Retten die Blogger die Demokratie?

Jens Berger
Ein Artikel von:

“Retten die Blogger die Demokratie?” – unter diesem bewusst zugespitzten Motto diskutierten am Wochenende auf dem 1. Kölner Bloggerkongress Vertreter der politischen Blogosphäre untereinander und mit dem Publikum. Um es vorwegzunehmen: Eine selbstständige Kraft, die es vermag, große Änderungen zu bewirken, sind die deutschen Politblogs noch lange nicht; als Korrektiv und meinungsbildendes Instrument spielen sie jedoch bereits heute eine relevante Rolle. Um diese Relevanz signifikant zu steigern, wären jedoch Entwicklungen nötig, die aus heutiger Sicht nicht unbedingt realistisch erscheinen. Jens Berger.

Bestandsaufnahme

Es existiert keine wissenschaftlich evidente Kartierung der deutschen Bloglandschaft. Laut einer Allensbacher Computer- und Technikanalyse sollen zwar 8,4% der deutschen Internetnutzer ein eigenes Blog führen, wie viele davon überhaupt aktiv geführt werden und wie viele als “politisch” betrachtet werden können, lässt sich jedoch ohne zuverlässiges Zahlenmaterial nicht sagen. Empirisch könnte man die Zahl der politischen Weblogs in Deutschland, die sich auch mit politischen Themen abseits der Netzpolitik beschäftigen, vielleicht auf wenige Tausend schätzen. Selbstverständlich ist diese politische Blogosphäre jedoch sehr heterogen. Neben einer Phalanx von Blogs, die man anhand der klassischen Gesäßgeographie als “links der Mitte” einordnen könnte, gibt es auch zahlreiche Blogs aus dem nationalkonservativen bis rechtsextremen und dem libertären Spektrum. Sehr großer Beliebtheit erfreuen sich auch Blogs, die man am ehesten als “verschwörungstheoretisch” bezeichnen könnte und deren politische Linie oft erstaunlich indifferent ist. Einzig im engeren Umfeld der Volksparteien gibt es erstaunlicherweise fast gar keine Blogs, die nicht von den Vorfeldorganisationen der Parteien selbst betrieben werden.

Wenn man unterstellt, dass Blogger vor allem die Lücken, die der mediale Mainstream entstehen lässt, füllen wollen, kann diese Verteilung nicht überraschen. Würden die klassischen Medien ihre Aufgabe ordentlich erfüllen, gäbe es auch weniger Gründe, die NachDenkSeiten zu lesen. Da die klassischen Medien in ihrer Rolle als “vierte Gewalt” jedoch eklatant versagen, sind Blogs die wahrscheinlich einzige Möglichkeit, sich ohne eine große Kapitaldecke oder Organisationsstruktur publizistisch gegen die Allmacht der Parteien, Verbände, Think-Tanks und der monopolartigen Medienunternehmen zu richten. Genau diese Begründung wird jedoch auch von politischen Extremisten und “bunten Vögeln” angeführt, weshalb man die Blogosphäre auch nicht als monolithischen Block gegen den Mainstream verstehen darf. Nicht alle Blogger wollen die Demokratie retten, und die Blogger, die die Demokratie retten wollen, sind oft in Detailfragen grundverschiedener Meinung.

Was Blogs können …

In Deutschland verstehen sich daher die meisten politischen Blogger eher als Aufklärer in eigener Sache, als Korrektiv zur Gatekeeper-Funktion der klassischen Medien. Diese Aufgabe können Blogger ohne weiteres qualitativ erfüllen und wegen dieser Aufgabe werden sie auch von immer mehr Lesern gelesen. Die 6,3 Millionen Seitenaufrufe pro Monat, die die NachDenkSeiten verzeichnen können, sind da bereits ein Ausrufezeichen, auch wenn diese Zahl natürlich nur einem Bruchteil der Leserreichweite der Mainstreammedien entspricht. Dieses krasse Missverhältnis ist jedoch für Blogger kein Grund, den Kopf hängen zu lassen, sondern im Gegenteil eher ein Ansporn. Das größte Wachstumspotential der Blogs besteht dabei freilich im kontinuierlichen Versagen der Massenmedien. Sollten sie das Ruder nicht herumreißen, wird die quantitative und wohl auch qualitative Bedeutung der Blogs unweigerlich weiter zunehmen, zumal die Blogs im “linksliberalen” Spektrum in vielen politischen Punkten mit der Mehrheitsmeinung größere Schnittmengen haben als die neoliberal und parteiennah geprägte Berichterstattung der Massenmedien.

… und was Blogs nicht können

Auf jeden klugen Artikel in den Blogs kommen mindestens 100 weniger kluge Artikel in den Massenmedien und die meinungsbildende Propaganda auf den Stühlen von Anne Will oder Maybrit Illner hat eine ungleich höhere Wirkmächtigkeit als jede noch so überzeugende Widerlegung dieser Propaganda in den Blogs. Es ist eher die Rolle des Davids gegen Goliath oder die Arbeit eines Sisyphus, der den Felsbrocken jeden Tag aufs Neue den steilen Berg hinaufrollen muss. Auch wenn das Potential zweifelsohne vorhanden ist, wird es den politischen Blogs in der momentanen Struktur sehr schwer fallen, dieses signifikant auszuweiten. Die Heterogenität der Blogosphäre steht dabei einer wünschenswerten stärkeren Vernetzung oder gar einer Kampagnenfähigkeit im Wege. Heute können Blogs vorhandene Protestbewegungen begleiten, fokussieren und bestenfalls verstärken – um selbst ein aktives Agenda-Setting zu betreiben oder gar Protestbewegungen anzustoßen, fehlt den deutschen Blogs jedoch (noch) die nötige Reichweite und Professionalität.

Gerne werden deutsche Politblogs von ihren Gegnern wie ihren Befürwortern mit ihren amerikanischen Pendants verglichen. Die Gegner verweisen auf Erfolg und Professionalität amerikanischer Blogs und attestieren den deutschen Blogs eine vergleichsweise chaotische und amateurhafte Struktur. Die Befürworter verweisen stattdessen lieber auf das Potential und die Kampagnenfähigkeit jenseits des Atlantiks. Beide Argumentationen laufen jedoch ins Leere, da sich der Vergleich schon alleine aus Gründen der unterschiedlichen medialen und politischen Systeme verbietet. Oder könnte sich hierzulande irgendwer ernsthaft vorstellen, dass die sozialen Netzwerke eine aktive Kampagne für den vermeintlichen Kanzlerkandidaten Sigmar Gabriel anstoßen? Ein Vergleich verbietet sich auch aus dem Grund, dass amerikanische Blogs hierzulande nicht unter dem Label “Blog”, sondern als “Online-Magazin” geführt würden – Unternehmen, wie die jüngst für 315 Millionen US$ verkaufte Huffington Post, verfügen über ein Budget von mehreren Millionen Dollar und beschäftigen mehr hochqualifizierte Vollzeitmitarbeiter als viele deutsche Verlagshäuser. Ein Vergleich mit deutschen Blogs, die sich meist ausschließlich über Spenden finanzieren und ehrenamtlich oder im Nebenerwerb betrieben werden, verbietet sich daher. Hätte die deutsche Blogosphäre vergleichbare finanzielle und personelle Möglichkeiten, sähe die Welt auch hierzulande anders aus. Dem ist aber bekanntlich nicht so.

Prognose

Es wäre gegenüber den Lesern auch vermessen, den Einfluss von Blogs rein quantitativ messen zu wollen. Wenn es um die Aufklärungsarbeit geht, zählt ein durchschnittlicher Blogleser ungleich mehr, als ein passiver Konsument einer Polittalkshow. Blogleser sind oft selbst Multiplikatoren, die die Arbeit der Blogger in der Offline-Welt fortsetzen. Wie aus dem Feedback vieler Leser klar wird, nutzen sie die gewonnen Informationen nicht nur zur eigenen Meinungsbildung, sondern auch im privaten oder beruflichen Umfeld zur Argumentation gegen vorhandene Mainstreammeinungen. Blogs sind in diesem Kontext ein wahrhaft interaktives Medium. Die Autoren greifen auf Hinweise und Erfahrungen ihrer Leser zurück, während die Leser ihrerseits oft die Hinweise und Analysen der Autoren rezipieren. Die Bindung zwischen Leser und Autor ist wohl in keinem Medium so groß wie bei den Blogs. Wenn Blogs ihre Wirkmächtigkeit ausbauen wollen, so ist dies daher nur zusammen mit den Lesern möglich.

Ob die deutschen Politblogger ihre Relevanz mittelfristig erhöhen können, ist jedoch ungewiss und an verschiedene Faktoren gekoppelt:

  • Kann ein stärke Vernetzung innerhalb der Blogosphäre möglich und zielführend sein?
  • Ist es möglich, die personellen und finanziellen Ressourcen zu verbessern?
  • Gelingt es den Blogs, sich vor Abmahnungen und politischer wie wirtschaftlicher Einflussnahme zu schützen?
  • Reicht die Verbreitung über soziale Netzwerke (online wie offline) aus, um die Leserschaft signifikant zu erweitern?

Wenn sich all diese Fragen bejahen lassen, steht den Medien womöglich ein Strukturwechsel bevor, bei dem die Blogs das Monopol der Medienkonzerne aufbrechen könnten. Bis dahin ist es jedoch noch ein weiter Weg. Aber sogar der längste Marsch beginnt mit dem ersten Schritt.

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