Vor seinem USA-Besuch wird der deutsche Kanzler von deutschen Medien massiv unter Druck gesetzt, damit er in Washington gegen deutsche Interessen handelt: Diese Interessen liegen in einer Verständigung mit Russland und in einer sicheren Energieversorgung. Wenn es nach vielen deutschen Redakteuren geht, soll Olaf Scholz beides aufs Spiel setzen, um die „deutsche Zuverlässigkeit“ zu beweisen. Von Tobias Riegel.
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Vor der Reise von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) in die USA feuern viele große deutsche Medien aus allen Rohren. Sie tun das jedoch nicht, um dem Bundeskanzler vor einem schwierigen Besuch den Rücken zu stärken, damit er selbstbewusst die deutschen Interessen gegen die der USA verteidigen kann. Viele deutsche Redakteure tun das Gegenteil: Sie setzen Scholz massiv unter Druck, damit er den USA fatale Zugeständnisse macht.
„Ist Deutschland eine Enttäuschung für die USA?“
Beispiele für die Kampagne vieler Medien gegen „zögerliche“ Sozialdemokraten finden sich auch im öffentlich-rechtlichen Rundfunk, vor allem aber bei großen und kleinen Privatmedien. So beschreibt der „Spiegel“, mit welchen Unterwerfungsgesten Olaf Scholz „den deutschen Ruf wieder herstellen“ könne: etwa durch ein Bekenntnis zur militärischen „Abschreckung“. Einen Eindruck der aktuellen Kampagne vermittelte auch die Startseite von „Zeit-Online“:
Medien aus der zweiten Reihe wollen da nicht zurückstehen: Der „Wiesbadener Kurier“ behauptet:
„Deutschlands internationales Ansehen hat im Ukraine-Konflikt kräftig gelitten. Das Ampel-Bündnis um Bundeskanzler Olaf Scholz wird selbst in seriösen US-Medien wie der New York Times als unsicherer Kantonist beschrieben, dem aufgrund der engen Verflechtung und Verbundenheit mit Russland nicht zu trauen ist. Auch in osteuropäischen Staaten wie der Ukraine, Polen oder Litauen ist das Misstrauen groß. Gleichzeitig schien der Bundeskanzler in der Ukraine-Krise wochenlang abgetaucht zu sein. Damit hat sich Scholz in die unangenehme Lage manövriert, jetzt beim Antrittsbesuch beim US-Präsidenten umso eindeutiger auftreten zu müssen.“
Und laut der „Taz“ müsse Scholz den US-Besuch nutzen, „um endlich klare Kante zu zeigen. Um öffentlich eine rote Linie zu ziehen und ohne rhetorische Umschweife Konsequenzen zu benennen: Setzt Russland auch nur eine Stiefelspitze in die Ukraine, dann kann und darf es eine Inbetriebnahme der Ostsee-Pipeline Nord Stream 2 nicht geben. Die staatsmännische Zurückhaltung und Gelassenheit, die Scholz im Wahlkampf ins Kanzleramt gespült hat, hat ausgedient.“
Bleibt Scholz standhaft?
Meiner Meinung nach ist es aber genau diese „staatsmännische Zurückhaltung“, die man Scholz momentan anrechnen kann (allerdings nur beim Ukraine-Komplex; bei der Corona-Politik und vielen anderen Themen sieht das anders aus). Es ist zu wünschen, dass er sie trotz des Mediensturms beibehält. Aktuell kann man dem Kanzler (noch) eine gewisse Standhaftigkeit bescheinigen, etwa in einem Interview am Sonntag, bei dem er zur Frage von Waffenlieferungen an die Ukraine betont hat, dass die Bundesregierung seit Jahren einen klaren Kurs habe, „dass wir nicht in Krisengebiete liefern und dass wir auch keine letalen Waffen in die Ukraine liefern“.
Auch wenn die Aussage mit den restriktiven deutschen Waffenlieferungen in Krisengebiete bei vielen anderen Fällen vermutlich nicht zutrifft, so ist das im Fall des Ukraine-Konflikts eine strategisch kluge Haltung von Scholz. Hauptanliegen aus deutscher Sicht sollte im Moment sein, den destruktiven Einfluss der USA auf den Ukraine-Konflikt zurückzudrängen. Darum ist auch die Betonung von Scholz sinnvoll auf das, „was der französische Präsident und ich so intensiv vorantreiben: Das Normandie-Format, in dem Russland, die Ukraine, Frankreich und Deutschland zusammen versuchen, die verfahrene Situation aufzulösen“.
Bindung an Ukraine wäre gefährlich
Wenn Scholz bei seinem Besuch in den USA dem Druck nun nicht standhält und die Friedenssicherung und die Energieversorgung für ein Schulterklopfen des Großen US-Bruders opfert, dann sind dafür auch jene deutschen Redakteure mitverantwortlich, die Scholz in den letzten Tagen öffentlich und massiv zum Verzicht auf deutsche Interessen gedrängt haben. Den hohen Preis würden die Bürger bezahlen.
Die Forderung der USA und vieler deutscher Medien, Deutschland müsse sein Schicksal an das der Ukraine binden, ist bizarr und brandgefährlich: Die Ukraine kann fast als ein gescheiterter und unberechenbarer Satellitenstaat der USA bezeichnet werden, der durch den mächtigen Verbündeten zu einem aggressiven Auftreten animiert wird. Durch die Unterstützung dieser Politik eine Konfrontation Deutschlands mit Russland zu riskieren, widerspricht jeder moralischen und politischen Logik sowie dem Instinkt der Selbsterhaltung. Dazu kommt die Verpflichtung Deutschlands zu einer Versöhnung mit Russland, die aus einer großen historischen Schuld gegenüber den Russen erwächst.
Kampagne gegen Sozialdemokraten
Die aktuelle Kampagne vieler Medien gegen einige Sozialdemokraten haben die NachDenkSeiten in mehreren Artikeln thematisiert, die Sie unter diesem Beitrag finden. In einem Artikel heißt es:
„Ein Krieg des Westens gegen Russland (oder bereits die Fortsetzung der aktuellen Eskalations- und Sanktionspraxis) würde Deutschland erheblich stärker betreffen als etwa die USA. US-Amerikaner sind die treibende Kraft hinter der gegenwärtigen Konfrontation innerhalb Europas – und mit den Grünen haben sie für diese destruktive Politik eine starke Lobby, nun sogar in der Bundesregierung.
Trotz der schlechten Erfahrungen etwa mit dem SPD-Außenminister Heiko Maas: Für mich ruhen momentan die Hoffnungen auf eine leidlich rationale Russland-Politik (innerhalb der Regierungsparteien) noch bei den nun ins Medienvisier geratenen kritischen Teilen der Sozialdemokratie. Das mag naiv klingen, aber: Wo wäre diese Vernunft sonst zu suchen?”
Titelbild: Alexandros Michailidis / Shutterstock
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