Leserbriefe zu „Der Westen will keinen Frieden“
Der ehemalige Schweizer Geheimdienstoffizier und NATO-Berater Jacques Baud hat in diesem Interview über die Ursachen des Ukraine-Krieges und die wachsenden Gefahren gesprochen. Eingeleitet wird es mit einer Vorbemerkung von Jens Berger. Jacques Baud weist u.a. auf die Ereignisse von 2014 sowie auf von der OSZE festgestellte Waffenstillstandsverletzungen und die Bedrohung durch einen unmittelbar bevorstehenden Angriff seitens der Ukraine hin. Insbesondere zu den Ereignissen in Bucha und Kramatorsk wird „eine internationale, unparteiische Untersuchung“ gefordert. Kritisiert wird, dass ohne Kenntnis des Sachstandes Entscheidungen getroffen und Sanktionen verhängt werden. Das bringe sogar unsere Wirtschaften durcheinander und „schlägt also auf uns selbst zurück“. Sein Fazit: „Und das, glaube ich, zeigt, was für eine unreife Führungsschicht wir generell im Westen haben. (…) Das ist es, was uns wirklich beunruhigen sollte, dass wir Leute haben, die ohne jede Grundlage Entscheidungen treffen, und das ist extrem gefährlich.“ Danke für die interessanten E-Mails. Hier nun die Leserbriefe. Zusammengestellt von Christian Reimann.
1. Leserbrief
Liebe Redaktion,
vielen Dank für das sehr informative Interview von Aaron Maté mit Jacques Baud. Die Vorbemerkung von Herrn Berger war allerdings befremdlich und nur insofern einigermaßen nachvollziehbar, als sie aus der gleichen Feder geflossen ist, die auch für die Bezeichnung von Putin als „Verbrecher“ verantwortlich war. Das war natürlich nicht „ein wenig unterkomplex und einseitig“, wie Bauds Erklärungen des Beginns des russischen Einmarsches genannt wurden. Die Einleitung, nach der sich dessen „Einlassungen streckenweise wie eine Putin-Apologie“ lesen ließen, stammt vermutlich vom gleichen Autor. Der Artikel hat es nicht verdient, daß ein dermaßen tendenziöses Licht auf ihn geworfen wird.
Auch die Bemerkungen zu Bucha und Kramatorsk hätte man sonstwo zu lesen erwarten können, aber kaum in einem der alternativen Medien. Bauds Einlassungen hierzu waren methodologisch einwandfrei: nach Abwägung aller zur Verfügung stehenden Daten weist nun einmal alles darauf hin, daß insbesondere die Massaker in Bucha von faschistischen Einheiten durchgeführt wurden. Sie hatten ganz offensichtlich den Auftrag, die Stadt von „Kollaborateuren und Saboteuren“ zu „säubern“, wovon ein Reporter der New York Times am Samstag, drei Tage nach Abzug der russischen Truppen, vor Ort nichts mitbekommen hatte. Vier Tage danach, am Sonntag, war es dann vollbracht.
Vier Tage sind eine lange Zeit, die auch „ein wenig unterkomplexe und einseitige“ Beobachter in die Lage versetzen sollte, eins und eins zusammenzuzählen. Die Nazis hatten, als es einmal um nicht von ihnen begangene Verbrechen ging (Katyn), sofort eine internationale, unabhängige Untersuchung eingeleitet: sie wollten die Verantwortung des Feindes ins grelle Licht stellen. Gesunder Menschenverstand sollte ausreichen, sich zu fragen, wieso das Kiewer Regime nicht nur nichts dergleichen unternommen hat, sondern alle Zeugnisse hat beseitigen lassen. Daraus wollen wir unsere Schlüsse ziehen — auch daraus, wenn sie nicht gezogen werden.
Mit freundlichen Grüßen
Michael Ewert.
2. Leserbrief
Lieber Herr Berger,
Ihre fundierten Artikel schätze ich sehr. Ich schätze es jedoch weniger, wenn Sie dem Beitrag eines Gastautors einen (ab-)wertenden Kommentar voranstellen. Sie schreiben zwar “Wir halten unsere Leser für erwachsene Menschen, die sich ihre eigene Meinung machen können” – praktizieren damit aber das Gegenteil. Sind Sie der Auffassung, dass ich nicht selber beurteilen kann, ob ich Herrn Bauds “Putin-Apologie” für gerechtfertigt halte oder nicht? Sie teilen offensichtlich Herrn Bauds Aussagen zu Bucha und Kramatorsk nicht und halten einige seiner Aussagen pauschal und ohne Angabe von Gründen für unterkomplex und einseitig. Heißt das, daß Sie besser über die Kriegssituation in der Ukraine informiert sind als Herr Baud? Ich würde mich freuen, wenn Sie in einem solchen Fall Ihre Kritik, Einwände, Bedenken, etc. mit Fakten untermauern und dies in einem eigenen Artikel darlegten, anstatt Gastbeiträge mit überflüssigen Belehrungen (sorry, so empfinde ich das) zu versehen.
Ungeachtet dieser kritischen Anmerkung, bleiben die NDS eine meiner wichtigsten Informationsquellen, und ich danke Ihnen und der Redaktion für ihre wertvolle Arbeit!
Mit freundlichen Grüßen
Jutta Mertins
3. Leserbrief
Sehr geehrter Herr Berger,
Super Beitrag.
Aber Sie schreiben “So teile ich persönlich beispielsweise die Aussagen von Jaques Baud zu Bucha und Kramatorsk nicht …”
Was sagt Baud denn zu Bucha?
Man habe keine unabhängigen Informationen, aber trotzdem schon einen Schuldigen und träfe folgenreiche Entscheidungen!
Das bemängelt er m.E. zu Recht.
Darüber hinaus gilt in solchen Fällen für mich zunächst immer “Cui bono?”.Und das wären bestimmt nicht die Russen.
Was finden Sie daran falsch?
Mit freundlichen Grüßen
Heinz-Jürgen Fey
Anmerkung Jens Berger: Sehr geehrter Herr Fey,
mir geht es sich nicht um die Aussage, die sie anführen. Ganz im Gegenteil. Ich habe aber Bauchschmerzen bei folgendem Satz …
Erstens, was wir in beiden Fällen an Indizien haben, deutet für mich darauf hin, dass die Russen nicht verantwortlich waren.
Diese Schlussfolgerung kann ich anhand der mir durch die pro-westlichen und pro-russischen Quellen präsentierten Indizien nicht teilen. Es ist bei Bucha – wie Sie ja schreiben – richtig, dass dies nicht zu Verurteilung der Russen reicht. Es ist aber auch nicht so, dass es im Umkehrschluss mehr Indizien gäbe, die eine Unschuld belegen würden. Vor Gericht hieße das wohl: Freispruch aus Mangel an Beweisen. Aber nicht: Freispruch wegen erwiesener Unschuld.
Beim Fall Kramatorsk stellt sich die Lage jedoch ein wenig anders dar. Hier sind die Indizien der pro-russischen Seiten eigentlich recht glaubhaft widerlegt worden. Solche Dinge passieren leider im Kreis. Früher hätte man wohl achselzuckend gesagt: “C’est la guerre“. Heute führt man seltsame Debatten. Ein wenig mehr Ehrlichkeit wäre mir da lieber.
Beste Grüße
Jens Berger
4. Leserbrief
(You) Made my Day! -> Aaron Maté, Jacques Baud, Josep Borrell, ‘Stille Post’ und Anna Schafran machen heute meinen Tag ohne Kummer!
Maté & Baud (s.o.), – Josep Borrell möchte ‘Humane Korridore in Mariupol, die das Stahlwerk einschlössen’ – der Gutste bekommt wohl die Post aus Mariupol per Landreiter zugetragen oder wird nun Opfer der eigenen Propaganda? – deutschlandfunk.de/russland-beschiesst-mehrere-bahnhoefe-106.html
‘Stille Post’: Ich flüsterte aus Deutschland: „Traktoren und schwere Waffen!“ und in Moskauer MiN-Z-Oborona kam an: „Traktionsunterwerke 10kV“ … ein schweres Missverständnis! Gleich drei davon ‘aufgesucht’. Hätt’ ich doch bloß einfache Sachen wie „Friedenstaube“ geflüstert, dann liefe in Ukraine noch der Bahnverkehr.
rtde.live/meinung/136928-werden-hauptachse-moskau-peking/
Anna Schafran zitiert (auf ‘RT’) den Pekinger Ned Price, Zhao Lijian: „… Sie versuchen, die Verantwortung abzuwälzen, veranstalten Provokationen und versuchen einen Profit herauszuholen, Handlungsspielräume zu finden und gleichzeitig sowohl Russland als auch China einzudämmen.“ – Bei Verantwortung abzuwälzen, ist es bekanntlich weniger Wladimir Putin & Welthungerkrise, da schon mehr Svenja Schulze & SPD-gemacht! Auf Svenjas früheres Ressort bezogen, bekomme ich eine neue, phantastische Anwandlung von unserer ‘ex-(c)Um-Weltministerin’ (im Sinne von: Wahr oder Nichtwahr) … (klar, dass Scholz die behält)
… oder geben wir der lieben (c)Um-Svenja eine erste Lektion auf Mandarin: LI (Sonne) LA (Gemeinheit) … LILA! Auch das wäre dann ein richtiger Zhao Lijian!
LG Hans-Jörg Kramer
5. Leserbrief
Ich danke den beiden Interviewpartnern und insbesondere den Nachdenkseiten, die uns Zugang zu den Erkenntnissen und Schlussfolgerungen erlaubten.
Zu zwei Aspekten eine Anmerkungen von mir:
- “Was mich stört, ist, dass westliche Führer anfingen, Entscheidungen zu treffen, ohne zu wissen, was los ist, was passiert ist. Und das stört mich ganz gewaltig. Bevor irgendein Ergebnis von irgendeiner Untersuchung vorliegt – und das sollte eine internationale, unparteiische Untersuchung sein. Ohne das zu haben, fangen wir schon an, Sanktionen zu verhängen, Entscheidungen zu treffen – ich denke, das zeigt, wie pervertiert dieser ganze Entscheidungsprozess im Westen ist.“
Die USA sowie in den letzten Jahren zunehmend die EU (differenziert aber dennoch) setzen alles daran, ein Wiedererstarken Russlands in eine internationale Schwächung umzukehren.
Natürlich, und damit hat Putin vollkommen recht, gleich was Russland tut, die Sanktionen kommen – so oder so. Schnell, hart und entschlossen.
Darauf wurde über Jahre tröpfchenweise die Öffentlichkeit vorbereitet – Berichte über Russland und waren sie noch so kurz, erfolgten immer im Kontext mit einem Negativum. Insbesondere die Tagesschau beherrscht dieses Prinzip der subtilen, aber zielgerichteten Meinungsmache sehr gut.
Auf der anderen Seite lieferte aber auch Russland wiederholt und nicht zu akzeptierende Beispiele wie u. a. die Giftanschläge auf verschiedene Personen.
Wie dem auch sei, es gibt keine Ehrlichkeit und ethischen Gesichtspunkte bei solchen Auseinandersetzungen. Davon muss man sich lösen. Dies gilt insbesondere auch für Kriege oder andere gewaltsame Auseinandersetzungen. Hier gilt einzig und allein das „Gesetz des Stärkeren“. (Ich erinnere hier an den spontanen Ausruf der Außenministerin Baerbock, Russland wirtschaftlich zu zerstören).
Leider hat die heutige Generation der sogenannten westlichen Eliten dieses Grundprinzip der Gewalt für sich in einem solchen Maße implementiert, als dass es dieses heute im Vorfeld physischer Gewalt bei jeder besten Gelegenheit anwendet, verschieden motiviert, bis hin zum Herdentrieb/Gruppenzwang.
Viele Vertreter der alten Generation von Politikern hätten diese Entwicklung niemals soweit ausufern lassen – u. a. weder ein Willy Brandt, ein Jochen Vogel aber auch kein Helmut Kohl, bleiben wir mal bei uns, hier in Deutschland.
Sehr bemerkenswert hierzu das Interview mit Klaus von Donanyi im Rahmen von DAS (N3), ich meine am 24.04.22.
- “Es schlägt also auf uns selbst zurück. Aber wir entscheiden ja auch, ohne wirklich den Sachstand zu kennen. Und das, glaube ich, zeigt, was für eine unreife Führungsschicht wir generell im Westen haben. Das gilt sicherlich für die USA, aber ich glaube, an diesem Beispiel der Ukrainekrise sieht man, dass die europäische Führungsebene nicht besser ist als das, was wir in den USA haben. Wahrscheinlich eher noch schlimmer, denke ich manchmal. Das ist es, was uns wirklich beunruhigen sollte, dass wir Leute haben, die ohne jede Grundlage Entscheidungen treffen, und das ist extrem gefährlich.“
Die oberste Führungsschicht in unserem Staat ist in weiten Teilen erodiert. Althergebrachte Grundsätze des Verwaltungshandelns zählen schon lange nicht mehr. Einzig das Auftreten innerhalb des eigenen Lagers und vor der Öffentlichkeit dokumentieren die Qualifikation. Dabei wird getrickst, gelogen, stellenweise das Recht gebogen und es werden Allianzen geschmiedet, die eine Reinigung von Innen heraus oder kraft Gesetzes wirksam verhindern.
Das Betrügen bei einer Dissertation einzelner Politiker findet sich dann nicht etwa in einem Parteiausschluss wieder, sondern in einem anderweitig höheren Amt (Vorgang Giffay- jetzt Regierende Bürgermeisterin von Berlin). Ist ein Herr von zu Guttenberg als Verteidigungsminister noch zurückgetreten, gehört es heute zur ungestraften Normalität in unserer Gesellschaft. Hier ordnet sich Frau Baerbock mit bekannten Beispielen ebenso ein wie Herr Habeck und auch, dass sich beide als Mitglieder des Grünen-Vorstandes im Vorbeigehen mal ebenso 1.500,- € Coronahilfe zukommen zu lassen.
Oder denken wir an die über viele Jahre verübten NSU-Morde, die letztendlich in der Folge praktiziert werden konnten, weil sich Strafverfolgungsbehörden, in persona einzelner Führungsvertreter in Polizeien der Länder und des Bundes sowie der Politik eben nicht auf eine einheitliche Ermittlungsführung einigen konnten, weil nicht wollten.
Einsturz einer Baugrube U-Bahn, der Abbrand der historischen Bibliothek in Weimar, der erfolgreiche Kunstdiebstahl in Dresden, die Abschaffung von Sirenen zur Warnung der Bevölkerung (jetzt Wiederbeschaffung mit Unterstützung öffentlicher Gelder), der Lacher des seinerzeit Bundesvorsitzenden der CDU vor den Flutopfern, das Wirken von Anne Spiegel als eine der verantwortlichen Landesminister, korrespondierend mit dem folgenlosen Handeln/Nichthandeln des Innenministers und der zuständigen Ministerpräsidentin – diese und viele weiteren Beispiele deuten nicht nur auf ein Versagen Einzelner hin, sondern sind wegen Ursache, Ausmaß und Häufigkeit Zeugnis eines Systemversagens in unserer politischen Landschaft. Und daran hat sich bis heute nichts geändert. Im Gegenteil, dieses fundamentale Versagen strahlt selbst in Sphären aus, die zum Untergang der Menschheit führen können – so wie jetzt im möglicherweise ausufernden Ukrainekrieg oder in der anhaltenden und vor dem Hintergrund von nie dagewesene Hochrüstung und Sanktionsfolgen forcierten Umweltzerstörung. Leider verfügt der Stand unserer Demokratie über kein Korrektiv dazu.
Olaf
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