Die USA zählen darauf, ein Signal von Putin vor dem Einsatz von Atomwaffen zu bekommen
Folgend die Übersetzung eines kurzen Textes mit den Links aus dem Original von Ray Mc Govern. Danke vielmals an Thilo Haase.
Hut ab vor der Direktorin der Nationalen Nachrichtendienste, Avril Haines, für ihre Aussage im Senat am 10. Mai über die Wahrscheinlichkeit eines Atomkriegs mit Russland, auch wenn einige Passagen surreal waren, wie wir weiter unten erläutern.
Aus der Sicht der Geheimdienste hat sie die Dinge beim Namen genannt. Und nicht nur das: Sie ging bei der Frage nach dem Einsatz von Atomwaffen sogar noch einen Schritt weiter als der CIA-Direktor William Burns am 7. Mai gegenüber der Financial Times. Burns wies darauf hin, dass der russische Präsident Wladimir Putin “nicht glaubt, dass er sich eine Niederlage in der Ukraine leisten kann”. Burns fügte hinzu:
“Ich glaube nicht, dass dies bedeutet, dass Putin zum jetzigen Zeitpunkt abgeschreckt ist, denn er hat so viel auf die Entscheidung gesetzt, diese Invasion zu starten, dass ich glaube, dass er im Moment davon überzeugt ist, dass er mit einer Verdoppelung der Mittel immer noch Fortschritte erzielen kann.”
Unabhängig davon, ob Burns unser kurzes VIPS-Memo vom 1. Mai (hier auf Deutsch) gelesen hat oder nicht, war es, offen gesagt, gut zu sehen, dass er und wir bei der zentralen Einschätzung, dass der Ukraine-Konflikt für Putin ein Muss ist, auf derselben Seite stehen.
Frau Haines ging mit der Warnung der VIPs (vor einer “existenziellen Bedrohung” für Russland) noch einen Schritt weiter. Sie schluckte schwer und stotterte ein wenig, als sie auf DIE große Frage von Senator Mark Warner (D, VA) antwortete:
“Wir unterstützen die Ukraine, aber wir wollen auch nicht in einem Dritten Weltkrieg enden und wir wollen nicht in einer Situation enden, in der Akteure Atomwaffen einsetzen. Wie General Berrier sagte, sind wir der Ansicht, dass es keine unmittelbare Möglichkeit für Putin gibt, Atomwaffen einzusetzen. Wir halten es für unwahrscheinlich, dass er dies tun wird, es sei denn, es besteht aus seiner Sicht eine existenzielle Bedrohung für sein Regime und für Russland.
“Wir denken, dass dies der Fall sein könnte, wenn er den Eindruck hat, dass er den Krieg in der Ukraine verliert und dass die NATO in diesem Zusammenhang entweder eingreift oder kurz davor steht, einzugreifen, was natürlich zu dem Eindruck beitragen würde, dass er den Krieg in der Ukraine verlieren wird.
“Aber dass es eine Menge Dinge gibt, die er im Rahmen einer Eskalation tun würde, bevor er zu einer Atomwaffe greift, und dass er wahrscheinlich auch einige Signale setzen würde, die über das hinausgehen, was er bisher getan hat, bevor er dies tut.”
Trauen Sie sich, der Logik in diesem Syllogismus zu folgen?
Oberste Prämisse: Wir wollen nicht in einen Dritten Weltkrieg geraten und Atomwaffen einsetzen.
Untergeordnete Prämisse: Putin könnte sie einsetzen, wenn er merkt, dass er den Krieg in der Ukraine verliert.
Schlussfolgerung: Die USA werden also alles tun, was nötig ist, damit Putin “merkt”, dass er in der Ukraine verliert.
Sehen Sie, was ich mit surreal meine? Aber keine Sorge, Putin wird wahrscheinlich erst einmal signalisieren, dass er “über das hinausgeht, was er bisher getan hat”, bevor er Atombomben einsetzt. Na klar!
Putin muss nicht paranoid sein
Es bedurfte keiner Tirade von Senator Lindsey Graham oder der unverblümten Versprechen von Nancy Pelosi und Chuck Schumer, in der Ukraine über Russland zu siegen, oder des von Verteidigungsminister Lloyd Austin angekündigten Ziels, “Russland zu schwächen”, um Präsident Putin einen Komplex zu verschaffen. Es überrascht ihn auch nicht, dass er ganz oben auf der Liste derjenigen steht, die durch einen “Regimewechsel” beseitigt werden sollen. Was Verwunderung hervorruft, ist die nonchalante Art und Weise, mit der prominente US-Politiker unüberlegt vorgehen, offenbar ohne die bestehenden Gefahren wirklich zu begreifen – selbst wenn diese Gefahren von hochrangigen Geheimdienstmitarbeitern wie Haines und Burns vor ihnen ausgebreitet werden.
Putin gibt sich natürlich keinen Illusionen hin. Er weiß nur zu gut, dass es bei dem von den USA arrangierten Staatsstreich in Kiew im Jahr 2014 (der zu Recht als der “krasseste Putsch der Geschichte” bezeichnet wurde) genau darum ging. Dieser Putsch hat das Verständnis des Kremls für die existenzielle Bedrohung Russlands geschärft. Wenn es einer Bestätigung bedurfte, so kam sie – überraschenderweise – vom US-Verteidigungsnachrichtendienst. Im “National Security Strategy Report” der DIA vom Dezember 2015 erklärte der Direktor der DIA, Generalleutnant Vincent Stewart:
“Der Kreml ist überzeugt, dass die USA die Grundlagen für einen Regimewechsel in Russland schaffen, eine Überzeugung, die durch die Ereignisse in der Ukraine noch verstärkt wird. Moskau sieht in den USA die entscheidende treibende Kraft hinter der Krise in der Ukraine und glaubt, dass der Sturz Janukowitschs der jüngste Schritt in einem seit langem etablierten Muster von US-orchestrierten Bemühungen um einen Regimewechsel ist.”
Man muss also nicht paranoid sein … Paranoia hin oder her, die Wahrscheinlichkeit, dass Atomwaffen eingesetzt werden könnten, wenn Putin “merkt”, dass er in der Ukraine verliert, ist NICHT etwas, das man mit solcher Nonchalance behandeln sollte. Vernünftige politische Entscheidungsträger wären gut beraten, ihre Schlussfolgerung zu ändern, die unter den genannten Prämissen in dem zuvor dargestellten verhängnisvollen Syllogismus ruht.