Lockdowns senken die Covid-19-Sterblichkeit im Schnitt um 0,2%. Selbst härteste Maßnahmen wie Ausgangssperren kommen nur auf eine Reduktion von 2,9%. Das sind die Kernaussagen einer aktuellen, groß angelegten Meta-Studie – und die kommt nicht von irgendwem, sondern von der Johns Hopkins University, deren „Coronavirus Resource Center“ seit Beginn der Pandemie als das Mekka der Corona-Daten-Analyse gilt. Das Fazit der Forscher: „Lockdowns haben wenig bis gar keine Auswirkungen auf die öffentliche Gesundheit und dort, wo sie eingeführt wurden, haben sie enorme wirtschaftliche und soziale Kosten verursacht. Daher sind Lockdowns als politische Maßnahme unbegründet und sollten als pandemiepolitisches Instrument abgelehnt werden“. Derweil verbreiten hierzulande die Regierungsberater das genaue Gegenteil. Das Beste wäre es daher, den Corona-Expertenrat der Bundesregierung aufzulösen und endlich evidenzbasierten wissenschaftlichen Erkenntnissen zu folgen. Von Jens Berger
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Bereits in meinem im Juni 2021 erschienenen „Schwarzbuch Corona“ habe ich mich im Kapitel „Mehr Schaden als Nutzen?“ ausführlich mit der Frage beschäftigt, welche Evidenz die Lockdown-Logik eigentlich hat. Dafür habe ich Zahlen aus Deutschland und Schweden sowie den US-Bundesstaaten Nord- und Süddakota, Kansas, Missouri und Nebraska verglichen, die jeweils mit deutlich unterschiedlichen Lockdown-Strategien auf die ersten beiden Wellen der Corona-Pandemie reagiert haben. Hierbei zeigte vor allem der Vergleich der in Sachen Demographie, Siedlungsstruktur und Kultur sehr gut vergleichbaren US-Bundesstaaten, dass die vermeintlich positive Wirkung von Maßnahmen wie Schulschließungen, Schließungen von Gastronomie und Einzelhandel, Kontaktbeschränkungen und Ausgangssperren sich aus den Daten schlicht nicht erkennen lässt. Neu ist die Erkenntnis, die sich nun auch an der Johns Hopkins University durchgesetzt hat, also nicht.
Um nun zu dem gleichen Schluss zu kommen, haben die Hopkins-Forscher 18.590 Studien gescreent, von denen jedoch nur 34 die nötigen Anforderungen erfüllten. Beim Rest der Studien wurde schlicht wissenschaftlich unsauber gearbeitet. Es wurden Äpfel mit Birnen verglichen, es wurde der Zeithorizont komplett ignoriert, die Daten wurden nicht auf Basis der Allgemeinsterblichkeit adjustiert und und und. Es ist es schon erstaunlich, wie viel minderwertige Studien zu diesem Thema veröffentlich wurden. Junk-Science nennt man das wohl heute.
Neil Fergusons „Pfusch“ schaffte die Basis
Als „Mutter aller Junk-Studien“ zu Corona gilt dabei die, auch in der Hopkins-Studie mehrfach negativ zitierte, Studie „Impact of non-pharmaceutical interventions (NPIs) to reduce COVID-19 mortality and healthcare demand“. Diese meist als „Imperial-College-Studie“ bezeichnete Arbeit wurde bereits im März 2020 unter Federführung des britischen Epidemiologen Neil Ferguson veröffentlicht. Ferguson ist in der „Szene“ kein Unbekannter. Bereits 2005 sagte er bis zu 200 Millionen Todesopfer für die Vogelgrippe für den Fall voraus, dass man die Verbreitung des Virus nicht mit schnellen, harten Maßnahmen eindämme. Damals gab es keine Lockdowns und am Ende starben nicht 200 Millionen, sondern weltweit gerade einmal 74 Personen. Vier Jahre später war Ferguson schon etwas vorsichtiger. Für die nun kursierende Schweinegrippe sagte er für Großbritannien 65.000 Todesopfer voraus – natürlich nur dann, wenn man das Land nicht durch Lockdown-Maßnahmen herunterfahren würde. Auch damals kam es zu keinen Lockdowns und zu 392 statt der vorhergesagten 65.000 Todesopfer.
Auch bei Covid 19 blieb Neil Ferguson seiner Tradition der größtmöglichen Panikmache treu. Nun sagte er 580.000 Todesopfer binnen weniger Monate voraus, wenn man die Pandemie nicht mit harten Lockdowns unterbindet – bis heute sind übrigens trotz zeitweise harter Lockdowns und Ausgangssperren „nur“ 158.000 Menschen in Großbritannien mit oder an Covid 19 verstorben. Doch anstatt Ferguson aufgrund seiner einschlägigen Vergangenheit zu ignorieren, beförderte ihn der britische Premier Johnson in sein Beraterteam; den Posten musste er übrigens bereits wenige Wochen später wieder verlassen, nachdem publik wurde, dass ausgerechnet „Mr. Lockdown“ sich selbst nicht an die Ausgangssperren hielt und lieber seine Geliebte besuchte. Doch das ist nebensächlich. Fergusons Studien sollten von nun an weltweit als die „wissenschaftliche Grundlage“ für die nun verhängten Lockdowns gelten. Meist unter Berufung auf Fergusons „Imperial College Studie“. Kleiner Sidefact – unter der „Begründung“ des RKI für die jüngst durchgeführte und wissenschaftlich nicht haltbare Verkürzung des Genesenenstatus steht gleich als erste Fußnote genau dieser Neil Ferguson.
Worin besteht die „Methode Ferguson“? Viele von uns kennen ja die Tabellenkalkulation Excel. Das Programm lädt zu Spielereien mit Zahlenreihen und Formeln ein. Mithilfe der Tabellen kann jedes Kind zum „Modellierer“ werden. Was Spielerei und Wissenschaft unterscheidet, ist die Qualität der Modelle. Und die Qualität der Ferguson-Berechnungen ist unterirdisch. So geht er beispielsweise davon aus, dass die Menschen ohne Zwangsmaßnahmen ihr Verhalten nicht ändern und stets genau das machen, was die Maßnahmen ihnen vorschreiben und bloße Empfehlungen nicht befolgen. Das ist schon drollig, wenn man bedenkt, dass er selbst seinen Job verloren hat, weil er sich eben nicht an die gesetzlich verhängte Ausgangssperre gehalten hat. Es ist auch nicht so, dass Fergusons Excel-Spielereien von anderen Wissenschaftlern nicht kritisiert worden wären. Im Gegenteil. Schon früh bezeichneten Experten seine Rechenmodelle wörtlich als „komplett unzuverlässig“ und „kompletten Pfusch“.
Deutsche Modellierer im Alarmmodus
Es dauerte jedoch nicht lange, bis dieser „komplette Pfusch“ auch nach Deutschland kam. Hier waren es dann allen voran die Physiker Dirk Brockmann, Viola Priesemann und Kai Nagel, die fortan mit ihren alarmistischen „Rechenmodellen“ erst die Titelseiten der Zeitungen und dann die Beratergremien der Bundesregierung eroberten. Die Botschaft war immer die gleiche: Wir steuern auf ein exponentielles Wachstum zu, wenn man nicht durch möglichst harte Lockdowns entgegensteuert, werden die Todeszahlen explodieren. Eine nachträgliche Überprüfung dieser Prognosen fand in den Medien nicht statt und auch der Politik scheint es egal zu sein, dass sie mit vollkommen übertriebenen Horrorzahlen zu einer Lockdown-Politik getrieben wurde, die mehr Schaden als Nutzen anrichtete.
Prüfen wir doch mal: Am 5. Februar 2021 interviewte der SPIEGEL die Virologin Melanie Brinkmann. Brinkmann stellte im Interview die Prognosen der No-Covid-Gruppe, der sie selbst ebenso wie die genannten Modellierer angehört, vor. Nach diesen „Prognosen“ sollten ohne massive Maßnahmen bis zum „nächsten Frühjahr“ 180.000 Menschen unter 60 Jahren an Covid 19 sterben. Die harten Maßnahmen blieben bekanntlich aus und bis dato starben lediglich 4.000 Menschen unter 60 an oder mit Covid 19. Die „Experten“ lagen also um sportliche 98% daneben. Bei der Gesamtzahl der „Corona-Toten“ brachte Brinkmann damals sogar die Zahl von „eine Million Tote oder mehr“ ins Spiel. In Realität sind es bis jetzt 49.000. Auch hier eine Differenz von 95%. Konsequenzen? Keine! Im Gegenteil. Mit Michael Meyer-Hermann, Viola Priesemann und Melanie Brinkmann wurden sogar drei Gründungsmitglieder der No-Covid-Gruppe in den Corona-Expertenrat der Bundesregierung berufen – Letztere sogar als stellvertretende Vorsitzende.
Und die alarmistischen Fehlprognosen hören nicht auf. Hätten die Regierungsberater rund um die Göttinger Physikerin Viola Priesemann mit ihrer erst sechs Wochen alten „Modellrechnung“ zu Omikron recht behalten, müssten heute 6.000 bis 7.000 Intensivbetten mit Covid-Patienten belegt sein. In der Realität sind es 2.355.
Grafik: SPIEGEL. Die gelbe Kurve mit dem tatsächlichen Verlauf wurde in die Grafik montiert.
Im Mittelalter hat man Wahrsager, deren Prognosen regelmäßig derart massiv danebenlagen, vom Hof gejagt. Heute werden die schlimmsten Scharlatane zu engen Beratern der Regierung.
Titelbild: HE68/shutterstock.com