In ihrem Übereifer, der Abhängigkeit von russischer Energie zu entrinnen, setzt die Bundesregierung mit Vehemenz auf die Alternative Flüssiggas. Für drei Milliarden Euro will man dafür im Schweinsgalopp vier schwimmende Terminals an Nord- und Ostsee in Betrieb nehmen. Zur „Beschleunigung“ werden per Gesetz Beteiligungs- und Klagerechte beschnitten und Umweltverträglichkeitsprüfungen ausgesetzt. Bei einer Technologie mit extrem schlechter Klimabilanz, die in den USA Böden, Wasser und Menschen vergiftet, erscheint das nur konsequent. Und dass ein Wirtschaftsminister mit grünem Parteibuch ein ökologisches Quatschprojekt mit transatlantischer Schlagseite vorantreibt, nicht minder. Von Ralf Wurzbacher.
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Am Donnerstag macht Robert Habeck, Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz, einen Abstecher nach Wilhelmshaven an der Nordsee. Bei dem Stelldichein von politischen und Industrievertretern werden gewiss eifrig Schultern geklopft. Gibt es dieser Tage und Wochen doch nichts Dringlicheres zu erledigen, als sich aus der Abhängigkeit von russischem Gas zu lösen – um sich hoppladihopp in neue, den westlichen Bündnispartnern genehme Abhängigkeiten zu begeben.
In Wilhelmshaven werden zu diesem Zweck Pflöcke eingeschlagen. Das sogar buchstäblich: Unweit des Tiefwasserhafens Jade-Weser-Port wird im Beisein des Grünen-Ministers der erste Rammschlag zur Ertüchtigung eines Anlegers erfolgen, an dem in möglichst naher Zukunft eine Anlande- und Speicherplattform für Flüssigerdgas vertäut werden soll. Eine Floating Storage and Regasification Unit (FSRU) ist eine riesige schwimmfähige Anlage, an der Hochseetanker festmachen, um ihre Fracht – in diesem Fall sogenanntes Liquefied Natural Gas (LNG) – zur Weiterverarbeitung zu übergeben.
Putin macht’s möglich
LNG-Terminals gibt es auch in stationärer Ausführung, ganz Europa zählt über 30 davon, allein in Spanien sind es sechs. Deutschland hat noch kein einziges, obschon in der Vergangenheit immer wieder Vorstöße unternommen wurden, das zu ändern. Zum Beispiel ist im Koalitionsvertrag der Jamaika-Regierung in Kiel das Ziel formuliert, das Projekt eines LNG-Terminals in Brunsbüttel voranzutreiben. Aber passiert war seit 2017 kaum bis gar nichts in der Angelegenheit und am Sonntag wird in Schleswig-Holstein ein neuer Landtag gewählt.
Erst mit dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine nahmen die Planungen nicht nur wieder Fahrt auf. Praktisch über Nacht wurden sogleich Nägel mit Köpfen gemacht. Weil für den Bau einer Anlage auf dem Festland jedoch Jahre vergehen würden, setzt die Politik vorerst auf die schwimmende Variante. So soll etwa der Standort Wilhelmshaven bereits Anfang 2023 in der Lage sein, erste Rohstofflieferungen in Empfang zu nehmen und mittels einer ebenfalls zu errichtenden, 30 Kilometer langen unterirdischen Pipeline weiterzutransportieren. Nach Angaben des niedersächsischen Umweltministeriums könnten so bis zu 20 Prozent der jährlichen Gasimporte aus Russland ersetzt werden.
Schnell gehen wird es auch in Brunsbüttel an der Elbe-Mündung. Ende April hat der Kieler Landtag eigens das Landeswassergesetz dahingehend geändert, dass der Bau auch dann aufgenommen und weitergeführt werden darf, wenn Gerichte über mögliche Anfechtungsklagen noch nicht entschieden haben. Mit der Neuerung sei eine Inbetriebnahme bereits im Frühjahr 2024 möglich, andernfalls hätte es wohl bis frühestens 2027 gedauert.
Drei Milliarden Euro Steuergeld
Natürlich schultern die beiden Nordlichter die Vorhaben nicht allein. Schon vor einigen Wochen hat die Bundesregierung die Beschaffung von zunächst vier schwimmenden LNG-Terminals auf den Weg gebracht. Nach dem am Sonntag vom Bundeswirtschaftsministerium (BMWK) veröffentlichten zweiten Fortschrittsbericht Energiesicherheit sind die Verträge „auf der Zielgeraden“ und die fraglichen Anlagen schnellstmöglich fertigzustellen. Grünes Licht haben bisher Wilhelmshaven und Brunsbüttel sowie ein namentlich noch unbekannter dritter Kandidat erhalten. Gute Aussichten auf einen Zuschlag sollen Stade, Hamburg sowie Rostock an der Ostsee haben. Im Gespräch ist nach einem Bericht des Deutschlandfunks vom Dienstag auch das niederländische Eemshaven an der Ems-Mündung.
Laut Deutscher Umwelthilfe (DUH) sind insgesamt sieben solcher Unternehmungen angedacht, wovon die Bundesregierung allein fünf finanzieren wolle. Für die vier schon konkretisierten Projekte werden knapp drei Milliarden Euro veranschlagt. Die Ausgaben, die sich im Zuge der Bauphase mit Sicherheit noch vermehren werden, sind bereits in den laufenden Bundeshaushalt eingestellt. Zu den ohnehin schon horrenden Energiepreisen, die der Krieg, die Wirtschaftssanktionen und das Treiben von Spekulanten die Verbraucher kosten, kommen also weitere gewaltige Mehrbelastungen für den Steuerzahler, um sich von russischem Gas „freizukaufen“.
Freilich gilt es für die Bürger, noch andere Kröten zu schlucken. Ein die Planungen flankierendes sogenanntes LNG-Beschleunigungsgesetz, dessen Entwurf gerade die Ressortsabstimmung zwischen Wirtschafts-, Justiz- und Umweltministerium durchläuft, sieht gleich eine ganze Reihe von Einschränkungen in puncto Beteiligungs- und Klagerechte vor. Nach dem Wortlaut eines durch die DUH publik gemachten Hintergrundpapiers des BMWK geht es dabei unter anderem um „die Möglichkeit zur Ausnahme von einer Umweltverträglichkeitsprüfung“, eine „Reduzierung der zeitlichen Dauer der Öffentlichkeitsbeteiligung“, „beschleunigte Vergabe- und Nachprüfungsverfahren“ sowie eine „Rechtswegeverkürzung“.
Bei Bedarf fiktive Genehmigung
Begründet werden die rechtsstaatlichen Abstriche mit einem „überragenden öffentlichen Interesse“ und einem „Interesse der öffentlichen Sicherheit“. Damit könne eine deutliche „Beschleunigung erfolgen, da bei einer Vielzahl von Prüfungsverfahren mit Abwägungen dem Ausbau von LNG-Anlagen ein besonderes Gewicht eingeräumt wird und eine Planrechtfertigung erfolgt“, heißt es in dem Dokument. Und weil alles gerade so leicht von der Hand geht, sollen die Hemmnisse zivilgesellschaftlichen Widerstands nicht nur für die schwimmenden, sondern ebenso für die auf viel längere Sicht zu realisierenden landgebundenen LNG-Terminals gelten. Das passt: Schließlich steht wenigstens für Wilhelmshaven und Brunsbüttel eine spätere Dauerlösung auf der Agenda.
Tatsächlich braucht es auch für das Festmachen der schwimmenden FSRUs ein Planfeststellungsverfahren mit wasser- und immissionsschutzrechtlicher Prüfung. Um das Verfahren abzukürzen, müsse man im Zweifel „vom Rechtsmittel der Genehmigungsfiktionen Gebrauch machen“, äußerte sich unlängst Niedersachsens Energieminister Olaf Lies (SPD). Die „Tageszeitung“ (taz) übersetzte das Ende März so: „Wenn eine zuständige Behörde nicht innerhalb einer bestimmten Frist über eine Genehmigung entscheidet, gilt diese als erteilt.“ Noch viel schöner verspricht es für die Macher in Politik und Wirtschaft zu werden, wenn sie sich die umwelt- und klimapolitisch ungleich schwerer zu rechtfertigenden landgestützten Anlagen „fiktiv“ genehmigen können.
Denn spätestens nach einem Ende des Ukraine-Krieges dürften die Proteste gegen die fraglichen Projekte kräftig an Fahrt aufnehmen. Dabei könnten sich die Einwände nicht nur gegen die Anlagen selbst richten, sondern auch gegen das ganze Drumherum des damit verbundenen Modells der Energiegewinnung. Große Bestände an LNG werden mittels der hochumstrittenen Fracking-Methode gewonnen, wie sie in großem Stil in den USA praktiziert wird. Dabei werden unter hohem hydraulischen Druck und durch Zugabe von Sand, Wasser und Chemikalien Gesteinsschichten in großer Tiefe aufgesprengt, woraufhin Gas und Öl entweichen und eingesammelt werden. Die nach der Ausbeutung hinterlassenen Bohrstellen sind ein ökologisches Schandmal – mit kaputten Böden, stinkender Luft und vergiftetem Grundwasser. Diese toxische Mischung wirkt wohl auch auf Menschen tödlich. Gemäß einer im Januar vorgelegten Studie der Harvard School of Public Health haben im Umkreis von Fracking-Standorten lebende Menschen eine unterdurchschnittliche Lebenserwartung.
Scheichegal
Zur miserablen Umweltbilanz trägt außerdem der Transport von LNG bei. Nicht nur werden bei der Verschiffung jährlich Abermillionen Tonnen Schweröl verbrannt. Seinen flüssigen Zustand, bei dem das Erdgas auf einen Bruchteil seines Volumens reduziert wird, nimmt es erst bei minus 164 Grad Celsius an. Beim Herunterkühlen geht ein beträchtlicher Teil seines Energieinhalts verloren. Viel Energie kostet auch die Regasifizierung durch Erwärmung auf den schwimmenden oder stationären Terminals. Und zu schlechter Letzt wird beim Verbrennen des Gases CO2 und das noch klimaschädlichere Methan freigesetzt.
Dass ausgerechnet der selbsternannte Klimaminister Habeck auf ein Pferd setzt, das umwelt- und klimapolitisch aus der Zeit gefallen ist, erscheint an sich schon beachtlich. Auch bei der Wahl seiner Partner kennt der olivgrüne Realo keine Scheuklappen. Dass er der US-Frackinggasindustrie goldene Zeiten bescheren wird – geschenkt. Das gebieten schließlich die nach dem russischen Ukraine-Einmarsch wieder so intimen transatlantischen Beziehungen. Noch vielsagender war Habecks Aufwartung bei den despotischen Scheichs von Katar im März, als er darüber dealte, Deutschlands Energiehunger vom weltweit größten Flüssiggasproduzenten stillen zu lassen.
Ohne Rücksicht auf Verluste – in ökologieorientierten Wählerschichten – trägt der Minister auch sein Basta-Gehabe bei seiner Mission zur Schau, Deutschland von russischem Gas zu erlösen. Vor ein paar Wochen bei einem Ortstermin in Brunsbüttel sprach er zum Beispiel davon, dass beim Bau von Flüssiggasterminals die deutsche „Schlafmützigkeit“ und „Bräsigkeit“ abgelegt werden müsse. Und keinen Monat später strahlt der neue Erweckungsgeist aus besagtem LNG-Beschleunigungsgesetz.
„Krasse fossile Überkapazität“
Umweltschutzverbände verfolgen die Vorgänge mit Sorge. Die DUH sieht mit den LNG-Terminals eine klimaschädliche Infrastruktur mit langfristig schwerer klimapolitischer Hypothek entstehen. Die fraglichen Regelungen seien nicht nur „übereilt und unüberlegt“. Damit drohe auch „eine krasse fossile Überkapazität und neue Abhängigkeit von zweifelhaften Lieferländern“, gab Constantin Zerger, im Verband zuständig für den Bereich Energie und Klimaschutz, am Sonntag in einer Medienmitteilung zu bedenken. Mit dem Gesetz werde „ein Bedarf für den Import von LNG unterstellt und sogar unter ein ‚überragendes öffentliches Interesse‘ gestellt, obwohl das Ministerium diesen Bedarf bis heute nicht mit Zahlen und Fakten belegt hat“.
Bundesgeschäftsführer Sascha Müller-Kraenner beklagte einen „klima- und umweltpolitischen Blindflug“. Die Einschränkung der Beteiligungsrechte nannte er „undemokratisch und einen gefährlichen Präzedenzfall“. Was für jeden größeren Windpark Pflicht sei, „darf bei fossilen Megaprojekten wie LNG-Terminals nicht ausgelassen werden“. Offenbar befürchte der Minister, „dass die Projekte einer rechtlichen Prüfung und einer kritischen Bewertung durch die Öffentlichkeit nicht Stand halten würden“.
Immerhin: Den Betrieb mit Flüssiggas will die Bundesregierung befristen und einen Weiterbetrieb auf längere Sicht „nur für grünen Wasserstoff und dessen Derivate“ zulassen. So würden „Lock-in-Effekte“, also die quasi endlose Festlegung auf eine rückwärtsgewandte Technologie vermieden. Das indes ist ferne Zukunftsmusik. Laut Gesetzentwurf soll mit der LNG-Geschäftemacherei erst „bis spätestens zum 31. Dezember 2040“ Schluss sein.
Ein Fest für Investoren
Bis dahin können sich Reedereien und Energieversorger über reichlich Profite freuen. Betreibergesellschaft in Wilhelmshaven ist die in Düsseldorf ansässige und mehrheitlich vom finnischen Fortum-Konzern gehaltene Uniper. In Brunsbüttel sitzen die staatliche Förderbank KfW, die Essener RWE AG und die niederländische Gasunie in einem Boot. Jüngst hatte das Fachblatt „Trade Winds“ berichtet, dass Uniper mit dem griechischen Reeder Dynagas verhandelt, die RWE mit dem norwegischen Anbieter Höegh LNG. Uniper soll sich bereits zwei FSRU-Schiffe vertraglich gesichert haben, die ein Volumen von 174.000 Kubikmeter fassen und beide von der chinesischen Werft Hudong-Zhonghua gebaut wurden. Allein die Leasingkosten sollen sich auf 730 Millionen US-Dollar in zehn Jahren belaufen.
Aber ist der ganze Aktionismus eigentlich vonnöten? Deutschland könnte alternativ „stärker auf die Terminals seiner Nachbarländer“ zugreifen, schrieb der Deutschlandfunk. Die Anlagen im Rest Europas wären nur zu 40 Prozent ausgelastet und über das gut ausgebaute europäische Gasnetz könnte dann das bereits regasifizierte Erdgas nach Deutschland strömen“.
Vielleicht hat der deutsche Alleingang ja andere Hintergründe. Auch in Stade, das als LNG-Standort hoch im Kurs steht, sind die Dinge in Bewegung. Die Hanseatic Energy Hub GmbH (HEH), die das Projekt vorantreibt, hatte Anfang April die Genehmigungsunterlagen eingereicht. Ob die Bundesregierung den Daumen für das Städtchen an der Elbe hebt, ist bisher nicht bekannt. Die Zeichen stehen auf alle Fälle gut. Anfang April gab der US-Chemiekonzern Dow Chemical bekannt, in das Terminal investieren und als Gesellschafter einsteigen zu wollen. Auf die transatlantische Leitung ist offenbar Verlass.
Titelbild: Tomasz Makowski