Kabarett ist eine Kunstform, die Satire und Polemik miteinander verbindet, um auf gesellschaftliche Missstände hinzuweisen. Sie teilt gerne aus, vor allem gegen die Mächtigen aus Politik, Wirtschaft und Medien. Es gehört zu ihrer DNA, sozialkritisch zu sein, wenn auch in komisch-unterhaltendem Modus, was bedingt, dass man nicht jede Aussage auf die Goldwaage legen sollte. Doch genau das wird zunehmend gemacht, sobald Kabarettisten vom Mainstream abweichen. Solange sie sich innerhalb des Sagbaren bewegen, können sie die Fakten verbiegen, bis sie bersten. Wehe aber, der Gag richtet sich gegen die öffentliche Meinung und transportiert eine Meinung, die große Teile der Politik, Medien und Wirtschaft als unzulässig erklären. Dann droht nicht nur das Ende der künstlerischen Karriere, sondern auch die soziale Vernichtung. Von Eugen Zentner
Die Cancel Culture treibt kontinuierlich ihre Blüten und macht vor dem Kabarett nicht Halt, so sehr es zum Handwerk gehören mag, ein brisantes Thema zuzuspitzen. Wie die Mechanismen funktionieren, konnte man im Fall Lisa Fitz gut beobachten. Die Kabarettistin trat jahrelang in der SWR-Sendung «Spätschicht» auf und wurde dort so lange gefeiert, bis sie vermehrt Kritik an den Corona-Maßnahmen und an der Impf-Agenda äußerte. Bei einem Auftritt ließ sie sich über die Folgen des „Piekses“ aus und sprach davon, dass an dem Vakzin von Pfizer zu dem Zeitpunkt 5.000 Menschen gestorben seien. Dabei machte sie bei der Wortwahl jedoch einen Fehler, weil es sich nicht um Todes-, sondern Verdachtsfälle handelte. Hätte es sich um einen wissenschaftlichen Vortrag gehandelt oder um einen journalistischen Beitrag, wäre der öffentliche Aufschrei, der auf den Auftritt folgte, durchaus verständlich. Aber es war Kabarett. Ein bisschen Unschärfe sei ihm erlaubt, schließlich bildet Polemik das Fundament dieses Kunstgenres.
Während Fitz’ Kollegen vor und nach ihrem Auftritt weiterhin über „Coronaleugner“ und „Impfgegner“ herziehen und die Tatsachen verzerren dürfen, wuchs der Druck auf die Kabarettistin täglich, selbst dann, als sie ihre Aussagen relativierte. In den sozialen Medien bildete sich ein gewaltiger Shitstorm. Die Leitmedien wirkten daran mit, indem sie die Diskussion mit einer überwiegend negativen Berichterstattung befeuerten. 3sat hat die «Spätschicht»-Folge mit Fitz erst gar nicht gezeigt. Der SWR tat es zwar, bereute es aber später und entfernte sie aus der Mediathek. Kurz darauf schmiss die Kabarettistin das Handtuch und teilte dem Sender mit, dass sie sich aus der Satire-Sendung zurückziehe. Heute präsentiert Lisa Fitz ihre kabarettistischen Perlen bei den NachDenkSeiten, in denen kritische Stimmen noch zu Wort kommen.
Allerdings ist mittlerweile eine polemisch zugespitzte Unschärfe nicht unbedingt notwendig, um ins Kreuzfeuer der selbsternannten Wahrheitswächter zu geraten. Er reicht schon die „falsche“ Meinung oder Haltung, wobei jene selber definieren, was richtig und falsch ist. Argumentiert wird dann mit der Kontaktschuld – so wie im Fall Ludger K. Der Kabarettist nimmt sich in seinem laufenden Programm «Orwell war ein Optimist!» ebenfalls die Corona-Maßnahmen und die Impf-Agenda vor. Einige Videos kursieren bereits auf YouTube. Auf seiner Homepage spricht er sich gegen G-Regeln aus und kritisiert die Corona-Politik, weil sie auf Zwang setzt. Das wurde ihm zum Verhängnis, als er Anfang dieses Jahres mit einem familiengeführten Ruhrgebietstheater vereinbarte, vier Monate als Moderator eines Varietés zu fungieren. Die Betreiber haben zum Thema Corona-Maßnahmen und Impfung eine andere Meinung als Ludger K., sehen darin aber kein Hindernis für eine Zusammenarbeit, zumal es bei der geplanten Veranstaltungsreihe eher um Spaß und Unterhaltung gehen sollte. Keine schweren Themen also.
Nach zwei Jahren eingeschränkter Berufsmöglichkeiten freute sich der Kabarettist riesig auf den Auftrag und bereitete sich intensiv vor. Doch dann grätschte die Regionalzeitung WAZ Bochum hinein – bzw. deren Chefredakteur. Was genau passierte, erläutert Ludger K. in einem humoristisch aufbereiteten Video, das er auf YouTube veröffentlicht hat, um den Fall aufzuarbeiten und seine Sicht der Dinge zu präsentieren. Der besagte Chefredakteur soll bei dem Ruhrgebietstheater angerufen und sie nicht nur auf die Beiträge des Kabarettisten hingewiesen haben, sondern auch auf bestimmte Kommentare unter den Clips, in denen darüber unterrichtet wird, dass Ludger K. Werbung für einen Aktienfonds mache. Diesen biete eine Firma mit mehreren Gesellschaftern an, zu denen auch der Ökonom und CDU-Politiker Max Otte gehöre. Er wiederum wurde von der AfD als Kandidat für das Amt des Bundespräsidenten vorgeschlagen.
In anderen Worten: Es wurde Druck ausgeübt, mit Verweis auf die Kontaktschuld des vermeintlichen Delinquenten. Die Intervention zeigte Wirkung, sodass das Ruhrgebietstheater Ludger K. durch einen anderen Moderator ersetzte. Kurz darauf erschien in der WAZ Bochum ein Schmähartikel, in dem der Chefredakteur den Wechsel als „alternativlos“ bezeichnete und unter anderem mit einer „gefährlichen Nähe zu Querdenkern und sonstigen Corona-Leugnern“ argumentierte. Von „Anti-Impf-Polemiken“ war die Rede, weshalb der Kabarettist genauso Schuld auf sich geladen haben soll wie durch ein „Interview mit der Rechtsaußen-Postille «Junge Freiheit»“. Dass die im Mainstream gehypte Dunja Hayali das einst ebenfalls getan hatte, spielte in dem Artikel keine Rolle. Sie gehört schließlich zu den „Guten“.
„Natürlich bin ich nicht nur Opfer“, sagt Ludger K. ironisch in seinem Aufarbeitungsvideo. „Ich habe ausgeteilt – auf der Bühne, auf YouTube. Aber ist das nicht mein Job als Kabarettist?“, fragt er rhetorisch und erinnert die Moralisten und selbsternannten Wahrheitswächter daran, dass Satire ihrem Grundverständnis nach anecken und den Finger in die Wunde legen muss. „Was habe ich also verbrochen?“ Diese Frage stellt sich tatsächlich, erst recht, wenn man die Argumente hört, mit denen Ludger K. seine Haltung begründet: „Ich kritisiere generell die sogenannten Maßnahmen, weil ich sie für unangemessen, unmenschlich und vor allem für nicht effektiv halte. Ich spiele nicht unter 2G. Ich mach’ da nicht mit. Auch wenn’s meine Karriere kostet, ich mache nicht mit. Ich bin nicht gegen Impfen per se. Mein Heftchen ist gut gefüllt. Ich bin gegen Pflicht und Zwang und bringe das gern mit scharfzüngigen Worten zum Ausdruck.“
Was im Kabarett selbstverständlich zu sein scheint, schmilzt im Zeitalter der Cancel Culture so schnell wie das Eis in der Sonne. Das gilt auch für die Einkünfte der Betroffenen. Für Ludger K. wäre der viermonatige Auftrag als Moderator die Haupteinnahmequelle in diesem Jahr gewesen. Mit der Intervention des WAZ-Chefredakteurs löste sie sich in Luft auf. Darin zeigt sich die perfide Wirkungsweise der Cancel Culture: Die vermeintlichen Abweichler werden wirtschaftlich ruiniert, eingeschüchtert und gleichsam erzogen – selbst wenn sie noch nicht ins Fadenkreuz geraten sind. Fälle wie die von Lisa Fitz und Ludger K. sollen demonstrieren, was mit Kabarettisten passiert, die nicht nach der Pfeife tanzen. Bestrafe einen, erziehe Hunderte, wie der chinesische Staatspräsident Mao Zedong schon wusste.
Die Methode erfüllt ihren Zweck. Manche Kollegen zeigen sich beeindruckt. „Auf mich wirkt das abschreckend“, sagt zum Beispiel Barbara Weinzierl, eine Kabarettistin aus München. Sie gehört ebenfalls zu der Fraktion der Künstler, die die Corona-Politik kritisch sehen. Die Maßnahmen kamen für sie einem Berufsverbot gleich. War sie früher viele Jahre lang im ganzen deutschsprachigen Raum auf Tour, absolviert sie seit März 2020 kaum noch Auftritte. Die Auftragslage ist wegen der bisherigen und künftig wieder möglichen Einschränkungen recht überschaubar geworden. Die letzten zwei Jahre seien eine Leidenszeit gewesen, sagt die Kabarettistin. Das liege nicht nur an den Einnahmeverlusten, sondern eben auch an dem schleichenden Verlust der Meinungsfreiheit. Weinzierl bekam wegen ihrer Haltung ebenfalls zu spüren, wie weit die Cancel Culture in Deutschland vorangeschritten ist.
Gegenwind bekam sie vor allem von Kollegen, die den Regierungskurs stützen. Diese reagierten aufgebracht auf Weinzierls Posts in den sozialen Medien und bezeichneten sie als „Schwurblerin“, „Aluhutträgerin“ oder „Verschwörungstheoretikerin“. Der Kabarettistin wurde schnell klar, dass sie ihre Meinung nicht sagen durfte, wenn sie in der Branche weiterarbeiten wollte. Viele Kollegen bestätigten diese Strategie, als sie sich sofort von ihren Aussagen distanzierten, sobald der öffentliche Druck stieg. Um ihre Erfahrungen zu verarbeiten, hat die Münchnerin in den letzten zwei Jahren kritische Gedichte und Texte zu Themen wie Lockdown, Ausgangssperre oder gesellschaftliche Spaltung geschrieben. Auch ihr Kabarett-Programm will sie eigentlich so gestalten, dass darin das zur Sprache kommt, was sie während der Corona-Krise als Fehlentwicklung wahrgenommen hat. Auf den herkömmlichen Bühnen, wo sie zuvor aufgetreten war, sei das aber nicht möglich, vermutet die Kabarettistin. Auf den Veranstaltern laste der gleiche Druck wie auf den Künstlern. Und der Fall Ludger K. gibt ihr Recht.
Gleichwohl bemüht sich Weinzierl darum, neue Möglichkeiten zu finden, sich von der Angst zu lösen. Sie möchte zumindest ein wenig von dem mitteilen, was die Corona-Zeit mit ihr gemacht habe – auch auf der Bühne. Es ist zu wünschen, dass die von Cancel Culture betroffenen Kabarettisten nicht den Mut verlieren und standhaft bleiben. Ansonsten besteht die Gefahr, dass die Kunst eintönig, konform und fade wird, ja sich sogar anbiedert. „Wenn Künstler nur noch Kunst in Sinne der herrschenden Meinung machen können, dann ist das deren Tod“, sagt Weinzierl. „In meinen düstersten Visionen sehe ich uns in der Plastikwelt von Castingshows, Faktenchecks und geprüften Filmen oder Theateraufführungen.“ In einer dystopischen Welt, auf die wir zusteuern, wäre das die einzige Möglichkeit, kulturell tätig zu werden. Es sei denn, die Cancel Culture nimmt endlich ein Ende.
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