Mit Martin Ruthenberg „outet“ sich bereits der zweite Mitarbeiter beim Südwestrundfunk als Kritiker der Corona-Berichterstattung der öffentlich-rechtlichen Medienanstalten. Im Interview mit den NachDenkSeiten beklagt er inhaltliche Unausgewogenheit, das Schüren von Angst und eine bedenkliche Nähe zu den Regierenden. Damit behinderten ARD, ZDF und Co. einen offenen, demokratischen Diskurs und leisteten der gesellschaftlichen Spaltung Vorschub. Er selbst ließe sich auch mit einem Rauswurf nicht mundtot machen. Mit ihm sprach Ralf Wurzbacher.
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Herr Ruthenberg, wie Sie in einer am 9. Januar veröffentlichten Sprachbotschaft geäußert haben, war es Ihnen als Nachrichtensprecher beim Südwestrundfunk zuletzt immer schwerer gefallen, den „geistigen Spagat“ zwischen Ihrer persönlichen Wahrnehmung der Corona-Krise und den Meldungen, die Sie zum Thema verlesen mussten, zu meistern. Seit Oktober 2021 sind Sie arbeitsunfähig. Wurden Ihnen die Widersprüche am Ende zu viel?
Die vielen Widersprüche waren es, die mich schon sehr viel früher in der Krise veranlasst haben, an dem zu zweifeln, was zum Thema Corona offiziell medial transportiert wird. Mein Gang an die Öffentlichkeit erfolgte dann an einem Punkt, an dem ich es nicht mehr mit meinem Gewissen vereinbaren konnte, wichtige und berichtenswerte Dinge zwar wahrzunehmen, aber einfach nicht sagen zu dürfen.
Welche Dinge meinen Sie?
Da gab es etwa den Fall des Leipziger Mathematikers Stephan Luckhaus, der Ende 2020 aus Protest aus der Wissenschaftsakademie Leopoldina ausgetreten war. Er hatte damals vor einem zweiten harten Lockdown gewarnt, wie ihn die Bundesregierung auf Empfehlung der Leopoldina dann prompt verordnete. In einer im Juni 2021 veröffentlichten Videobotschaft begründete Luckhaus seinen Schritt mit dem Fehlen einer evidenzbasierten wissenschaftlichen Fundierung dieser Politik und damit, bei der Verbreitung seiner eigenen Arbeiten zur mathematischen Epidemiologie der Corona-Krise massiv behindert worden zu sein. Das Beispiel führte mir neben vielen anderen vor Augen, wie sich sogar sehr renommierte Fachleute mit Kritik zu Wort melden, ohne dass man davon beim SWR etwas mitbekommt. Mir erschien dies höchst bedenklich.
Haben Sie das intern thematisiert?
Innerhalb meiner Teamleitung habe ich meine Beobachtungen und die Sorgen, die mir das bereitet, zur Sprache gebracht. Ich habe vereinzelt auch Kollegen darauf angesprochen, insbesondere auf dieses rituelle Wiederkäuen von Infektions- und Covid-19-Todeszahlen, deren Informationsgehalt gegen Null geht, weil ihnen jede Bezugsgröße fehlt. Immerhin brachte eine Redakteurin einmal auf meine Einwände hin eine Meldung, die die nackten Zahlen in eine gewisse Relation setzte. Aber das war nur ein Tropfen auf den heißen Stein.
Sie selbst haben als Nachrichtensprecher keinen Einfluss darauf, was und wie etwas vermeldet wird?
Ich kann sprachliche und grammatikalische Verbesserungen vorschlagen, grobe Irrtümer wie die Nennung eines falschen Namens ansprechen oder auf Sachverhalte innerhalb einer Meldung hinweisen, die mir unstimmig erscheinen. So etwas habe ich dann mit den Redakteuren besprochen, die mir gegenüber immer eine große Bereitschaft dazu gezeigt haben. Über die Auswahl der Themen und die Ausgewogenheit der Inhalte bestimmen allerdings die zuständigen Redakteure.
Was war letztlich für Sie der Auslöser, die Auseinandersetzung mit Ihren Vorgesetzten zu suchen?
Irgendwann im vergangenen Sommer war für mich ein Punkt erreicht, wo ich merkte, jetzt kann ich nicht mehr abwarten. Davor hatte ich noch darauf gebaut, dass sich Dinge von selbst klären und ans Licht kommen. Aber es kam nichts wirklich in Bewegung. Dann fand ich Kontakt zu einer Kollegin, die ähnlich denkt wie ich. So entstand die Idee, sich mit anderen Gleichgesinnten zusammenzutun, um möglicherweise gemeinsam hausintern Stellung zu beziehen. Allerdings befand sich zu der Zeit fast die ganze Belegschaft im Homeoffice, was den Austausch extrem erschwerte. Dann erfuhr ich von diesem Brief, den mein SWR-Kollege Ole Skambraks veröffentlicht hat. Da habe ich innerlich aufgejubelt.
Zum Verständnis: Skambraks war zwölf Jahre lang für den öffentlichen Rundfunk tätig. Im Oktober publizierte er im Onlinemagazin „Multipolar“ einen langen Text, in dem er mit der Corona-Berichterstattung der Medien abrechnete. Unter dem Titel: „Ich kann nicht mehr“ schrieb er zum Beispiel: „Das Ergebnis von anderthalb Jahren Corona ist eine Spaltung der Gesellschaft, die ihresgleichen sucht. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk hat daran großen Anteil. Seiner Verantwortung, Brücken zwischen den Lagern zu bauen und Austausch zu fördern, kommt er immer seltener nach.“ Kannten Sie Skambraks bis dahin?
Nur vom Namen her. Ich war völlig überwältigt von seinem Vorstoß und dachte: Oh, jetzt wagt sich da einer gleich so weit vor. Ich habe sofort mit ihm Kontakt aufgenommen und mich bei ihm bedankt. Ihm wurde dann ja sehr bald fristlos gekündigt, wobei zwischen seiner Darstellung und der des Senders, warum es dazu kam, aus meiner Sicht Welten liegen.
Offiziell war von einem „gestörten Vertrauensverhältnis“ die Rede …
Für mich ist nach wie vor der Verdacht nicht ausgeräumt, dass man Ole Skambraks ins offene Messer laufen ließ, um ihn vor die Tür setzen zu können. Jedenfalls habe ich schon kurz darauf einen hausintern offenen Brief an den Intendanten und die Geschäftsleitung verfasst, in dem ich meine Bestürzung über die Art des Umgangs mit meinem Kollegen zum Ausdruck brachte und um eine Rücknahme der Kündigung sowie einen offenen Diskurs über die von ihm vorgebrachte Kritik bat. Dazu drückte ich meine Sorge darüber aus, dass die Grundrechte zur Disposition stehen und die Berichterstattung nicht ausgewogen ist und der gesellschaftlichen Spaltung Vorschub leistet. Ein zentraler Punkt in dem Brief ist das Thema Angst, die in der Krise eine überragende Rolle spielt und die in meinen Augen ganz gezielt geschürt wird, um Politik zu machen.
Was wurde aus Ihrem Vorstoß?
Ich hatte angeregt, meinen Brief im Intranet des SWR zu veröffentlichen und den Kolleginnen und Kollegen so die Möglichkeit zu geben, die Inhalte anonym zu kommentieren. Das hat die Geschäftsleitung abgelehnt und stattdessen angeboten, eine interne Dialogveranstaltung zum Thema Ausgewogenheit der Berichterstattung durchzuführen. Meiner Bitte um ein persönliches Gespräch mit dem Intendanten wurde angeblich aus Zeitgründen auch nicht entsprochen. Weil mir klar war, dass der vorgeschlagene Dialog im Onlineformat nur eine Art Alibiveranstaltung sein würde, habe ich daran nicht teilgenommen. Den nötigen Kulturwandel und einen offenen Diskurs kann man so nicht einleiten. Von verschiedenen Seiten wurde mir später bestätigt, dass besagte Veranstaltung diesem Zweck gerade nicht diente.
Ihr „Coming-out“ hatten Sie dann im Nachgang einer Demonstration von Kritikern der Corona-Maßnahmen in Freiburg, über die Ihr Sender in einer Videoschalte den Eindruck erweckte, dass es sich dabei um einen Aufzug von Spaltern handeln würde.
Ich selbst war vor Ort gewesen. Das waren alles sehr friedliche, sehr liebevolle Menschen und ich habe keine einzige Person gesehen, die auch nur eine Tendenz hatte, zu spalten – ganz im Gegenteil. Was der SWR daraus machte, löste bei mir große Wut aus und war letztlich der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Unmittelbar danach habe ich meine Sprachbotschaft abgesetzt.
Wie erklären Sie es sich, dass die Corona-Berichterstattung, gerade auch die der Öffentlich-Rechtlichen, fast wie gleichgeschaltet wirkt?
Eine abschließende Erklärung habe ich dafür nicht. Auf alle Fälle erleben die Nachrichtenredakteure seit Jahren eine permanente Arbeitsverdichtung. Es bleibt in ihrem Alltag praktisch keine Zeit, etwas zu hinterfragen und in die Tiefe zu recherchieren. Die Leute werden von früh bis spät mit Agenturmeldungen bombardiert, bei denen man sich auch mal die Frage stellen müsste: Wem gehören diese Agenturen und welche Interessen verfolgen ihre Besitzer? Das alles mitzudenken und sich gegebenenfalls alternativer Quellen zu bedienen, kann ein Nachrichtenredakteur im Tagesgeschäft gar nicht leisten. Und ich schätze, das ist auch nicht erwünscht.
Aber das allein erklärt noch nicht, warum die Berichterstattung beim Thema Corona in ihrer Gesamtheit wie orchestriert anmutet und es Ausreißer aus dem Einheitsbrei so gut wie gar nicht gibt.
Woran es vor allem im öffentlich-rechtlichen Rundfunk fehlt, ist eine wirklich angstfreie Arbeitsatmosphäre, bei der auch die Außenseiter eingebunden sind und kritische Meinungen zugelassen werden. In all meinen Jahren beim SWR habe ich eine solche Atmosphäre nie erlebt. Ich kenne mich auf dem Gebiet ein wenig aus, weil ich als Therapeut selbst mit Gruppen arbeite und auch schon Führungskräfte trainiert habe. Als ich beim Sender in den 1990er-Jahren angetreten war, hatte ich vorgeschlagen, regelmäßige Feedbacks innerhalb unseres Teams einzuführen. Darauf reagierten die meisten Kollegen sehr abwehrend, weil ihnen das, was sie sich darunter vorstellten, offensichtlich Angst bereitete.
Nach meiner Beobachtung bestehen bis in die obersten Führungsebenen hinauf erhebliche Verständnis- und Wissenslücken in puncto zwischenmenschliche Kommunikation und konstruktive Umgangsformen. Viele Menschen wähnen sich in einer angstfreien Umgebung, weil sie die eigene Angst verdrängt haben. Das gilt für unsere gesamte Gesellschaft. Angst zu haben, ist so selbstverständlich, dass die meisten gar nicht auf die Idee kommen, sie könnten angstgesteuert handeln.
Ist die seit Anbeginn der Pandemie befeuerte und quasi regierungsamtlich verordnete Angst vor einem vermeintlichen Killervirus den Nachrichtenmachern vielleicht so in die Glieder gefahren, dass sie meinen, in bestem Wissen und Gewissen Panik verbreiten zu müssen?
Journalisten sind ja auch nur Menschen und leben nicht im luftleeren Raum. Und je öfter wir einen bestimmten Satz hören, desto größer ist unsere Bereitschaft, diesen Satz für wahr zu halten.
Jüngst tauchte ein Video auf, in dem der Chef des in der Schweiz ansässigen internationalen Medienkonzerns Ringier, Marc Walder, freimütig einräumte, die hauseigenen Redaktionen von „ganz oben“ angewiesen zu haben, die Corona-Politik der Regierung aktiv zu unterstützen, anstatt sie distanziert und kritisch zu begleiten. Halten Sie derlei auch für deutsche Großmedien für denkbar?
In meinen Augen hat es schon vor Corona eine große Nähe der Öffentlich-Rechtlichen zur Regierung gegeben – auf Landes- und auf Bundesebene. Auch schon früher war mir aufgefallen, dass gewisse Themen und Akteure in der Berichterstattung bevorzugt und andere ausgeblendet werden. So nehme ich schon lange und mit zunehmender Sorge wahr, dass die Medien hierzulande eine sehr transatlantische Ausrichtung haben, sehr einseitig auf die Karte USA setzen und das Feindbild Russland oder auch China bedienen. Ich denke auch, dass es Strukturen gibt, die diese Einseitigkeit in der Darstellung des Weltgeschehens befördern. Mit dem Thema habe ich mich jedoch nicht gründlich genug befasst, um hier gut argumentieren zu können. Allerdings hätte ich es nie für möglich gehalten, dass dies alles so weitreichende und drastische Folgen haben könnte, wie sich das in dieser Krise offenbart hat.
Haben Sie Anhaltspunkte dafür, dass im SWR mehr Mitarbeiter so denken könnten wie Sie?
Es gibt sicherlich mehr kritische Geister, als es den Eindruck hat. Beziffern kann ich das nicht, zumal die Angst, sich damit zu „outen“, bestimmt groß ist. Der Fall des Kollegen Skambras hat sich ohne Frage herumgesprochen.
Sie selbst scheint das nicht zu schrecken. Mittlerweile haben Sie in weiteren Sprachbotschaften nachgelegt. Was treibt Sie an?
Ich habe nicht mit einem so großen Echo auf meinen Vorstoß gerechnet. Das allein schon spornt mich an, dranzubleiben. Ich bin in der komfortablen Situation, kurz vor der Rente zu stehen. Ein junger Familienvater, der ein Haus abbezahlen muss, hat einfach nicht diese Freiheit, seinem Ärger Luft zu machen. Vielleicht werde auch ich ein paar Schwierigkeiten bekommen und mich in finanziellen Dingen umstellen müssen. Aber das ist mir die Sache wert und ich weiß, dass ich mich heute sehr schlecht fühlen würde, hätte ich diesen Schritt nicht getan.
Sie wurden bisher nicht gekündigt?
Ich habe hin und her überlegt, ob ich selbst kündige oder die Kündigung provoziere. Ich will es dem SWR aber auch nicht zu leicht machen und erwarte immer noch irgendeine Reaktion – bisher jedoch vergebens. Wie es beruflich für mich weitergeht, weiß ich momentan noch nicht.
Und wie geht es mit Ihrem Protest weiter?
Ich habe mich entschieden, meine ganze Energie auf den friedlichen Widerstand zu richten und meine bescheidene Prominenz zu nutzen, um dazu beizutragen, dass die Dinge sich in eine konstruktive Richtung bewegen. Unter den gegebenen Voraussetzungen kann ich mir überhaupt nicht vorstellen, in den öffentlich-rechtlichen Rundfunk zurückzukehren.
Titelbild: © SWR und © Privat
Zur Person: Martin Ruthenberg, Jahrgang 1957, blickt als ausgebildeter Schauspieler auf 40 Jahre Erfahrung als Sprecher, Moderator und Redakteur in Radio und Fernsehen zurück. Seit 1996 hat er beim Südwestfunk/Südwestrundfunk unter anderem Nachrichten gesprochen und klassische Musiksendungen präsentiert. Nebenberuflich arbeitet er als Kommunikationstrainer und Therapeut.