Nach der Kulturrevolution und dem Tod von Mao Tse Tung übernahm, nach einer kurzen Amtszeit von von Hua Guofeng, Deng Xiao Ping die Führung der KPCh. Gemäß seiner Theorie, dass es egal ist, ob die Katze weiß oder schwarz ist, Hauptsache, sie fängt Mäuse, trat die kommunistische Ideologie zugunsten einer pragmatischen Wirtschaftspolitik in den Hintergrund. Deng wollte „erst einmal einige Wenige reich werden lassen“ und stärkte die Privatinitiative in der Wirtschaft, indem er den Privatbesitz an Produktionsmitteln zuließ. Anfang der 1980er Jahre nahm die chinesische Führung offizielle Kontakte zur Junta in Burma auf. Zur gleichen Zeit strich Peking der CPB die direkten Zuwendungen. Von Marco Wenzel.
Lesen Sie dazu auch Teil 1: Die frühen Jahre
Die CPB, die 1949 in den Untergrund gegangen war und die Zentralregierung bekämpfte, wurde bis Ende der 1970er Jahre von der KPCh sowohl ideologisch unterstützt als auch mit Ausrüstung und Waffen versorgt. Etwa ein Viertel der Einnahmen der CPB kam direkt aus China und die Hälfte ihrer Einnahmen insgesamt stammten aus Zöllen, die sie aus dem schwarzen Grenzhandel mit China erhoben. Diese Einnahmen fielen nun weg, da China selber nun offizielle Grenzübergänge mit Burma öffnete und die Zölle selber erhob. Die CPB war plötzlich auf sich allein gestellt und musste sich ihre Geldmittel selber beschaffen.
Etwa 80 Prozent der Opiumplantagen im Nordosten Burmas lagen in Gebieten, die die CPB kontrollierte. Die CPB, die den Opiumanbau bisher immer tendenziell unterdrückt hatte und alternativen Anbau von Getreiden unterstützte, stieg nun selber in den Opiumhandel ein, eine eher unorthodoxe Art der Geldbeschaffung für eine kommunistische Partei. Sie verlangte nun von den Bauern 20 Prozent des geernteten Opiums als Abgabe und besteuerte zusätzlich den Opiumhandel auf den Märkten in ihrem Herrschaftsbereich und dessen Verkauf nach draußen. Bald schon stapelte sich das Opium tonnenweise in den Lagerhallen der PCB. Von dort wurde es, anfangs noch meist noch mit Muli-Karawanen, durch unwegsames Gelände zu den südlich gelegenen Heroinlabors im Goldenen Dreieck gebracht und verkauft. Die Karawanen umfassten oft Dutzende von Tieren, die Karawanen waren schwer bewacht. Die Heroinlabors wiederum wurden von lokalen Drogenbaronen betrieben, die im Goldenen Dreieck bereits seit Langem das Geschäft betrieben und ausländische Chemiker zur Heroinproduktion eingeflogen hatten. Das Heroin aus dem Goldenen Dreieck galt unter Süchtigen als besonders rein und von hoher Qualität. Das letzte Stadium der Produktion für Heroin IV ist besonders anspruchsvoll und bei falscher Handhabung fliegt das ganze Labor in die Luft. Nichts für Amateurchemiker.
Um den beschwerlichen und gefährlichen Transport zu vereinfachen, erlaubte die CPB den Drogenbaronen bald, auf ihrem Gebiet eigene Labore zu betreiben, und verlangte dafür „Schutzgeld“. Da man für die Herstellung von 1kg Heroin ungefähr 10 kg Opium braucht, verringerte sich so das Gewicht der Waren, die transportiert werden mussten. An der Grenze zu China, wo die CPB ihr Hauptquartier hatte, florierte das Geschäft. Aus ehemaligen kleinen Dörfern wurden mittelgroße Städte mit eigenen Elektrizitätswerken und eigener Infrastruktur. In diesen Städten gab es riesige Spielcasinos und Bordelle. Dafür verfiel die Moral der Führung der CPB und anstatt den Ideen Mao Tse-tungs widmeten sie sich ihren krummen Geschäften. 1989 meuterten die einfachen Parteisoldaten und die CPB zerfiel in vier kleine Gruppen, die bald von den ethnischen Gruppen in der Region aufgesogen wurden. Die Führung ging nach China, wo die KPCh ihnen Exil und eine kleine Rente angeboten hatte, unter der Bedingung, dass sie sich nicht mehr politisch betätigen.
Der Opiumanbau und -handel ging allerdings unvermindert weiter, lokale Gangster übernahmen nun das Geschäft vollends. Zudem hinterließen die Kommunisten große Lagerbestände an Waffen, Munition und Fahrzeugen aller Art, die sie im Laufe der Zeit von den Chinesen bekommen hatten. Chinesische Gangstersyndikate übernahmen im Lauf weniger Monate die Reste der CPB und wurden die bestbewaffnetesten Drogensyndikate der Welt. Mit diesen Warlords schloss die Junta jetzt Abkommen, versprach ihnen freie Hand und gab ihnen die Erlaubnis, die Straßen Burmas für ihre Drogentransporte zu nutzen, wenn sie dafür die aufständischen Rebellen in Schach halten würden.
So schaffte sich die Militärdiktatur in Rangun ihre Gegner im Nordosten vom Hals, deren Gebiete sie sowieso niemals kontrollierten, von denen aus sie aber immer wieder militärisch angegriffen wurden. Und nachdem die Oppositionellen von 1988 in Rangun nun entweder ermordet waren oder im Gefängnis saßen, die NLD geschwächt war und Suu Kyi unter Hausarrest stand, konnte die Junta ihre Herrschaft über Südburma, das Irawadi-Delta und die Zentralregion festigen und sich ihren eigenen Geschäften widmen, die sie über ihre Firmen MEHL und MEC kontrollierten. Und das waren und sind bis heute nicht wenige. Die Geschäfte der Junta gehen über Bergbau, Hoch- und Tiefbau, Transportunternehmen, Bierbrauereien, Zigarettenfabriken, eigene Banken, eine eigene Schifffahrtslinie, Tourismusindustrie usw. Es gibt keinen Wirtschaftszweig, in dem das Militär nicht über eigene Firmen beteiligt wäre, und es gibt keinen Investor aus dem Ausland, der an der Junta vorbei Geschäfte machen könnte.
Die neue Verfassung und der Fahrplan zur Demokratie
Nach der 88er Revolution war das Regime in Burma unter ständigem Druck des Westens, demokratische Reformen durchzuführen als Vorbedingung für Handels- und Wirtschaftsbeziehungen und politische Anerkennung. Das Regime, dem als einzige „Freunde“ fast nur noch China und Russland blieben, wollte sich aber nicht allzu sehr an China allein binden und damit erpressbar werden. Das Regime beschloss, sich einen demokratischen Anschein zu geben.
Am 9. Januar 1993 wurde ein Nationalkonvent einberufen, um die Grundzüge einer neuen Verfassung zu erarbeiten. Bereits das Komitee zur Einberufung des Nationalkonvents setzte sich hauptsächlich aus Militäroffizieren und handverlesenen Regierungsbeamten zusammen. Die NLD wurde 1995 von der Nationalen Versammlung ausgeschlossen. Im Mai 1996 verhaftete die Junta über 500 Funktionäre, Politiker und Anhänger der NLD. Danach wurde der Nationalkonvent erst einmal ausgesetzt. Aung Suu Kyi wurde in den 21 Jahren von 1989 bis 2010 mehrmals aus dem Hausarrest entlassen und wieder neu eingesperrt. Sie konnte die Partei in dieser Zeit niemals richtig führen. 1997 wurde Burma Mitglied der ASEAN, auch das nur, um internationale Anerkennung zu gewinnen. Myanmar hat sich nie um die ASEAN verdient gemacht und war immer deren Sorgenkind.
2003 stellte das Regime, das immer mehr international in die Isolation geraten war, einen „Sieben-Schritte-Fahrplan zur Demokratie“ vor. Der Nationalkonvent wurde wieder einberufen, aber immer wieder erneut ausgesetzt. Eine Verfassung sollte jetzt endlich ausgearbeitet werden, danach, „sobald Recht und Ordnung wiederhergestellt“ seien, sollten Wahlen abgehalten und die Macht an den Sieger übergeben werden, eine Ankündigung voller Hinterlist und Heimtücke, denn die Verfassung wurde so geschrieben, dass sie die Vorherrschaft des Militärs garantierte, egal wer die Wahlen gewinnt.
Im November 2005 begann das Regime, seinen Amtssitz in die neue Hauptstadt Naypyidaw zu verlegen. Auf dem 11. ASEAN-Gipfel 2005 wurde Myanmar aufgefordert, seinen Demokratisierungsprozess zu beschleunigen und alle politischen Gefangenen freizulassen.
Die Safranrevolution und der Zyklon Nargis
Am 15. August 2007 strich das Regime die Subventionen auf Kraftstoffe im Land, wodurch sich die Preise verfünffachten. Ab September kam es zu Demonstrationen, zuerst gegen die Verteuerung. Die Proteste richteten sich aber bald schon gegen das Regime als solches. Die Proteste wurden diesmal von buddhistischen Mönchen angeführt, daher der Name Safranrevolution. Ende September begann das Regime, gegen die Demonstranten vorzugehen. Das Militär stürmte die Klöster und verhaftete die Mönche. Es gab hunderte von Festnahmen und, je nach Angaben, bis zu 200 Tote. Auch zivile Oppositionsführer wurden verhaftet. Das Internet wurde abgeschaltet. Am 29. September war die Revolution zerschlagen. Die ganze Zeit über war Suu Kyi unter Hausarrest gewesen, die Führer der NLD waren meist schon vorher verhaftet worden. Ende 2007 nahm eine neugeschaffene Kommission zum Entwurf einer neuen Verfassung seine Arbeit auf. Im Mai 2008 sollte ein Referendum über die Verfassung abgehalten werden und 2010 sollten dann endlich Wahlen stattfinden.
Am 2. Mai 2008 erreichte der Zyklon Nargis, ein tropischer Wirbelsturm, Myanmar. In fünf Provinzen mit insgesamt 24 Millionen Einwohnern wurde der Notstand ausgerufen. Das ganze Irawadi-Delta, darunter Rangun, war betroffen, ganze Landstriche waren überschwemmt, es gab zehntausende von Toten und hunderttausende von Obdachlosen, deren Häuser verwüstet wurden. Die Gegend wurde zum Katastrophengebiet erklärt. Es herrschte Lebensmittelknappheit. Trotzdem ließ das Regime keine fremden Helfer und Hilfsgüter ins Land.
Statt das Referendum über die Verfassung, das auf den 10. Mai festgelegt worden war, zu vertagen, ließ das Regime die Bevölkerung inmitten des Chaos, das nach Nargis herrschte, abstimmen. Jede Aktion, das Referendum durch ein Nein scheitern zu lassen, war mit Freiheitsstrafen bis zu drei Jahren oder mit einer empfindlichen Geldstrafe bedroht. Das Regime hatte landesweit in den Medien für ein Ja zur Verfassung aufgerufen. Mit einer Wahlbeteiligung von über 99 Prozent ist diese dann mit 92,4 Prozent Ja-Stimmen angenommen worden. Kaum jemand der Wähler dürfte das Dokument je gelesen haben. Ohne ein Ja zur Verfassung würden aber keine Wahlen stattfinden, so wurde gedroht, ein Mittel, das auch in Thailand angewandt wurde, um eine vom Militär geschriebene, undemokratische Verfassung durchzusetzen.
Laut Verfassung hat das burmesische Militär 25 Prozent der Parlamentssitze für Kandidaten reserviert, die vom Oberbefehlshaber des Militärs ernannt werden. Eine Verfassungsänderung kann nur mit dreiviertel Mehrheit beschlossen werden, das Militär hat somit immer ein Vetorecht im Parlament, wenn es um Verfassungsänderungen geht. Zudem gehen die Ämter des Innenministers, des Verteidigungsministers und des Ministers für Grenzangelegenheiten automatisch an Mitglieder des Militärs. So sichert sich das Militär die Kontrolle über die wichtigsten Ministerien und über die Verwaltung des Staates, egal wer die Wahlen gewinnt. Trotz aller Reformversprechen hatte die burmesische Junta nie die Absicht, die Kontrolle über das Land abzugeben.
Aung Suu Kyi war als charismatischste Figur der Demokratiebewegung den Militärs von Anfang an ein Dorn im Auge. Um zu verhindern, dass sie, die mit einem Engländer verheiratet gewesen und mit ihm zwei Söhne hatte (ihr Ehemann verstarb 1999), Staatspräsidentin werden könnte, wurde in die Verfassung hineingeschrieben, dass dieses Amt niemand bekleiden kann, der ausländische Familienangehörige hat. Deshalb wurde später, nach dem Wahlsieg von 2015, von der NLD extra für sie das Amt der Staatsrätin geschaffen. In diesem Amt wurde sie dann de facto doch noch Regierungschefin.
Unter diesen Voraussetzungen fanden 2010 die ersten Wahlen seit 1990 statt. Die NLD boykottierte die Wahlen, Suu Kyi stand immer noch unter Hausarrest. Erst im November 2010 wurde der Hausarrest aufgehoben. Bei Nachwahlen im April 2012 kandidierte Suu Kyi erstmals für einen Sitz im Parlament.
Als Reaktion auf das, was man im Ausland als demokratischen Reformprozess sah, nahmen Japan und die EU ihre Entwicklungshilfe wieder auf und setzten ihre Sanktionen aus, die Weltbank bewilligte dem Land einen Hilfskredit. Auch die USA strichen ihre Sanktionen. Alle Welt war enthusiastisch und sah Myanmar endlich auf dem Weg zur Demokratie. Diese Erzählung war zu schön, man wollte sie einfach glauben und übersah geflissentlich, dass, wie man es auch drehen und wenden wollte, das Parlament in Myanmar nur ein Scheinparlament war und die Macht immer noch beim Militär lag, nur schamhaft verhüllt unter einem demokratischen Mäntelchen. Die wahre Fratze des Militärs sollte keine zehn Jahre später ihr grausames Antlitz erneut zeigen. Doch davon mehr im dritten Teil.
Betrachtungen zur Persönlichkeit von Daw Aung Suu Kyi und zur Zukunft Myanmars
Die Politik der NLD gründete von Anfang an auf den Prinzipien der Gewaltlosigkeit, wie Mahatma Gandhi sie in Indien praktiziert hatte. Suu Kyi ist eine charismatische Persönlichkeit mit einer starken Ausstrahlung, die die Menschen zu begeistern weiß. Aber sie ist keine politische Theoretikerin wie Lenin, Mao, Fidel Castro oder Ho Chi Minh, deren Ideen ausgereift wären, noch ist sie eine Revolutionärin mit einem Fahrplan für die Änderung des Systems in Burma. Ihre Vorstellungen von Freiheit und Demokratie hat sie nie theoretisch behandelt und auch nie dargelegt, wie ihre Vorstellungen denn umgesetzt werden sollen. Sie blieb immer vage, alles sollte aber immer durch gewaltlosen Widerstand geschehen. Und so blieb es im Prinzip auch immer nur ein Traum, den sie wahr werden lassen wollte. In diesem Sinn ist sie sogar unpolitischer als Martin Luther King. Für sie soll Demokratie durch nationale Versöhnung und durch Dialog zustandekommen, die Tatmadaw haben jedoch offensichtlich kein Interesse an einem Dialog mit ihr.
Suu Kyi wollte immer eine Welt ohne Gewalt und lehnte es ab, Gewalt mit Gegengewalt zu beantworten. Pazifistische Ideen aber sind schön und gut, angesichts eines bis an die Zähne bewaffneten und skrupellosen Gegners wie die Tatmadaw sind sie wirkungslos. Die Tatmadaw sehen sich als Elite der burmesischen Gesellschaft, ohne die Burma untergehen würde, und zumindest die einfachen Soldaten, die abgeschirmt vom Rest der Gesellschaft in einer Parallelwelt leben, glauben das durchaus auch selber. Sie sind durch und durch indoktriniert und sie verteidigen das System ihrer Meinung nach zum Wohl des ganzen Landes. Da hilft kein gutes Zureden, die Tatmadaw verprügeln und ermorden in ihren Augen nur die Feinde Burmas, die das Land kaputtmachen wollen. Und sie tun dabei Gutes für Burma.
Suu Kyi war immer kompromissbereit, selbst nach dem Ende ihres jahrelangen Hausarrestes hegte sie keinen Groll gegen die Militärjunta und meinte, sie sei immer gut behandelt worden. Auf eine Frage nach ihrer Haltung zu den Generälen sagte sie sogar, die seien „eigentlich ganz nett“. Kurz nach der Niederschlagung der Proteste im September 1988 und dem anschließenden Blutbad der Tatmadaw kann es zu Racheakten der Bevölkerung an den mutmaßlichen Tätern. Einige von ihnen wurden gefasst und von der Bevölkerung an Ort und Stelle gelyncht. Suu Kyi schickte daraufhin, wenn sie von Festnahmen von Repressionskräften durch die Bevölkerung erfuhr, regelmäßig eigene Leute, oft auch Mönche, dorthin, um das Leben der gefangenen Tatmadaw zu retten. Gedankt hat die Junta es ihr kurz darauf mit ihrer Festnahme und mit Hausarrest. Soviel zu Pazifismus und Gewaltlosigkeit, der Leser möge sich seine eigenen Gedanken dazu machen.
Suu Kyi ist eine tief gläubige Buddhistin. Sie steht frühmorgens auf und meditiert und hat sich selber eine strenge Disziplin auferlegt, was ihren Tagesablauf anbelangt. Sie ist eine arbeitsame Frau mit leicht mystischen Charakterzügen. Die Führung der NLD fiel Suu Kyi deshalb zu, weil niemand sonst eine ähnlich starke Ausstrahlung wie sie hatte und weil sie die Tochter ihres Vaters, des Nationalhelden Aung San, ist, für ganz Burma immer noch ein Idol. Die NLD war immer mehr eine Bewegung denn eine Partei. Vieles entwickelte sich mehr spontan als geplant und ideologisch vorbereitet.
Selbst unter Hausarrest, abgeschirmt von der Öffentlichkeit, blieb Suu Kyi für ihre Anhänger eine Ikone. Sie war die mutige junge Frau, die es wagte, die Militärdiktatur herauszufordern. Mut, das muss man ihr lassen, hat Suu Kyi immer gehabt. Bilder gingen um die Welt, als sie mutig auf die Soldaten zuging, die mit ihren Gewehren auf sie zielten. Mut und Vertrauen ist neben der Gewaltlosigkeit eines der zentralen Themen ihrer Lehre, die sie an ihre Anhänger weitergibt. Eines ihrer Bücher trägt den Titel „Frei von Angst“. Diese junge, attraktive und mutige Frau verkörpert eine Erzählung, die nicht nur in Burma, sondern in der ganzen Welt Begeisterung hervorrief. Neben dem Friedensnobelpreis bekam Suu Kyi weitere unzählige Auszeichnungen und Preise, von Gewerkschaften über NGO’s bis hin zu Universitäten, die ihr die Ehrendoktorwürde verliehen. Es ist die Erzählung von David gegen Goliath, nur wurde Goliath in dieser Erzählung bisher noch nicht besiegt. Und so wie die Welt sich Aung Suu Kyi begeistert hinwandte, weil sie ein Narrativ verkörperte, das der Welt so gut gefiel, so wandte die Weltgemeinschaft sich ebenso abrupt wieder von ihr ab, als sie glaubte, Suu Kyi setze sich nicht vehement genug gegen die Unterdrückung der Rohingya ein und dass sie damit dem Ideal, das sie Suu Kyi selber angeheftet hatten, nicht mehr entspräche.
Allerdings ist Suu Kyi auch eine Angehörige der Bamar und das Thema der Integration der ethnischen Minderheiten war ihr nie eine Herzensangelegenheit. Für sie zählt Myanmar als Nation, die ethnischen Minderheiten sollen sich den Interessen der Nation unterordnen, aber wie die Nation aussehen soll, auf welchen Klassen die zukünftige Nation aufgebaut werden soll, ob es ein kapitalistisches Myanmar werden soll oder ein sozialistisches oder irgendetwas dazwischen, einem „dritten Weg“ etwa, das blieb immer im Unklaren. Fragen über Fragen, ein Parteiprogramm müsste das klären. Und hier erklärt sich auch ihre Haltung in der Rohingya-Frage, wo sie sich zwar international diskreditierte, aber eine Meinung vertrat, die in Myanmar, außer bei den Betroffenen, durchaus gang und gäbe ist.
Nachdem NLD im Jahr 2016 die Regierung führte, wurde schnell deutlich, dass ihre Führer die gleiche Denkweise wie ihre Vorgänger hatten, wenn es um Angelegenheiten im Zusammenhang mit den indigenen Völkern Myanmars ging. Frieden und Wohlstand für alle kann aber in Myanmar nur dann erreicht werden, wenn die Rechte der indigenen Völker, die dort seit Jahrhunderten ansässig sind und die selbst von der damaligen englischen Kolonialmacht nicht regiert werden konnten und sich weitgehend ihre Autonomie bewahrten, auch in einer neuen föderalen Verfassung verankert werden. Die indigenen Gruppen besitzen in der Regel kaum Besitzurkunden für ihr Land, die Parzellen wurden von Generation zu Generation weitergegeben. Sie hatten ihre eigenen Führer, Regierungen, Verwaltungen und auch Armeen.
Als die Landesgrenzen gezogen wurden, gehörten sie von einem Tag auf den anderen zu Burma, aber sie hatten keinen Bezug zur Zentralregierung der Bamar und haben das bis heute noch kaum. Es kann auch nicht angehen, dass eine von den Bamar angeführte Regierung ihnen wie bis jetzt, ohne Konsultationen, vorschreibt, welche Gesetze sie zu beachten haben, wie sie ihr Leben führen müssen, wem sie Steuern zu bezahlen haben, welche Sprache sie zu sprechen haben und vor allem, wem das Land gehört, auf dem sie seit Generationen leben. Die Anerkennung der gewohnheitsmäßigen Landrechte der indigenen Völker muss integraler Bestandteil einer neuen, noch zu gründenden föderalen Republik Myanmar ohne Tatmadaw werden.
Die neue Schattenregierung, die auf eine föderale Republik nach dem Ende des Bürgerkrieges hinarbeitet, hat das erkannt und Gespräche mit den Minderheiten zur Lösung der Frage aufgenommen. Denn davon hängt auch die Unterstützung der ethnischen Gruppen und ihrer Armeen zum Sturz der aktuellen Militärjunta ab. Nur wenn die bisher ausgeschlossenen ethnischen Gruppen das Gefühl haben, dass ihr Leben in einem zukünftigen Staat ein besseres Leben sein wird, werden sie auch bereit sein, ihre Soldaten in den Dienst der Schattenregierung NUG zu stellen, um die Tatmadaw zu besiegen. Wenn für sie aber später alles beim Alten bleiben soll, warum sollen sie dann heute kämpfen?
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