Die erste Runde der französischen Präsidentschaftswahlen endete denkbar knapp. Nur 1,4 Prozentpunkte trennten den linken Kandidaten Jean-Luc Mélenchon vom zweiten Platz, der ihm die Teilnahme an der Stichwahl gesichert hätte. „Mélenchon? Wer ist das?“, werden sich viele Deutsche fragen. Hierzulande wurde die Wahl bis zum Ende auf die beiden Kandidaten Macron und Le Pen reduziert; selbst im Kinder-Fernsehen. Frank Blenz hat sich dazu für die NachDenkSeiten Gedanken gemacht.
Eine lässig-fluffige Reportage aus Frankreich in Zeiten der dortigen Wahlen auf dem ZDF-Kinder-TV-Sender Kika, konkret für die Sendung Logo, bereitete an und für sich Laune. Linda, die charmante Reporterin aus Deutschland, parlierte über Paris, Frankreich und darüber, dass zwei Menschen das Rennen um den Einzug in den Präsidenten-Palast machen würden. Der Schönheitsfehler des Beitrages war der, dass in dem Vierminüter aktuelle Informationen fehlten. Ob dies aus Gewichtungsgründen geschah, wie man gern unter Journalisten sagt, oder aus Gründen der Weltsicht, es bleibt das Geheimnis der Logo-Leute. Schade ist, dass das Kinder-TV es dem TV der Großen nachmacht. Statt die Welt wiederzugeben, wie sie ist, wird ein Status Quo erzählt, der erhalten werden soll und bei Bedarf passend gemacht wird, aus Interessensgründen. Für Frankreich heißt das in Sachen Präsidentschaftswahl: Es bleibe alles beim Alten.
Paris. Sobald man dieses Wort in romantischer Hingabe ausspricht, bekommt man Herzklopfen, ertappt sich beim Juchzen und es rauschen die Bilder im Kopfkino an einem vorbei: Eiffelturm, Seine, Häusermeer und mehr. Die beschwingt verspielte Akkordeonmusik im lässigen Viervierteltakt tönt in Gedanken. Derlei herzliche Atmosphäre vermittelte auch die kleine Reportage des ZDF-Kinder-TV-Senders Logo. Reporterin Linda rückte die an diesem Sonntag bevorstehende Präsidentschaftswahl in den Blickpunkt, eingebunden in schöne Bilder und Melodien. Zur Info: Dem gestrigen ersten Wahlgang folgt am 24. April der zweite, die Stichwahl, das Duell der zum Auftakt auf den Plätzen 1 und 2 platzierten Persönlichkeiten. Reporterin Linda ließ keinen Zweifel aufkommen, dass die Duellanten Macron und Le Pen heißen werden. Sie stellte die zwei Politiker vor, den amtierenden Präsidenten Emmanuel Macron und die Kandidatin Marine Le Pen.
Linda beließ es bei der Vorstellung dieser zwei Kandidaten. Macron, 44 Jahre, gerade im Amt und willens zu bleiben, Chef einer Partei, die Politik für alle in Frankreich macht und sich stark für die Europäische Union einsetzt. Le Pen, 53 Jahre, sie will ins Amt, Chefin einer Partei, die dagegen ist, dass viele Menschen aus anderen Ländern in Frankreich leben. Und mit der EU hat Le Pen auch so ihre Schwierigkeiten. Linda zog keine Bilanz der Tätigkeit des amtierenden Präsidenten, vermied die Probleme, die Sorgen der Menschen zu benennen.
Dass zwölf Kandidaten um den Sieg ringen, dass es unter ihnen abgeschlagene und auch sehr aussichtsreiche Mitbewerber gibt, Linda erwähnte es mit einem Halbsatz: es gäbe andere Kandidaten. Das war’s. Die Reporterin vermittelte durch diese Vernachlässigung weiterer Kandidaten, im Besonderen auch durch die Nichtbeachtung neuer Umfragen, den kleinen und großen Zusehern den Eindruck, dass es in Frankreich ein geradezu feststehendes Duell um die Präsidentschaft wie in den USA gäbe. Macron vs. Le Pen. Und gut. So ist das, liebe Kinder, Wahl ist, wenn es ein Duell ist und zwei konservative Kandidaten antreten.
Den Logo-Machern sei gesagt, sie sollten sich aktuelle Arbeiten ihrer Kollegen anschauen und Erkenntnisse in neuen Logo-Sendungen einfließen lassen. Tipp: Die in Berlin ansässige Zeitung „Freitag“ schreibt in ihrer jüngsten Ausgabe:
„Jean-Luc Mélenchon liegt in einer Umfrage mit 15,5 Prozent nur knapp hinter Marine Le Pen (17,5 Prozent).“
Das Blatt beschreibt die Situation im Land, die Bereitschaft der Wähler.
Noch hoffen viele Franzosen (und viele fürchten es), dass der linke Bewerber Jean-Luc Mélenchon, Kandidat von „La France insoumise“ (Unbeugsames Frankreich, LFI), am 10. April so abschneidet, dass er in der zweiten Runde der Präsidentenwahl antreten kann. Ihn unterstützen mittlerweile zusehends mehr Prominente, Aktivisten aus Gewerkschaften, Berufsverbänden und NGOs. Die Gesichter seiner Sympathisanten sind in den Medien präsent und bei unzähligen Veranstaltungen zu sehen. Sie treten mit bekannten Abgeordneten von LFI aus der Nationalversammlung auf. Auch ohne den Kandidaten sind die Säle voll. Andere linke und grüne Formationen dagegen scheinen mit ihren Favoriten endgültig abgeschlagen. Unter ihren Wählern dürften sich manche finden, die für eine andere, „nützliche linke Wahl“ ihre Stimme abgeben. Und das heißt: für Mélenchon.
Das Thema Präsidentschaftswahlen wird mit mehreren Beiträgen auch auf den NachDenkSeiten behandelt. So wurde ein Interview mit Sebastian Chwala veröffentlicht. Er ist promovierter Philosoph und Politikwissenschaftler aus Marburg, seine Dissertation über die radikale Rechte in Frankreich erscheint im Herbst 2022. Der Frankreichexperte Chwala beobachtet, dass die Erzählung vom bereits feststehenden Wahlsieg Macrons vor allen Dingen ein Produkt der Medienberichterstattung sei. Das könne einen nicht wundern, wenn man bedenkt, dass die Medien unter der Kontrolle weniger Großeigentümer sind, die in der Regel hinter Macron stehen, da sie von seiner Politik profitierten. Alle Umfragen sagten, so Chwala, dass ein Großteil der Wähler am 10. und 24. April Macron unbedingt verhindern wollten. Auch wollten mehr als zwei Drittel der Wähler am Ende nicht nur die Wahl zwischen Le Pen und Macron. Somit zeige sich ein nach wie vor großes Potential für einen politischen Aufbruch.
Im Beitrag „Noch besteht die Chance, Macrons „Weiter so“ zu verhindern“ heißt es: „Dass der amtierende Präsident im Fall seiner Wiederwahl sein neoliberales, unerbittliches „Weiter so“ durchziehen wird – es wird den Menschen in Frankreich mehr und mehr bewusst. Vielleicht ist das genau die Chance für den derzeit Dritten der Umfragen, Mélenchon, der mit seinem Programm eine soziale, progressive, den Menschen zugewandte Alternative anbieten will. Falls hingegen die Ultrarechte Le Pen gewänne – es folgte ein „Weiter so“ der Macron’schen Rezepte auf die noch härtere Tour.“
Zurück zu Logo. Linda schloss ihre Reportage mit einem Besuch einer Menschengruppe. Die spielte in einem Park das berühmte Spiel auf Sand: Zielen mit kleinen Kugeln auf eine noch kleinere Kugel. Linda fragte nach dem Ausgang der Wahl am Sonntag und in diesem Monat. Ein charmanter, fröhlicher alter Herr antwortete mit dem schönsten Pariser Klang in der Stimme: Macron. Ein anderer meinte, dass man sehen werde, sicher käme es zum Machtkampf von Macron mit Le Pen. Ansonsten? Alles schön in Frankreich.