Die EU-Kommission will Eier einer gentechnisch veränderten Legehennenlinie ohne Risikoprüfung zulassen. Israelische Forschung macht’s möglich: Es schlüpfen nur noch die für die Eierproduktion nötigen Weibchen. Dafür ist bei den Eltern der Tiere das Genom verändert worden. Die Herstellerfirma NRS Poultry wirbt damit, „Humanität und Nachhaltigkeit in die Produktion der wichtigsten Protein-Ressource der Welt“ zu bringen, weil die Brüder der Legehennen schon im Ei sterben. Von Florian Schwinn
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Entwickelt wurde der Eingriff mit der Genschere CRISPR/Cas am Volcani Center, dem Forschungsinstitut des israelischen Landwirtschaftsministeriums, das die Technik auch zum Patent angemeldet hat. Dabei wird in das Hühnergenom ein tödliches Gen eingebaut, das nur an die männlichen Nachkommen weitergegeben werden soll. Die unnützen Hähne wären weg – und wir hätten dann endlich die Gentechnik-Eier, die siebzig Prozent der Deutschen nicht haben wollen.
Gegenderte Abtreibung
Wenn es nach der EU-Kommission geht, müssen die künftig in der Europäischen Union zugelassenen Gen-Eier nicht einmal als solche gekennzeichnet sein. In einer Antwort auf eine Anfrage des deutschen Bundesamtes für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit BVL schreibt die Kommission, dass die Legehennen von NRS Poultry nicht unter die Gentechnik-Regulierung der Europäischen Union fallen, da diese nur für GVO, also genetisch veränderte Organismen, gelte, deren „genetisches Material so verändert worden ist, wie es auf natürliche Weise durch Kreuzen und/oder natürliche Rekombination nicht möglich ist“. So steht das in Artikel 2/2 der Richtlinie 2001/18/EG „über die absichtliche Freisetzung genetisch veränderter Organismen in die Umwelt“. Nach dieser Definition handele es sich bei den geschlüpften Nachkommen der transgenen Hühner aus Israel nicht um GVO, so die pfiffige Argumentation der EU-Kommission: „Das scheint bei den fraglichen Legehennen nicht der Fall zu sein, da nach den vorliegenden Informationen das Transgen nur an die männlichen Embryonen übertragen wird, nicht aber an die weiblichen Embryonen, die zu diesen Legehennen heranwachsen.“ Nur die toten Brüder der Legehennen waren also genetisch veränderte Organismen, für die Schwestern gilt: kein GVO, keine Regulierung, keine Kennzeichnung.
Damit wäre den israelischen Forscherinnen und Forschern die perfekte gegenderte Abtreibung gelungen, viel besser als die In-Ovo-Geschlechtsbestimmung, die vom deutschen Landwirtschaftsministerium mit Forschungsgeld gefördert und von Cem Özdemirs Amtsvorgängerin groß gefeiert wurde. Seit diesem Jahr ist das Töten der männlichen Eintagsküken direkt nach dem Schlupf in Deutschland – und nur in Deutschland – verboten, weshalb entweder die Küken schon im Ei „gesext“ und abgetrieben, oder die Bruderhähne aufgezogen werden müssen. Ich habe darüber hier schon mehrfach berichtet.
Die israelischen CRISPR-Hennen wären für konventionelle Geflügelhalter in Deutschland die perfekte Lösung, weil das lästige Aufziehen der Bruderhähne entfiele, die ja einfach kein Fleisch ansetzen wollen. Die Bios lehnen Gentechnik ab, weshalb diese Hennen wohl nichts für sie wären, und für die Konventionellen wäre die israelische Lösung auch nur perfekt, so lange die Eier nicht doch als Produkt aus Gentechnik gekennzeichnet werden müssten. Dann nämlich würde sie zu Ladenhütern.
Nach einer aktuellen repräsentativen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Civey im Auftrag des „Verbandes Lebensmittel ohne Gentechnik“ VLOG finden 85 Prozent der Verbraucherinnen und Verbraucher in Deutschland, dass Eier von Hühnern, die von genetisch veränderten Eltern abstammen, gekennzeichnet werden sollten. Siebzig Prozent würden solche Eier nicht kaufen. VLOG ist der Verband, der das Siegel „Ohne Gentechnik“ vergibt, das eingeführt wurde, weil die EU nicht kennzeichnen wollte, ob Tiere mit gentechnisch verändertem Futter aufgezogen wurden.
Ungeprüft durchwinken
Reagiert auf das Vorhaben der EU-Kommission haben neben VLOG auch die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft AbL und Testbiotech, ein 2009 in München gegründetes „Institut für unabhängige Folgenabschätzung in der Biotechnologie“. Die beiden Organisationen haben der EU-Kommission einen offenen Brief geschrieben und den deutschen Landwirtschaftsminister Cem Özdemir zu einer Reaktion aufgefordert.
Annemarie Volling, die Gentechnik-Expertin der AbL, wirft der Kommission vor, dass sie dabei sei, das Gentechnikrecht und das Vorsorgeprinzip außer Kraft zu setzen. In der Europäischen Union gelte nämlich eine prozessorientierte Regulierung: „Wenn innerhalb eines Zuchtprozesses Gentechnik eingesetzt wurde, müssen auch die Nachkommen nach EU-Gentechnikrecht reguliert werden. Davon weicht die Kommission jetzt ab und versucht klammheimlich einen sogenannten produktorientierten Ansatz einzuführen. Wenn im Endprodukt keine gentechnische Veränderung mehr zu sehen sei, müsse dieses auch nicht mehr auf Risiken geprüft werden. Das sehen wir aus juristischer und wissenschaftlicher Sicht anders.“ Unklar ist bislang, ob die Kommission eventuelle Risiken prüfen ließ. NRS Poultry hat der EU-Kommission anscheinend nur eine Präsentation zum gentechnischen Verfahren vorgelegt, aber keine Studie zu Risiken und Nebenwirkungen und auch keinen Nachweis, dass es keine unerwarteten Effekte bei den Legehennen gibt. Die Formulierungen im Schreiben der Kommission stützen diese Informationslage, denn danach „scheint“ es ja nur so, dass „nach den vorliegenden Informationen das Transgen nur an die männlichen Embryonen übertragen wird“. Danach scheint es eher nicht so, als wolle sich die Kommission an die eigenen Gesetze halten.
Auch in der inzwischen aus Brüssel eingetroffenen Antwort auf das Schreiben von AbL und Testbiotech bleibt die Kommission bei ihrer Argumentation und scheint nicht gewillt, für die CRISPR-Legehennen und deren Eier ein Zulassungsverfahren anzusetzen. Annemarie Volling setzt deshalb auf den Bundeslandwirtschaftsminister, „damit man in Israel wenigstens schon mal gehört hat, dass es in der EU mindestens ein Land gibt, das eine strikte Regulierung der Gentechnik-Legehennen und ihrer Eier nach Gentechnikrecht verlangt“.
Präzedenzfall Ei
Der Tiermediziner Christoph Then, Geschäftsführer und wissenschaftlicher Leiter von Testbiotech, geht mit der EU noch härter ins Gericht. Die Kommission wolle einfach ausblenden, dass auch die Gentechnik mit der Schere CRISPR/Cas unerwünschte Auswirkungen haben könne: „Wir sehen in ganz vielen Publikationen und Stellungnahmen der Kommission immer wieder den Versuch, unerwartete Effekte der Gentechnik wegzudiskutieren. Ja, es gibt sie, das kann nicht geleugnet werden, aber man müsse sie nicht extra untersuchen. Die Kommission antwortet dabei auf wissenschaftliche Argumente mit politischen Statements.“ Im Hintergrund sieht Christoph Then das Handelsabkommen CETA mit Kanada wirken. Darin sei festgehalten, dass die Regulierungen in beiden Wirtschaftszonen vergleichbar sein müssen. „Das aber wollen die Kanadier nicht. Wir haben deshalb hier einen politischen Vorgang, der versucht, sich um die wissenschaftlichen Fragestellungen herumzudrücken.“
Und diese wissenschaftlichen Fragestellungen haben es in sich. Zunächst ist das Verfahren beim Einsatz von CRISPR/Cas zweistufig. Zuerst muss meist mit klassischer Gentechnik erst einmal der Weg in die Zelle freigelegt werden, um die Genschere dort überhaupt hineinzubekommen. Erst dann kann CRISPR schneiden. Es gibt also die klassischen Risiken der Gentechnik, die zu unerwünschten Effekten führen kann. Und es gibt dann die zweite Risikoebene, die dadurch gekennzeichnet ist, dass die Genschere nicht immer nur da schneidet, wo sie soll.
„In den meisten Studien zum Einsatz von CRISP/Cas wird nicht nach unerwünschten Veränderungen gesucht. Aber da wo bisher gesucht wurde, gab es häufig solche unerwarteten Effekte“, sagt Christoph Then. Eine im Februar veröffentlichte Studie zum Einsatz der Genschere bei Zebrafischen stellt „große strukturelle Veränderungen“ der Genotypen auch in sogenannten „Off-Target“ Bereichen fest, also in Teilen des Genoms, die die Genschere gar nicht anfassen sollte. Diese Veränderungen haben sich bei den Versuchstieren auch in die nächsten Generationen vererbt. Und das offenbar auch noch dominant, also deutlich häufiger als das die Gesetze der Mendel’schen Vererbungslehre erwarten ließen. Unerwünschte genetische Veränderungen sind auch bei transgenen Rindern in den USA dokumentiert. Warum also sollte das nicht ebenso bei israelischen Hühnern geschehen?
„Zumal“, sagt Christoph Then, „diese Hennen die F1-Generation sind, also direkte Nachkommen der transgenen Hühner. Und da wird nun behauptet, man müsse da nicht nachschauen, weil man ja erwartet, dass da nichts ist. Das ist offensichtlich ein Präzedenzfall, der geschaffen werden soll. Die Kommission will irgendetwas definieren, was man nicht prüfen muss, was man also den Firmen selbst überlassen kann. Wissenschaftlich gesehen ist das Nonsens, rechtlich steht es im klaren Widerspruch zu den Gesetzen.“
Der Präzedenzfall wäre dann das Ei, das aus einer gentechnisch veränderten Legehennenlinie stammt und nicht als gentechnisch verändert gekennzeichnet werden müsste. Und dieses Ei müsste ganz besonders in Deutschland gut ankommen, weil ja bei der „Produktion“ der Legehennen keine Bruderhähne geboren werden, die man hierzulande nicht mehr einfach töten könnte, sondern aufziehen müsste. Deshalb argumentieren sowohl die Herstellerfirma als auch die EU-Kommission nebenbei mit dem Tierschutz. Bei NRS Poultry ist’s sogar die Humanität, die ins Feld geführt wird.
Richtig wissen, was die von der EU-Kommission gewollten Präzedenz-Eier alles außer Eiweiß und Eigelb noch enthalten, könnte man eigentlich erst, wenn sie von einem normalen Hahn befruchtet und ausgebrütet würden. Dann könnte man feststellen, wo sich CRISPR/Cas in die nächsten Generationen einschneidet. Es ist zwar in der Hühnerindustrie nicht vorgesehen, Eier der Legehennenlinien auszubrüten, das wird aber ganz sicher geschehen, wenn die Hennen von NRS Poultry erst einmal auf dem Markt sind. So wie das auch bei den Legehennen vom bisherigen Marktführer Lohmann Tierzucht in vielen privaten Hühnerhöfen geschieht.
Titelbild: AFPics/shutterstock.com