„Mach´s klar“ heißt der Titel einer Publikation, welche bei der Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württenberg erscheint, die neueste Ausgabe trägt den Titel: „Krieg in der Ukraine – Putins Angriff auf den Frieden“. Das Titelbild, eine Karikatur, lässt ahnen, wohin die Bildungsreise der lernenden Jugendlichen hingehen könnte. Bei aller Sorgfalt – während der Lektüre wird nicht erkennbar, dass mit derlei Material für eine Schulstunde junge Lernende zu kritischen, aufmerksamen, fragenden Erwachsenen geformt werden könnten. Vielmehr reiht sich der Inhalt und die ideologische Ausrichtung des Heftes in das Framing vieler Medienprodukte ein, dass „wir“, der Westen, die Guten und Russland das Böse sei. Klar, die NATO ist ein Verteidigungsbündnis und der Feind ist für die Welt der Russe. Von Frank Blenz.
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Politische Bildung ist wichtig, umfängliche Informationen zu erhalten, Hintergründe zu erfahren, Zusammenhänge zu erkennen, Schlussfolgerungen zu ziehen. Die Verantwortung von Pädagogen und der Politik gegenüber Jugendlichen ist immens, im besten Fall wird dem Schüler ein breites Spektrum geboten, welches zu einer souveränen Meinungsbildung führt. Oder aber es gibt den Auftrag, eine bestimmte Ausrichtung zu erzeugen, die des Gegenüberstellens, Gut und Böse. Kein Wort findet sich im Beispiel von „Mach´s klar“ über zu kritisierende Strategien des Westens oder der Ukraine selbst. Auch fehlt die umfängliche Ursachenbenennung von aktuellen Kriegen, stattdessen…
Auch der erwachsene Leser liest die 4-Seiten-Broschüre und erfährt:
„Warum wird gekämpft? Seitdem 2014 die ukrainische Halbinsel ________ von Russland annektiert wurde, dauert der Konflikt an und es gibt viele Kämpfe und Proteste in der Ukraine. Russland verlangt die ___________________ bestimmter ukrainischer Regionen, in denen viele Russen und Russinnen leben. Am 24. Februar 2022 ist Russland in der Ukraine einmarschiert.
(Die Leerstellen im Text sind Aufgabenbestandteil, zu ergänzen um die fehlenden Namen (hier Krim und Autonomie).)
Der Leser erfährt weiter:
Geschichte des Konflikts. Während des Kalten Krieges standen sich zwei Militärbündnisse gegenüber: die ___________ unter Führung der USA und der ________________________ unter Führung der Sowjetunion. Erst nachdem sich die Sowjetunion ____________________ aufgelöst hat, wurde die Ukraine ein unabhängiger Staat.
(NATO, Warschauer Pakt als Staatenbund.)
Was bedeutet Sowjetunion? Was heißt UdSSR? Und was bedeutet „unabhängiger Staat“? Diese und andere Fragen werden nicht behandelt. Der Leser bleibt ratlos zurück und/oder denkt sich wie bestellt, die Sowjetunion sei womöglich ein ziemlich schlimmes, abhängig machendes Konstrukt gewesen. Und Russland – von diesem Reich im Osten reden wir lieber nicht.
Vier Seiten Schönfärberei des Westens einschließlich NATO-, EU- und UNO-Fähnchen liegen den Schülern vor und das Finden des Schuldigen wird leicht gemacht. Was Wunder, dass die Verteidigungsausgaben steigen, dass die Preise für Erdöl steigen, dass der Weizen knapp wird. Eben alles wegen des Krieges, wegen der Russen. Das Heft bietet keine Handreichung über einen Weg aus der Krise, keine Ansage, dass Preissteigerungen eben kein Naturgesetz, sondern Folgen von Spekulation und Sanktion und also menschengemachte Folgen sind, kein Satz, wie Frieden zu erzielen wäre und wie Kriege überhaupt verhindert werden können, müssen.
Die Publikation kommt indes auch nicht gut an, sie erzeugt Protest und Kritik – bei Schülern, Eltern, der Öffentlichkeit, in sozialen Medien. Was zu der hier zitierten Erwiderung der Landeszentrale führte:
Stellungnahme der Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg zu den Reaktionen auf die Veröffentlichung der aktuellen Sonderausgabe der Unterrichtsreihe „Mach’s klar! – Politik einfach erklärt“ zum Krieg in der Ukraine
Seit der Veröffentlichung der aktuellen Sonderausgabe von „Mach’s klar! – Politik einfach erklärt“ am 7. April 2022 erreichen uns kritische Zuschriften. Zu den Reaktionen nehmen wir wie folgt Stellung:
Die Handreichung „Krieg in der Ukraine – Putins Angriff auf den Frieden“ ist für den Einsatz im Unterricht an Haupt-, Werkreal-, Real- und Gemeinschaftsschulen erstellt worden. Sie bündelt altersgerecht aufbereitete Materialien zu den Gründen und Ursachen von Kriegen, zu unterschiedlichen Formen des Kriegs und zum Krieg in der Ukraine. Thematisiert werden zudem die Positionen der jeweiligen Kriegsparteien.
Die Sonderausgabe ist angesichts der großen Nachfrage von Lehrkräften aufgelegt worden. Viele sehen sich seit Beginn des völkerrechtswidrigen Angriffskriegs Russlands auf die Ukraine gefordert, auf den Diskussionsbedarf ihrer Schülerinnen und Schüler zu reagieren. Die Publikation bietet Lehrkräften und anderen Multiplikatoren eine Möglichkeit, das Geschehen im Unterricht aufzugreifen.
Zielsetzung der Handreichung ist es, junge Menschen zur Auseinandersetzung mit dem Krieg anzuregen sowie Feindbilder und die Folgen entmenschlichender Indoktrination zu hinterfragen. Die Karikatur auf der Titelseite gibt dazu auf zugespitzte Weise unterschiedliche Anstöße: Sie zeigt einen militärischen Anführer auf russischer Seite, der seine Soldaten mit pauschalen und abwertenden Aussagen über den Gegner in den Kampf führt: Diese seien keine Menschen, sondern „Monster“.
Diese Zuspitzung verdeutlicht, wie sich Konflikte mit Feindbildern anheizen lassen. Sie zeigt darüber hinaus, dass auch die Adressaten der Indoktrination als Opfer begriffen werden können, in diesem Fall die russischen Soldaten auf dem Lastwagen, die in den Krieg geschickt werden. Dem Genre der Karikatur gemäß stellt auch diese Karikatur den Sachverhalt pointiert und zugespitzt dar – bis hin zur übertrieben langen „Lügennase“ des Befehlshabers. Er ist – im Gegensatz zu seinen Soldaten – karikiert dargestellt.
In Zuschriften, die uns erreichen, wird die Karikatur als menschenverachtender Angriff auf russische Soldaten und/oder auf die russische Bevölkerung interpretiert. Mit der Karikatur würden die Gefühle von russischen und russischsprachigen Bürgerinnen und Bürgern auch in Deutschland verletzt. Es wird der Vorwurf der Volksverhetzung erhoben. Die Handreichung wird als Beleg für „Meinungsmache“ bewertet. Diese richte sich, so ein weiterer Vorwurf, „gegen Kinder“.
Dieser Kritik möchten wir entschieden entgegentreten. Die Handreichung stellt Materialien zur Verfügung, die zum eigenständigen Nachdenken über einen gewaltsamen Konflikt anregen. Die Publikation richtet sich nicht an Kinder, sondern an junge Menschen im Alter von etwa 15 Jahren an weiterführenden Schulen, die von Lehrkräften anhand der elementarisiert und stark visualisierten Materialien in der Auseinandersetzung über den Krieg in der Ukraine begleitet werden. Dazu gehört auch die Auseinandersetzung mit Karikaturen und deren stilistischen Möglichkeiten, kontroverse Themen aufzugreifen. Das Format Karikatur ist eine eingeführte Methode im Politikunterricht.
Eine kritische Auseinandersetzung mit Krieg, zumal mit einem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg, ist eine elementare Voraussetzung für die Meinungs- und Urteilsbildung in einer freiheitlichen Demokratie. Dazu gehört gerade auch die kritische Auseinandersetzung mit menschenverachtenden Feindbildern. Genau dazu regt die Sonderausgabe von „Mach’s klar! – Politik einfach erklärt“ an.
Offenbare Einschüchterungsversuche nehmen wir zur Kenntnis, richten uns aber nicht danach. Vorwürfe, die Karikatur erfülle den Straftatbestand der Volksverhetzung, entbehren auch nach rechtlicher Prüfung jeglicher Grundlage. Die Anregung zur Auseinandersetzung mit dem Krieg stellt keinesfalls eine Beschimpfung oder Verächtlichmachung oder einen sonstigen Angriff auf die Menschenwürde im Rechtssinne dar.
13.04.2022
Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg
Info:
Mach’s klar! ist eine Publikation der Redaktion „Unterrichtsmedien“ der Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg. Sie erklärt Politik elementarisiert und stark visualisiert! Mach’s klar! vermittelt politisches Basiswissen oder bearbeitet aktuelle politische und gesellschaftliche Themen.
Mach’s klar! richtet sich in erster Linie an Schülerinnen und Schüler an Haupt-, Werkreal-, Real- und Gemeinschaftsschulen, kann aber auch an Gymnasien gut eingesetzt werden. Vor allem durch die Entwicklung, dass Politik an Schulen oftmals in Fächerverbünden oder durch fachfremde Lehrer unterrichtet wird, entstand die Idee dieser Publikation. Unser Anspruch ist es, Themen sowohl für die Schülerinnen und Schülern interessant zu gestalten als auch für Lehrkräfte gut aufzubereiten.
Mach’s klar!, die unregelmäßig erscheinende vierseitige Unterrichtshilfe, kann als Printausgabe im „Klassensatz“ bestellt oder als PDF heruntergeladen werden.