Wie bringt man Journalisten, aber auch interessierten Bürgern das Recherchehandwerk bei? Und: Wie vermittelt man ihnen dazu auch noch solide Macht- und Herrschaftskritik? Der Journalist und Autor Patrik Baab zeigt, wie das geht. In seinem gerade erschienenen Buch „Recherchieren – ein Werkzeugkasten zur Kritik der herrschenden Meinung“ erläutert er, was in vielen Redaktionen nicht bekannt zu sein scheint: Journalistische Recherche und Machtkritik haben bei einem Journalismus, der diese Bezeichnung verdient, Hand in Hand zu gehen. Im NachDenkSeiten-Interview zeigt Patrik Baab, wie ein Werkzeugkasten zur kritischen Recherche aussieht und spricht Klartext über den Journalismus unserer Zeit. Von Marcus Klöckner.
„Nie waren Kritik und Kontrollen der Eliten so aktuell und wichtig wie in der Corona-Krise. Denn der Kampf gegen die Viren, warnt die Menschenrechtsaktivistin Eda Seyhan, ist ‚die perfekte Ausrede für den Griff nach der Macht.‘“ Herr Baab, diese Zeilen sind Ihrem aktuellen Buch entnommen, das sich um die journalistische Recherche dreht. Wie passt das Thema „Recherche“ zu den Themen „Macht“ und „Herrschaft“?
Recherchieren heißt Aufklären. Aufklären heißt, den Standpunkt der Kritik einnehmen. Immanuel Kant schreibt in der „Kritik der reinen Vernunft“: „Der kritische Weg ist allein noch offen.“ In der Philosophie der Aufklärung kreisen die Überlegungen um die Einhegung von Macht. Dies ist die zentrale Lehre aus den jahrhundertelangen Erfahrungen mit unbeschränkter Machtausübung der Eliten gegen die Bevölkerung. Wer recherchiert, hat deshalb zu fragen, wem die Ansichten nützen. In der Corona-Debatte nützt die Eingrenzung des Debattenraumes auf Fragen des Impfschutzes jenen Politikern und Konzernen, die seit vier Jahrzehnten die Privatisierung, Rationalisierung und Profitorientierung des Gesundheitswesens vorangetrieben haben. Sie lenken damit von ihren eigenen Fehlern ab, deren Folgen in der Pandemie die Kranken zu tragen haben. Der neoliberale Umbau des Gesundheitswesens zugunsten privater Profitaneignung hinterlässt bei den Betroffenen eine ungeheure Wut. Denn sie arbeiten oft für schmalen Lohn, damit in einem weithin privatisierten Klinikwesen 8 bis 10 Prozent Rendite in die Taschen der Aktionäre fließen. Diese Wut wollen die Verantwortlichen nun von sich weg- und auf Andere hinlenken – im Inneren auf Ungeimpfte oder Flüchtlinge, im Äußeren gegen Russland.
Lassen Sie uns Ihre Arbeit näher beleuchten. Zunächst: Recherche ist vor allem etwas für Journalisten. Gehören zu der Zielgruppe Ihres Buches also nur Journalisten?
Nein. Wer Journalist ist, das wird zunehmend unscharf. Deshalb richtet sich das Buch nicht nur an Journalistinnen und Journalisten, sondern auch an Blogger und Internet-Aktivisten, an Studentinnen und Mitarbeiter von NGO’s oder Bürgerinitiativen und auch an alle, die Medien-Berichterstattung und Informationsgebung einmal auf den Prüfstand stellen wollen. Das Buch bietet dazu eine Reihe von Werkzeugkästen mit einem Arsenal von Fragen, die dabei helfen, herauszufinden, wes’ Geistes Kind die Autoren von Texten sind und welche Fragen an Mächtige gerichtet werden sollten.
Wir leben in einer Zeit, in der Medien von so manchen Bürgern sehr genau beobachtet werden. Und: Viele Bürger versuchen sich auch auf die eine oder andere Weise durch das Medium Internet im Journalismus. Das heißt: Sie suchen sich selbst Informationen, bereiten diese auf und veröffentlichen sie auf einem Blog oder ähnlichem. Wie kommt es zu diesem Einsatz der „Laien“? Braucht der Journalismus Unterstützung von außerhalb, weil die Professionellen zu oft nicht das tun, was Journalismus eigentlich ausmacht: herrschaftskritisch zu recherchieren und zu berichten?
Journalismus bedeutet, mit Schreiben und Informieren Geld zu verdienen. Dieser Arbeitsprozess verläuft unter kapitalistischen Bedingungen. Information ist eine Ware, sie wird verkauft. Die journalistische Arbeit ist ebenso eine Ware, die unter zunehmend prekären Bedingungen verkauft werden muss. Viele Journalistinnen und Journalisten sind freie Mitarbeiter. Sie entwickeln ein sensibles Gespür dafür, welche Themen die Leitungsebene haben will. Denn sie erhalten Stücklohn und wollen auch morgen noch Geld verdienen. Wer die Chefebene erreicht hat, teilt häufig Umfeld und Lebenslage mit den Machteliten aus Politik und Wirtschaft. So bilden sich ähnliche Haltungen und Ansichten heraus. Im Ergebnis verengt sich der Diskurs tendenziell auf die Interessen der Machteliten und blendet die Interessen der abhängig Beschäftigten aus. So werden Journalisten zu affirmativen Intellektuellen, wie der italienische Philosoph Antonio Gramsci sagte, die den Interessen der Mächtigen folgen. Das Gerede von der „Vierten Gewalt“ geht deshalb an der Sache vorbei. Journalisten sind Lohnschreiber, und leider manchmal Hofnarren unter Wegfall der Höfe. Das sage ich nicht von oben herab, sondern als ein Mensch, der seit 45 Jahren Teil des Geschehens ist.
Was ist aus Ihrer Sicht eine journalistische Recherche, die die Bezeichnung verdient?
Recherchieren heißt, etwas gegen Widerstände herauszufinden. Recherche hat nichts damit zu tun, die Pressestelle anzurufen, sondern bedeutet, gerade das herauszufinden, was die Pressestelle nicht preisgeben will; etwas herauszufinden, das eben den Interessen der Mächtigen entgegensteht. Recherchieren ist deshalb ein oppositionelles Konzept. Recherchieren bedeutet nicht, ein Gleichgewicht in der Berichterstattung herzustellen, solange es kein Gleichgewicht der Macht in der Realität gibt. Gerade in der Corona-Pandemie ist es den Eliten gelungen, Kapital und Macht zu ihren Gunsten und zum Nachteil der abhängig Beschäftigten zu verschieben. Das reichste Prozent hat sein Vermögen verdoppelt, während Geringverdiener und kleine Selbstständige mit finanziellen Problemen durch Lockdowns, Kurzarbeit oder Entlassung zu kämpfen haben und einem höheren Infektionsrisiko ausgesetzt sind. Hat nicht der jetzige Gesundheitsminister – und ehemalige Aufsichtsrat bei der Röhn-Klinik AG – 2019 gefordert, jede zweite Klinik zu schließen – ganz im Sinne des privaten Klinikkonzerns? Hat er nicht die Fallpauschalen im Gesundheitswesen durchgesetzt, die den Menschen zu einem Kostenfaktor gemacht haben? Aufgabe von Recherche ist es, diese Zusammenhänge herauszufinden und immer wieder darüber zu informieren. Nur dann wird klar, welche Interessen die handelnden Personen verfolgen und oft mit wohlfeilen Phrasen kaschieren. Wenn sich die Leitmedien dieser Aufgabe nicht mehr stellen, treten andere Akteure wie Blogger auf den Plan.
Wenn Recherche bedeutet, etwas gegen Widerstände herauszufinden – wie muss man dann vorgehen?
Recherchieren hat nichts mit Talent zu tun, sondern ist ein Handwerk. Dafür liefert mein Buch einige Werkzeuge. Ein Werkzeug ist natürlich nur so gut wie der Handwerker, der es verwendet. Man sollte also vermeiden, alles zu einem Nagel zu erklären, weil man gerade einen Hammer in der Hand hat. Der erste Schritt bei der Recherche ist oft, Themen zu finden. Ein Thema ist nicht das, was in der Zeitung steht, sondern das, was dort nicht steht. Das lässt sich herausfinden mit der Frage: Was fehlt? Oder indem man die Dinge vor Ort in Augenschein nimmt und sich selbst umsieht, statt am Computer zu sitzen. Dann geht es darum, Quellen zu finden. Quellen sind Personen oder Dokumente, die mit einem Thema zu tun haben. Der nächste Schritt muss sein, die Quellen zu prüfen – also nicht einfach herumzutelefonieren, sondern herauszufinden, wer welche Interessen auf dem Spielfeld hat.
Wichtig ist dann zu lernen, wie insbesondere in der digitalen Welt Quellen geschützt werden können. Denn wir wissen spätestens seit Edward Snowden, dass sich Geheimdienste um einen möglichst umfassenden Daten-Zugriff bemühen, und die Firma Horch und Guck sollte möglichst nicht mitlesen. Die Hinweise von Informanten sollten in Memos dokumentiert werden. Auf dieser Basis können wir eine Hypothese bilden. Dies soll helfen, eine Kausalität in das Thema zu bekommen und so in die Tiefe und nicht in die Breite zu recherchieren. All das geht ein in einen Rechercheplan, zu dem auch ein Befragungsplan gehört. Indem wir den Rechercheplan abarbeiten, entsteht ein Rechercheprotokoll. Dieses Protokoll wiederum ist die Basis der Darstellung, also eines Artikels, Films, einer Website oder eines Hörfunkbeitrags. Wenn alles fertig ist, kommt nochmal ein Fakten-Check. Er reicht von der richtigen Schreibweise der Namen bis zur Belastbarkeit der Quellen. Am Ende wertet der Rechercheur das Feedback aus. So findet man Ansätze für weiterführende Überlegungen. Im Zentrum dieser Überlegungen steht die Ideologiekritik: Gehe den Mächtigen nicht auf den Leim, glaube ihnen nichts, sondern decke die unterschwelligen Werturteile ihrer Einlassungen und ihre Interessen auf.
Wie lässt sich Ideologiekritik lernen?
Ideologie ist falsches, interessengeleitetes Bewusstsein. Ich folge damit den Überlegungen des jungen Karl Marx und nicht denen von Karl Mannheim und Wladimir I. Lenin. Wir müssen uns klarmachen: Die herrschenden Gedanken sind die Gedanken der Herrschenden. Was das heißt, lässt sich herausfinden, wenn wir uns fragen: Wem nützt diese Darstellung? Dient sie den Interessen der Menschen oder wollen die Machteliten ihre Macht- und Profitgier kaschieren? Ideologiekritik heißt: Nach den Interessen der Beteiligten zu fragen. Ein Beispiel: Die überwiegende Zahl der Leitmedien bezeichnet in der Ukraine-Krise Russland als den Aggressor. Die Realitätsprobe zeigt: Dabei unterschlagen sie, dass die Vereinigten Staaten pro Jahr etwa 800 Milliarden Dollar für Rüstung ausgeben, Russland 62 Milliarden. Weltweit haben die USA mehr als 500 Stützpunkte, Russland nur wenige, beispielsweise in Syrien.
Wem nützt diese Lücke in der Berichterstattung? Sie nützt jedenfalls nicht jenen, die an einer Entspannungspolitik interessiert sind, wie sie Bundeskanzler Willy Brandt erfolgreich betrieben hat, sondern jenen, welche an die russischen Bodenschätze herankommen und deshalb die Menschen in einen neuen Krieg in Europa hineintreiben wollen. Rund um die Verurteilung von Nawalny herrscht großes Geschrei, über die strafrechtliche Verfolgung von Julian Assange wird kaum noch berichtet. Das zeigt: Hier wird mit zweierlei Maß gemessen. Lügen lässt sich am besten durch Weglassen. Um die wahren Interessen zu verschleiern, wird dann oft von Werten geredet. Egon Bahr, der Brandts Entspannungspolitik mitkonzipierte, hat dazu einmal gesagt: „In der internationalen Politik geht es nie um Demokratie oder Menschenrechte. Es geht um die Interessen von Staaten. Merken Sie sich das, egal, was man ihnen im Geschichtsunterricht erzählt.“
Meiner Beobachtung nach scheint vielen Journalisten gar nicht so recht klar zu sein, dass es einen Unterschied zwischen der realen Realität und der Medienrealität gibt – die sie ja miterzeugen. Das Ergebnis ist dann, dass auch bei den eigenen Recherchen Journalisten sich in einer mitunter ziemlich verzerrten Medienrealität verheddern. Wie sehen Sie das?
Ich kann dem zustimmen. Journalisten befinden sich in einer Meinungsblase, einer schreibt vom anderen ab. In diesem schnellen, aktuellen Geschäft bildet sich in Redaktionen ein Meinungsklima aus gemeinsamen Vorurteilen, die den Akteuren Sicherheit gibt und gewährleistet, dass es nicht zu Endlosdiskussionen kommt. Denn redaktionelle Arbeit besteht oft aus schnellem Auswählen: Was heben wir ins Blatt, was lassen wir weg? Der Journalist, Schriftsteller und Medienkritiker Walter Lippmann hat 1922 in seinem Buch „Public Opinion“ geschrieben, dass es dafür keine klaren Regeln, sondern nur Konventionen gebe. Wichtig wäre demgegenüber, die Voraussetzungen der eigenen Werturteile immer wieder auf den Prüfstand zu stellen. Das geht aber nicht in einem streng hierarchischen System, in dem am Ende die Verleger das Sagen haben. Denn Zeitungen sind Tendenzbetriebe: Die Redakteure müssen die weltanschaulichen Tendenzen der Verleger teilen. Ihre Unabhängigkeit endet am Geldbeutel. Und in einer Zeit, in der die Sparkommissare durch die Redaktionen marschieren, ist es leicht, Journalisten mit Widerspruchsgeist loszuwerden.
Wenn Journalisten sich in der eigenen, fehlerhaften Medienrealität verfangen, kann das ziemlich weitreichende Konsequenzen haben. Nehmen wir mal die Berichterstattung zu Russland. Man traut seinen Augen kaum, aber derzeit wird in Medien allen Ernstes die Frage aufgeworfen, ob es aufgrund der Spannungen zwischen Russland und der Ukraine zu einem neuen großen Krieg in Europa kommen wird. Was ist dem vorangegangen im Hinblick auf eine kritische Berichterstattung, aber auch auf die journalistische Recherche? Ein Totalausfall von beidem?
Hier wird Recherche nur vorgespiegelt. Tatsache ist, dass die meisten Kommentatoren weder Russland noch die Ukraine kennen. Sie orientieren sich recherchefrei an der Meinungsblase, die in ihrem sozialen Umfeld herrscht. Das sind die Menschen, die in denselben Vorort-Vierteln wohnen, denselben Golf- oder Tennisclubs angehören, in derselben VIP-Lounge bei einem Fußballspiel sitzen, ihre Autos in denselben Automobilvertretungen leasen, derselben Partei angehören, in denselben Bioläden einkaufen, also derselben sozialen Klasse angehören. Man teilt dieselbe Lebenslage, dieselben Ansichten, dieselben Interessen und man macht sich bei höhergestellten Entscheidern dadurch interessant, dass man im vorauseilenden Gehorsam deren Urteile übernimmt und nach unten weiterträgt. Bürgerlicher Journalismus steht nicht mehr in Opposition zur Feudalaristokratie, sondern hat einen Funktionswandel erlebt. Heute unterliegt er überwiegend selbst einem Prozess der Refeudalisierung. Private Macht- und Profitinteressen haben den öffentlichen Auftrag der Presse stark eingeschränkt. Der heutige Journalismus ist überwiegend keine Kontrollinstanz mehr, sondern teilt die Werturteile der Mächtigen.
Vergessen ist, dass im vergangenen Jahrhundert Deutschland zweimal der Aggressor war, die Russen 27 Millionen Tote im Zweiten Weltkrieg zu beklagen hatten und trotzdem die deutsche Einheit ermöglicht haben. Vergessen sind auch die Versprechungen, die ihnen 1990 gemacht wurden, vergessen ist Gorbatschows Versuch, ein gemeinsames Haus Europa zu schaffen. Vergessen ist, dass der Warschauer Pakt aufgelöst wurde, die Nato aber nicht. In der Region, aus der ich komme, kämpfte der Journalist Philipp Jakob Siebenpfeiffer in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts für Pressefreiheit und Demokratie. Er gehörte 1832 zu den Organisatoren des Hambacher Festes. Dafür schickten ihn die Feudalherren für zwei Jahre in den Knast. Siebenpfeiffer floh unter abenteuerlichen Bedingungen in die Schweiz. Pressefreiheit und Demokratie sind auch heute bedroht: Demokratie bleibt auf die politische Sphäre beschränkt, klammert Wirtschaft und Geheimdienste weitgehend aus. Es gäbe also genug zu tun für engagierte Journalisten. Doch viele leitende Journalisten gehören innenpolitischen oder transatlantischen Netzwerken an. Manchmal hat man den Eindruck, sie handeln wie Propagandisten politischer Beutegemeinschaften.
In Ihrem Buch schwingt immer wieder auch Medienkritik mit. Wie ordnen Sie den Zustand unserer Medien ein?
Weite Teile des Mediensystems haben sich zunehmend von den Interessen der Bevölkerung entfernt und rücken immer näher an die Interessen der Machteliten. Wer wirklich recherchiert, steht deshalb zunehmend vor Recherche-Barrieren. Sie liegen zunächst darin begründet, dass der Journalismus ein sehr narzisstischer Beruf ist, und der narzisstisch veranlagte Mensch sucht eben Lob und Anerkennung. Zuspruch verteilen aber Vorgesetzte. Das macht die Branche anfällig für autoritäre Persönlichkeiten. Zweitens hat sich in den Redaktionen zunehmend prekäre Beschäftigung eingeschlichen, die vorauseilenden Gehorsam befördert. Drittens unterliegt das gesamte Mediensystem einem Strukturwandel: Werbung und Public Relations werden immer mächtiger, der Einfluss der Politik immer unverschämter. Jürgen Habermas hat bereits 1962 diesen Prozess als Refeudalisierung der Öffentlichkeit bezeichnet.
Dazu kommt, dass Öffentlichkeit zunehmend über Plattformunternehmen im Internet stattfindet. Diese Unternehmen bieten Dienstleistungen an und sind zugleich private Marktplätze, auf denen Dienstleistungen angeboten werden. Diese Plattformen extrahieren massenhaft unsere Daten, um über Algorithmen Nutzerverhalten zu lenken. Sie zwingen die Presse, auf den Plattformen präsent zu sein, wollen die Angebote aber umsonst nutzen. So extrahieren sie große Teile der Wertschöpfung und genau diese Ressourcen fehlen dann den Verlagen. Das investive Kapital wandert nach oben zu den Plattform-Betreibern. Die Risikokaskaden verlaufen nach unten und führen zu prekärer Beschäftigung und knappen Recherche-Budgets in den Redaktionen. Nebenbei entscheiden die Plattformunternehmen nach dem Hausrecht, was sie präsentieren. Dies ist nichts anderes als eine Privatisierung der Zensur. Weiter planen Unternehmen wie Facebook digitale Währungen und streben damit eine Privatisierung der Währungshoheit an, die derzeit noch bei den Zentralbanken liegt. Dies kann nicht im Sinne demokratischer Willensbildung sein. All diesen Entwicklungen haben die Medien nichts entgegengesetzt, sondern achselzuckend zugesehen, wie die Politik den Internet-Plattformen den Weg bereitet hat.
Was raten Sie jenen Bürgern, die Interesse an der journalistischen Arbeit haben, aber journalistische Laien sind und trotzdem journalistisch tätig sein wollen? Was sollten Sie besser machen als das, was so mancher der „Professionellen“ an den Tag legt?
Sie sollten sich selbst ein Bild machen und nicht alles glauben, was in der Zeitung steht oder im Fernsehen kommt. Sofern es ihre Zeit zulässt, wäre es klug, mehrere Medien parallel zu nutzen, auch aus unterschiedlichen politischen Richtungen, so dass die Informationen verglichen und vervollständigt werden können. Und sie sollten konsequent die Ansichten hinterfragen, wem sie nützen. In der Diskussion um die Impfpflicht beispielsweise prügeln sich derzeit auf den billigen Plätzen Impfbefürworter und Impfskeptiker. Die Eliten in Politik und Krankenhauskonzernen sitzen derweil in der Loge und lachen. Darüber, dass sie 40 Jahre lang das Gesundheitswesen heruntergespart und den Profitinteressen geöffnet haben und dies die jetzigen Engpässe provoziert hat, redet niemand mehr. Dies ist genauso wenig im Interesse der Bevölkerung wie ein Krieg gegen Russland. Deshalb ist wichtig, dass sich die Menschen nicht gegeneinander oder gegen vermeintliche innere oder äußere Feinde aufwiegeln lassen und dass sie nicht vergessen, was die Gesellschaft wirklich spaltet: Das ist der Inhalt des Geldbeutels.
Anmerkung: Patrik Baab arbeitete seit 1977 für die Alternativzeitung „Provinzblatt“ in Homburg/Saar, dann folgten Beiträge für Zeitungen und Magazine wie „die horen“ oder „Lettre International“, dann Ausbildung beim Saarländischen Rundfunk, seither überwiegend Arbeit fürs Fernsehen. Er ist seit 45 Jahren als Journalist tätig. Patrik Baab publizierte zusammen mit Robert E. Harkavy im Westend-Verlag: „Im Spinnennetz der Geheimdienste. Warum wurden Olof Palme, Uwe Barschel und William Colby ermordet?“
Lesetipp: Patrik Baab: Recherche – ein Werkzeugkasten zur Kritik der herrschenden Meinung, Westend, 31. Januar 2022, 20 Euro, 256 Seiten.
Titelbild: wellphoto/shutterstock und Westend Verlag