Caren Miosga hat ausgerechnet wenige Tage vor dem heutigen Holocaust-Gedenktag ein freundliches Interview mit einem bekennenden Verehrer des ukrainischen Nazi-Kollaborateurs Stepan Bandera geführt: Der ukrainische Botschafter Andrij Melnyk müsste eigentlich als eine radikale Figur vorgestellt werden. Aber weil er gegen Russland trommelt, führen die „Tagesthemen“ ein devotes Gespräch mit ihm. Wäre Melnyk allerdings Russe oder würde er die deutsche Corona-Politik kritisieren, so würde vermutlich die ganze Palette an Diffamierungen als „Autokraten-Versteher“ oder „rechtsradikaler Staatsfeind“ über ihn hereinbrechen. Dadurch wird das Interview zu einem Symbol für die große Heuchelei, in der die deutsche Medienlandschaft verstrickt ist. Ein Kommentar von Tobias Riegel.
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Es vergeht bereits zu normalen Zeiten kaum ein Tag, an dem nicht deutsche Repräsentanten aus Politik und Medien die „Lehren aus der deutschen Geschichte“ zitieren und angesichts von rechtsextremen Tendenzen dazu aufrufen, den „Anfängen zu wehren“. Rund um den heutigen Holocaust-Gedenktag fühlen sich viele Repräsentanten (zu Recht) besonders motiviert, in wohlklingenden Worten antifaschistisches Engagement einzufordern. Damit kein Missverständnis entsteht: Das Gedenken an den Holocaust ist wichtig und soll hier keineswegs diffamiert werden! Zu diesem Gedenken gehören auch die wichtigen Mahnungen, einer Wiederholung von totalitären Tendenzen in Deutschland (und seien sie in neuem Gewand) entgegenzutreten.
Das schöne Bild des politisch-moralisch geläuterten und antifaschistischen Deutschlands wird jedoch auch instrumentalisiert, etwa für die eitle Selbstdarstellung von Politikern. Und das Bild bekommt erste Risse, wenn teils die gleichen Politiker nun totalitäre Tendenzen im Schatten einer „Virusbekämpfung“ fördern. Und wenn jene Bürger, die noch den Erhalt ihrer (bis Corona) verbrieften Grundrechte einfordern, als „Staatsfeinde“ und als „rechtsradikal“ bezeichnet werden.
„Tagesthemen“: Radikaler Wolf darf sich als friedliches Schaf präsentieren
Vollends verstricken sich Medienschaffende in großer Heuchelei, wenn sie wenige Tage vor dem heutigen Holocaust-Gedenktag mit dem ukrainischen Botschafter Andrij Melnyk einen bekennenden Verehrer eines ukrainischen Nazi-Kollaborateurs und Faschisten interviewen und ihm eine freundliche Bühne bereiten. Das praktizierten etwa die „Tagesthemen“ am 24. Januar (ab Minute 4:01). Das Interview ist nur ein kleiner Teil in einer überwältigenden aktuellen Kampagne gegen Russland, aber es sticht durch die Person Melnyk doch heraus.
Interessant ist, dass der seit 2014 als ukrainischer Botschafter in Deutschland amtierende Melnyk selber bereits vor einigen Jahren offensiv mit seiner Verehrung für den ukrainischen Nazi-Kollaborateur Stepan Bandera hausieren ging (etwa hier oder hier). Und dass die „Tagesthemen“ diesen wunden Punkt nun aber nicht einmal strategisch thematisieren, etwa um ihn als „überholt“ darzustellen und Melnyks Kritikern so den Wind aus den Segeln zu nehmen. Eine angemessene Distanzierung Melnyks von seiner Bandera-Verehrung konnte ich zumindest in deutschen Quellen nicht finden. Dass deutsche Medien mit der Unterstützung von Rechtsradikalen keine Probleme haben, solange sie in Opposition zum russischen Präsidenten Wladimir Putin stehen, haben sie bereits am Beispiel Alexej Nawalny gezeigt.
Im Interview selber hält sich Miosga mit allzu harten Aussagen (relativ) zurück, transportiert aber eine tendenziell devote Haltung für die „zurückhaltende“ deutsche Position zur Ukraine und etwa Waffenlieferungen. Das verbindet sie auch noch mit der fragwürdigen Behauptung, Deutschland würde „grundsätzlich“ keine Waffen direkt in Krisengebiete liefern. Auch der Botschafter Melnyk hatte (im Vergleich zu einigen sonstigen Auftritten) gehörig Kreide gefressen und spielte die Rolle des besorgten und wortgewandten Politikers. Und diese Rolle wurde von Miosga auch nicht infrage gestellt. Dadurch konnte sich ein radikaler Wolf als friedliches Schaf präsentieren, mit freundlicher Unterstützung unseres öffentlich-rechtlichen Fernsehens.
Sollten die „Tagesthemen“ beim Interview dem Prinzip gefolgt sein, dass ausländische Diplomaten auch diplomatisch behandelt werden müssen (was keine abwegige Haltung wäre), so muss aber doch auf Gleichbehandlung gepocht werden: Wie ein Gespräch mit einem russischen Botschafter mit vergleichbar radikalen politischen Neigungen ausgesehen hätte, kann man sich vorstellen. Eine radikale Figur, die man wegen des Diplomatenstatus schonen „muss“, sollte man nicht in die Sendung einladen.
Wie es gerade passt: Rechtsradikale werden betont oder verschwiegen
Der sanfte Umgang mit Melnyk durch die „Tagesthemen“ ruft Erinnerungen an die Berichterstattung zum Maidan-Umsturz von 2014 wach, als die starke rechtsextreme Färbung des Umsturzes von deutschen Medien gezielt unter den Teppich gekehrt wurde. Aktuell verhalten sich viele deutsche Redakteure gegenüber den Corona-Protesten umgekehrt: Eine offensichtlich nicht rechtsradikale Bewegung soll mit aller Macht und allen Tricks der Manipulation als rechtsradikal dargestellt werden. Welchen Charakter die auch von Deutschland unterstützte aktuelle Regierung der Ukraine hat, beschreibt etwa RT:
„Die seit dem Jahr 2014 die Ukraine beherrschenden Parteien – und die derzeitige von Präsident Selenskij eingesetzte Regierung ist da auch keine Ausnahme – lässt Straßen nach ukrainischen Nationalisten benennen, die mit Hitler und den deutschen Besatzern zusammenarbeiteten, und errichtet für sie Denkmäler. Denkmäler für sowjetische Soldaten hingegen werden zerstört. Die Fahne, die im Mai 1945 über dem Reichstag und auf dem Brandenburger Tor wehte, ist in der Ukraine seit dem Sieg des Maidan verboten.“
Die sanfte Ausdrucksform Melnyks in den „Tagesthemen“ sollte nicht über seine knallharten Standpunkte (etwa gegenüber Russland) hinwegtäuschen. Melnyk gehört zu den umstrittensten Diplomaten in Deutschland. RT hat in diesem Artikel einige der von Melnyk ausgelösten Kontroversen zusammengestellt. So habe er gerade der „Welt“ als Reaktion auf die Äußerungen des Marine-Vizeadmirals Schönbach gesagt, aus den Äußerungen spreche “deutsche Arroganz und Größenwahn, mit denen einer der hochrangigsten Köpfe der Bundeswehr von einer heiligen Allianz mit Kriegsverbrecher Putin und einem deutsch-russischen modernen Kreuzzug gegen China träumt“. RT listet weiter auf:
„Im Mai 2020 griff er Brandenburgs Europaministerin Katrin Lange (SPD) scharf an, die sich am 8. Mai zum Anlass 75. Jahrestag des Kriegsendes kritisch zu den Sanktionen gegen Russland geäußert hatte. Ebenfalls im Jahr 2020 ließ er eine deutsch-ukrainische Historikerkommission wegen ihrer ablehnenden Position zur Anerkennung der Hungersnot des Winters 1932/33 als Genozid platzen. Im Jahr 2021 lief Melnyk zur Höchstform auf: Zuerst nahm er im Frühjahr den Bundespräsidenten Franz-Walter Steinmeier ins Visier, weil dieser an die historische Verantwortung Deutschlands gegenüber Russland erinnert hatte. Im April drohte er mit ukrainischen Atomwaffen und im Mai schoss er sich auf die Partei die Linke ein, die ihn mit einem friedenspolitischen Antrag im Bundestag empört hatte. Kurz darauf forderte er die Umbenennung des Deutsch-Russischen Museums in Berlin-Karlshorst und boykottierte eine Gedenkveranstaltung zum achtzigsten Jahrestag des deutschen Überfalls auf die Sowjetunion, an der Steinmeier als Bundespräsident teilnahm. Im Oktober forderte er ultimativ deutsche Reparationen für sein Land und zum Jahreswechsel die Lieferung von Waffen und Kriegsgerät.“
Wer war Stepan Bandera?
Die faschistischen Haltungen des von Melnyk verehrten Stepan Bandera werden von seinen Anhängern gerne als Kampf für eine „selbstbestimmte Ukraine“ verklärt. Das ist Geschichtsklitterung. Sogar die „Bundeszentrale für Politische Bildung“ kommt zum Ergebnis, dass Bandera eindeutig ein Nazi-Kollaborateur war und seine Gruppierung OUN-B ein radikales faschistisches Netzwerk:
„Die OUN nutzte 1935/36 Prozesse gegen sich in Warschau und Lemberg, die wegen des Attentats auf den polnischen Innenminister Pieracki und anderer Verbrechen stattfanden, um ihren “Freiheitskampf” international bekannt zu machen. Bandera stilisierte sich nun explizit zum Führer einer faschistischen Bewegung, die die Ukraine befreien würde. Im Gerichtsaal wurde er von seinen Kampfgenossen mit faschistischem Gruß geehrt. (…) Seine Zeit in Haft nutzte er unter anderem dafür, junge Ukrainer zu radikalisieren, die im Zweiten Weltkrieg Massenmorde organisieren sollten.
Die OUN-B kontrollierte den Großteil des Untergrundes in der Westukraine und erarbeitete im Generalgouvernement einen detaillierten Plan für den Ausbau eines faschistischen Staates auf allen administrativen Ebenen, den sie “Ukrainische Nationale Revolution” nannte.
An seiner Verwirklichung sollten sich unter anderem die aus ukrainischen Freiwilligen bestehenden Bataillone “Roland” und “Nachtigall” der deutschen Wehrmacht sowie die sogenannten Marschgruppen beteiligen. Die OUN-B hoffte, dass die Nationalsozialisten ihren Staat akzeptieren würden, und dieser ähnlich wie die Slowakei im März 1939 und Kroatien im April 1940 zu einem politischen Organismus des “Neuen Europa” unter deren Führung werden würde. Auf einem Kongress Anfang April 1941 in Krakau faschisierte sich die OUN-B weiter und leistete dadurch einen Beitrag zur Gestaltung des europäischen Faschismusdiskurses. Sie führte unter anderem den Gruß “Ehre der Ukraine! – Ehre den Helden!” ein, diskutierte die Gesundheit der ukrainischen Rasse und verdammte die Juden als Stütze der Sowjetunion. (…) Beim Überfall auf die Sowjetunion am 22. Juni 1941 trat die OUN-B als Verbündeter Deutschlands auf.“
Was sagt die Bundesregierung?
Auch die Bundesregierung ist sich gegenüber Melnyks Ansichten längst im Klaren. Bereits 2015 antwortete sie auf eine Anfrage der LINKEN Sevim Dağdelen:
„Dem ukrainischen Botschafter ist unsere Position hierzu hinlänglich bekannt. Die Bundesregierung verurteilt die von der Organisation Ukrainischer Nationalisten, OUN, teilweise unter Leitung Banderas begangenen Verbrechen an polnischen, jüdischen und ukrainischen Zivilisten und Amtsträgern. Dabei ist sie sich bewusst, dass ein erheblicher Anteil an diesen Verbrechen in Kollaboration mit deutschen Besatzungstruppen begangen wurde.“
Ein bekennender Verehrer dieser Faschisten und Nazi-Kollaborateure erscheint den „Tagesthemen“ – solange es gegen Russland geht – auch wenige Tage vor dem Holocaust-Gedenktag als angemessener Gesprächspartner.
Titelbild: Screenshot – NachDenkSeiten
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