Das „Bäumchen-wechsel-dich“-Spiel in Hamburg
Der Wahlsieg von Olaf Scholz bei den Bürgerschaftswahlen wird von der SPD-Rechten und vielen Medien als Beleg dafür genommen werden, dass die Sozialdemokraten nur mit einer Politik der „Mitte“ wieder regierungsfähig sind und dass das unbeirrte Festhalten an der schröderschen Agenda-Politik auf Dauer erfolgreich ist. Dabei ist der Erfolg der SPD nur der Schwäche der hamburgischen CDU zu verdanken. Wenn sich SPD und CDU derart angleichen, so enden Wahlen in einem „Bäumchen-wechsel-dich“-Spiel des gegenseitigen Scheiterns, bis dass die Wählerinnen und Wähler nicht nur die Lust am Wählen sondern auch noch an der Demokratie verlieren. Wolfgang Lieb
Nach allen Umfragen wird die SPD bei den Bürgerschaftswahlen in Hamburg deutlich über 40 Prozent der Stimmen bekommen. Sie könnte damit ihren Stimmenanteil gegenüber der letzten Bürgerschaftswahl im Jahre 2008 um die 10 Prozentpunkte verbessern, gegenüber der Bundestagswahl im Jahr 2009 gar um die 15 Prozentpunkte. Umgekehrt wird voraussichtlich die CDU zweistellig einbrechen und statt 42,6% vielleicht noch um die 25% der Stimmen erzielen – ein ähnliches Ergebnis übrigens, wie bei der Bundestagswahl. Die GAL (also die Hamburger Grünen) dürften noch etwas von dem derzeitigen Höhenflug der Grünen profitierten und um ein paar Prozentpunkte auf etwa 15% zulegen. Vor allem die FDP muss auch diesmal um ihren Einzug in die Bürgerschaft bangen und wahrscheinlich könnte es DIE LINKE so gerade noch schaffen.
Die SPD wird dieses Ergebnis als großen Erfolg ihres Kandidaten Olaf Scholz und dessen exzellenten Wahlkampf feiern. Der Parteivorsitzende Gabriel wird verkünden, dass die SPD wieder da ist und dass sie siegen kann.
Vor allem gestützt durch die Medien werden die Schröderianer in der SPD, also vor allem Steinmeier, Steinbrück, Kahrs oder der Seeheimer Kreis des rechten SPD-Flügels den Erfolg von Olaf Scholz, als Sieg eines der Ihren feiern und den Wahlsieg als Bestätigung für das Festhalten am Agenda-Kurs interpretieren. Sie werden behaupten, dass dieses Ergebnis eine politische Signalwirkung für die gesamte Republik habe. Es sei der Beleg dafür, dass die SPD nur in der „Mitte“ wieder mehrheitsfähig werde, dass es völlig falsch wäre das Thema soziale Gerechtigkeit nach vorne zu stellen und das Hartz IV oder die Rente mit 67 inzwischen von der Bevölkerung akzeptiert und als notwendige „Reformen“ gar honoriert würden. Kurz: Es gebe keinen Grund mehr, am „Agenda“-Kurs zu zweifeln und die Linksparatei könne man einfach links liegen lassen.
Die SPD-Rechte kann dabei sogar darauf verweisen, dass Olaf Scholz seinen Wahlkampf genau auf dieser Linie geführt habe. Er hat mit seinen Themen weit in die „Mitte“ ausgegriffen, z.B. in dem er den Präses der Handelskammer als künftigen Wirtschaftssenator auserkoren hat. Scholz „schröderte“ sich durch den Wahlkampf, so schrieb sogar der Spiegel richtig – und grub mit seinen „Wirtschaftswahlkampf“ der CDU das Wasser ab. „Vernunft, Klarheit, Verantwortung“ ließ Scholz plakatieren, von klassischen sozialdemokratischen Themen, wie soziale Gerechtigkeit oder von der wachsenden Kluft zwischen Arm und Reich auch in Hamburg war kaum etwas zu hören. Dafür um so mehr vom „Sparen“, nicht etwa am mit seinen Kosten explodierenden Prestigesobjekt „Elbphilharmonie“, sondern vom Stellen streichen, von der Ablehnung der Stadtbahn, selbst bei den Studiengebühren „eierte“ Scholz herum. Von den Grünen grenzte er sich in einer Weise ab, dass man meinen konnte, er wollte sie wieder ins Lager der CDU treiben.
Es ist ihm gelungen, seine Rolle als Generalsekretär in der Schröder-Zeit und als innerparteilicher Exekutor der Agenda 2010 völlig unter den Teppich zu kehren. Vor einem Jahr noch, wollte er sogar noch mit Westerwelle „regieren“ und er erklärte die große Koalition zu einer „erfolgreichen Regierungszeit der SPD“. (Dass die SPD danach mit 23% ihr schlechtestes Ergebnis erzielt hat, hat er offenbar verdrängt.) Er vertrat im Wahlkampf ein weitgehend konservatives Politikkonzept, das ausschließlich auf das Scheitern der CDU setzt. Eine echte politische oder gar sozialdemokratische Alternative bot Scholz jedenfalls nicht.
Die Zustimmung für Olaf Scholz (über 60%) – er liegt mit weitem Abstand vor seinem Gegenkandidaten Christoph Ahlhaus (nur noch unter 30%) – ist jedoch weniger ein Erfolg der SPD als vielmehr ein Vertrauensverlust der CDU und ihres Spitzenkandidaten. Nach dem Scheitern der schwarz-grünen Koalition und vor allem nach dem Rückzug von Ole von Beust als Integrationsfigur steht die CDU personell ausgeblutet da und ist politisch geradezu implodiert. Da sie kein eigenes Profil mehr aufweist, leidet die hamburgische CDU unter der Schwäche der Bundespartei. Liberale und selbst konservative Wähler liefen zur SPD über.
Es wird eben die Partei gewählt, die aus der Sicht vieler Wählerinnen und Wähler noch übrig bleibt. Der zu erwartende Wahlsieg der SPD ist kein Verdienst von Olaf Scholz, sondern er resultiert aus der Schwäche der CDU.
Wenn aus dieser sehr speziellen hamburgischen Situation nun ein Erfolg für eine konservative SPD-Politik abgeleitet wird, so könnte sich das schon bei den nächsten Landtagswahlen wieder einmal als ein Trugschluss herausstellen. Denn ohne eine wirkliche sozialdemokratische Alternative wird sich bestenfalls ein „Bäumchen-wechsel-dich“-Spiel einstellen: Mit einer nicht erneuerten Politik kann die SPD gegenüber einer gescheiterten CDU zwar wieder an die Regierung gelangen, doch wenn sie dann regiert, verliert sie weiter ihre Anhänger und auch Mitglieder, weil die Ergebnisse nicht viel anders sind, als wenn die CDU regierte. Danach wird sie halt wieder in die Opposition geschickt und wieder darauf warten müssen, dass die CDU erneut scheitert.
Das wechselseitige Scheitern wird dann so weiter gehen bis die Wählerinnen und Wähler – um auf das Bild mit dem Kinderspiel zurückzukommen – keine Lust mehr haben, zur Wahlurne zu gehen. Dieses wechselseitige Scheitern mit dem gleichen oder ähnlichen Politikkonzept kann eigentlich nur noch zu mehr Politik- wenn nicht gar zu Demokratieverdrossenheit führen.
Das Ergebnis wird sein, dass insbesondere die SPD weiter an Zustimmung verlieren wird und im Trend jedenfalls noch weiter absacken wird, als sie derzeit schon abgesackt ist. Eine solche Strategie erinnert an den Witz mit dem Irren, der mit dem Kopf gegen die Wand rennt und sich darüber freut, dass der Schmerz nachlässt.