Fußball ist die schönste Nebensache der Welt, okay, im kommerziellen Bereich sind andere Dinge schöner und wichtig(er). Der Rasenballsport ist ganz nebenbei beobachtet auch ein Spiegelbild für den Zustand unserer Gesellschaft, die sich derzeit mehr und mehr zu einer unversöhnlichen, verhärteten, polarisierten entwickelt, und am Besten ist es dabei so, man gehört stets zu dem Pol, der die Marke „gut und auf der richtigen Seite“ trägt. Was gut und was wichtig ist, das bestimmt der Mainstream, die Mehrheit, die, die das Sagen haben oder meinen, dieses Privileg zu besitzen. Auf alle Fälle passen bei denen andere Auffassungen, Entwürfe und Positionen nicht dazu. Mehr noch – sie werden bekämpft, sie werden ausgeschlossen – wenn möglich. Im Fußball ist das genauso, nach der 10. Meisterschaft von Dauerkrösus FC Bayern zeigt zum Saisonende das Sportereignis DFB-Pokalfinale SC Freiburg – RB Leipzig, dass wir innehalten und einen Neustart angehen sollten. Im Sport wie im Leben. Gegen Polarisierung und Ausgrenzung. Von Frank Blenz.
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Es war ja eigentlich nur ein Fußballfinale in Deutschland, das Pokal-Endspiel in Berlin. Doch drumherum und dabei tobte eine Hysterie, die einen um ein Spiel zweier Mannschaften atemlos werden lassen konnte, atemlos nicht wegen der Begeisterung, sondern atemlos wegen des latenten bis offenen Gegenwindes, wegen der Vorbehalte, wegen, ja wegen des andauernden, sturen Hasses, der Ablehnung, die einer Mannschaft, der von RB Leipzig, entgegenfegte und seiner Fans, Anhänger und Sympathisanten, selbst den Leuten, die einfach mal so sagen: Leipzig ist ja nicht schlecht.
In zahlreichen Medienüberschriften und Postings sozialer Netzwerke hieß es zum Spieltag inflationär auf die Art: „Heute ist ganz Deutschland Freiburg.“ Landkarten wurden gezeigt, bei denen in allen Bundesländern das Logo des SC Freiburg als Positionssignal prangte, lediglich bei Sachsen gab es das RB-Logo zu sehen. Das wirkte wie ein Stempel. Vielfach wurde der Wunsch von Freiburg-Fans, einfache Bürger wie Prominente, süffisant zitiert, dass man den Breisgauern den Sieg wünschte. Gut. Geradezu unter gingen ähnliche mediale Wünsche für den Kontrahenten, den Mitfinalisten aus Leipzig.
Wie das Spiel endete, ist bekannt: Leipzig gewann nach Verlängerung und Elfmeterschießen. Allein Freude, Respekt und Lob für RB vernahm man als Mediennutzer eher sparsam. Wiederum wurde Freiburg gelobt und getröstet und als klarer Sieger der Herzen gefeiert.
Man könnte das alles als leicht überzogen und doch als nicht allzu ernst zu nehmen abtun, denn es ist ja nur ein Spiel. Ja, wenn es das wäre! Seit Jahren bis heute werden Vorwürfe gepflegt, als würden Aussätzige im großen Spiel der Profis mitmachen wollen, wie können die nur, die aus Leipzig? So heißt es:
Leipzig sei keine Mannschaft, Leipzig sei ein Konstrukt, sei ein kommerzielles Etwas, nur dank eines Sponsors hochgekommen, kein Verein, nein, so einen Begriff verdiente RB nicht. Leipzig habe keine Fankultur, Leipzigs Team sei zusammengekauft und nur wegen des großen Getränkeherstellers in die Bundesliga gelangt. Und so weiter und so fort. Seht her: Andere Vereine sollten als Vorbilder herhalten: Dortmund, St. Pauli, Bayern, Freiburg – das seien Maßstäbe liefernde Clubs. Nicht diese böse Truppe – aus dem … Osten. Osten? Da war doch was, da ist doch immer noch etwas? Einig Vaterland …
Zur Historie dieses Vereins aus Leipzig sei erzählt: 2009 wurde der Verein RasenBallsport Leipzig gegründet. Der übernahm das Oberliga-Startrecht des Leipziger Vorort-Vereins SSV Markranstädt. Oberliga! Das ist in unserem Land die 5. Liga. 2012 kam Sportdirektor Ralf Rangnick nach Leipzig. Jahr für Jahr wurden Meisterschaften gewonnen und Aufstiege gelangen. Schließlich glückte 2016 der Aufstieg in die Bundesliga. All diese Jahre des Aufbaus hielt sich der gepflegte Hass gegen RB in Grenzen, klar, ein Verein aus der Oberliga, Regionalliga … Schlagzeilen und Schlagkraft verpufften. Aber dann. Leipzig trat in der Bundesliga an. Und wie. Endlich wurde dem Tiki-Taka von Bayern offensiver, leidenschaftlicher Fußball entgegengesetzt. Und das von einem Team aus dem Osten? Gegenwind kam auf. Und wie.
Die Ursache der, vorsichtig ausgedrückt, beständig gepflegten Vorbehalte versus RB liegt nun eben auch daran, dass RB Leipzig ein Ost-, ein sächsischer Club ist. Man stelle sich vor, RB wäre in Bayern daheim. Ist es ja nicht, also Red Bull. Nein? Doch. In München sogar. In der Eishockey-Bundesliga spielt ein Team mit dem Namen Red Bull München. Es gibt keinen Fanaufschrei gegen den Limonadenhersteller. Ja, auch gibt es Teams in Salzburg und sogar in New York. Red Bull, das große Unternehmen aus Österreich, das den Energydrink gleichen Namens produziert und vertreibt und bewirbt mit „…. verleiht Flügel“ ist geradezu unanständig erfolgreich mit einem ungesunden Getränk und dem Fördern und Vermarkten ungesunder Lebensweisen, Abenteuer, Risiko und Fun eingeschlossen. Komisch, wenn so viele Leute etwas gegen Red Bull haben, warum verkaufen die dennoch so viel Limonade mit Sprutz? Es muss sich so verhalten wie bei der Boulevardzeitung mit den vier großen Buchstaben: Keiner will sie je gelesen haben – elf Millionen Bürger kennen doch die Inhalte …
Nein, es gibt keine Aufschreie gegen Red Bulls Engagements bei der Formel 1, beim Kunstfliegen, beim Wintersport, Radsport, beim Skaten, bei gigantischen Ereignissen wie dem Red Bull Dolomitenmann, einem Staffellauf (Berglaufen, Paragliden, Wildwasser-Kajak und Moutainbiken) frei nach dem Motto „Schneller, höher, weiter und darüber hinaus“. Und Fußballfans traditioneller Clubs stören sich sicher auch nicht an Red-Bull-Abenteurern wie Felix Baumgartner, der dank Sponsor und Präsentator Red Bull vor wenigen Jahren einen Stratosphärensprung auf unsere Erde zurück wagte und überlebte.
Wäre Leipzig also bayerisch, wären kommerzielle, unternehmerische Belange kein Thema. Doch Leipzig ist einer der wenigen Vereine aus dem Osten, die in der Bundesliga spielen.
Noch ein Rückblick: Nach der Wiedervereinigung duldeten die traditionsreichen Vereine des Westens (also in der Institution DFB) gerade zwei Teams im Oberhaus 1. Bundesliga – Dynamo Dresden und Hansa Rostock. In der zweiten Liga durften sechs Teams aus dem Osten ihr Glück im nun gesamtdeutschen Profifußball versuchen. Von einer gemeinsamen Landesmeisterschaft konnte keine Rede sein. Stattdessen warben Westvereine die Talente des Ostens ab. Binnen vieler Jahre erholte sich der Fußball-Osten nicht, traditionsreiche Vereine von Jena, Erfurt, Halle, Magdeburg, Zwickau bis Rostock verschwanden zeitweise in der tiefen Unterklassigkeit. Die mediale Präsentation zum Thema Fußball, zur Historie – stets eine bundesdeutsche, eine altbundesdeutsche.
RB Leipzig ist nur ein Profiverein, genau so einer wie Bayern München oder Borussia Dortmund. Das anzuerkennen und dazu, statt RB zu bekämpfen, lieber die vielfältigen Defizite des Konstrukts Profifußball zu benennen und Veränderungen, ja echte Reformen zu fordern, wäre ein Fortschritt. Auch fortschrittlich und fair wäre es, vom Spieltagsdurcheinander zu einem einheitlichen, wettbewerbsgerechten Tag zu kommen, die Werbeflut, überteuerte Abos für Bezahl-TV bis hin zu den ausufernden „Ablöse-Preise“ für die Spieler einzudämmen. Hier und anderswo.
Komisch, als jüngst die Video-Vorstellung der neu verpflichteten Spieler des Vereins Manchester City zu sehen war, blieb einem die Spucke weg. Alle Spieler „kosteten“ je mehr als 60 Millionen Euro. Für den nun nicht mehr für Dortmund kickenden Haaland strich der traditionsreiche BVB eben diese Summe ein. Man vernahm keinen Aufschrei von Fans.
Titelbild: Vitalii Vitleo/shutterstock.com