Eine der lautstärksten Stimmen für die Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine ist der grüne Bundestagsabgeordnete Anton Hofreiter. „Ausgerechnet der Toni“, sagen nun viele; galt Hofreiter doch bisweilen sogar als ein – wenn auch kleiner – Hoffnungsschimmer auf Rückbesinnung der Grünen auf ihre friedlicheren Wurzeln. Auch Michael Fitz hat kein Verständnis für Tonis neue Liebe für den Krieg und hat dem Grünen-Politiker einen Offenen Brief geschrieben.
Sehr geehrter Herr Hofreiter,
Bereits in Ihrer Tätigkeit als Landtagsabgeordneter der Grünen und als kompetenter Sachwalter des Natur- und Artenschutzes habe ich Sie immer sehr geschätzt und für einen der eigenständigsten Köpfe in Ihrer Partei und generell in der politischen Landschaft Bayerns und Deutschlands gehalten. Natürlich hätten Sie Landwirtschaftsminister werden müssen und nicht Ihr fachfremder Kollege Özdemir.
Ich bin, wie viele andere auch, immer davon ausgegangen, dass die Grünen nicht nur eine Umwelt-Partei, sondern auch eine Partei der Friedenssicherung sowie der Ächtung von Waffen und kriegerischen Auseinandersetzungen war. Nicht zuletzt, weil Ihre Partei ja zu guten Teilen aus der Friedensbewegung der 90er erwachsen ist. Das wissen Sie selbst, ich brauche Ihnen über die Gründungsgeschichte der Grünen sicher keinen Vortrag halten.
Zu den, wie ich dachte, unumstößlichen Prinzipien nicht nur Ihrer Partei gehörte es bis in die nahe Vergangenheit, aus Deutschland keine Waffen in Krisengebiete zu exportieren und Lieferungen deutscher Rüstungskonzerne dorthin einzudämmen und, falls möglich, vollständig zu unterbinden.
Offenbar scheint sich das Blatt in Ihrer Partei und auch bei Ihnen nun vollständig gewendet zu haben. Anders vermag ich Ihre öffentlichen Äußerungen zum Thema, jüngst auch im „Spiegel-Interview“, nicht zu deuten.
Glauben Sie und Ihre Parteifreunde denn allen Ernstes, dass der Krieg in der Ukraine mit Waffenlieferungen aus ganz Europa zu gewinnen ist? Glauben Sie ernsthaft, dass Sie damit die Idee einer wirklich europäischen Friedenslösung, die ohne eine friedliche Nachbarschaft und Koexistenz mit der russischen Föderation niemals möglich sein wird, fördern oder voranbringen?
Offenbar haben Sie sich dem überlauten medialen Chor der Putin-Hasser und Russenverteufler nun angeschlossen und glauben, mit einer harten Linie die Eskalation des Konfliktes schüren zu müssen.
Selbstverständlich ist ein völkerrechtswidriger Krieg wie dieser immer ein verbrecherischer Akt im Sinne der UN-Charta. Es ist aber ganz sicher nicht der erste dieser Art, auch nicht in Europa.
Die USA und die Nato sind hier mit Serbien, Afghanistan, Irak, Libyen und Syrien bereits beträchtlich in Vorleistung gegangen. All diese Kriege sind mit aller Härte, besonders für die betroffene Zivilbevölkerung, geführt worden und die auslösenden Gründe waren in den meisten Fällen konstruiert und sind propagandistisch und manipulativ verarbeitet, dem deutschen Otto-Normal-Verbraucher scheibchenweise nahegebracht worden.
Inzwischen liegen alle tatsächlichen und wahren Gründe für diese Kriege auf dem Tisch. Leider werden Sie nicht breit publiziert und fließen dementsprechend auch nicht in die aktuellen historischen Interpretationen ein.
Es gibt geopolitische Interessen und Ziele der USA und auch der NATO, die bereits lang bekannt sind, die zu diesen Kriegen geführt haben, und genauso verhält es sich mit der derzeitigen, nunmehr militärischen Auseinandersetzung in der Ukraine.
Putin hat zum Beginn seiner Amtszeit bzw. Herrschaft Anfang der 2000er Jahre die Hand nach Europa, speziell nach Deutschland, ausgestreckt und für eine europäische Friedens-Ordnung, in die sich Russland integrieren wollte, geworben.
Diese Werbung ist vor allem von Seiten der USA und somit auch der Nato, leider auch von der damaligen Polit-Elite in Deutschland ignoriert bzw. nicht ernst genommen worden. Man begnügte sich damit, Rohstoffe aus Russland zu erwerben und im Gegenzug deutsche Industrie-Güter in dieses riesige Land zu exportieren und einträgliche Geschäfte zu machen. Derweil hat man die Nato erweitert, bis an die russischen Grenzen, nicht zuletzt durch die geschichtlich begründete Angst der baltischen, nunmehr EU-Mitgliedsstaaten Litauen und Lettland, aber auch Polens und Tschechiens vor Einverleibung durch das traditionell übermächtige Russland. Putin sah sich einer geopolitisch durchaus gewollten, allmählichen Einkreisung durch die Nato-Osterweiterung ausgesetzt.
Der vorläufige Höhepunkt dessen war der mit erheblichen US-Mitteln und direkter Hilfe westlicher Dienste und Geldgeber 2014 herbeigeführte Maidan-Putsch, der nationalistische bis faschistische Kräfte in der Ukraine an die Macht brachte. Auf der Krim fand ein Memorandum statt, in dem sich die Bevölkerung für eine Zugehörigkeit zur russischen Föderation entschied.
Nach US-Lesart wird dies als völkerrechtswidrige russische Annexion bezeichnet. Offenbar haben auch Sie und große Teile Ihrer Partei diese tatsächlich geschichtsverbiegende Lesart übernommen.
Die Teilrepubliken Donetzk und Lugansk wurden und werden bewohnt von einer mehrheitlich russisch-sprachigen bzw. -stämmigen Bevölkerung, die sich durch die Machtübernahme von ukrainischen Nationalisten und Faschisten in ihrer kulturellen und wirtschaftlichen Freiheit durch Kiew und die dortigen neuen Machthaber bedroht sah und sich abspalten wollte.
Die Regierung in Kiew führt seit 2014 einen schmutzigen Krieg gegen die beiden Teilrepubliken, inklusive Dauer-Artillerie und Raketen-Beschuss auf Wohngebiete, ethnischer Säuberungen, Entführungen und Folter, teilweise ausgeführt von faschistischen paramilitärischen Brigaden.
Dass man auf dem Gebiet der Ukraine, grenznah zu Russland, dann auch noch aufwändige Nato-Manöver abhielt, war nicht gerade ein Mittel zur Entspannung der Lage. Wenn man einen Gegner lang genug in die Ecke treibt, dann muss er reagieren. Das tat Putin nun auch und wird seitdem als „Kriegsverbrecher“ und „Mörder“ in der westlichen Weltöffentlichkeit vorgeführt. Die deutsche Presse und das öffentlich-rechtliche Fernsehen tun alles, um dem Bürger und Wähler genau dieses Bild zu vermitteln.
Offensichtlich auch Ihnen, denn nur so kann man Ihre Äußerungen in letzter Zeit wohl werten.
Dieser Krieg muss, auch und besonders im Hinblick auf die geschundene Zivilbevölkerung in der Ukraine, so schnell wie möglich beendet werden!
Das wird mit Waffen und noch mehr Waffenlieferungen nicht funktionieren, sondern nur auf dem Verhandlungsweg. Sonst wird der Konflikt eskalieren und es möglicherweise zum Konflikt Russland gegen NATO werden und es wird zum Einsatz von Atomwaffen in Europa kommen, mit entsprechenden Folgen für Zentral-Europa und möglicherweise die ganze Welt.
Die USA und weite Teile des europäischen Polit- und Wirtschaftsestablishments möchten in Russland einen Regime Change und eine Öffnung der russischen Märkte erwirken. Das ist das eigentliche Interesse hinter der seit 2014 und bereits vorher angestoßenen Entwicklung.
Verständlich, denn Russland verfügt über ein riesiges Staatsgebiet, eine große Bevölkerung und viele Rohstoffe. Ich glaube nicht, dass Russland unter Putin, weder wirtschaftlich noch militärisch, in die Knie zu zwingen ist, wenn, dann nur durch Atomschläge und entsprechende Antworten, die in ganz Europa viele Menschenleben kosten werden und gerade Deutschland, aber auch andere europäische Länder für Jahrzehnte in weiten Gebieten unbewohnbar machen würden. Die deutsche Wirtschaft wird auch ohne Krieg bald am Boden zerstört sein, als Folge der Subventionspolitik und aufgrund von Rohstoffmangel – und Kosten. Dass ausgerechnet Ihr grüner Kollege Habeck jetzt Fracking-Gas als Alternative zum russischen Erdgas ernsthaft in Erwägung zieht und damit grüne Grundsätze vollständig über Bord wirft, zeigt nur, wie sehr sich Ihre Partei, insbesondere auch Frau Baerbock, als Handlanger transatlantischer Wirtschaftsinteressen von Ihren eigenen Prinzipien verabschiedet hat.
Erinnern Sie sich bitte an die Grundprinzipien Ihrer Partei, sofern die überhaupt noch gelten, und tun Sie alles, was in Ihrer Macht steht, in diesem Konflikt so schnell wie möglich für eine Waffenruhe und eine Verhandlungslösung zu sorgen. Auch wenn eine solche Verhandlungslösung offenbar ganz und gar nicht in die Interessenlage des transatlantischen Partners USA passt. Wenn Sie das Ganze mal in aller Ruhe zu Ende denken, müsste Ihnen doch eigentlich angst und bange werden.
Der Ex-Kanzler Gerhard Schröder mag für Sie derzeit eine Persona non grata sein, für das Herbeiführen eines bilateralen Dialoges und die Aufnahme von Verhandlungen, auf welcher Ebene auch immer, wäre er geeignet. Ich gehe zwar davon aus, dass Sie meinen sehr ausführlich geratenen Brief nicht beantworten werden, aber würde mich trotzdem zumindest über ein kurzes Feedback Ihrerseits freuen.
Mit besten Grüßen
Michael Fitz