Auswirkungen der Corona-Politik auf die Kulturbranche sind katastrophal

Auswirkungen der Corona-Politik auf die Kulturbranche sind katastrophal

Auswirkungen der Corona-Politik auf die Kulturbranche sind katastrophal

Ein Artikel von Eugen Zentner

Ab April gibt es in der Kulturbranche so gut wie keine Beschränkungen mehr. Die Veranstalter dürfen ihre Pforten für alle öffnen – unabhängig von ihrem Gesundheitsstatus und ohne Abstandsregeln beachten zu müssen. Für die Kultureinrichtungen dürfte das genauso eine gute Nachricht sein wie für die Künstler. Doch die zeigen sich gar nicht so euphorisch, insbesondere die Freischaffenden unter ihnen. Für sie waren die letzten zwei Jahre der reinste Horror. Während ihre angestellten Kollegen selbst in den Lockdown-Phasen weiterbezahlt wurden oder Kurzarbeitergeld bezogen, mussten freischaffende Künstler von einem Tag auf den anderen ein Berufsverbot hinnehmen, mit dem sich alle Einnahmen der nächsten Monate in Luft auflösten. Von Eugen Zentner.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Im März 2020 kam auf sie eine in vielerlei Hinsicht schwierige Zeit zu, sowohl finanziell als auch psychisch. Sie war geprägt von Unsicherheit, Ungewissheit, Zukunftsängsten und Phasen, in denen selbst der kleinste Hoffnungsschimmer immer wieder in Enttäuschung überging. Auf minimale Lockerungen folgten erneut Maßnahmen, manchmal sogar in härterer Form als zuvor. Wenn der Kulturbetrieb jetzt also wieder hochfährt, bleiben freischaffende Künstler weiterhin skeptisch. Sie trauen weder der Regierung noch den Veranstaltern, die bisweilen in vorauseilendem Gehorsam ein Engagement selbst dann an den 2G-Status knüpften, als er gesetzlich nicht vorgeschrieben war. Die wärmere Jahreszeit hat erst angefangen; was im Herbst passiert, vermag niemand vorherzusagen. Die Regierung kann die Daumenschrauben jederzeit anziehen, so viel haben die freischaffenden Künstler aus den letzten zwei Jahren gelernt.

Ein Wechselbad der Gefühle erlebte unter anderem die Violinistin Marta Murvai. Vor Corona war sie gut ausgelastet. Die 42-jährige Berlinerin mit rumänischen Wurzeln spielte mal solo, mal in größeren Orchestern, mal in Deutschland, mal im Ausland, mal auf Privatveranstaltungen, mal im öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Zwanzig bis dreißig Auftritte absolvierte sie im Monat, so viel, als hätte sie eine volle Stelle. Doch dann wurde sie wie viele Kollegen auf die Straße gesetzt. Sämtliche Orchester unterbrachen ihren Betrieb und verpflichteten keine Freischaffenden mehr. Für Murvai fielen alle Engagements aus, genauso wie Solo-Konzerte, die sie nicht einmal im Ausland geben konnte, weil unterschiedliche Reisebestimmungen und Quarantäneregeln eine vernünftige Planung unmöglich machten.

Als im Spätfrühling 2020 die Regierung zu lockern begann, schöpfte die Violinistin wieder Hoffnung. Nach langer Pause taten sich die ersten Möglichkeiten auf, meistens im Freien. Murvai ergatterte einige Open-Air-Gigs, stellte ein eigenes Programm auf die Beine und ging damit unter anderem auf eine Tour in Rumänien. Es waren kleine Schritte in Richtung Normalität, steinig und beschwerlich, auch weil nur wenige Veranstalter es wagten, Events zu realisieren. Dennoch hatte die Violinistin das Gefühl, dass es wieder vorangeht. Sie sammelte sich, plante neue Auftritte und versuchte zu spielen, wo es nur ging. Doch dann kam im November der zweite Lockdown, mit dem erneut sämtliche Termine gestrichen wurden.

Gefühl dauerhafter Stagnation

Spätestens zu diesem Zeitpunkt stellte sich in der Kulturbranche eine Lähmung ein. So bezeichnet es der Chansonsänger Boris Steinberg, der seit knapp 30 Jahren auf Kleinkunstbühnen auftritt. Wenn jemand die Szene kennt, dann er. Für ihn und seine Kollegen sind die letzten zwei Jahre eine Zeit dauerhafter Stagnation und fehlender Einnahmen. „Es ist sehr schwer geworden zu überleben“, sagt der Berliner. „Der Begriff Hungerkünstler kehrt wieder zurück.“ Um finanziell über die Runden zu kommen, üben freischaffende Künstler allerlei Nebenjobs aus, die fernab ihres eigentlichen Metiers liegen. Auch Steinberg hat sich mit Privatunterricht und Aufträgen als Sprecher über die Zeit gerettet. Seine Kollegen arbeiteten an der Supermarktkasse, nahmen an Umschulungsmaßnahmen des Arbeitsamtes teil oder hingen ihre künstlerische Tätigkeit ganz an den Nagel.

Es gab aber auch Kulturschaffende, die ihr Glück im Internet versuchten. Während zum Beispiel bildende Künstler ihre Werke vermehrt auf Portalen wie Instagram ausstellten, spielten Musiker sogenannte Streaming-Konzerte. Auch die Violinistin Murvai entschloss sich zu diesem Schritt, als sich der zweite Lockdown über mehrere Monate hinzog. Doch wie viele Kollegen fand sie in dieser Alternative nicht die gewünschte Befriedigung. Es fehlt der direkte Kontakt zum Publikum, die Resonanz, die Interaktion. Und Einnahmen lassen sich dadurch allenfalls nur bedingt erzielen. „Wer kein soziales Netz hat, kann momentan nicht von der eigenen Kunst leben“, erklärt sie den gegenwärtigen Zustand freier Kulturschaffender.

Die Politik scheint ihre Sorgen kaum wahrzunehmen. Als Boris Steinberg im letzten Jahr Kultursenator Klaus Lederer (Linke) und die ehemalige Kulturbeauftragte Monika Grütters (CDU) auf die Nöte der Kleinkünstler aufmerksam machte, erhielt er eine nichtssagende Antwort mit dem Verweis auf Hilfsgelder. Doch die waren lange Zeit schwer zu beantragen. In manchen Fällen dauerte es eine Weile, bis sie überhaupt ausgezahlt wurden. Mittlerweile soll sich die Situation gebessert haben. Doch das größte Problem bleibt: Die Hilfsgelder sind meistens an die Bedingung geknüpft, dass sie für Betriebskosten ausgegeben werden müssen. So war es zumindest bei der sogenannten «Soforthilfe», wie sich Murvai erinnert. „Nun haben freischaffende Musiker kaum Betriebskosten“, sagt die Violinistin.

Viele konnten die Hilfsgelder somit erst gar nicht beantragen, selbst wenn sie wollten. Doch die meisten, das kann Chansonsänger Steinberg bestätigen, ziehen es vor, wieder ihren künstlerischen Beruf auszuüben. Sie wollen sich nicht vom Staat abhängig machen, die Hand aufhalten und abwarten, sondern wie vor Corona in vollem Umfang arbeiten. Sie wollen ihrer Leidenschaft nachgehen und das machen, was sie erfüllt. Künstler sind sensible Wesen, die den kreativen Prozess brauchen, um seelisch ausgeglichen zu sein – und umgekehrt. Allerdings ist den freischaffenden Künstlern nach zwei Jahren Corona-Politik die innere Ruhe abhandengekommen. Stattdessen herrscht weitestgehend eine depressive Stimmung. Alexandra Barone weiß davon zu berichten. Die 51-jährige Galeristin arbeitet eng mit bildenden Künstlern zusammen und hat aus erster Hand erfahren, wie sie sich fühlen.

Ungewissheit hemmt die Kreativität

Nicht wenige verspürten eine Blockade, erzählt Barone. „In manchen Fällen geht es sogar so weit, dass die Künstler sich fragen, ob sie je wieder malen können.“ Die Einnahmeausfälle und die Angst davor, dass die Regierung jederzeit zu ähnlichen Maßnahmen greifen könnte, hemmt ihre Kreativität. Andere versuchen hingegen, ihre Erfahrungen der letzten zwei Jahre zu verarbeiten. Sie setzten sich in ihren Bildern mit der Corona-Politik auseinander. Doch es gebe Künstler, sagt Barone, die ihre Bilder anschließend wieder zerstören, weil die fertigen Produkte zu viele Erinnerungen weckten und sie psychisch mitnähmen. Wie in jedem gesellschaftlichen Bereich leiden auch die Kulturschaffenden unter der politisch induzierten Spaltung. Einen großen Beitrag dazu leistete die Stigmatisierung und Ausgrenzung von Ungeimpften.

Barone kennt sogar Künstler, die ihre Bilder in einigen Galerien nicht ausstellen durften, nur weil sie nicht geimpft waren. Die Violinistin Marta Murvai hat ähnliche Erfahrungen gemacht. Sie durfte nicht im Orchester spielen, weil einige Veranstalter auf 2G pochten, obwohl zu dem Zeitpunkt noch die 3G-Regeln galten. An dieser Diskriminierung wollte sich die Galeristin Barone nicht beteiligen. Als der Zutritt zu Kulturveranstaltungen an den Gesundheitsstatus gebunden wurde, schloss sie ihre Türen. Dabei war die Galerie erst Anfang 2020 an den Start gegangen.

Für das Familienunternehmen, das sich auf Gegenwartskunst konzentriert, fiel das erste Corona-Jahr weniger dramatisch aus, weil sich die Galerie Bottega Barone erst im Aufbau befand. Ausgestellt wurden zunächst die Bilder des Vaters Rocco Barone. Später kamen die Werke anderer Künstler hinzu. Parallel dazu veranstalteten die Inhaber diverse Events, Musikabende und Podiumsdiskussionen. Einnahmen wurden zwar nicht generiert, aber man war hoffnungsvoll und schaute optimistisch in die Zukunft. Im November 2020 startete schließlich eine neue Ausstellung der Werke von Philipp Sonntag. Doch die Galerie musste sofort schließen. Als sie ihre Pforten wieder öffnen konnte, sorgten die G-Regeln für neue Probleme. Die Barones versuchten, sie so gut es geht zu umgehen. Als nicht weniger herausfordernd erwies sich der Versuch, den interessierten Passanten die Angst zu nehmen. Die Laufkundschaft, die normalerweise immer gerne eintrat, ging erst gar nicht hinein. Sie schaute sich die Bilder lieber von draußen an, um das Risiko einer möglichen Ansteckung zu vermeiden.

2G gleicht Zensur

Wie 2020 schloss die Galerie auch das Jahr danach ohne Einnahmen ab. Seit Dezember ist sie nun geschlossen – wegen der 2G-Regelung, sagt Alexandra Barone. Als der Druck wuchs, schloss sie lieber den Betrieb, als sich an der Diskriminierung zu beteiligen. Für Boris Steinberg stellt 2G sogar eine Form der Zensur dar. „Sie fängt schon dort an, wo nicht alle zu meinen Konzerten kommen dürfen“, sagt er. Eine ähnliche Meinung vertritt der Stand-up-Comedian Nikolai Binner. Während der ganzen Zeit trat er nicht ein einziges Mal unter 2G-Bedingungen auf. Er fühlte sich selbst dann unwohl, als für den Besuch seiner Show zumindest ein negativer Corona-Test notwendig war. Deswegen belustigte der 30-jährige Berliner sein Publikum lieber bei Privatveranstaltungen oder verlagerte seine Arbeit ins Internet, wo er mit kurzen Videos eine immer größere Reichweite erzielte.

Tatsächlich gehört Binner zu den freischaffenden Künstlern, die sich verhältnismäßig gut über die Zeit gerettet haben. Zwar konnte auch er kaum Auftrittsgagen generieren, wurde jedoch finanziell von seiner stets wachsenden Fangemeinde unterstützt. Das liegt unter anderem an dem Inhalt seiner Gags. Anders als viele seiner Kollegen hat sich der Stand-up-Comedian nicht gescheut, die Corona-Politik, deren Protagonisten und die vielen Widersprüche ihrer Aussagen humoristisch anzugreifen – manchmal sehr bissig und provokativ. Seine Comedy kommt als klassische Satire daher, die gesellschaftliche Missstände kritisiert. Mit ihr hat er den Nerv der Zeit getroffen, weshalb sich viele Bürger verstanden fühlen, wenn sie Binners Show sehen.

Allerdings ist ein Stand-up-Comedian wie er auf Live-Auftritt angewiesen. Er braucht die Bühne wie der Bodybuilder die Schwergewichtshantel. Zwar halten ihn Online-Videos fit, doch kann Binner seine Kunst nur dann weiterentwickeln, wenn er direkt vor einem Publikum performt. Dass er das schon so lange nicht kann, stört ihn durchaus. Doch der Berliner lässt sich nicht entmutigen und arbeitet fleißig an seinem neuen Programm, mit dem er auftreten möchte, sobald das Kulturleben uneingeschränkt stattfinden darf. Seine erste Show soll am 14. Mai in Freiburg stattfinden. Doch bis dahin kann noch viel passieren, wie Binner aus den vergangenen 24 Monaten weiß. So ganz traut auch er der Politik nicht und wäre keineswegs überrascht, wenn man Kulturveranstaltungen mit kurzfristig verhängten Maßnahmen doch noch erschweren würde.

Parallele Strukturen

Um sich gegen erneute Berufsverbote und mögliche Terminausfälle zu wappnen, nehmen einige freischaffende Künstler nun die Dinge selber in die Hand. Sie ziehen eine Lehre aus den letzten zwei Jahren voller Willkür, Ungewissheit und moralischer Anfeindungen. Ihnen schweben parallele Strukturen vor, innerhalb derer Kulturschaffende aus den verschiedensten Bereichen zusammenarbeiten und sich gegenseitig Auftrittsmöglichkeiten verschaffen. Aus Enttäuschung wollen sie selber in die Rolle der Veranstalter schlüpfen und darauf achten, dass niemand aufgrund des Gesundheitsstatus diskriminiert wird. Die Violinistin Marta Murvai macht sich derzeit selbstständig und arbeitet daran, einen Ort für offene Kultur zu schaffen.

Bis die neuen Strukturen stehen, wird es jedoch Jahre brauchen. Momentan liegt der Kulturbetrieb in Scherben. Für größere und kleinere Veranstaltungen sind Spezialisten notwendig, die einzelne Gewerke übernehmen – Auf- und Abbauer, Ton- und Lichttechniker, Back-up-Sänger und Moderatoren, Dekorateure und Gestalter. Sie alle konnten in den letzten zwei Jahren genauso wenig ihrer Arbeit nachgehen wie die Künstler, weshalb nicht wenige mittlerweile in ganz anderen Berufsfeldern beschäftigt sind. Sie müssen ersetzt und zurückgeholt werden. Doch das lässt sich nur schwer bewerkstelligen, wenn das Vertrauen in die Politik fehlt. Das Risiko, wieder unverhofft auf der Straße zu landen, drosselt die Motivation. Damit der Kulturbetrieb wieder so blüht wie vor Corona, muss den Künstlern diese Angst genommen werden. Unsicherheit und Ungewissheit als Dauerzustand sind für sie keine Option.

Titelbild: VanoVasaio/shutterstock.com