergerettet hat. Atomkraft, Maskendeals und Spezlwirtschaft sind dort geradezu Staatsräson. Ein schöner Spiegel also. Natürlich ähnelt der Sohn dem Vater verblüffend, nur dass er eben auch außen schwarz ist, nicht nur innen. Dieser Kontext wurde natürlich im losbrechenden Shitstorm geflissentlich weggelassen und nur das Bild vom Weißen, der sich „blackfaced“, ging via Twitter durch die Medien. Dummerweise auch noch am nachrichtenarmen Karfreitag. Da hat dann natürlich alles auf mich eingedroschen, was sich davon einen Image-Gewinn versprochen hat. Diesen Mechanismus habe ich unterschätzt.
Haben Sie durch diesen Skandal einen Image-Schaden erfahren?
Das Internet vergisst nichts. Auch wenn die Sache inzwischen über ein Jahr zurück liegt, ist der Screenshot von Maxwell Strauß einer der ersten Treffer bei Google und Co., wenn Sie meinen Namen eingeben. So ist es heute halt. Aber ich halte die Fahne der Satire-Freiheit hoch, und es gibt zum Glück genug Leute, die das sehr zu schätzen wissen.
Welche Erfahrungen haben Sie während und nach der Corona-Zeit bei Live-Auftritten gesammelt? Reagiert das Publikum auf bestimmte Gags anders als zuvor?
Ich habe mich in dieser Zeit von der Bühne weitgehend zurückgezogen und nicht jeden Zirkus bis hin zu Auftritten vor Autos auf Parkplätzen oder in Autokinos mitgemacht. Das Wort „Würde“ meint im Deutschen schließlich nicht nur den Konjunktiv. Jetzt stelle ich fest, dass sich die Narrative in der extrem mediengeprägten Zeit der Corona-Maßnahmen in den Köpfen verfestigt haben. Kritische Pointen über das Impfen, über Maßnahmen, über den Seuchenheiligen Lauterbach, das wird zumindest im Westen der Republik fast ängstlich wahrgenommen, nach dem Motto „Darf ich darüber lachen, auch wenn’s lustig ist?“. Im rebellischen Osten, vor allem in Thüringen und Sachsen, erlebe ich das zugegebenermaßen ganz anders. Aber das sind ja bekanntlich auch alles „Nazis“, so die Erzählung.
Wie einige Ihrer Kollegen haben Sie sich geweigert, unter 2G-Bedingungen aufzutreten. Warum?
Weil das für mich nicht geht. Wer gesund ist, darf ins Theater gehen. Wer krank ist, soll zuhause bleiben. Ich sortiere mein Publikum nicht nach Impfstatus. Vollends absurd wurde das Ganze dann mit „2Gplus“. Also Impfung plus Test. Wer’s da immer noch nicht gemerkt hatte, der konnte einem leid tun. Ich möchte aber auch erwähnen, dass die Kulturszene durch die Maßnahmen unter einem enormen wirtschaftlichen Druck stand und immer noch steht. Auch deshalb sahen sich manche gezwungen, mitzuspielen. Die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt. Ob mit oder an Corona, ist derzeit noch offen. Ganz besonders schlimm fand ich übrigens, dass ausgerechnet die Kirchen da voll mitgezogen haben. Das verzeihe ich ihnen nicht.
Momentan ist der Zutritt zu Kulturveranstaltungen wieder allen erlaubt, unabhängig vom Gesundheitsstatus. Spielen Sie wieder vor vollen Häusern? Oder ist der Andrang noch überschaubar?
Der Andrang hält sich leider in Grenzen. Es kursiert der Spruch, „100 ist das neue Ausverkauft“.
Worauf sind die niedrigen Besucherzahlen Ihrer Meinung nach zurückzuführen?
Das hat verschiedene Gründe. Die Leute haben Angst ums Geld. Sie haben sich’s zuhause bequem gemacht. Sie haben noch viele Karten von verschobenen Veranstaltungen übrig. Die Angst vor Corona spielt nur noch eine untergeordnete Rolle. Da muss Karl noch mal gehörig ran …
Was macht für Sie Kabarett aus? Was soll es leisten?
Das Wort ist inzwischen ja durch konsequentes Framing beschmutzt, aber quer zu denken ist die ureigenste Aufgabe des Kabaretts – gesellschaftlich, politisch, privat. Die Dinge überhöhen, verdrehen und bis zur Kenntlichkeit zu verschwurbeln, das ist doch unser grundlegendstes Handwerkszeug. Wir müssen unsichere Kantonisten sein und keine Palastwächter. Und wenn dann ein paar Menschen von unserem Unfug inspiriert nach der Vorstellung aus dem Theater gehen, umso schöner.
Welche Gefahren sehen Sie in der Cancel Culture für das Kabarett?
Je enger das Denken wird, umso steuerbarer wird die Gesellschaft. Letztlich sind genau das die Pfade, auf denen Totalitarismus jeder Art daherkommt. Davor sollte der Lauterbach mal „warnen“. Wir sind da auf keinem guten Weg.
Titelbild: © Katharina Ziedek