Am Montag ging das Tauziehen – oder man könnte auch sagen das (Kasperl-)Theater – um Julian Assanges Zukunft in eine weitere Runde. Seine Verlobte Stella Moris bezeichnet das Ergebnis als Sieg. Ich fand die kurze Verhandlung bzw. das Ergebnis eher undurchsichtig. Im britischen Justizsystem scheint es fast endlos verschiedene Routen zu geben. Im Endeffekt bleibt Julian Assange weiterhin im Hochsicherheitsgefängnis inhaftiert. Ein Bericht aus London von Moritz Müller.
Am Londoner High Court geht es um einiges entspannter zu als im September 2020 am zentralen Strafgerichtshof Old Bailey. Man kann Tasche, Computer und Handy nach einem flughafenähnlichen Sicherheitscheck in den Gerichtssaal mitnehmen. Der Vorsitzende Richter Burnett ist der höchste Richter in England und Wales und er hat seinen eigenen holzgetäfelten Saal komplett mit verglasten Bücherschränken, in denen hunderte von ledergebundenen Büchern stehen, bei denen es sich wohl um Gesetzestexte handelt. Man fragt sich, wann das letzte Mal eines dieser Bücher geöffnet wurde.
Es sind ca. 30 Personen anwesend, von denen die meisten Pressevertreter sind, außerdem Stella Moris, Assanges Anwältin Gareth Peirce und die Wikileaks-Vertreter Joseph Farell, Kristinn Hrafnsson und einige Mitbürger. Die Anwesenheit von Julian Assange, der Person, um die sich dieses Schauspiel dreht, scheint vom Gericht nicht für nötig erachtet zu werden bei diesem Termin, der einmal mehr seine Zukunft berührt.
Pünktlich um 10:45 Uhr erscheinen die Richter Holroyde und Burnett auf ihrer ein Stockwerk hohen Richterbank. Burnett braucht weniger als zwei Minuten, um den weiteren Verlauf zu verkünden:
Der High Court sieht nur einen der drei Punkte, zu denen Assanges Anwälte in Berufung gehen wollten, als relevant an. Nämlich, ob die US-Zusicherungen bezüglich Assanges Haftbedingungen zu spät kamen. Die USA hatten diese erst eingereicht, nachdem das Bezirksgericht seine Auslieferung aufgrund seines Gesundheitszustandes und der möglichen Haftbedingungen in den USA abgelehnt hatte.
Nicht beachtet wurden die Punkte, dass die USA sich vorbehalten hatten, die Haftbedingungen zu verschärfen, wenn die Behörden es für nötig erachten, oder dass die späte Einreichung der Verteidigung die Möglichkeit nahm, diese anhand vorheriger Fälle anzuzweifeln. Außerdem hat sich gezeigt, dass US-Strafvollzugsbehörden sich selbst nicht an diplomatische Zusagen ihres Außenministeriums gebunden fühlen. Ob man darauf bei der Erörterung der späten Einreichung der Zusagen eingehen kann, wird sich zeigen.
Der High Court selbst wollte dem übergeordneten Supreme Court aber nicht vorschreiben, den Fall zur Berufung zuzulassen, sondern überlässt diese Entscheidung dem Supreme Court selbst. Dies scheint im Vereinigten Königreich gängige Praxis zu sein und spiegelt die Hierarchie der dortigen Gerichte wider. Diese Frage ist vielleicht auch akademisch, weil es scheint, dass Assange den Supreme Court auch hätte anrufen können, wenn der High Court dies nicht empfohlen hätte. Zumindest schildert es Joe Lauria so in diesem Artikel auf Consortium News.
Das Schlimmste an der Entscheidung des High Court scheint mir, dass es weitere Monate des Wartens und Leidens für Julian Assange bedeutet. Sein Anwaltsteam hat nun zwei Wochen Zeit, den Supreme Court anzurufen, der sich dann wiederum einige Monate des Überlegens über die Frage gönnen wird, ob man sich überhaupt mit dem Fall befassen will.
Mir scheint es mittlerweile, dass die beteiligten Regierungen Assange nicht unbedingt in den USA haben wollen, sondern dass das endlos erscheinende Gezerre, währenddessen sich Assanges Zustand weiter verschlechtert, gewünscht ist. Die negative Version von „Der Weg ist das Ziel“.
Auf der anderen Seite schreibt Craig Murray, dass der High Court in der Beschränkung auf den technischen Punkt der zu späten Einreichung der Zusicherungen, der auch ein genereller Punkt ist, dem Supreme Court die Möglichkeit eines gesichtswahrenden Ausstiegs aus dem Prozess anbietet. Er meint, dass Großbritannien dann zu den USA sagen kann: „Sorry Leute, Ihr habt einen Verfahrensfehler gemacht“, ohne dass Fragen der Gültigkeit von Zusicherungen oder Folter in US-Gefängnissen erörtert werden. Ich hoffe, dass er recht behält, auch wenn ich skeptisch bin.
Man kann die Hilflosigkeit von Julian Assange offen sehen, wenn man genau hinschaut. Und wenn man sich die derzeitige Aushöhlung der Bürgerrechte und die verbreitete Korruption, Zerstörung und Kriegstreiberei vor Augen führt, fühle ich mich auch manchmal hilflos.
Andererseits kann auch namenloser Sand in einem Getriebe dieses stören. Auf dass sich mehr widerständiger Sand in den Nischen unserer Gesellschaft sammelt, um von dort ins Zentrum gespült zu werden, und dann die mahlende Zerstörung unserer Welt zum Stillstand bringt.