Vor wenigen Wochen demonstrierte Kanadas Premierminister Justin Trudeau, zu welchen Mitteln heutzutage Regierungen greifen können, um Proteste niederzuschlagen. Als der sogenannte «Freedom Convoy» nicht nur die Hauptstadt, sondern den Verkehr im ganzen Land lahmlegte, wandte er das Notstandsgesetz an und ließ die Bankkonten mehrerer Trucker einfrieren. Zuvor wurden diese medienwirksam in die rechte Ecke geschoben und als „fringe minority“ diffamiert – als Randminderheit. Solche Strategien haben einen Namen: aufstandsbekämpfende Kriegsführung. So nennt es der US-amerikanische Rechts- und Politikwissenschaftler Bernard E. Harcourt, dessen Buch «Gegenrevolution» kürzlich auch in deutscher Übersetzung erschienen ist. Von Eugen Zentner
Was der Theoretiker darunter versteht, ist eine Politik, die sich darum bemüht, revolutionäre Tendenzen erst gar nicht aufkommen zu lassen, indem sie gegen Phantomfeinde vorgeht und im Grunde alle Bürger ins Visier nimmt. Es handelt sich um ein neues Regierungsmodell, das sich nach Harcourt in den USA längst in voller Blüte befindet. Den zentralen Grundsatz der aufstandsbekämpfenden Kriegsführung beschreibt Harcourt damit, dass die Bevölkerung aus drei Gruppen bestehe: aus einer kleinen aktiven Minderheit von Aufständischen, einem genauso kleinen Teil, der sich dem Aufstand entgegenstellt, und einer großen, aber passiven Mehrheit. Letztere lasse sich sowohl in die eine als auch in die andere Richtung lenken, weshalb die Aufgabe der Aufstandsbekämpfung darin bestehe, die Gefolgschaft der passiven Mehrheit zu gewinnen. Zuvor müsse aber die totale Informiertheit erlangt und die aktive Minderheit vernichtet werden.
Ursprung der aufstandsbekämpfenden Kriegsführung
Die Wurzeln dieser neuen Form des Regierens sieht Harcourt in einem militärischen Paradigma des gegenrevolutionären Krieges. Ursprünglich sei diese Strategie dafür entworfen worden, Widerstände in Kolonialgebieten niederzuschlagen. Später sollte die Aufstandsbekämpfung auch in der Außenpolitik ihre Anwendung finden, bis sie schließlich im Inland systemisch domestiziert und gegen die eigene Bevölkerung gerichtet wurde. Der Autor zeichnet diese Entwicklung anhand zahlreicher Fallbeispiele nach, zu denen unter anderem die militärischen US-Interventionen in Vietnam, Afghanistan oder Irak gehören. Auf dem Boden der Innenpolitik veranschaulicht Harcourt die Methoden der Aufstandsbekämpfung hingegen, indem er auf das Vorgehen gegen Organisationen wie Black Panther eingeht oder beschreibt, wie die US-Regierung seit Nine Eleven mithilfe der Tech-Giganten im großen Stil Daten sammelt, um die Bürger umfassend zu überwachen.
Auf diese Weise werden in dem Buch unterschiedliche politische und soziale Phänomene beleuchtet, die als Elemente ein und derselben totalitären Ordnung erscheinen. Dabei ist es nicht nur die analytische Schärfe, die das Werk so lesenswert macht, sondern auch die Materialfülle. Der US-amerikanische Professor, der sich seit geraumer Zeit für Menschenrechte einsetzt, zitiert aus Folterberichten, berichtet über Etaterhöhungen im Verteidigungsministerium und liefert viele praktische Beispiele, in denen sich seine Lust an lebensweltlichen Details kundtut. Gestützt werden diese Ausführungen durch präzise Recherchen. Dabei zeigt sich sehr schnell Harcourts Spezialgebiet: die technische Entwicklung von Programmen zur Datensammlung und Überwachung.
Totale Informationskenntnis
Welche Bedeutung sie innerhalb der Strategie der aufstandsbekämpfenden Kriegsführung im Inland hat, formuliert er so: „Jede Kommunikation, sämtliche persönlichen Daten, alle Metadaten eines jeden in der Bevölkerung müssen gesammelt und analysiert werden. Nicht nur die der aktiven Minderheit, sondern die aller Angehörigen der betreffenden Bevölkerung. Eine totale Informationskenntnis ist nötig, um zwischen Freund und Feind unterscheiden zu können.“ Eine zentrale Rolle spielten dabei nicht nur soziale Medien, Smartphone-Apps oder Webbrowser, sondern sogar Spiele wie Pokémon Go, mit deren Hilfe sich aussagekräftige Bewegungsprofile erstellen ließen. „Wir werden von der Regierung ermutigt“, beklagt Harcourt, „sowie von multinationalen Konzernen und den sozialen Medien dazu verführt, uns so weitgehend wie möglich zu entblößen und zu äußern. So dass wir digitale Spuren hinterlassen, die es der Regierung wie den Konzernen ermöglichen, Profile über uns anzulegen und dann zu versuchen, uns entsprechend zu formen.“
Die umfassende Informationsbeschaffung dient dazu, potenziell gefährliche Minderheiten frühzeitig zu erkennen. Ist das getan, muss sie innerhalb der Logik aufstandsbekämpfender Kriegsführung von der allgemeinen Bevölkerung getrennt und eliminiert werden. Parallel dazu besteht die Aufgabe darin, mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln die Herzen und Hirne der passiven Mehrheit zu gewinnen: „Deren Gefolgschaft und Loyalität – und letztlich ihre Passivität – sind das Allerwichtigste.“ Obwohl Harcourt sich in seiner Analyse hauptsächlich auf die USA konzentriert, tun sich in den Ausführungen schnell Parallelen zum Vorgehen vieler Regierungen während der Corona-Krise auf.
Aufstandsbekämpfung in Deutschland
Als zum Beispiel in Deutschland zu Beginn der drakonischen Maßnahmen Menschen zu demonstrieren und einige Experten aus dem Medizinwesen Kritik zu üben begannen, wurde alles unternommen, um sie zu delegitimieren und sowohl ihre Attraktivität als auch ihren Einfluss zu begrenzen. Das geschieht bis heute, meistens still und heimlich: Kritischen Journalisten und Bürgerrechtlern werden Bankkonten gekündigt. Kritische Ärzte verlieren ihre Approbation, während reichweitenstarke Influencer nicht nur Morddrohungen bekommen, sondern sogar ins Ausland flüchten müssen, um unverhältnismäßig hohen Geldstrafen zu entkommen, die ihnen befangene Richter auferlegen.
Schaut man sich die politisch-gesellschaftlichen Verhältnisse der letzten zwei Jahre an, kommt die Strategie der aufstandsbekämpfenden Kriegsführung deutlich zum Vorschein: Die Maßnahmen-Kritiker waren schnell identifiziert. Schnell machten sich Regierung und die sie stützenden Leitmedien daran, diese Minderheit per Framing und Verleumdung von der allgemeinen Bevölkerung zu isolieren – mit Begriffen wie „Rechtsradikale“, „Verschwörungstheoretiker“, „Corona-Leugner“ oder „Schwurbler“. In die Herzen und Hirne der passiven Bevölkerung gelangte man hingegen, indem man immer und immer wieder auf die möglichen Gefahren hinwies und gleichzeitig einen unbändigen Handlungswillen suggerierte. Begriffe wie „Solidarität“ waren dabei genauso hilfreich wie großangelegte Kampagnen oder finanzielle Anreize, die die Regierung schuf, um Institutionen, Prominente, Künstler oder Unternehmen auf die eigene Seite zu ziehen.
Die aufstandsbekämpfende Kriegsführung ist somit auch hierzulande angekommen. Sie ist so perfide wie effektiv. Sie verknüpft Militärisches und Politisches auf eine Weise, in der dies die vorangegangenen Modelle nicht getan haben. Die Form der Gegenrevolution ist eine simple Art, im Inland zu regieren. Bürger- und Freiheitsrechte werden leichtfüßig und trickreich ausgespielt – durch die Logik einer simulierten Gefahrenabwehr. Wer das Handeln der Regierungen im Zuge der Corona-Krise verstehen möchte, sollte Harcourts Buch unbedingt lesen. Der US-amerikanische Professor liefert wichtige Denkanstöße – indem er langfristige, strukturelle Veränderungen nachzeichnet, die die Prinzipien der Demokratie aushöhlen.