Die deutschen Parteistiftungen schlagen Alarm. „Russland spielt bravourös auf der Klaviatur der Soft power tools, um die Herzen der Serben für sich zu gewinnen“, so die aktuelle Fallstudie im Auftrag der FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung „Wie Moskaus Propaganda Serbien beeinflusst“. Um dieses Spiel zu konterkarieren, müsse man dieses „Spiel“ mitspielen. Dabei stellt sich die Lage für die Europäische Union und Deutschland – sie werden in der Studie praktisch gleichgesetzt – als eine äußerst ungerechte Angelegenheit dar. Die EU mache rund 66 Prozent der gesamten serbischen Exporte aus und Deutschland sei für Serbien der wichtigste Handelspartner. „Weit abgeschlagen folgt der russische Markt, der sich auf weniger als fünf Prozent der gesamten serbischen Exporte beläuft“. Auch bei ausländischen Direktinvestitionen liege die EU weit vor Russland. „Dennoch sind weite Teile der serbischen Bevölkerung davon überzeugt, dass Russland der engste und wichtigste Wirtschaftspartner des Landes ist“. Von Wladimir Sergijenko.
Der Autor räumt ein, dass es zwischen Russland und Serbien historisch-kulturell begründete, emotionale Verbundenheiten gibt, wobei die gemeinsame slawische Sprache eine wichtige Rolle spiele. Warum im Gegenzug zum Serbischen die Sprachen Kroatiens, Polens, Tschechiens und insbeondere der ostslawischen Ukraine keine verbindende politische Funktion besitzen, erklärt der Autor nicht. Eigentlich sollte der langjährige Leiter des DPA-Büros in der gesamten Region, Dr. Thomas Brey, ein ausgewiesener Experte sein. Während aller Jugoslawien-Kriege einschließlich NATO-Aggression des Jahres 1999 und Abspaltung des Kosovo 2008 war er in Belgrad und der Region tätig. Er müsste es wissen, was das Trauma des Staatszerfalls, der Vertreibung und ethnischen Säuberungen für Millionen von Serben bedeutet und welche politische Position Russland auf der internationalen Bühne in der Serbien-Frage spielt. Dennoch geht er in seinem 60-seitigen Werk um NATO-Krieg und kosovarischen Separatismus wie um den heißen Brei herum und erwähnt sie mit keinem Wort.
Welche Chancen hat der wichtigste Handelspartner Serbiens also, mit der angestrebten Soft-Power-Gegenoffensive noch die Herzen der Serben zu gewinnen, wenn es in Gestalt der politischen Stiftung einer Regierungspartei so wenig Verständnis und Anteilnahme für Probleme der Serben zeigt? Um das einschätzen zu können, lohnt es sich, dem populärsten Politiker des Landes, dem Staatspräsidenten Alexandar Vucic, im O-Ton zuzuhören. Sein letztes großes Interview gab er dem russischen Fernsehsender Rossija 24 kurz vor seiner Reise nach Moskau am 25. November, wo sich Serbiens Präsident mit seinem russischen Kollegen Wladimir Putin traf.
Dieses Gespräch steht im krassen Kontrast zu dem Interview, das Vucic noch im Februar dieses Jahres dem Boulevardmedium Bild im Videoformat gegeben hat. Fünfzehn Minuten lang musste sich Vucic mit seinem simplen Englisch für seine vermeintlichen Vergehen rechtfertigen, denn die Fragen wurden in einem unfreundlichen, teilweise anklagenden Ton formuliert. Der kritische Reporter war dabei nicht einmal im Bild. „Dear friend, I`m not Communist“ – konterkarierte Vucic den unsichtbaren Fragesteller. Konnte sich das Springer-Medium für das Interview bei einer Person in diesem Amt keine zusätzlichen Kameras leisten und auch keinen Dolmetscher engagieren, um ihm die Möglichkeit zu geben, sich in seiner Muttersprache auszudrücken? Hauptsache, man konnte Vucic die Sätze wie „Ich würde immer wieder Angela Merkel wählen“ entlocken. Das Interview, das auf YouTube verfügbar ist, wurde übrigens für die deutschen Zuschauer nicht einmal in deren Sprache vertont.
So behandelt man einen Präsidenten? Wenn man ihm etwas aufzwingen will, ja. Auch wenn man ihm eine politische Botschaft durch Journalisten übermitteln will. Wenn man wissen möchte, wie er denkt und fühlt, nein. Und es ist nicht der Rede wert, wie weit so ein Interview von der angestrebten „Charme-Offensive“ entfernt ist.
Anders Russland. Für das Interview mit Vucic reiste einer der bekanntesten Journalisten des Landes, Moderator mehrerer politischen Talk-Shows, Wladimir Solowjew, nach Belgrad. Die Kanäle „Soloviev Live“ (russ. Соловьев Live) auf YouTube und Telegram belegen erste Plätze im russischen politischen Internet. Auf ihnen warb der Medienmacher für das Interview, stellte zunächst Kurzfassung und erst Tage später das volle 51-minütige, komfortabel geführte Gespräch ins Netz. Solowjew hat auch schon den russischen Präsidenten Wladimir Putin, den japanischen Premier Shinzō Abe, den russischen Außenminister Sergei Lawrow und den Chef des russischen Auslandsgeheimdienstes SWR, Sergei Naryschkin, interviewt. Der Einsatz eines journalistischen Schwergewichts für das Gespräch mit dem serbischen Präsidenten spricht für hohes gesellschaftliches und politisches Interesse in Russland an seiner Person.
Wirtschaft und Gas
Während des Gesprächs lobte Vucic das hohe Tempo beim wirtschaftlichen Wachstum des Landes. Mit 7,5 Prozent sei es das höchste in der ganzen Region. „Wir konnten das erreichen, weil wir freundschaftliche Beziehungen zu Russland und China haben“. Den Aufschwung brachte er auch mit vertraglich gesicherten, günstigen Gas-Preisen in Zusammenhang, deren Ersparnis im Vergleich mit Marktpreisen in Europa über die Jahre mittlerweile eine Milliarde Euro betrage. Im Unterschied zu Nachbarländern wie Bulgarien sei Serbien niemals das Problem für den Bau der Gas-Pipelines Turkish- und South-Stream gewesen. „Wir reden inzwischen vom Balkan-Stream – wir haben zusammen mit Gazprom 400 km durchs Territorium unseres Landes gebaut“.
Gespräche mit Putin über NATO
Der Druck des Westens auf den serbischen Präsidenten war mehrmals das Thema des Gesprächs. So nannte der Fragesteller den geopolitischen Weg des Landes „schwierig“. Er vermutete, dass Serbien vor die Wahl gestellt wurde: „Vergessen Sie die Geschichte der serbischen Tragödie und sie werden ein gutes Leben haben“. Vuvic sagte:
„Danke für diese Frage. Das klingt logisch – was wäre geschehen, wenn wir uns gegen Russland positioniert hätten, wenn wir die Sanktionen gegen Russland eingeführt hätten. Ich bin mir ziemlich sicher, dass man dann uns schon damals gesagt hätte – willkommen in der NATO. Zuerst, und dann willkommen in der EU.“
Dann leuchtete Vucic ein, wie er mit dem russischen Präsidenten tete-a-tete diese schwierige Frage besprach.
„Er war über gewisse Nachrichten etwas verärgert, wollte das aber nicht zeigen. Er begann mit einer leisen Stimme zu reden.
„Na gut, Alexander, sie können ein Teil NATO werden, aber unsere Völker bleiben Freunde – das ist Ihre Wahl, wir werden nicht dagegen sein.“
Ich habe ihm so 35 Minuten zugehört und dann gesagt:
„Wer hat Ihnen das überhaupt erzählt?“
Es gab viele Informationen, die ihn erreicht haben.“
Vucic bat Putin, ihm fünf Minuten zuzuhören:
„Serbien ist ein militärisch neutrales Land. Serbien wird der NATO nicht beitreten. Ich sage Ihnen nichts darüber, was heute passiert ist, ich rede von der Zukunft, dass Serbien weder morgen noch übermorgen, überhaupt in der Zukunft einem Militärbündnis beitritt. Wir stärken unsere Gesetzgebung und unsere militärische Basis, damit wir im militärischen Sinne ein neutrales Land sein können und das ist die Selbstbestimmung der Republik Serbien auf langfristige Sicht. Ich verstehe nicht, wie Sie darauf gekommen sind, dass wir der NATO beitreten wollen. Serbien wird niemals Sanktionen gegen Russland verhängen. Serbien ist ein Land, dass im militärischen, militärtechnischen und politischen Sinne mit Ihnen zusammenarbeitet und wir werden uns auch künftig so verhalten. Ich habe ihm mein Wort gegeben und sagte, dass dies nicht nur im Interesse Russlands sei, sondern auch Serbiens. Seitdem gab es zwischen uns keine schwierigen Gespräche mehr.“
Der Weg in die EU
Im Laufe des Gesprächs betonte Vucic mehrmals, dass Serbien ein militärisch neutrales Land sein wird, das niemals gegen die Russische Föderation gerichtet sein werde. Er sagte auch, dass Serbien den Beitritt in die EU anstrebe. „Natürlich kommen von der EU enorme Investitionen. Das Wesen der Politik besteht darin, dass das Land selbstständig beim Treffen seiner Entscheidungen ist, dass das Land nicht fremde, sondern eigene Interessen verfolgt. Wenn Serbien ein militärisch neutrales Land sein wird, wird es eine eigene Politik verfolgen.“ Dann kam Vucic wieder auf Putin zu sprechen, mit dem er sich bereits 19 Mal traf.
„Wenn ich Putin sage, dass wir auf dem europäischen Wege sind, lächelt er nur.
„Ich weiß, ich weiß. Ich weiß, dass sie euch nicht aufnehmen wollen, aber dass ihr auf dem europäischen Wege seid“.
Er sagt das mir jedes Mal. Und ich sage ihm, da ich niemanden belügen und nichts verstecken will, sage ich Europäern und Amerikanern Folgendes:
„Wir haben mit Russland gute, besondere Beziehungen und wir wollen sie nicht beschädigen, also ihr sollt von uns weder etwas fordern noch um etwas bitten.“
Ich glaube, dass ich damit eine Art von Respekt mir gegenüber als Präsident meines Landes verdient habe.“
„Redet mit mir nicht über Moral“
Alexandar Vucic versicherte seinem Gesprächspartner, dass es Geschichtsumschreibung in Serbien niemals geben werde. Er weiß, wie wichtig das Gedenken an den Krieg in Russland ist und nahm vor wenigen Jahren gemeinsam mit Wladimir Putin am Tag des Sieges an der Volksaktion „Unsterbliches Regiment“ auf dem Roten Platz teil. „Bei uns wird die Rolle Russlands und der Roten Armee während des Zweiten Weltkrieges respektiert. Wir wissen, was Faschismus und Nazismus bedeuten. Wir hätten niemals siegen können, wenn das russische Volk und die anderen Völker der Sowjetunion im Großen Vaterländischen Krieg nicht teilgenommen hätten. Wir sind uns dessen bewusst und wir geben das an unsere Kinder weiter und werden das auch in Zukunft tun.“
An dieser Stelle kam Vucic auf die schwierige Situation der Anerkennung des Kosovo und der Lage mit der serbischen Enklave in Bosnien-Herzegowina zu sprechen und zitierte anschließend lobend den französischen Präsidenten Emmanuel Macron aus einem vertraulichen Gespräch.
„Was all das betrifft, was in den 1990er Jahren passiert war. Sie haben erwähnt, wie das serbische Volk in mehrere kleine Staaten aufgeteilt wurde. (…) Und jetzt, wenn wir über moralische Prinzipien und Gerechtigkeit reden, sage ich:
„Hört auf. Sprecht nicht darüber. Sagt mir – macht das und das, aber sagt nicht, dass dies irgendwelchen moralischen oder ethischen Prinzipien entspräche, wenn sie etwas über Kosovo oder Bosnien und Herzegowina sagen.“
Ich habe einmal bei Präsident Macron gefragt – Sie werden verstehen, warum ich ihn respektiere – wie werde ich Serben erklären, warum hatten die anderen – Slowenen, Kroaten, Bosniaken – das Recht auf Selbstbestimmung und nur die Serben hatten dieses Recht nicht? Alle haben es und die Serben nicht. Wie kann ich das dem Volk erklären?
Emmanuel Macron antwortete mir dann:
„Alexander, ich muss mit dir nicht mit allem einverstanden sein, aber in Wirklichkeit ist vieles, was du mir erzählst, die Wahrheit. Aber du bist ein rationaler Politiker, Pragmatiker, verstehst, dass dies jetzt in dieser politischen Situation unmöglich ist. Und es gibt politische Faktoren, die jetzt nicht dazu passen.“
Dann sagte ich ihm – danke, diese Herangehensweise ist korrekt. Bloß sagt mir nicht, dass dies mit moralischen Prinzipien und großer Gerechtigkeit zu tun hat. Ja, ich kann verstehen, wer im Moment stärker ist, aber ich kann und will es nicht hören, dass diese Situation gerecht sei und Serben an allem schuld seien. Das ist nicht die Wahrheit.“
„Frieden um jeden Preis“
Dann waren die aktuellen Spannungen in der Region das Thema. Könnte der Balkan wieder zum Brandherd Europas werden, fragte Wladimir Solowjew. Vucic sagte, dass Russland derjenige Akteur sei, der für Frieden und Stabilität sorge.
„Wenn wir über die Lösung der Probleme (in der Region) sprechen, ist es für Serbien sehr wichtig, den Frieden und die Stabilität zu erhalten. Dafür sind für uns sehr wichtig die stabilisierenden Beziehungen mit der russischen Föderation. Für uns ist es sehr wichtig, wenn Russland sagt, dass Dayton (das Dayton-Abkommen, das den Bosnien-Krieg im Jahre 1995 beendete – Anm. des Verfassers) als internationale Rechtsnorm eingehalten werden muss, denn für uns ist jetzt der Frieden das Wichtigste“
Frieden sei die wichtigste Grundlage für den Aufschwung Serbiens, betonte Vucic.
„Wir wachsen wirtschaftlich in der ganzen Region am schnellsten. Unsere Wirtschaft entwickelt sich besser als die aller Anderen in der Region. Noch zu meiner Zeit als Premier-Minister vor sieben Jahren betrug der durchschnittliche Lohn 329 Euro. Und jetzt ist er bei 560. Und im nächsten Jahr wird er mehr als 610 Euro sein, also wird sich fast verdoppeln. (…) Serbien entwickelt sich mit enormer Geschwindigkeit. Deswegen brauchen wir Frieden und Stabilität, deswegen respektieren wir diejenigen, die unsere Unabhängigkeit, unsere Souveränität und die Resolution des internationalen Völkerrechts respektieren – dazu zählt auch die Resolution der Vereinten Nationen 1244 zu Kosovo und Methochien – wer die territoriale Integrität Serbiens respektiert.“
Vucis sagte, dass er angesichts der Spannungen große Angst vor der Zukunft hat. Deswegen sei für ihn ein Treffen mit Putin derzeit wichtig. „Ich werde um jeden Preis für den Frieden kämpfen. Die Situation ist nicht einfach. Alles andere, was ich sagen kann – ich befürchte, dass ich nur Öl ins Feuer gießen werde, was die Leute falsch interpretieren könnten. Deswegen alles, was ich sagen kann, ist, dass die Situation kompliziert ist, ohne Zweifel“.
Dann begründete Vucic die Aufrüstung Serbiens mit modernen Waffensystemen mit einem Satz des langjährigen Staatschefs Jugoslawiens Josip Broz Tito: „Wir arbeiten so, als ob es Krieg nicht geben wird. Aber wir müssen dazu bereit sein, dass morgen der Krieg ausbrechen wird“.
„Von Russland bekamen wir ganz moderne Technik, wie Panzer, Helikopter, Militärjets zum Beispiel. Wir führten auch Militärübungen durch und unsere Zusammenarbeit im Militärbereich verläuft ausgezeichnet. Und das ist kein Geheimnis“, sagte Vucic.
Migranten: „Wo bleibt Solidarität?“
Bei diesem Teil des Gesprächs musste Alexander Vucic fast die ganze Zeit milde lächeln – aus Verwunderung über die 180-Grad-Wende bei den Europäern in der Flüchtlings-Frage. Er erinnerte daran, dass durch Serbien in den Jahren 2015-2016 bis zu einer Million Flüchtlinge gegangen sind. „Auf unserem Territorium halten sich auch derzeit zwei- bis dreitausend Migranten auf. Aber es hat sich alles geändert in Europa. Als sie zum ersten Mal bei uns angekommen und über serbisches Territorium gegangen sind, fragten wir (bei europäischen Politikern) – was sollen wir tun? Und wir konnten keine Antwort bekommen, weil die Politiker uneins waren. Die einen sagten aber, seid solidarisch. Ja, wir haben Solidarität gezeigt. Sie wollten aber nach Westeuropa. Aber jetzt, wie ich sehe, hat sich alles grundlegend geändert, es hat sich das Verhältnis zu Migranten geändert. Niemand sagt ihnen, „Herzlich willkommen“. Zumindest in den meisten europäischen Ländern“
Anschließend war auch von der Migrations-Krise an der polnisch-weißrussischen Grenze die Rede. „Ich hoffe, dass diese Krise gelöst wird, denn diese Menschen sind Opfer der Konflikte in ihren Herkunftsländern. Und ich hoffe, dass die Beziehungen zwischen Polen und Weißrussland besser werden und dass alle Probleme friedlich und durch Verhandlungen gelöst werden. Durch unser Territorium zogen etwa eine Million Flüchtlinge durch. Es war nicht einfach, aber wir konnten alles organisieren. Es war für uns kein großes Problem“.
„Im Ausland habe ich keine Konten“
Auf die Frage des Journalisten, ob Serbien zum von den USA initiierten sogenannten „Gipfel der Demokratie“ eingeladen sei, sagte Vucic, dass er das noch nicht wisse, und erzählte eine Episode aus seinem Alltag als Präsident. „Von allen Seiten höre ich Belehrungen – aus Europa, aus dem US-Kongress usw. Aber wenn ich die Texte dieser Menschen lese, komme ich zu dem Schluss, dass diese Leute kaum Verständnis haben für das, was hier passiert. Sie waren niemals hier. Und dann verstehen Sie, dass hinter allen diesen Äußerungen großes Interesse steht – ökonomisches, politisches. Im US-Kongress gibt es sechs, sieben Leute, die gegen mich sind, und sie haben mich der Korruption bezichtigt und mit Sanktionen gedroht, falls jemand Gesetze oder sonst irgendetwas verbrochen hat. Ich erwiderte damals, „wissen Sie, ihr könnt bei mir nichts einfrieren“ – ich sage das ganz offen.“ An dieser Stelle begründete Vucic nochmal, worin das Wesen seiner internationalen Politik besteht und wofür er Russland dankbar ist:
„Ja, wir sind auf dem europäischen Weg. Aber wir werden niemals unsere Beziehungen zu Russland beschädigen. Wir werden Wladimir Putin respektieren und es ist unerheblich, wer was darüber denkt. Wir werden auch wunderbare Beziehungen mit China haben, ob es ihnen gefällt oder nicht. Das ist die Politik Serbiens. In Russland muss man nicht mit jedem meiner Worte einverstanden sein, aber da wird unsere Wahl respektiert und das ist das, was wir an Präsident Putin schätzen.“
Der 4+2-Vertrag, der die deutsche Wiedervereinigung im Jahre 1990 besiegelte, war der Ausgangspunkt für die Veränderung der Sicherheitsarchitektur in Europa. Ein „Europäisches Haus“ für alle ist es aber nicht geworden. Für jedes Land gibt es ständig einen sichtbaren oder unsichtbaren Kampf. Beitritt zur NATO, Assoziierung mit den Zollvorschriften der EU oder Russland sind Bespiele davon. Wo ist der Platz der kleinen Staaten in diesen geopolitischen Spielen?
Berlin und Brüssel wollen ihr Einfluss auf dem Westbalkan noch weiter vergrößern. Deshalb betrachten sie mit Argwohn die fortschreitende Annäherung zwischen Serben und Russen – die geschichtlich und kulturell ohnehin nie voneinander fern waren. Ihre „Ratgeber“ wollen nun zunehmend auf deutsche „Soft Power“ setzen, um die „Herzen“ der Serben zu erobern. Aber welche „Soft Power“ haben sie Belgrad anzubieten? Bombardierung Belgrads mit Bundeswehrflugzeugen für „gute Zwecke“? Dieses Verbrechen wird in der deutschen Politik kaum erwähnt, geschweige denn aufgearbeitet.
Russland hat Belgrad in dem Moment unterstützt, als die NATO Bomben über dem damaligen Jugoslawien abwarf. Russland unterstützt Serbien auch jetzt politisch. Berlin und Brüssel stellen aber Forderungen und machen Druck auf den Präsidenten.
Das Interview mit Vucic ist ein Beispiel dafür, dass in den westlichen Medien die Rolle Serbiens im historischen und aktuellen politischen Kontext nicht beachtet wird. Es zeigt auch, insbesondere im Vergleich mit dem konfrontativen Bild-Interview, dass es in Berlin kaum Verständnis gibt für die Interessen unserer kleineren europäischen Nachbarn. Vor dem Hintergrund des Gesprächs zwischen Putin und Biden ist dies natürlich nur eine Episode aus unserem europäischen Leben. Dinge sollen nicht zu einer militärischen Konfrontation eskaliert werden und Serbiens Präsident hat sein großes Interesse für den Erhalt des Friedens bekundet. Aber wenn andere Akteure in der Region auf Eskalation setzen, kann das Kosovo-Problem leicht zu einem weiteren Brandherd an der EU-Grenze führen. Bisher konnten aber die Dinge diplomatisch gelöst werden.
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