Christian Lindner ist erst wenige Wochen im Amt und schon macht er seinem Ruf als rhetorisch geschickter Blender alle Ehre: Neue Schulden, die nicht als solche bezeichnet werden, milliardenschwere Entlastungen, die entweder keine sind oder bereits längst beschlossen wurden, Investitionsversprechen, die nicht abgerufen werden können, und eine Klientelpolitik für die Besserverdienenden. Aber es soll niemand sagen, dass man dies nicht hätte ahnen können. Von Jens Berger.
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Kaum war Christian Lindner im Amt, schon wurde er von der FAZ als großer „Sparfuchs“ angekündigt – und das ist aus dem Munde der wirtschaftsliberalen FAZ durchaus als Kompliment gemeint. Mehr Markt, weniger Staat. So das alte neoliberale Mantra und wenn der Staat „sparen muss“, heißt dies nichts anderes, als dass Ausgaben gestrichen werden. Nun sind Staatsausgaben aber in den seltensten Fällen Gelder, die einfach so zum Fenster herausgeworfen werden. Wenn man beispielsweise die Personalausgaben kürzt, indem man notwendige Stellen nicht mehr ausschreibt, können bestimmte Aufgaben nicht oder nicht mehr erfüllt werden. Und wenn diese Aufgaben zur Erbringung staatlicher Leistungen notwendig sind, müssen sie halt ausgegliedert, sprich privatisiert werden. Im Endeffekt „spart“ der Staat damit bei einer Kostenstelle, generiert jedoch Mehrausgaben bei anderen Kostenstellen, die höher sind als die „eingesparten“. Dieses Dilemma ist bekannt und von den allermeisten wirtschaftsliberalen Kommentatoren auch genau so gewollt.
Folgerichtig steht nun genau dieses hausgemachte Unterscheidungsproblem zwischen „guten“ Investitionen und „bösen“ Ausgaben den großspurig angekündigten Milliardeninvestitionen im Wege, die man vor allem für die Digitalisierung lockermachen will. Im letzten Jahr hatte die schwarz-rote Regierung bekanntlich im Rahmen von Olaf Scholz´ mit viel Tamtam präsentierter „Bazooka“ ganze 240 Milliarden Euro an „Corona-Hilfen“ für die Wirtschaft zur Verfügung gestellt. Das Problem: Während Großkonzerne unbürokratisch milliardenschwere Zuschüsse in Anspruch nehmen konnten, hatte die „Bazooka“ gerade bei den kleinen und mittelständigen Betrieben eine eingebaute Ladehemmung, so dass 60 Milliarden Euro aus diesem Paket überhaupt nicht abgerufen wurden. Diese Kredite gehen jedoch rechnerisch auf das Konto der schwarz-roten Regierung und so ist es für Christian Lindner natürlich ein Hauptgewinn, diese „alten Schulden“ einfach zu „neuen Investitionen“ zu machen. Und so landen die Kredite nun im „Klima- und Transformationsfonds“ der Ampel-Regierung. Würde ein Häuslebesitzer von seiner Bank einen Kredit für eine neue Heizung beantragen und, da er keinen Heizungsbauer findet, von dem Geld dann halt einen schicken Wintergarten bauen, würde er wohl nicht als „Sparfuchs“ gelten, sondern mächtig Ärger mit dem Kreditsachbearbeiter seiner Bank bekommen. Quod licet Iovi, non licet bovi.
Für die wirtschaftsliberalen Kommentatoren ist dies jedoch in diesem Falle kein Problem, da so „böse“ Schulden ja zu „guten“ Investitionen werden. Zumindest theoretisch, denn es ist höchst fraglich, ob auch diese Investitionen überhaupt abgerufen werden; abgerufen werden können. Dazu muss man wissen: Derartige Investitionen sind ja keine Erfindung der Ampel. Im letzten Haushaltsjahr waren ganze 71 Milliarden Euro an Investitionen eingeplant, von denen jedoch stolze 21 Milliarden Euro gar nicht abgerufen wurden – von den 6,5 Milliarden Euro für den „Digitalpakt Schule“ wurde beispielsweise gerade mal eine einzige Milliarde Euro abgerufen. Fehlt das Geld etwa nicht an allen Stellen? Doch. Investieren ist jedoch komplizierter, als es sich in den Sonntagsreden eines Christian Lindner anhört. Wenn eine Schule beispielsweise neue Rechner oder Tablets für die Schüler anschaffen und in Betrieb nehmen will, dann braucht sie dafür erst einmal einen fachkundigen Beauftragten, der die Anträge formuliert, und Personal, dass die neue Hardware überhaupt in Betrieb nehmen, Lehrer und Schüler einweisen und Hard- und Software im Betrieb betreuen kann. Doch Personalkosten sind ja keine „guten“ Investitionen, sondern „böse“ Ausgaben, die gekürzt werden müssen. Und so hat die „Sparpolitik“ auch dafür gesorgt, dass solche „Investitionen“ gar nicht umgesetzt werden können.
Ähnlich sieht es mit den Mitteln aus dem Klimapaket aus. Ein Rathaus soll energiesaniert werden? Das ist eine wunderbare Idee. Doch jeder Privatmann weiß, dass es heute nahezu unmöglich ist, für jedwede Bau- und Renovierungsarbeiten überhaupt Firmen mit freien Kapazitäten zu bekommen. Der private Investitionsstau durch Corona hat die Lage noch weiter verschärft. Es ist ja löblich, wenn eine Kommune die Möglichkeit hat, solche sinnvollen Investitionen aus öffentlichen Töpfen zu finanzieren – doch in vielen Fällen bleibt es halt auch bei der Möglichkeit, da es in der Praxis niemanden gibt, der diese Investitionen zeitnah realisieren kann. Und so bleiben Investitionsvorhaben auf der Strecke und die Mittel werden nicht abgerufen. Und solange man strukturell nichts ändert und beispielsweise IT-Techniker für die Schulverwaltung oder Bauingenieure für die kommunalen Ämter einstellt, kann man auch keine „Investitionen“ vornehmen.
Der Staat hat sich durch seine neoliberale „Sparpolitik“ selbst die Möglichkeit genommen und ein Christian Lindner wird daran nichts ändern können; nichts ändern wollen. Viel wichtiger ist ohnehin, dass er eine „Bella Figura“ abgeben und den Medien ebenso wolkige wie großspurige Hohlsätze diktieren kann. Dazu gehört auch der FDP-Wahlkampfschlager Nummer Eins – die Entlastungen. Nun will Christian Lindner ja „die Bürger“ über den Nachtragshaushalt um ganze 30 Milliarden Euro entlasten! Ok, die Summe gilt für die gesamte Legislaturperiode, es sind also eigentlich auch „nur“ 7,5 Milliarden Euro pro Jahr. Aber wo genau will er eigentlich wen entlasten?
Zum einen fällt die EEG-Umlage für die Stromkosten weg. Das ist vor allem angesichts der steigenden Energiepreise sinnvoll, jedoch keine Idee von Christian Lindner. Bereits sein Amtsvorgänger Scholz hatte die Umlage um 40 Prozent gesenkt und der komplette Wegfall galt auch schon vor den Wahlen als beschlossen und wäre mit jeder denkbaren Regierungskoalition gekommen. Der zweite Punkt ist die volle steuerliche Absetzbarkeit der Rentenbeiträge. Das klingt oberflächlich ja gut, aber wer zahlt eigentlich Rentenbeiträge, die bislang versteuert werden müssen? Das sind Selbstständige und Freiberufler, deren freiwillige Beiträge die Grenze von 1283,40 Euro pro Monat übersteigen. Und selbst die Beiträge oberhalb dieser Grenze lassen sich schon heute mit bis zu 25.046 Euro für Alleinstehende bzw. 50.092 Euro für Verheiratete als Sonderausgaben von der Steuer absetzen – nur halt „lediglich“ zu 90 Prozent. Künftig werden es 100 Prozent. Das ist eine sehr überschaubare Entlastung, die zudem nur wenigen, gutverdienenden Selbstständigen und Freiberuflern zugute kommt. Hinzu kommt, dass die alte 90-Prozent-Regelung ohnehin bereits abgeschafft wurde und die Grenze nach alter Regelung jedes Kalenderjahr um zwei Prozentpunkte steigt. Ohne Christian Lindner wären die 100 Prozent also 2025 erreicht wurden. Mit ihm ist es 2023, also geht es hierbei konkret um zwei bzw. vier Prozent jährliche Entlastung auf einen Betrag, der nur für sehr wenige, sehr gut verdienende Selbstständige und Freiberufler überhaupt eine Rolle spielt. Das ist FDP-Klientelpolitik in Reinform. Die vier A´s – Apotheker, Ärzte, Anwälte und Architekten – die laut Klischee ja den harten Kern der FDP-Klientel stellen, werden sich jedenfalls freuen, da genau sie in diese Gruppe gehören.
Gering- und Normalverdiener gehen bei den Entlastungen jedenfalls so gut wie leer aus. Natürlich hätte man auch sie entlasten und damit zumindest ein wenig Binnennachfrage stimulieren können, die gerade der maßnahmengeplagten Gastronomie und dem Einzelhandel ein wenig mehr Umsatz in die Kasse spülen würde. Aber Christian Lindner ist halt Christian Lindner – ein im Kern neoliberaler Klientelpolitiker, der lieber Blendgranaten wirft, sich als „Sparfuchs“ generiert und allen voran seiner eigenen Klientel hilft. Ist das überraschend? Nein, Christian Linder erinnert als Finanzminister nun einmal an den Skorpion, der die Schildkröte – und damit sich selbst – tötet, weil es halt in seiner Natur liegt …
„Es begab sich, dass ein Skorpion einen Fluss überqueren musste. Am Ufer saß eine Schildkröte und sonnte sich. Der Skorpion ging zur Schildkröte und fragte sie, ob sie ihn über den Fluss bringen könne. Nein, sagte die Schildkröte, mitten im Fluss stichst du mich und ich muss sterben, ich werde dich nicht über diesen Fluss bringen! Aber wenn ich dich steche, sterbe ich doch auch. Ja, dachte die Schildkröte und ließ den Skorpion auf ihren Rücken steigen. Mitten im Fluss angekommen, stach der Skorpion die Schildkröte in den Hals. – Warum hast du das nur getan, sprach die Schildkröte mit zitternder Stimme – jetzt sterben wir doch Beide. Es liegt in meiner Natur, liebe Schildkröte, es liegt in meiner Natur…“
Alte Fabel aus dem Vorderen Orient
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